24. August 2004

"Wir jagen ihn davon!"

Interview geführt von

Am frühen Abend spielt Kasher spontan auf der Party einer Freundin eines Freundes ein kleines Solokonzert. Die Beglückte sei fast aus den Latschen gekippt vor Überraschung, verrät er später. Dann war da noch der unangemeldete Fotograf, der unbedingt ein paar Bilder machen wollte ("Dauert nur 10 Minuten!"). Egal, auch nach dem Konzert ist der Good Life-Sänger noch in bester Laune und steht reichlich verschwitzt Rede und Antwort zum just an diesem Tag erscheinenden neuen Album, der persönlichen Entwicklung und der des Saddle-Creek-Labels.

Dass er und seine Band sich immer größerer Beliebtheit erfreuen, zeigt auch, dass das Interview im tierisch engen Backstage-Raum des Magnet immer wieder von Typen unterbrochen wird, die sagen wollen, wie großartig das Konzert war, oder einer Gitarristin, die ein Spielblättchen abgreifen will (Tim muss sie leider abweisen, er habe nur zwei dabei). Als ein Mädel namens Harmony (!) im Türrahmen steht und einfach nur "Hi!" sagen will, frage ich mich kurz, ob ich hier nicht ein wenig fehl am Platze bin. Doch Kasher grinst ein wenig verlegen, entschuldigt sich bei ihr und bei mir und findet dann doch schnell zurück ins Gespräch.

Wie haben die Leute deiner Meinung nach die neuen Songs aufgenommen?

Wirklich gut. Bei "Album Of The Year" sind sie wirklich abgegangen. Das war wohl der beste Song heute abend. Natürlich ist es immer schwer, neues Material zu spielen. Ich meine, für mich ist es einfach, weil die Songs frisch sind und ich sie gut kenne. Aber die Leute kennen sich halt nicht immer.

Hast du denn das Gefühl, dass Songs sich mit der Zeit verbrauchen?

Ja, manchmal habe ich das Gefühl. Bei manchen Songs von "Novena On A Nocturne" oder "Black Out" ist das so. Ein paar Songs haben einen größeren Eindruck bei mir hinterlassen als andere.

Die neuen Songs sind sehr persönlich ...

Das ist bei mir eigentlich immer so. Das Album wurde aber schon letzten Sommer fertig, also ist alles schon wieder ein bisschen weit weg. Dann musste ich die Songs noch der Band beibringen, im Winter sind wir im Studio gewesen. Aber jetzt, wo wir sie das erste Mal live spielen, sind sie wieder ganz frisch bei mir. Ich weiß ja auch gar nicht, wie die Leute auf die Stücke reagieren werden. Aber mir ist jeder persönlich wichtig.

Bei der Vorstellung eines Songs sagtest du, dass du damals ziemlich mies drauf warst, und es seitdem schlimmer geworden ist. Stellt Musik für dich auch eine Erinnerung dar, nicht zu vergessen wer du bist?

Auf jeden Fall. Es erinnert mich daran, dass ich mich nur sehr langsam entwickle. Ich mache immer Fortschritte, aber es ist eine gute Erinnerung, wo man herkommt. Grade heute habe ich ein paar Erinnerungen an Ereignisse aus dem Jahr 1999 niedergeschrieben, da dachte ich: 'Oh mein Gott, dass ist schon fünf Jahre her, und es scheint, als wäre nichts passiert seitdem!' Aber natürlich hat sich eine ganze Menge verändert.

Also, für dich bewegt sich alles ganz langsam, während in Wirklichkeit mit dir und deinen Bands alles recht schnell geht. Ist es schwer, das auseinander zu halten?

Genau darüber habe ich heute geschrieben. Damals, 1999, habe ich mit Rob Mansell zusammen gewohnt. Wir waren damals das Saddle Creek Headquarter. Also, unser Esszimmer war das Büro, und Rob hat den ganzen Tag an Saddle Creek gearbeitet. In unserem Keller war das ganze Inventar. So gesehen hat sich in den letzten fünf Jahren unglaublich viel verändert. Wenn ich aber darüber nachdenke, wer ich damals war, sehe ich, dass ich mich gar nicht so sehr verändert habe. Aber das ist gar nicht so schlecht. Ich mag es, wenn sich mein Leben langsam bewegt, das hat was Positives für mich.

Du hast die Songs wieder ganz alleine geschrieben. Erlaubst du den anderen Bandmitgliedern keinen Input?

Doch, es ist schade, dass wir nicht so viel kollaborieren konnten, aber es ergab sich einfach nicht. Wir haben alle immer so viel zu tun. Stefanie war mit Azure Ray, Bright Eyes und ihrer eigenen Band unterwegs, Roger und Ryan haben auch ihre eigenen Bands, Roger ist bei Neva Dinova und Ryan hat ein Projekt namens The '89 Cubs, mit dem er demnächst sein erstes Soloalbum rausbringen wird. Wir waren also alle irgendwie unterwegs, aber wenn sie gebraucht wurden, waren alle da. Es hat Spaß gemacht.

Den Spaß hat man euch auf der Bühne angesehen!

Wir sind einfach gute Freunde, wir können gut miteinander umgehen.

The Good Life war ja zu Anfang eher so etwas wie ein Nebenprojekt von dir, und jetzt hast du nach Alben mit deiner anderen Band Cursive fast gleichgezogen.

Noch nicht ganz. Ich habe es eigentlich nie wirklich als Nebenprojekt angesehen. Das, woran ich gerade arbeite, bekommt meine volle Aufmerksamkeit. Ich will nicht, dass die Leute denken: 'Oh, mit The Good Life spielt er die Songs, die für Cursive nicht gut genug waren!' Ich bin ein Songwriter, also gebe ich alles, wenn ich Musik schreibe, egal wofür. Vielleicht ensteht ein wenig der Eindruck, weil Cursive grade im letzten Jahr in Rampenlicht stand, und sich so für The Good Life wenig Gelegenheiten ergaben, sich zu präsentieren.

Auf dem neuen Album sind in der Tat einige Songs, die an Cursvie erinnnern, die sehr gradeaus rockig sind.

Ja, und gleichzeitig gibt es bei Cursive Songs, die nach The Good Life klingen. "Driftwood" oder "The Recluse" zum Beispiel. Ich habe sie als letztes für "The Ugly Organ" geschrieben, und sie sollten das Album ein wenig ausbalancieren. Es war damals ein wenig so wie wenn du ein Bild aufhängst. Es hängt schief, und du überlegst, was du tun kannst. Die Songs haben das Album sozusagen abgerundet. Und genau andersherum läuft es mit The Good Life. Es gab noch ein paar wildere Songs da draußen, die es ohnehin nicht auf das Album geschafft hätten. Darum haben wir auch die "Lovers Need Lawyers"-EP eingeschoben.

Hattest du die Idee eines Konzeptalbums auch für The Good Life? Bei Cursive hat es mit "The Ugly Organ" ja ganz gut funktioniert.

Nein, auch "The Ugly Organ" hat sich ja erst so entwickelt. Ich wollte eine einheitliche Geschichte erzählen. Der Unterschied zwischen The Good Life und Cursive ist einfach, dass ich mit The Good Life die Musik mache, die ich gemacht habe, seit ich 14 bin. Also seit ich Gitarre spielen lernte. Bei Cursive wollen wir ein bisschen innovativer und herausfordernd sein. Bei The Good Life geht es um sehr grundätzliche songwriterische Ausdrucksweisen. Das ist das, was mir grade durch den Sinn geht.

Würde es helfen, schizophren zu sein, um zwei doch recht unterschiedliche Bands zu betreiben?

Leute, die mich kennen, sehen in den beiden Bands sofort die geteilte Persönlichkeit, die ich manchmal bin. In dem Sinne, dass ich manchmal wirklich ganz weit oben bin, und manchmal völlig am Boden. Aber ich finde, das ist gar nicht so komisch.

Schreibst du dann immer so wie du dich grade fühlst und führst es dann der entsprechenden Band zu?

Nein, ich schreibe immer von Album zu Album. Wenn die eine Band dran ist, hat die andere Pause.

Sind denn die Leute, die die Bands mögen, unterschiedlich?

Nicht unbedingt. Ich mag den Crossover. Ich bin ein Songwriter und ich will, dass die Leute meine Musik hören, ob das jetzt Cursive ist oder The Good Life. Wenn ich jemanden mit der einen Band als Hörer gewonnen habe, möchte ich auch, dass er sich meine andere Band anhört.

"Album Of The Year" ist ein ziemlich ambitioniert klingender Titel. Faith No More haben ihr letztes Studioalbum so genannt.

Naja, es geht halt um den Zyklus eines Jahres. Es sind zwölf Songs auf dem Album, es beginnt mit April und endet im März. Das Booklet kommt als Kalender und hat sogar ein kleines Loch, so dass man es aufhängen kann. Das Artwork habe ich mit ein paar Freunden gemacht. Ich habe lange überlegt, ob ich es "Album Of The Year" nennen soll. Es hat halt diese beiden Bedeutungen. Manche werden denken, so ein aufgeblasener Schweinehund. Aber ich fand den Titel so clever und lustig, dass wir ihn einfach nehmen mussten. Es ist ja in keinster Weise das Album des Jahres, es ist so weit davon weg. Mit meiner Band und unserem Label ist so etwas natürlich völlig unmöglich. Hier geht es einfach um ein Jahr in einer Beziehung, darum dachten wir: wagen wir es!

Was ist denn dein Album des Jahres bis jetzt?

Ich habe eine Kopie des neuen The Faint-Albums, und das ist ziemlich großartig. Leider habe ich nicht so oft die Gelegenheit, Musik zu hören. Das neue Blonde Redhead-Album gefällt mir sehr gut.

Mit den Veröffentlichungen von The Faint und Beep Beep geht Saddle Creek ein bisschen mehr in die elektronische Richtung.

Das auch, aber Saddle Creek entwickelt sich in so viele verschiedene Richtungen. Beep Beep sind seit Jahren gute Freunde von uns. Chris Hughes ist ein sehr ungewöhnlicher Typ, und wir haben ihm gesagt, dass wir etwas veröffentlichen wollen, wenn er es auf die Beine stellt. Das hat er jetzt endlich getan. Das Album ist super, und Saddle Creek kann Wort halten.

Entwickelt sich Saddle Creek in eine Richtung, wo es nicht mehr nur Family Business ist?

Ja, es wird immer schwieriger, den Laden zusammenzuhalten. Wir wissen gar nicht, was noch alles kommt. Beim letzten Bright Eyes-Album und beim letzten The Faint-Album dachten wir schon: 'Das ist unglaublich!' Durch diese Alben wurden wir ziemlich groß. Auch Cursive hat davon profitiert. Meine Meinung ist, dass das der Höhepunkt ist. Mit dem nächsten Bright Eyes-Album, und dem jetzt kommenden The Faint-Album wird ein Plateau erreicht werden, auf dem wir hoffentlich eine Zeit lang verbleiben können. Viel größer wird's nicht mehr.

Ist Conor Oberst schon im Studio für das nächste Bright Eyes-Album?

Ja, er ist grade dabei, zwei Bright Eyes-Alben aufzunehmen, die dann im Januar rauskommen sollen.

Zwei?

Zwei! Es werden zwei separate Alben sein, das eine ein Folk-Album, das andere ein Elektro-Album. Ich habe schon etwas davon gehört, es ist großartig.

Bright Eyes unterstützen ja auch den Demokraten John Kerry im Präsidentschaftswahlkampf.

Conor macht ein paar Shows in den unentschiedenen Staaten. Sie haben ihn wohl gefragt, aber er ist ja auch über die Jahre zu einem sehr politischen Menschen geworden.

Und du?

Wir haben grade mit Cursive die Plea For Peace-Tour bestritten und eine Menge junger Leute dazu gebracht, sich in die Wählerlisten einzutragen. Es gibt Statistiken, die besagen, dass die Wähler im College-Alter, wenn sie alle registriert wären, die Wahlen entscheiden könnten. Wir müssen die jungen Leute dazu bringen, sich politisch zu engagieren.

Du bist also auch für Kerry.

Ja, klar. Ganz einfach, weil es ein Schritt in die richtige Richtung ist. Wir müssen uns eigentlich vor der ganzen Welt entschuldigen für das, was in den letzten Jahren hier passiert ist. Es ist ein Zeichen zu sagen, hier, wir haben Kerry als neuen Präsidenten und den Kriminellen aus dem Amt gejagt. Im Moment bin ich optimistisch, dass es klappt. Dass sich viele Wähler im letzten Moment für Kerry entscheiden.

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