laut.de-Kritik

Dr. Sommer für harte Teens in der Rebellenphase.

Review von

Hölle, das nenne ich eine Ausstattung. Selbst unter Beachtung der mehr als respektablen Aggro-Erfolgsstory ringt der Schritt vom ersten Labelsampler 2002 bis zum heutigen doch Respekt ab. Brachte die Ansage Nr.1 noch sieben Tracks auf Platte, sind es dreieinhalb Jahre später 28, zuzüglich neun Skits, zwei Videos und dem Aggro-Computerspiel "Fast Carnage", einem Zwitter aus Autorennen und Grand Theft Auto. So etwas wünscht man sich als Fan.

Musikalisch hat sich hingegen so viel gar nicht geändert. Auf plastisch klingende Beats steht die Aggrobesetzung schon seit seligen Royal TS-Zeiten. Der Synthesizertsunami erreicht seinen Gipfel bei "Gesetzlos", einem der zahlreichen Tracks, deren Inhalt keine nähere Beschreibung wert ist. Der Beat von Tai Jason pumpt eine derart dichte Atmosphäre durch die Boxen, wie es sonst nur Technoproduzenten auf sämtlichen Drogentrips schaffen. Erstaunlich, wie schnell die ausführenden Produzenten bei Aggro wechseln. Weder Don Tone noch Fuego, die überzeugensten Beatbastler der letzten Ansage, steuern dieses Mal Werke bei. Neben erwähntem Tai Jason sorgen DJ Desue, DJ Pete, Kilian und Paul NZA für die – gewohnt überzeugende – musikalische Untermalung.

All das täuscht jedoch nicht über das Grauen hinweg, das einen trifft, hört man sich die Texte genauer an. Sido kann einem da richtig leid tun: Als Auslöser des Aggro-Booms hat ihm der plötzlicher Ruhm relativ schnell zu einer gewissen Coolness, einer abgeklärten Entertainerqualität verholfen. Und jetzt sieht sich der beste Rapper seines Labels auf voller Albenlänge mit Reimlegasthenikern konfrontiert und muss seinen wirklich nicht dummen Track "Wahlkampf", in dem er mit G-Hot über politische Methoden beim Wählerfang herzieht, zwischen das unsagbar dämliche "Du Hu(rensohn)" und "Aggro Star" quetschen. Traurig, denn was das Zweiergespann Sido / B-Tight drauf hat, sollte jeder unvoreingenommene Hip Hop-Fan inzwischen begriffen haben. Ansonsten führe man sich einfach "Keine Angst", den Höhepunkt der Scheibe, aufmerksam zu Gemüte.

Bushido hat den Absprung hin zum Major, trotz aller damaliger Kritik wohl der richtige Schritt, rechtzeitig geschafft. Ex-Homie und Quasi-Nachfolger Fler übertrumpft sich hingegen selbst in puncto Peinlichkeit. Da behauptet der selbsternannte Surfer auf der neuen deutschen Welle in "Bad Boy" doch tatsächlich, Curse nicht dissen zu müssen, da selbst der Großmeister ihn grüße. Über den demzufolge leicht inkonsequenten Disstrack "Ökorapper" kann sich jeder Interessierte umsonst im Internet amüsieren. Aber was maßt sich dieses Opfer auch an, den Aggroberlinaz einfach die Viva-Sendeplätze streitig zu machen?

Zumindest bei G-Hot beweisen die Labelbosse ein glückliches Händchen. Von Style und Reimschema Frank White sehr ähnlich, übertrumpft er ihn in technischer und besonders inhaltlicher Sicht schon weit. Eigentlich kann man Aggro kaum böse sein. Mit Sido und G-Hot haben sie zwei Rapper am Start, die auch nach herkömmlichen Gesichtspunkten durchaus was reißen können. B-Tight blüht immer dann auf, wenn er sich nicht von dem unsäglichen Tony D. runterziehen lässt. Besonders auf "Ghettoleute" macht Bobby Dick mit Featuregast MC Bogy eine gute Figur. Aber finanziell funktioniert das Konzept nun mal. Und dass die heutige Rapszene Fame und kommerziellen Erfolg gleichsetzt, ist nun wirklich nicht das Problem des Berliner Labels.

Die Aggro-Horde hat Ende 2005 ihren Persönlichkeitswandel vollzogen. Was als hungriges, vielversprechendes Independentlabel begann, präsentiert sich heute als hochglanzpolierter Dr. Sommer für pubertäre Teenies in der Rebellenphase. Darüber täuscht auch ein Fler, der in der "Anklage Nr.5" Journalisten nicht sonderlich subtil Morddrohungen macht, nicht hinweg. Was 1977 bei den Sex Pistols funktionierte, perfektioniert die Aggro-Garde nahezu. Provokation für MTV-Zuschauer, verpackt in eine selbstgerechte "Wir scheißen auf alles"-Attitüde. Traurig ist nur, wie viel ungenutztes Talent dabei auf der Strecke bleibt.

Trackliste

  1. 1. Aggro Anklage Intro
  2. 2. Aggro Berlin Zeit
  3. 3. Gegenschlag Skit
  4. 4. Anklage Nr. 5
  5. 5. Identität
  6. 6. Gesetzlos
  7. 7. Tony's Block Skit
  8. 8. Blockrandale
  9. 9. Fadi Gegen Bush Skit
  10. 10. Wahlkampf
  11. 11. Aggro Star
  12. 12. Musikgeschäft Skit
  13. 13. Keine Angst
  14. 14. Fadi Auf Den Strassen Skit
  15. 15. Ghettoleute
  16. 16. Schlampe
  17. 17. Atze Und Matze Skit
  18. 18. Benzin
  19. 19. Das Ist Krieg
  20. 20. Streitaxt Skit
  21. 21. Tony Damager
  22. 22. Alpa Für Westberlin
  23. 23. Fadis Traumstadt Skit
  24. 24. Wir Pimpen
  25. 25. Ein Schritt Voraus
  26. 26. Fadi Mit Papier Oder Ohne Skit

Preisvergleich

Shop Titel Preis Porto Gesamt
Titel bei http://www.amazon.de kaufen Various Artists – Aggro Ansage Nr.5 X €16,98 €3,00 €19,98

1 Kommentar