laut.de-Kritik

Punk, Soul, Blues und Latin: Wenn das Walter Ulbricht hören würde ...

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"Ist es denn wirklich so, dass wir jeden Dreck, der vom Westen kommt, nun kopieren müssen? Ich denke, Genossen, mit der Monotonie des Je-Je-Je, und wie das alles heißt, ja, sollte man doch Schluss machen."

Ach, wertester Walter Ulbricht. Tapfer und ein wenig weltfremd hast du dich in deinem mittlerweile inexistenten Land gegen die Amerikanisierung gestellt. Genutzt hat es wenig, und so eröffnen Tokyo Sex Destruction auch knapp fünfzig Jahre nach deiner putzigen Rede ihr Album "Sagittarius" mit einem zünftigen "Yeah Yeah Yeah".

Zu dem freudigen Ausruf liefert der Opener "Put Your Hands Up!" feurigen Garagen-Rock mit massiven Bläsereinsatz sowie knarzendem Gitarrensolo. Mit dem Punk der frühen "Le Red Soul Comunnitte"-Zeiten hat das Ganze nur noch am Rande zu tun. Handclaps, Hammondorgel und Backgroundsängerinnen bestimmen das Bild. Von ihrer alles umpurzelnden Energie haben die Songs von Tokyo Sex Destruction jedoch nichts verloren.

Die Herren aus der Heimatstadt des legendären Futbol Club Barcelona mischen auf ihrem mittlerweile sechsten Album munter The Hives, MC5, Sly And The Family Stone,The Clash und Jon Spencer. Punk-Attitüde trifft auf Soul, psychedelischen Blues und Latin-Percussions. "Das Album ist vielleicht etwas ruhiger, aber es ist immer noch Rock'n'Roll, ganz klar. Das wird sich auch in Zukunft nicht ändern."

Nahtlos und ohne Pause geht es nach nur zwei Minuten mit dem rollenden Basslauf des überbordenden "Seven Sisters" weiter. Mit atemberaubendem Tempo setzt "In The Right Place" die Reise fort. Eine gehörige Portion Latin-Drums kommen zu dem bestens groovenden Genremix hinzu. Ein Rausch, den von Fieber besessene Bläser und taumelnde Breaks antreiben.

Natürlich kommt man als Kind, das mit offenen Ohren durch die Achtziger stolperte, bei dem Schlagzeugsound nicht ohne die Erinnerung an Robert Palmers und Andy Taylors The Power Station herum. Aber das passt schon. Some Like It Hot.

Leider bremst "When Those Times Are Coming Back (It Could Be Painful For Your Heart)" den Longplayer unnötig ab. Eine nett gemeinte Ballade, die aber nur allzu sehr an manch eine von Mick Jagger verbrochene Solo-Schandtat à la "Hard Woman" erinnert. Kitschig und zu recht vergessen.

Damit sind die Claims abgesteckt. Überraschungen finden auf "Sagittarius" keine weiteren mehr statt. Filler finden sich keine, aber auch nur noch wenige herausragende Tracks ("Dead Cops", "Call The Doctor"). Energie ersetzt kurzerhand den fehlenden Einfallsreichtum beim Songwriting. Genug verspielte Breaks, Soli und pfiffige Arrangements sorgen dafür, dass man den Spaß an "Sagittarius" nicht so schnell verliert. Sechs Songs bleiben unterhalb der knackigen Drei-Minuten-Grenze.

Ohne Vorwarnung endet der Spuk mit "Every Little Thing" nach gerade mal 34 Minuten. Kein Problem. Einfach noch mal von vorne beginnen, und Herrn Ulbricht fröhlich springend einen ausgestreckten Mittelfinger in die Vergangenheit schicken. Miesepetertum setzt sich auf Dauer nun mal nicht durch. Deine blöde Mauer hat die Zeit nicht überstanden, aber wir springen immer noch munter zu jedem "Yeah Yeah Yeah" auf und ab. Ätsch.

Trackliste

  1. 1. Put Your Hands Up!
  2. 2. Seven Sisters
  3. 3. In the Right Place
  4. 4. Dead Cops
  5. 5. When Those Times Are Coming Back (It Could Be Painful For Your Heart)
  6. 6. Sagittarius
  7. 7. Give Me Something To Believe In
  8. 8. Peace Is Money
  9. 9. Call The Doctor
  10. 10. Sweet Riot
  11. 11. Every Little Thing

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