14. Januar 2004

"Wo sind bei 'St. Anger' die geilen Melodien?"

Interview geführt von

Schon mit "Arts Of Desolation" konnten sich The Forsaken behaupten, und mit dem Nachfolger "Traces Of The Past" gingen die musikalischen Ansprüche keinesfalls zurück. Somit war es allerhöchste Zeit, den Herren mal ein wenig auf den Zahn zu fühlen.

Hey Patrik, erst mal herzlichen Glückwunsch zu "Traces Of The Past". Ist ein tolles Album geworden, und ich hab bisher nur positive Kritiken gelesen. Gab's überhaupt jemanden, der sich negativ darüber geäußert hat?

Ja sicher, vor allem in einem lokalen Magazin hier wurden wir ziemlich verrissen. Die habe uns mit zwei mickrigen Punkten nach Hause geschickt, hahaha. Aber der Prophet gilt im eigenen Lande ja eh nie was. Ansonsten waren den Reviews aber recht positiv.

Wo liegen deiner Meinung nach die größten Unterschiede zwischen "Traces Of The Past" und dem Vorgänger "Arts Of Desolation"?

Ich würde sagen, dass das Songwriting etwas ausgereifter ist. Wir schreiben inzwischen Songs, die nicht ausschließlich schnell, sondern auch abwechslungsreich sind. Das erste Album war beinahe von vorne bis hinten nur Gebolze, aber inzwischen arbeiten wir auch verstärkt mit langsameren Parts. Die Variationen wurden ausgebaut. Der Trick dabei ist ja auch, dass die schnellen Parts allein schon dadurch mehr knallen, wenn sie sich von langsameren Passagen abheben. Wenn du nur Vollgas gibst, fällt das gar nicht mehr so auf. Ich finde auch, dass wir auf dem aktuellen Album gleichzeitig melodischer und härter geworden sind. Ein Track wie "One More Kil" hätte sich auf dem ersten Album nie so angehört. Damals musste alles so schnell wie möglich sein, aber inzwischen haben wir uns auch technisch weiterentwickelt und wollen diesen Aspekt auch verstärkt einfließen lassen. Man will seine neuen Fähigkeiten ja auch ausprobieren. Man darf dabei nur nie vergessen, dass alles trotzdem konsumierbar bleiben muss. Die rote Linie in den Songs muss erkennbar sein.

Da hast du recht, es gibt oft genug Bands, die scheinbar nur Musik für andere Musiker machen und so komplex wie möglich spielen, nur um anzugeben.

Ja genau, du stehst dann da wie ein großes Fragezeichen und denkst: Wow, technisch abgefahren, aber wann kommt der Song, hahaha. Ich hab keine Bock darauf, Musik so komplex wie möglich zu machen, nur um zu zeigen, wie gut man sein Instrument doch drauf hat, das macht keinen Sinn.

Beim ersten Album wurdet ihr immer als Death Metal-Band benannt. Ich hätte euch aber von Anfang an eher als Thrash-Metaller beschrieben. Wie siehst du das?

Prinzipiell gebe ich eher dir recht, auch wenn ich denke, dass wir drei sehr unterschiedliche Alben bisher veröffentlicht haben. Auf der ersten Scheibe war die Brutalität des Death Metal wohl noch höher als auf unserem aktuellen Album. Der Thrash-Anteil hat aber immer weiter zugenommen und sticht heute einfach deutlicher hervor. Das war aber nicht geplant, sondern unsere Vorlieben haben sich einfach dahin entwickelt.

Zur Zeit kommen ja die ganzen alten Thrash-Bands wie Exodus, Death Angel und Nuclear Assault wieder auf Tour und schrauben auch an neuen Alben. Hatten diese Bands Einfluss auf dich und deine Musik?

Ich persönlich fühle mich durch die alte Thrash Metal-Schule eigentlich weniger beeinflusst, bei mir waren es eher Metallica, Megadeth, die älteren Sepultura und Kreator. Die 80er Bands aus der Bay Area waren nicht so meine Ding. Bei Stefan, unserem anderen Gitarristen ist das jedoch etwas anderes.

Im Augenblick findet im Thrash Metal gerade ein kleiner Boom statt, vor allem schwedische Bands sind schwer am thrashen ...

Ja, absolut. Extreme Musik war in Schweden schon immer schwer angesagt. Auf der einen Seite freut mich das, auf der anderen Seite ist das dann schon wieder so, dass wir langsam aber sicher auf den nächsten Overkill zusteuern. Das läuft schon darauf raus, dass Labels irgendwelche Musiker beauftragen, doch mal ein Thrash-Album einzuhämmern, da das gerade angesagt ist. Das kotzt mich schon richtig an, weil das exakt so auch in der Pop-Branche abläuft. Man nimmt sich nicht mehr die Zeit, sich nach einer jungen talentierten Band umzuschauen, die auch noch hungrig ist. Man nimmt sich einfach ein paar Typen, die eh schon einen Deal haben und lässt sich was zusammen schustern. Manchmal kommen dabei richtig geile Scheiben raus, aber es ist doch meist interessanter, was die Hauptbands produzieren. Viele dieser Projekte kannst du doch in der Pfeife rauchen.

Ihr habt bisher jedes Jahr regelmäßig ein Album vorgelegt, da legt ihr also auch ein ganz schönes Tempo vor.

Ja, das ist eigentlich ganz schön seltsam, da wir verdammt lahmarschige Songwriter sind. Wir brauchen immer Ewigkeiten, um einen Song zu schreiben. Wir haben immer einen verdammt straffen Zeitplan und schaffen es kaum, das Songwriting bis zum Studiotermin zu vervollständigen. Unser Label Century Media macht uns immer ganz schön Feuer unterm Arsch. Wenn wir uns frei entscheiden könnten, wann wir ein Album veröffentlichen, dann würden wir uns auch länger Zeit lassen, aber manchmal ist es ganz nützlich, wenn du Druck von außen bekommst. Ich hoffe trotzdem, dass wir für das nächste Album ein wenig mehr Zeit bekommen, hahaha. Es dauert einfach eine Weile, bis du dich in dein eigenes Material eingehört hast und entscheiden kannst, ob es gut genug für eine Veröffentlichung ist. Ich war bei diesem Album anfangs wirklich davon überzeugt, dass das voll in die Hose geht, weil ich von den Songs noch nicht richtig überzeugt war. Erst jetzt, nachdem ich die Songs öfters gehört habe, bin ich der Meinung, dass wir ein wirklich gutes Stück Musik produziert haben. Das möchte ich das nächste Mal aber nicht mehr durchmachen.

Wie viele Leute sind denn ins Songwriting involviert?

Eigentlich nur Nicke (dr), Stefan (g) und ich. Das liegt aber hauptsächlich daran, dass wir in der selben Stadt und sogar in der selben Straße wohnen. Stefan und ich sind eigentlich die Hauptkomponisten, aber bei diesem Album sind wir etwas anders an die Sache heran gegangen. Bisher kamen wir immer mit den Basisideen an und haben die dann im Proberaum ausgearbeitet. Dieses mal hatten wir etwas mehr Freiheiten und konnten die Songs quasi fertig den anderen vorstellen. Wir hatten also etwas mehr Kontrolle und konnten unsere Idee besser umsetzen.

Ich nehme mal an, dass ihr alle noch nebenher arbeiten müsst, um euch über Wasser zu halten. Ist das nicht etwas schwierig, wenn ihr auf Tour gehen wollt?

Nicht für mich, denn ich hasse meinen Job eh und wurde gerade erst gefeuert. Ich stand in einer Fabrik am Fließband und stellte Bremsen für Autos her, und das vermiss ich echt nicht. Nicke hat einen Bürojob und viel Verantwortung, weshalb es für ihn mit am schwierigsten ist, Zeit für eine Tour aufzubringen. Es immer eine Ermessenssache, ob es sich lohnt, seinen Job für eine Tour auf's Spiel zu setzen, denn damit machst du definitiv keine Kohle. Andererseits ist die Musik eigentlich alles, für das wir leben, aber da wir eh nicht so viel touren, war das bisher nicht so das Problem. Es bestehen schon grobe Pläne für ein paar Dates im Februar oder März, aber da ist noch nichts Konkretes dabei.

Ihr habt ja mal wieder mit Produzent Tommy Tätgren gearbeitet, und der Kerl ist wirklich gut, aber habt ihr nie darüber nachgedacht, mal zu jemand anderen zu gehen?

Doch klar, das haben wir bei den letzten beiden Alben schon probiert, aber im Endeffekt sind wir immer wieder bei Tommy gelandet. Wir fühlen uns bei ihm einfach wohl und sind inzwischen auch gute Freunde geworden. Das läuft schon so ab, dass wir die Aufnahmen gar nicht mehr als stressig oder als Arbeit empfinden, es ist eher so was wie Urlaub für uns. Der Druck, der hinter einer Albumproduktion steht, ist ganz schön groß, und da ist die Atmosphäre, die wir bei Tommy genießen können, einfach super. Ich denke im Norden Schwedens sind die Leute einfach wesentlich relaxter.

Ihr habt mit Stefan Berg einen relativ neuen Bassisten. Wo habt ihr den aufgetrieben?

Wir haben einfach einen Annonce bei uns auf die Homepage gestellt, dass wir einen Bassisten suchen. Er rief uns dann mitten in den Aufnahmen zu "Arts Of Desolation" an fragte, ob wir ihn nicht mal antesten wollen. Das taten wir nach den Aufnahmen, und dabei blieb es dann auch. Nicht, dass wir einen anderen hätten antesten müssen, aber seltsamerweise gibt es nicht so viele Musiker, die einen Job suchen. Es spielt zwar jeder zweite ein Instrument, aber davon spielt auch jeder in mindestens drei Bands, hahaha. Er ist auch noch ziemlich jung, nur 19 Jahre alt, und wir mussten erst mal testen, ob er auch menschlich zu uns passt. Das war aber schnell geklärt, und jetzt ist er eben unser Junior.

Das Cover wurde diesmal von Niklas Sundin von Dark Tranquillity angefertigt. Wie lief das ab? Hat er euch eine Arbeitsmappe gegeben, und ihr habt euch was ausgesucht, oder bekam er die Musik und fing dann an zu zeichnen?

Das Cover war schon vor dem Album fertig, jedoch hatten wir von Anfang an Einfluss darauf. Niklas gab uns ein paar Vorlagen, und wir erklärten ihm die Lyrics und die Story, die dem Album zugrunde liegen sollte. Er gab uns daraufhin wieder ein paar Entwürfe, und wir suchten uns das Beste heraus. Es war also ein ständiges gegenseitiges Feedback, deswegen passt das Cover auch so toll zum Albumtitel und zu den einzelnen Songs. Alles Texte sind irgendwie mit dem Album und folglich auch mit den Cover verbunden. Der Titel "Traces Of The Past" deutet ja an, dass sich in der Geschichte der Welt alles immer wiederholt. Meistens lernt man nicht aus den Fehlern, die man begangen hat, sondern wiederholt sie und sie werden jedes Mal zerstörerischer. Es erinnert mich an eine nach unten führende Spirale, denn es scheint keinen Ausweg daraus zu geben, selbst wenn wir uns bemühen würden, was wir meistens nicht mal tun.

Klingt ja enorm positiv ... Wer schreibt die Texte denn?

Auf dem ersten Album war das noch Nicke zu etwa 90%. Auf dem zweiten war es 50/50, und dieses Mal wollte unser Sänger Anders die Texte alle selber schreiben. Nicke und Anders sind aber sehr ähnliche Textschreiber, deswegen gab es da bisher auch keine Probleme.

Auch auf "Traces Of The Past" habt ihr wieder ein Metallica-Cover.

Das war meine Idee. Ich wollte das "Blackened"-Cover schon für "Arts Of Desolation" machen, aber wir hatten keine Zeit mehr, einen komplexeren Song als "Creeping Death" einzuproben und aufzunehmen. Ich musste mich also ganz schön anstrengen, die anderen davon zu überzeugen, dass wir noch eine Metalica-Coverversion aufnehmen sollten, aber ich denke, das Ergebnis ist durchaus gelungen. Der Song bietet sich auch förmlich für unsere Art Musik an, wir mussten gar nicht viel verändern, außer den Drums und dem Gesang. Obwohl der Song jetzt schon 15 Jahre auf dem Buckel hat, passt er sich doch beinahe perfekt in unsere aktuellen Songs ein. Das beweist einfach, wie weit Metallica früher ihrer Zeit voraus waren.

Das war wohl das Stichwort: Früher. Ihr habt euch ja beides mal Songs rausgepickt, die im Original schon Klassiker sind. Wäre es nicht eine größere Herausforderung, aus einem Track von "St. Anger" einen guten Song zu machen?

Das wäre bestimmt eine Herausforderung, hahaha. Im größten Musikmagazin hier in Schweden wurde schon vor der Veröffentlichung von "St. Anger" ein Riesen-Wind um das Album gemacht. Dass es wieder zurück zu den Wurzeln gehe, viel härter sei, und was weiß ich noch alles. Ich war also mächtig gespannt auf das Album, und als ich es dann gehört hatte, war ich schon ein wenig enttäuscht.

Nur ein wenig?

Ok, ich war ziemlich enttäuscht. Ich denke zwar, dass es ein interessantes Album ist, aber ich komme einfach nicht ganz rein in die Scheibe. Es ist schwierig für mich, dieses Album am Stück durchzuhören. Ich denke einfach, dass auf dem Album etwas Wichtiges fehlt, was Metallicas erste Scheiben zu Klassikern gemacht hat. Es ist eben nicht nur die Aggressivität, die haben sie bestimmt wieder gefunden, aber wo zur Hölle sind denn die geilen Melodien, welche diese Band einzigartig gemacht haben? Diese Mischung aus Härte, Melodie und technischer Finesse geht dem Album einfach völlig ab. Vom Schlagzeug-Sound will ich hier gar nicht erst reden. Ich hoffe, dass sie es auf dem nächsten Album endlich wieder schaffen, coole Musik zu machen.

Hoffen wir das nicht seit "Load"?

Shit, eigentlich hast du Recht, aber noch will ich die Hoffnung nicht aufgeben.

Das Interview führte Michael Edele

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT The Forsaken

Als sich Shouter Anders Sjöholm, die beiden Gitarristen Stefan Holm und Patrick Persson, Basser Michael Hakansson und Drummer Nicke Grabowski 1997 im …

Noch keine Kommentare