14. Oktober 2008

"Joe Strummer konnte sehr naiv sein"

Interview geführt von

Mit "An Anthology" erschien gerade eine prallvolle Doppel-CD mit sämtlichen Hits der nordirischen Punktruppe, angereichert mit Demo-Aufnahmen und Livetracks. Ihr größtes Vermächtnis ist "Teenage Kicks", der ewige Lieblingssong des verstorbenen Radio-DJs John Peel.Wir rufen in Derry an, also jenem Ort, wo vor über 30 Jahren alles begann. Nachdem der erste Interviewtermin mit Undertones-Bassist Michael "Mick" Bradley unter der Woche um 19 Uhr verschoben werden muss, bekommen wir einen neuen. Wieder 19 Uhr. Da haken wir doch gleich mal nach.

Hi Michael, es ist schon 19 Uhr, was hast du heute so gemacht?

Michael Bradley: Gearbeitet.

Wo?

Ich arbeite bei der BBC 4 in Derry als Radioproduzent.

Moderierst du auch Sendungen?

Nur wenn Not am Mann ist. Meine Hauptaufgabe ist das Produzieren von Interviews, Stories und Musik für unsere Nachmittagssendung.

Dann bist du ja sicher mit der aktuellen Musikszene vertraut. Kannst du uns sagen, welche Bands du gerade hörst?

Oh nein, da bin ich überhaupt nicht im Bilde. Nur was Neuigkeiten auf politischem oder kulturellem Feld betrifft. Ich könnte dir keine Band nennen, der ich mich momentan besonders zugetan fühlen würde. Ich bin eh zu alt, um mich für neue Bands zu interessieren. Bei mir zu Hause laufen alte Bands, die Ramones, die New York Dolls, so Zeug.

Gehst du noch auf Konzerte?

Nein. Spätestens nach 15 Minuten langweile ich mich zu Tode und will nach Hause. Ich sehe sie mir eine Weile an und denke dann immer: Ach ja, aber jetzt zu was anderem.

Dann lass uns doch in die Vergangenheit blicken: Erinnerst du dich an den Tag, als euch das Good Vibrations-Label mitteilte, eure "Teenage Kicks"-EP rauszubringen?

Ich erinnere mich nicht an diesen speziellen Tag, aber daran, wie lange wir sie überreden mussten, uns eine Platte aufnehmen zu lassen. Als es soweit war, sind wir alle zusammen in einem Van nach Belfast gefahren, um dort bei einem Battle Of The Bands aufzutreten. Ich weiß noch, dass wir sehr nervös waren, aber es lief gut, wir waren aufgrund der wöchentlichen Shows in Derry sehr gut eingespielt.

Am nächsten Tag sind wir dann in ein kleines Studio in Belfast gegangen, unser erstes Mal überhaupt in einem Aufnahmestudio und haben die Songs einfach runtergespielt. Es ging ja nur um vier Songs für eine EP, das stellte kein allzu großes Problem für uns dar.

"Teenage Kicks" war wahrscheinlich John Peels liebster Song überhaupt. Was ist das Geheimnis dieses Songs?

Wenn ich das wüsste. Was John betrifft, ist ein Großteil seiner Attraktivität sicher der Tatsache geschuldet, dass der Song ihn unerwartet traf, dass er kam wie aus dem Nichts. Noch dazu handelte es sich um die ersten Songs einer Newcomerband von einem Ort, von dem man für gewöhnlich keine Platten erwartete.

Derry, Nordirland, das kannte doch überhaupt keiner. Und dann ist die Nummer eben sehr simpel, sehr kurz. Da blieb gar keine Zeit für überflüssige Momente. Prägnant ist glaube ich das passende Wort. Und nach all den Jahren fühlt sich die Nummer immer noch gut an. Der Stil ist nicht veraltet, es ist Rock'n'Roll und der ist heute gefragter denn je.

Wie wurde "Teenage Kicks" komponiert?

Es ist John O'Neills Song. Er war am Anfang der einzige, der überhaupt Songs geschrieben hat. Wir hörten zu der Zeit sehr viel Ramones und das hört man der ersten Platte auch an. Jedenfalls kam John eines Tages an und zeigte uns die Akkorde, er brachte kein Demotape mit oder sowas.

Er zeigte uns die Akkorde, wir spielten sie und mit Feargal besprach er den Gesang. Als wir ihn etwas häufiger spielten, ergaben sich natürlich noch leichte Veränderungen, zum Beispiel am Ende des Songs. Billy (Doherty, Drummer, Anm. d. Red.) änderte auch noch etwas am Anfang. Es ist und bleibt Johns Song, an dem aber natürlich auch der Rest der Band Ideen eingebracht hat.

"The Clash waren immer sofort im Bus"

John Peel sagte über sich selbst, er sei der langweiligste Mensch der Welt. Wie würdest du ihn beschreiben?

Der Satz ist natürlich bekannt, aber ich kann ihn nicht nachvollziehen. John war auf jeden Fall ein Mensch, dem nie die Liebe zur Musik abhanden kam. Er stumpfte nie ab, so wie ich zum Beispiel. Unvorstellbar, dass sich John auf einem Konzert nach 15 Minuten plötzlich langweilt. Und er verdiente sich das Vertrauen und den Respekt unzähliger Bands, die teilweise 40 Jahre jünger waren als er.

Damals seid ihr auch mit The Clash auf Tournee gegangen. Wie sehr wart ihr von euch selbst beeindruckt, es so weit geschafft zu haben?

Hmm ... Es war auf jeden Fall schön, gefragt zu werden, denn The Clash zählten damals zu unseren Lieblingsbands. Was die USA anging, waren wir uns seinerzeit allerdings nicht so sicher, denn da war Punk eigentlich kaum angesagt. Klar, in New York und in L.A. schon, aber New York war eh eine Stadt wie auf einem anderen Planeten.

Es waren die Zeiten, wo alle lange Haare trugen und wenn du kurze hattest, wurdest du gleich angeguckt wie ein Freak. Aber ja, The Clash jeden Abend live zu sehen, war natürlich ein fantastisches Erlebnis. Zumal sie Songs spielten, die zum damaligen Zeitpunkt noch gar nicht draußen waren und erst später auf "London Calling" kamen.

Unglaublich. Ich bin neidisch.

Das kannst du auch sein. Vor allem mit dem heutigen Blick auf die Band. Damals erfassten wir noch nicht, wie gut sie tatsächlich waren.

Seid ihr nach der Tour mit Joe Strummer oder den Kollegen in Kontakt geblieben?

Nein. Selbst als wir mit ihnen auf Tour waren, wurde nie geredet. Weißt du, wir waren sehr schüchtern. Und dann interessiert man sich auch nicht automatisch für die andere Band, nur weil man selber in einer spielt. The Clash waren ohne Frage eine großartige Liveband, aber was Joe angeht, kam da manchmal schon eine Naivität im Bezug auf Nordirland zum Ausdruck. Aber wir haben sie eh selten gesehen, sie waren immer gleich im Bus und da waren ständig Leute um sie rum.

Wie meintest du das mit Nordirland - dass sich Joe der brisanten politischen Lage in eurer Heimat nicht bewusst war?

Ja, er konnte sehr naiv sein. Er sah nur die eine Seite der Medaille. Die bekannteste Story von The Clash und Nordirland ist die, dass sie dorthin gegangen sind, um ein Fotoshooting zu machen. Versteh mich nicht falsch, sein Herz war sicher am rechten Fleck, aber er war sich nicht bewusst, was in Nordirland abging.

Und darüber wolltest du mit ihm nicht sprechen?

Ich glaube kaum, dass er mit mir darüber hätte sprechen wollen, um ehrlich zu sein. (lacht) Außerdem kann es manchmal sehr eintönig sein, wenn Menschen aus Irland über Unruhen in der Heimat sprechen.

"Zu Feargal besteht kein Kontakt"

Ihr habt eine sehr schöne Anthologie zusammen gestellt. Was sind deine stärksten Erinnerungen, wenn du heute die Musik hörst?

Dankeschön. Am stärksten sind die Erinnerungen an Momente, in denen wir einen Song zum ersten Mal spielen oder aufnehmen. Als ich "You've Got My Number" oder "Crisis Of Mine" damals das erste Mal hörte, hat es mich umgehauen. Wir hatten immer viel Spaß im Studio, es gab niemanden, der uns Vorschriften machte. Wie wir herumsaßen mit einer Gitarrenline oder an den Keyboards, wie wir diskutierten ... das sind tolle Erinnerungen.

Ist die Musik auch der Antrieb, warum ihr heute noch ab und an auf Tournee geht?

Es ist definitiv die Musik, der Spaß, mit Freunden zusammen zu sein und das Herumreisen. Wir waren in Berlin, in Spanien, es ist toll. Es ist aber auch angenehm zu wissen, dass es nicht den größten Teil deines Lebens beansprucht. Es ist ein tolles Hobby, eine Art Reise in die Vergangenheit. In nächster Zeit haben wir aber nichts geplant.

Wart ihr sauer, dass Feargal bei der Reunion Tour nicht zur Verfügung stand?

Nein, und zwar aus dem einfachen Grund, dass wir ihn gar nicht gefragt haben. (lacht) Es ist ein bisschen kompliziert: Wir wussten einerseits, dass es ihn nicht interessiert hätte, andererseits wäre besonders John bei seiner Zusage nicht dabei gewesen. Und da wollte ich lieber mit John in einer Band sein.

Seid ihr denn noch in Kontakt?

Nein, wir sehen uns nicht. Feargal lebt in London und arbeitet da irgendwo im Musikbusiness. Das ist in Ordnung. Nur weil man vor 30 Jahren zusammen in einer Band war, muss man nicht auf ewig miteinander befreundet bleiben.

Ich fand es schade, dass Feargal in der DVD-Doku "Teenage Kicks - The Story Of The Undertones" von 2004 nicht mit euch und Jon Peel an den Originalschauplätzen in Derry vor der Kamera stand.

Ja, er wollte damals keine Interviews geben. Nun, so war es eben. Vielleicht war er ja doch beleidigt, dass wir die Reunion, die er sowieso abgelehnt hätte, ohne ihn durchgezogen haben. Aber wie ich schon sagte, das ist der Lauf des Lebens. Wir sehen uns nicht mehr, aber mein Herz ist nicht gebrochen.

Gut, zu eurer geschichtlichen Einordnung: Ich würde sagen, es gibt an wegweisenden, melodischen Punkbands der Spätsiebziger in erster Linie die Ramones, The Clash und euch. Würdest du das so absegnen?

Oh nein, ich würde uns niemals in die Nähe der Ramones oder der Clash setzen. Ich sehe uns zwischen den Lurkers und Slaughter & The Dogs.

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