7. Juli 2005

"Du wirst irgendwann süchtig danach"

Interview geführt von

Im Interview plaudern die Dead 60s über Gerüchte, die in Internet-Foren entstehen, und wann sie sich einmischen. Außerdem erzählen sie, wie es sich anfühlt, auf einem Festival zu spielen, das eigentlich für Skate-Punk-Bands gepachtet ist.Im Backstage-Bereich des Kölner Prime Club warte ich auf die Jungs von den Dead 60s. Ich versuche, mich mit ihrer Crew zu unterhalten, was kläglich scheitert: Aus welchen schottischen Tiefen haben die denn Roadies mit einem so harten Akzent gekramt? Nun, im Interview strengen sich Gitarrist Ben Gordon und Drummer Bryan Johnson etwas mehr an. Es beginnt mit Witzchen über die Kotz-Show der Bloodhound-Gang und endet mit Lobhudeleien auf Supergrass. Schade nur, dass die ganze Zeit ein very busy Manager im selben Raum wie wir hektisch telefoniert, während ich versuche, mit den Jungs ein ordentliches Gespräch zu führen.

Ihr klingt ziemlich retro, aber auf eine andere Art als so viele von diesen momentan gehypten Bands. Ich würde euch wohl am ehesten mit Radio 4 vergleichen.

Ben und Bryan freuen sich sichtlich über diese Vergleich. Vielleicht, weil es sich dabei nicht um eine Band aus ihrer Heimat handelt?

War es euer erklärtes Ziel, anders zu klingen?

Ben Gordon: Es passierte eher auf einem natürlichen Weg. Wir sind mit Rockmusik aufgewachsen, und es begann, uns ein wenig zu langweilen. Alle Rockbands machten dasselbe, und wir wollten anders sein. Es kam einfach mit den Platten, die wir so gehört haben. Wir haben schon immer Punk gehört.

Ihr wart ja alle vorher schon in anderen Bands, klangen die sehr anders als die Dead 60s?

Bryan Johnson: Es war eine natürliche Evolution hin zu dem, was wir jetzt sind. Die Bands, in denen wir davor waren, haben Punk gespielt. Wir wurden besser und uns interessierte mehr Zeug, je älter wir wurden. Es war nicht mehr so ein "straight down the line"-Punk, es kamen immer neue Aspekte dazu. Verschiedene Genres begannen, uns zu beeinflussen.

Ihr seid aus Liverpool, aber in Interviews distanziert ihr euch von anderen Bands aus dieser Stadt. Pflegt ihr so etwas wie eine Hass-Liebe zu eurer Heimatstadt?

Ben Gordon: Ja, in etwa. Wir wollten nie so klingen, wie diese Musik aus Liverpool nun mal traditionell klingt. Wir haben davon so viel gehört, als wir aufgewachsen sind. Das Letzte, was wir dann machen wollten, war wie die Beatles zu klingen.

Bryan Johnson: Im Moment besteht die Musikszene, die man mit Liverpool verbindet, aus The Coral und den Zutons. Die kamen alle so ungefähr vor einem Jahr raus. Und weil wir auch aus Liverpool kommen, steckt die Presse uns in diese Kategorie - die englischen Journalisten machen so was gerne. Aber wir haben gar nichts mit denen gemeinsam. Außer, dass wir auf dem selben Plattenlabel veröffentlichen.

Ben Gordon: Trotzdem handelt das Album von Liverpool, es erzählt davon, wie man in dieser Stadt groß wird und so weiter. Wir versuchen zwar, uns musikalisch von den anderen Bands aus der Stadt zu emanzipieren. Du kannst aber deinen Einflüssen nicht komplett entkommen.

"Wann sehen wir dich bei Top Of The Pops?"

Ihr wart im NME die Single der Woche - ich weiß ja nicht, ob in England überhaupt noch jemand den NME ernst nimmt ...

Ben Gordon: Eher nicht ...

War es für euch trotzdem eine Ehre?

Ben Gordon: So was ist immer gut, auch wenn der NME ein bisschen wie ein Comic wirkt. Es ist immer gut, wenn die Leute positive Sachen über dich schreiben. Es war gut für uns. Wir lesen nicht so viele Artikel über uns.

Lest ihr denn keine Kritiken in anderen Magazinen?

Ben Gordon: Klar, es gibt ja auch noch gute Zeitschriften wie den Mojo oder die Q. - das sind wirklich gute englische Magazine. Der NME ist eher ein Magazin für die Kids.

Bryan Johnson: Du schaust dir eher die Bilder an, als dass du die Artikel liest.

Ben Gordon: Trotzdem hat er einen großen Einfluss. Du musst was mit denen machen.

Ihr wart ja auch bei Top Of The Pops (TOTP) - ist das denn besser?

Bryan Johnson: Es ist ein Witz in England: Sobald du eine Band gründest, fragen dich alle Leute: Und, wann sehen wir dich bei TOTP? Das ist wie ein Meilenstein. Das war gut für unsere Großmütter und so. Aber sonst bedeutet das auch nicht viel.

Eure Eltern geben seitdem also Ruhe, jammern nicht mehr, dass ihr endlich einen "normalen Job" lernen sollt?

Ben Gordon: Nein, sie sind froh, dass wir uns auf einen halbwegs geraden Weg begeben haben.

Also waren sie früher nicht so erfreut über euren Berufswunsch?

Ben Gordon: Manchmal nicht so. Jeder sagt, dass er in einer Band spielen möchte. Am Anfang haben sie es nicht so ernst genommen. Da wir aber aus sehr musikalischen Familien kommen, haben sie uns trotzdem von Anfang an unterstützt.

"Am Ende war es das alles wert."

Euer Album ist ziemlich kurz. Mögt ihr keine langen CDs?

Ben Gordon: Das kam, weil alle Songs, die wir zu der Zeit schrieben, zweieinhalb Minuten lang waren. Das haben wir uns nicht vorher überlegt.

Bryan Johnson: Wir mögen es, zum Punkt zu kommen. Wir versuchen, nicht so viel rumzudaddeln, sondern schnell zu dem zu kommen, was wir zu sagen haben. Dazu haben sicher auch unsere Punk-Einflüsse beigetragen. Wir wollten, dass unser erstes Album voller kurzer, prägnanter Songs ist. Das sollte kein schweres Prog-Rock-Album werden.

Neben der regulären CD bekommt man eine Dub-Scheibe zu eurem Album. War es eure Entscheidung, das auf zwei CDs zu pressen? Das Material hätte ja locker auf eine gepasst.

Ben Gordon: Das war unsere Entscheidung. Wir hatten so viel mehr im Studio aufgenommen, als das, was auf die Platte sollte. Also entschlossen wir uns, dieses ganze dubby Zeug auf ein separates Album zu pressen, denn das ist viel chilliger. Die gleichen sich gegenseitig aus. Die eine CD ist schnell, während die andere eher chilled out klingt.

Welche der beiden Seiten kommt denn mehr durch, wenn ihr live spielt?

Ben Gordon: Wir versuchen, die beiden zu vereinen, so dass du von jedem etwas bekommst. Es geht aber schon ein bisschen mehr in die Punk-Richtung, damit wir dem Publikum eine energiegeladene Live-Show bieten können und nicht so eine Dub-Show, bei der wir uns drei Stunden lang auf die Schuhe starren. Wir hoffen, dass das Publikum so mehr Spaß hat.

Eure Lyrics zeigen rebellische Tendenzen, sind aber nicht sehr politisch. Wollt ihr keine direkte Stellung beziehen?

Ben Gordon: Wir benutzen die Songs nicht für politische Zwecke. So sind wir einfach. Wir haben unsere Ansichten, benutzen aber unsere Musik nicht, um das auszudrücken. Das ganze Album erzählt von Beobachtungen. Das ist das Konzept dahinter: Wir wollen erzählen, was um uns herum passiert. Von Gesprächen, die wir in der Nacht zuvor geführt haben, oder von Orten, die wir gesehen haben. Das liegt uns näher als über George Bush zu reden.

Wie fühlt sich das an, wenn Mädels auf eurer Webseite darüber diskutieren, ob ihr Freundinnen habt?

Beide lachen darüber.

Bryan Johnson: Das ist wirklich lustig. Wir surfen da immer mal wieder hin und schauen uns das an. Die Webseite ist ziemlich wichtig. Da sind viele Leute unterwegs. Vor allem jetzt, wo das Album rausgekommen ist. Es ist komisch, dass die Leute jetzt versuchen, auch einen Einblick in unser Privatleben zu bekommen. Wir lesen die Kommentare und müssen oft feststellen, dass die Leute uns komplett falsch verstanden haben, wenn sie schreiben, was wir tun würden und wie wir wären.

Mischt ihr euch da manchmal ein?

Ben Gordon: Manchmal loggen wir uns unter einem falschen Namen ein und bringen ein bisschen Unruhe ins Forum.

Bryan Johnson: Es ist lustig zu sehen, wie schnell und wie weit das gehen kann.

Ben Gordon: Es ist ein Kompliment, dass sich die Leute für die Band interessieren. Das Forum ist einfach sehr wichtig für die Fans, vor allem für die enthusiastischen.

Ihr wollt das aber nicht so weit treiben wie die Libertines, die in die Foren gingen und dort Sachen posteten und Secret-Gigs ankündigten?

Ben Gordon: Wir machen das manchmal.

Bryan Johnson: Wir posten Updates und so was. Aber wir haben einfach nicht die Zeit, andauernd online in unserem Forum rumzuhängen. Du wirst irgendwann zu sehr hinein gezogen, ja fast süchtig danach. Wir mischen uns da aber nicht so doll ein. Wenn die da über etwas diskutieren wollen, dann sollen sie das tun!

Geht ihr denn nach den Shows zu euren Fans und redet mit ihnen?

Ben Gordon: Ja, das passiert öfter, wir spielen manchmal noch ein DJ-Set nach der Show. Da gibt es dann auch Meet and Greets. Wir versuchen so oft wir können, nach den Shows noch Fans zu treffen.

Ist es nicht komisch, Leute zu treffen, die euch toll finden? Vor ein paar Monaten oder einem halben Jahr wart ihr doch auch noch wie sie!

Ben Gordon: Ja, das stimmt. Aber es ist ein gutes Gefühl, wenn die Leute begeistert von dem sind, was wir machen. Wir waren ja mit 15 auch so, als wir auf unsere ersten Konzerte gegangen sind. Es ist echt ein gutes Gefühl: Jetzt spielen wir unsere eigenen Gigs, und die Leute denken so über uns wie wir damals über Bands, die wir toll fanden.

Ihr habt in den USA bei der Warped-Tour gespielt - wie seid ihr denn dahin gekommen, ich dachte immer, da spielen nur Bands wie NOFX?

Ben Gordon: Ich bin mir nicht sicher, ob das ein komischer Zufall war.

Bryan Johnson: Jemand hat uns gefragt, ob wir das machen wollen. Es hat sich erst komisch angefühlt, da man damit automatisch Bands wie Bad Religion oder NOFX verbindet, aber es war gut. Es war ziemlich harte Arbeit, jeden Tag ein Festival zu spielen.

Ben Gordon: Die Gigs waren jeden Tag anders. Manchmal waren wir nachmittags auf der Outdoorstage, und das war perfekt für uns. Am nächsten Tag haben sie uns dann in dieses komische Theater-Ding gesteckt, wo wir zwischen irgendwelchen Hardcore-Metal Bands spielen mussten. Es war eine komische Mischung, aber am Ende war es das alles wert.

Auf dem Weg zurück vom Produktionsbüro in den Backstagebereich warten schon die ersten Indiepop-Groupies auf die Jungs. In der Toilette (praktischer Weise genau neben dem Backstage-Eingang des Prime Clubs gelegen) ziehen sie ein letztes Mal ihr Lip-Gloss nach. Den Angriff der drei Bienchen bekomme ich nicht mehr mit. Dafür jedoch die Freude der Band, als ich ihnen erzähle, dass Supergrass jüngst im Interview nur gute Worte für sie übrig hatten. Schnell hole ich meine Sachen ... beim Rausgehen haben sich die drei schmachtenden Girlies vom Klo bis zur Backstage-Tür vorgekämpft. Ich muss weg - und die Mädels unbedingt da rein ...

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