1. Juni 2012

"Wenn deine politische Relevanz dein Geld ist, wirds echt bitter"

Interview geführt von

Das neueste Projekt, bei dem sich Farmer Boys- und Tieflader-Gitarrist Alex Scholpp mit seiner Frau Dacia Bridges austobt, nennt sich The Help. Mit dabei ist das erstklassige Rhythmusduo aus Drummer Flo Dauner, der von den Fantastischen Vier bekannt sein dürfte, und Basser Doug Wimbish, der unter anderem bei Living Color für die tiefen Frequenzen zuständig war.Kaum von den Südamerika-Dates mit Tarja Turunen zurück, steht mit "... Is On The Way" auch schon das Debüt von The Help in den Regalen. Nach ein paar Tagen Eingewöhnungszeit in den normalen Stuttgarter Tagesablauf klingelt Alex auch schon morgens um neun Uhr durch. Oder sollte zumindest. Kurz nach neun kommt eine SMS: "wird zehn Minuten später". Knapp vor halb klingelt dann tatsächlich das Telefon.

Sorry, dass ich erst 'ne halbe Stunde später anrufe, aber ich hab' verpennt, weil mein Kind verpennt hat. Die ist normalerweise mein natürlicher Wecker, aber irgendwie scheint sie heute sehr gut geschlafen zu haben. Hier, hast du das gesehen? Ein neuer Pantera-Track - aber die GEMA will mich das mal wieder nicht sehen lassen.

Alter, ich hab ja keine Ahnung, auf welcher Seite du grad surfst. Geh' doch einfach mal auf das gute alte laut.de. Da kannste dir den Song samt Video zu Gemüte führen.

Oh, ach so. Das wusste ich natürlich (lacht). So, hier. Was denn das? Werbung? Aloah from Hawaii – C&A. Ist ja genau aufs Video abgestimmt, die Werbung.

Kannste laut sagen, als ich es mir angeschaut hab, kam 'ne Rasiererwerbung von Gilette. Passt bei Pantera auch wie der haarige Arsch auf den Eimer. Seit wann bist du wieder zurück in Deutschland?

Seit vorgestern, ich hab' immer noch Rio-Sand im Schuh (lacht).

Ist doch gut, dann kannste gleich den Sandkasten von deiner Tochter auffüllen. So nach dem Motto: 'Hier mein Schatz, ich hab dir was Schönes mitgebracht.' Wir reagiert die Kleine denn darauf, dass ihr Papa ständig irgendwo unterwegs ist?

Ehm, schwer zu sagen. Kinder leben ja gerade in dem jungen Alter hauptsächlich im Hier und Jetzt. Gestern und morgen spielen da kaum 'ne Rolle. Wenn du da bist, bist du eben da, und alles ist gut. Ich versuche, immer über Skype mit meiner Familie in Kontakt zu bleiben, wenn ich auf Tour bin. Da fragte sie dann anfangs: 'Wann kommst du wieder?' Später wurde daraus ...

... Wer bist du?

Hahaha, Arsch! Nein, später fragte sie dann: 'Kommst du wieder?' Das ist schon hart. Das kneift dann ein bisschen, aber da muss man halt durch.

Und was macht ihr mit der Kleinen, wenn ihr jetzt mit The Help auf Tour geht?

Da müssen Oma und Opa herhalten. Aber da freuen sich ja auch alle drüber, das geht schon klar.

Dann kommen wir doch zum aktuellen Thema. Wo würdest du The Help musikalisch überhaupt einordnen?

Ach je, im Grunde genommen ist das einfach 'ne Four-Piece-Rockband. Und die klingt irgendwie nach jedem Einzelnen von uns. Ich denke, man hört schon raus, dass da vier sehr unterschiedliche Musiker zusammen spielen, die aber doch auch sehr gut miteinander harmonieren. Wir versuchen, nichts zu künsteln oder zu revolutionieren. Das ist einfach 'ne straighte Rock-Band. Jetzt nicht im Sinne von Hardrock, sonder eher was Tanzbares. Das hört man bei Flos Drumstil heraus. Man hört die unterschiedlichen Einflüsse heraus, und ich behalte meinen Style ja auch bei. Natürlich mit ein bisschen weniger Gain als bei Tieflader oder den Farmer Boys. Aber man hört schon, dass ich das bin. Man könnte sagen, dass das zum Teil elektronische Musik von einer Rockband ist. Ich tu' mich aber schwer, das jetzt zu kategorisieren. Wie siehst du das denn?

Ich höre bei einigen Songs ein gewisses Lounge Music-Feeling heraus. Weil vieles sehr relaxt klingt und – wie du sagst – auch sehr tanzbar ist.

Cool, ja. Stimmt schon.

"Das nervt dich, gell?"

Seid ihr mit einem bestimmten Ziel an die Band heran gegangen? Das unterscheidet sich ja doch von deinen anderen Baustellen. Gab es eine Intention, genau etwas in dem Stil zu machen? Wie entstehen eure Songs?

Maßgeblich sind Dacia und ich. Wenn wir zusammen spielen, entsteht ein gewisser Vibe. Da steckte kein Plan, keine Zielsetzung dahinter, wir wussten nicht von Anfang an, wo das letztendlich hinführt. Wir haben einfach ein paar Livegigs gespielt und dann relativ schnell etliche Songs aufgenommen. Das ist fast alles live, was man auf der Platte hört. Die Art und Weise, wie Flo und Doug zusammen harmonieren und grooven, ist echt der Wahnsinn. Bass und Drums sind bei jedem Song jeweils ein Take, auch die Gitarrensoli stammen aus dieser Aufnahmesession. Ich hab' da nachträglich echt nichts mehr hinbekommen, was vom Feeling her besser gewesen wäre. Das war einfach ein besonderer Moment, mit den beiden, bei den Aufnahmen. Das passt so. Mit Doug spiel' ich ja auch immer wieder bei Tarja zusammen, wir können uns von daher gut aufeinander einstellen. Aber wie Doug und Flo miteinander harmonieren, die sich vorher nicht kannten, ist echt tierisch. Das hat es allen Beteiligten dann auch sehr leicht gemacht, sich aufeinander einzulassen. Dadurch ist meiner Meinung nach etwas Neues und auch ein bisschen etwas Anderes entstanden.

Wie sieht euer Publikum aus, wenn ihr live spielt?

Verdammt gut (lacht). Schwer zu sagen, das ist schon sehr gemischt. Kiddies sind natürlich weniger dabei. Wir spielen genauso vor 'nem bestuhltem Saal wie vor Partypublikum. Aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass der Sound auf 'nem Festival gut funktioniert. Jetzt vielleicht nicht auf Wacken oder dem Summer Breeze, aber auf 'nem Rock-Festival – warum nicht? Warte mal kurz (Alex' Tochter kommt ins Zimmer und will anscheinend wissen, warum Papa da alleine drin sitzt.)

Es gibt Leute in deinem Haus, die interessiert das nicht so, dass du Interviews machen musst.

Das kannste laut sagen. Die sagt einfach: Nein (lacht). Da kommste mit Argumenten nicht weit, das interessiert die nicht die Bohne. Zumal ich gerade in ihrem Zimmer zwischen tausend Spielsachen sitz'.

Dich darf ich wenigstens Privates fragen. Ich hab' die Tage auch ein Interview mit Slash. Bei dem darf ich weder seine Familie, die Einführung in die Rock And Roll Hall Of Fame noch Axl Rose ansprechen.

Hahaha, das ist natürlich klasse. Aber kann man auch irgendwo verstehen. Ich denke, gerade zum Thema Axl wurde doch schon alles gesagt. Aber das gleich zu untersagen, find' ich schon komisch. Man kann doch kurz sagen: "Hey, Axl is 'n Arsch, lass' uns über was anderes reden" (lacht). Man weiß aber auch nicht, ob die Auflagen tatsächlich von dem bestimmten Künstler sind, oder ob die vom Label kommen. Weil die annehmen, dass das Thema unangenehm sein könnte. Vielleicht hat das Label da schlechte Erfahrungen gemacht und musste eine Hotelzimmer-Einrichtung zu viel bezahlen, weil der Typ nach Interviews schlechte Laune hatte. Deswegen dann: "Bitte nicht mehr nach Axl fragen, das wird zu teuer!"

Ich hab' mir überlegt, vielleicht durch die Hintertür zu fragen. Axl soll ja was mit Lana DelRay haben. So nach dem Motto: "Hey Slash, kennst du Lana DelRay? Ich find' die ja ganz cool, mit wem ist die eigentlich grade unterwegs?" Aber egal. Was ist eigentlich mit Dacia And WOMD? Wieso muss ich eigentlich alle zwei Jahre ein neues Porträt anlegen, weil du schon wieder mit deiner Frau 'ne neue Band startest?

Das hält die Beziehung spannend (lacht). Nein, das hat sich einfach so ergeben, durch die Konstellation. Wir haben mit Doug und Flo gejammt, und das Ergebnis war so toll und andersartig, dass wir gezwungenermaßen eine neue Band auf die Beine gestellt haben. Mit Dacia And WOMD haben wir vor einen halben Jahr auch mal wieder einen Gig in der Röhre gespielt, also die sind nicht tot.

Na, immerhin. Was ich mich aber bei The Help gefragt habe: Warum sind von gerade einmal neun Songs auch noch zwei instrumental?

Das nervt dich, gell? Die sind drauf, weil die einfach geil sind (lacht). Wenn wir live spielen, dann gibt es bei uns immer ein paar ausgedehnte Jams. Diese Möglichkeit muss man in so einer Besetzung einfach nutzen. Auf die Art und Weise sind wir auch an die Instrumentale rangegangen, wobei die natürlich nicht frei improvisiert sind, sondern schon nach einer gewissen Struktur funktionieren. Zumindest auf dem Album. Live sieht das dann schon wieder anders aus.

"Man darf den Einstieg nicht verscheißen."

Welche von deinen Bands stellt für dich denn live die größte Herausforderung dar?

Hm (überlegt ziemlich lange). Also, ich muss gestehen, dass die Akustikgitarre für mich nach wie vor eine große Herausforderung ist. Das ist doch noch einmal 'ne intimere Angelegenheit, als wenn du mit der E-Gitarre dastehst. Ich spiele noch nicht so lange auf einer akustischen. Damit muss man viel mehr mit Dynamik arbeiten, und dann funktioniert eine Akustische eigentlich genau umgekehrt wie eine E-Gitarre. Da muss ich erst mal mit warm werden. Ich bin gewohnt, dass ich Sachen eher abdämpfen muss. Bei einer Akustischen sollte möglichst alles immer lange und offen klingen. Mit der E-Gitarre machen die Bands für mich eigentlich keinen großen Unterschied. Man muss sich einfach jeweils in das musikalische Konzept reinfallen lassen. Klar, wenn ich mit Tarja spiele, dann spielt die Gitarre dort eine ganz andere Rolle als bei Tieflader. Bei Tarja gibt es viele Parts, wo ich gar nicht spiele. Das bedeutet ich muss ein wenig konzentrierter bleiben, obwohl ich weniger spiele (lacht). Man darf den Einstieg halt nicht verscheißen. Bei Tieflader wird von vorne bis hinten einfach durchgerotzt, da ist man dann schnell drin und stellt auf Autopilot (lacht).

Du kommst gerade von der Tour mit Tarja zurück. Ich nehme an, damit ist da jetzt erst mal Pause angesagt.

Ja, wir waren ja quasi von Januar bis April unterwegs, mit kleinen Unterbrechungen. Da steht jetzt erst ein neues Album an, bevor es wieder rund geht. Das war ganz schön heftig, von der Länge her. Das gab es vorher nicht, dass wir so lange am Stück unterwegs waren. Wir waren in Russland viel unterwegs, wo wir uns stellenweise echt den Arsch abgefroren haben, und von da ging es direkt nach Südamerika. Das waren dann leichte Temperaturschwankungen. Auch kulturell gab es kleine Gegensätze (lacht).

Bist du ins Songwriting für die nächste Tarja-Scheibe integriert?

Ich denke schon. Wir haben während der Tour drüber gesprochen. Sie fragte, ob ich Zeit und Lust hätte, aber es steht noch nichts Konkretes fest. Aber ich denke schon.

Welche deiner Bands hat bei dir Priorität?

Momentan natürlich ganz klar The Help. Auch generell liegen mir natürlich meine eigenen Sachen am meisten am Herzen. Bei Tarja muss ich mich um nicht viel kümmern, da muss ich einfach nur zu den entsprechenden Terminen Zeit haben. The Help sind gerade mein Baby, um das ich mich richtig kümmern muss. Aber man muss halt auch Rechnungen zahlen. Ich geb' ja auch Gitarrenunterricht, ist ja nicht so, dass ich unbedingt mit Tarja Geld verdienen muss. Alles, was ich mit meinen Bands mache, liegt mir am Herzen. Da ich gerade eben mit The Help ein Album aufgenommen habe, schlägt mein Herz momentan dafür. Hinter keiner meiner eigenen Bands steckt irgendein finanzielles Kalkül. Von daher fällt es mir schwer, irgendetwas besonders hervor zu heben.

Wie cool sieht eigentlich deine Frau, dass du die ganze Zeit mit einer anderen Dame unterwegs bist, die nun auch nicht ganz hässlich ist?

Hahaha, die hat doch ständig ihren Ehemann dabei. Da muss sich nun wirklich niemand Gedanken machen. Dacia macht ja auch ihre eigenen Projekte und ist da ständig von anderen Männern umgeben. Da macht sich, glaub' ich, keiner von uns 'nen Kopf. Wir sind ja auch nicht erst seit gestern zusammen. Das ist schon alles cool.

Sind die Vorwahlen in den USA Thema bei euch? Dacia hat ja ihre komplette Verwandtschaft noch drüben.

Hm, nicht so wirklich. Hin und wieder ist das schon Thema. Vor allem, wenn sie mit ihrem Vater telefoniert. Von außen betrachtet kann ich das immer mit einem gewissen Humor betrachten. Ihr Vater sieht das natürlich weniger locker (lacht). Was mir fast schon Angst macht ist die Tatsache, dass man in den USA Multimillionär sein muss, um überhaupt eine politische Relevanz zu besitzen. Und wenn DAS deine einzige politische Relevanz ist, dann wirds echt bitter. Das ist wirklich Kapitalismus in seiner reinsten Form. Sowas kann m an in Moskau aber auch schön erleben. Da kannst du dir die Polizeieskorte zum Flughafen kaufen. Auf der anderen Seite kann es aber sein, dass ein Krankenwagen nicht durchkommt, weil es den Leuten einfach egal ist. Vor unserem Hotel kam ein Krankenwagen mit voller Sirene und allem nicht durch und stand mehrere Minuten einfach im Stau. Da machst du manchmal Erfahrungen, das ist echt unglaublich.

Dann lass uns die Sache wie immer abschließen, mit einem Buchtipp von dir.

Ganz klar "Androidenträume" von John Scalzi. Sehr gut geschrieben, super Humor. Man muss auch kein großer Science Fiction-Fan sein, um das zu mögen.

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LAUT.DE-PORTRÄT The Help

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