laut.de-Kritik

Reichhaltiges Elektro-Potpourri aus Big Beat, House, Funk und Hip Hop.

Review von

Es war einmal ein kleines, aber feines Duo, das vor ungefähr zehn Jahren mit einem Paukenschlag das Musikbusiness revolutionierte. 1995 war das Jahr, in dem "Exit Planet Dust" erschien. Eine Generation von Tänzern, die damals noch mit der Trommel um den Weihnachtsbaum marschierte, hoppelt heute in den Indie-Dissen der Welt zu "Leave Home" oder "Song To The Siren". Den genreprägenden Status von einst haben sie mittlerweile eingebüßt. Von Album zu Album schien es, als ob ihnen mehr oder minder die guten Ideen im Klanglabor abhanden kamen. Der verzweifelte Ruf "Come With Us" mit eher lauen und zerfahrenen Nummern wollte nicht so recht Gehör finden. Zwischen vereinzelten Songperlen tummelte sich zu viel Belangloses, um mitreißen zu können. Was bringen uns die Chemical Brothers also Anno 2005?

Tom Rowlands und Ed Simons haben in der fast dreijährigen Pause ordentlich Kohlen gesammelt und setzen den Hammer wieder unter Dampf. Monoton auf die zwölf zu kloppen, ist jedoch nach wie vor nicht ihr Ding. So bietet "Push The Button" ein reichhaltiges Elektro-Potpourri, das Big Beat-Sounds, House-Stampfer, Funk, Hip Hop und sogar Bluesiges unter einem Dach vereint. Speziell die Bass-Monster unter den elf Destillaten stechen positiv hervor. Wo noch vor nicht allzu langer Zeit die Handbremse zum Einsatz kam, die euphorisches Abhotten kaum erlaubte, hämmern die Chemical Brothers dem geneigten Volk wieder gnadenlos die Beats um die Ohren.

"Galvanize" ist der erste ganz große Kraftsport in dieser Hinsicht. Der kongeniale Q-Tip quäkt als Vocal-Gast mit seinem typischen Stil zu orientalischen Streichersamples. "It's time to galvanize", es ist Zeit, wachzurütteln, und wie! Einen derartigen Hammer hatten die Brothers seit "Block Rockin' Beats"-Zeiten nicht mehr im Gepäck, ein absolutes Highlight. Wer glaubt, dass es danach nicht mehr besser werden kann, hat Recht. Die Klasse dieses Monstrums erreicht kein einziger Song im weiteren Verlauf der Trackliste. Aber verzagen gilt nicht. "The Boxer" (wieder mit Charlatan Tim Burgess) überzeugt mit funkigem Rhythmus und Stakkato Piano-Samples. Verspielt und gleichzeitig äußerst tanzbar kommt damit ein Kontrast zum düster knüppelnden Opener zum Tragen. Sanfte House-Beats, Distort-Attacken und Acid-Gefiepe bei "Believe" erzeugen hingegen wieder die drogengetränkte Atmosphäre einer schweißtreibenden Clubnacht kurz vor Torschluss.

Die emotional-musikalische Achterbahnfahrt, die sich bereits nach drei Songs ankündigt, setzen Rowlands und Simons gnadenlos bis zum sphärisch blubbernden Schlusspunkt ("Surface To Air") fort. Sogar ein lieblicher Popsong ("Close Your Eyes") verirrt sich zwischen Uptempo-Rollercoastern ("Come Inside"), trockenen House-Pupsern ("The Big Jump") und düsteren Hip Hop ("Left Right"), wo Mos Defs Bruder Anwar Superstar glänzen darf. Gegen Ende überraschen die Chemischen mit Akustik-Gitarren und Beat-Gerüst im Prodigy-Stil sowie einem kräftig pushenden Steel-Gitarren Sample ("Marvo Ging").

Bei Letzterem linst die Lockerheit und Coolness vergangener Fatboy Slim-Tage um die Ecke, als Herr Cook noch vernünftige Songs zusammen bastelte, statt sich mit furzlangweiligen Coverversionen lächerlich zu machen. Den Vergleich mit den Genannten entscheiden die Brothers dank des überzeugenderen Songmaterials mit weitem Abstand für sich.

Trackliste

  1. 1. Galvanize
  2. 2. The Boxer
  3. 3. Believe
  4. 4. Hold Tight London
  5. 5. Come Inside
  6. 6. The Big Jump
  7. 7. Left Right
  8. 8. Close Your Eyes
  9. 9. Shake Break Bounce
  10. 10. Marvo Ging
  11. 11. Surface To Air

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

7 Kommentare

  • Vor 19 Jahren

    Vorweg, ich hab das Album nicht gekauft und ich kenn auch nur einen Song und zwar die aktuelle Single -> Galvanise

    Der Song, obwohl mir diese Oriental-Hookline wie sie schon früher oft zu hören war tierisch aufn Sack gehen, find ich diesen Song irgendwie genial. Nun gut, zumindest jetzt nocht :) Ich hab das gefühl das mir das ganze auf die dauer aufn Sack gehn könnte, aber momentan isser :cool:

    Naja in den Rest vom Album hab ich nur kurz geschaut, so schnipsl von liedern, aber wirklich angemacht ham mich die nicht. Wie siehts den mitm rest vom Album aus?

  • Vor 19 Jahren

    dito :)

    habs heute bekommen und hörs gerade rauf und runter.
    finde 'galvanize' einen der geilsten songs den sie je gemacht haben.
    'The Boxer' geht mehr in Richtung Fatboy Slim Strandsound. Erinnert z.T. stark an "Palookaville", eingängig, partytauglich aber wirkt etwas abgekupfert - von den Chemical Brothers bin ich mir eben stets äusserst originelles gewöhnt.
    Ein weiterer Song der mir bisher sehr gut gefallen hat ist "Close Your Eyes". Sphärische Klänge, sanfter Gesang mit Flüsterbackgroundstimmen. Und gerade wenn man sich so richtig einlullen lassen hat ertönen piepsig-quirlige Samples die einen wieder auf den Boden zurückholen.
    'Shake Break Bounce' hört sich auf den ersten Blick an wie Gypsy Kings vs. Buschtrommel an, entfaltet jedoch schon bald nach dem ersten Reinhören seinen Reiz. Staubtrockene Saharabeats und der latinogitarrensound (was für ein Wort) erschaffen eine entrückt-tanzbare Atmonssphäre.
    Soweit ich bis jetzt ein Fazit ziehen kann, würde ich sagen, dass die CD mindestens an 'Come With Us' heranreicht. Einiges tanzbarer und wieder eine spur ausgetüftelter. Es piepst und zirpt wieder an allen Ecken und Enden - und das Monopol auf die dicksten Basslines verteidigen die Chemical Brothers nach wie vor souverän. Zwischendurch hängt der Sound etwas durch. Manchmal treiben sies mit den Elektrobasteleien wohl etwas zu bunt. Aber das entnervende Gedudel geht vorbei und zwischendrin warten wahre Elektroperlen darauf, die Gehöhrgänge einzulullen.