14. Oktober 2005

"Wir sind glücklich, dass wir nicht rausgeflogen sind"

Interview geführt von

In einem Hotel direkt am Dom sprechen der Gitarrist und die Sängerin mit uns über ihr neues Studioalbum "Super Extra Gravity", das seit heute in den Läden steht. Neben den Aufnahmen, einem durchstrukturierten Arbeitsprozess und der Songentstehung ist natürlich auch Benedikt XVI. und die Religion im Allgemeinen Thema an diesem Tag. Zur heiligen Belustigung zeigen wir den beiden zunächst ein Foto des Erwählten, worauf Peter erst mal nur bemüht lächelt.

Kennt ihr diesen Mann?

Nina: Ja, er kommt morgen hierher, richtig?

Peter. Den kenne ich nicht.

N: Der hasst Frauen, oder? Die Stadt ist total voll und chaotisch. Es ist schon ein sehr interessantes Phänomen.

Im Forum auf eurer Homepage haben wir folgendes Zitat eines Mr. Id gefunden: "Die Cardigans sind im Moment die Einzigen in meinem Leben, die mich manchmal dazu bewegen an die Existenz von (einem) Gott zu glauben."

N: Heilige Scheiße. Das ist ja schön zu hören.

Und dann gibt es noch folgendes Zitat von Richey Scott: "Ninas Stimme klingt wie Engelsgesang, immer melancholisch, aber niemals depressiv."

N: Oh, das klingt gruselig.

P: Das klingt, als würden die Leute dafür bezahlt. (alle lachen)

"What if God was one of us?" Wie würde Gott wohl eurer Meinung nach aussehen?

N: Es ist unmöglich das zu beantworten, weil er keiner von uns ist. Ich habe wirklich keine Ahnung.

P: Ich habe noch nie darüber nachgedacht.

N: Wir kommen aus einer sehr religiösen Kleinstadt, Jönköping in Schweden. Wir fünf waren in dieser Stadt wohl eher ungewöhnlich. Keiner von uns ist sehr religiös und keiner kann gut über Religion sprechen. Ich glaube einfach nicht daran.

P: Ich finde es eher bestürzend. Es gibt eine Sache, über die ich in letzter Zeit nachgedacht habe. In Schweden gibt es momentan eine große Diskussion über die linke Politik. Sie befasst sich nicht so sehr mit der Geschichte des Kommunismus von damals und das führt zu noch mehr Debatten. Die Linken haben dadurch sehr viel Ärger bekommen. Plötzlich ist es schlecht, wenn man ein Kommunist ist. Aber zu sagen, dass man Christ ist, war niemals ein Problem. Die große Frage die sich dabei stellt ist doch die, wie viele Leute sind wegen dem Kommunismus gestorben? Und wie viele wegen dem Christentum?

N: Oder wegen irgendeiner anderen Religion.

Auf eurem neuen Album "Super Extra Gravity" ist ein Song namens "Godspell" vertreten. Was war die Inspiration zu diesem Lied?

N: Auf jeden Fall nicht nur Religion. Es geht mehr um die religiösen und politischen Institutionen, die sich immer mehr in den Vordergrund drängen und die Menschen mehr und mehr beeinflussen. Sie machen die Gesetze und sprechen immer nur über eine Wahrheit. Das ist das erste Mal, dass die Cardigans diese Themen ansprechen. Und wohl auch das letzte Mal.

P: Ah, ich denke wir sollten darauf aufbauen.

N: Es ist ganz interessant, es gibt die rechte Seite und die linke Seite. Je orthodoxer die eine Seite wird, desto mehr treffen sie sich auf der anderen Seite wieder. Plötzlich gibt es dann keinen Unterschied mehr zwischen den beiden Extremen auf beiden Seiten. Plötzlich haben sie am Ende Gründe dafür zusammen, ein gemeinsames Ziel zu finden ... Aber genug davon.

Okay, zurück zur Musik und zum neuen Album. Wie waren die Aufnahmen? Habt ihr wie beim letzten Album "Long Gone Before Daylight" (2003) ein teures Haus in L.A. gemietet?

N: Nein, das Haus damals war ja nicht für die Aufnahmen, sondern eher für die Entstehung der Songs wichtig. Wir hatten damals schon lange keine Platte mehr aufgenommen und mussten erst mal wieder zusammen finden. "Long Gone Before Daylight" haben wir dann überall aufgenommen; in England, Schweden, Spanien und Dänemark.

P: Bei der neuen Platte war es genau das Gegenteil. Wir haben die Aufnahmen, die Produktion, das Mischen und das alles in einem Studio, in Malmö, gemacht. Im Vergleich zum Vorgängeralbum war alles 100 % strukturiert.

N: Wir hatten einen ganz normalen Arbeitstag, so als würde man ins Büro gehen.

P: Das war ein perfekter Weg um zu arbeiten, da wir vorher 18 Monate auf Tour waren, wollten wir diesmal nicht soviel Zeit im Studio verbringen.

Hattet ihr die Songs bereits im Kopf, als ihr ins Studio kamt?

P: Fast alle. Die meisten Akkorde und Melodien der Songs waren schon fertig. Die Idee war, eine Art Liedfabrik zu eröffnen. Wir haben ein paar Stücke aufgenommen, die dann erst mal beiseite gelegt wurden, um dann sofort an neuen Stücken zu arbeiten.

Also habt ihr euch selber eine Deadline gegeben?

N: Ja, wir hatten uns dafür entschieden, insgesamt 14 Stücke aufzunehmen. Zwei Lieder pro Session. Jeder hatte seinen Kalender dabei und dann hieß es, okay, an diesem Tag müssen wir fertig sein. Und das hat geklappt.

P: Es gab diesmal eine Struktur. Wir waren zwölf Tage im Studio und hatten acht Tage frei und danach sind wir noch mal ins Studio für weitere 12 Tage.

Hat man nach dieser Pause dann den Kopf frei für weitere Ideen?

P: Ja, das Wichtigste ist, dass man das Gefühl bekommt in diesen 12 Tagen etwas erreicht zu haben.

N: Jeden Tag hatten wir zwei komplette Lieder fertig, statt ein Album voll von "schwimmenden" Songs, wie auf unseren letzten Platten.

P: Wir versuchten immer, zwei Songs voraus zu sein, um den Schwung nicht zu verlieren.

N: Tagsüber haben wir zwei Lieder aufgenommen und abends haben wir die zwei Stücke für den nächsten Tag schon mal geprobt.

P: Das hört sich sehr langweilig an, aber es war effektiv.

N: Mit unserer kindischen Einstellung hatten wir anfangs Angst, dass dieser Kreativprozess unsere Inspiration zerstört. Dass es irgendwann langweilig wird. Für die letzte Platte hatten wir uns zuviel Zeit genommen. Immer bis vier Uhr morgens und dabei haben wir auch viel getrunken. Aber diesmal war es mit diesem neuen Ansatz gesünder und produktiver.

P: Bei der letzten Platte gab es für uns keine Zeit- oder Geldgrenze. Wir haben vier oder fünf Monate aufgenommen und danach alles weggeworfen. Aber dieses Mal hat uns die exakte Zeiteinteilung sehr geholfen.

N: Mit dieser Einteilung hatte ich anfangs schon etwas Stress, aber am Ende war der Zeitdruck sehr gut. Ich hatte weniger Zeit, ständig etwas an den Texten zu verändern. Das war so wie während meiner Schulzeit. Ich habe immer auf die letzte Minute für eine Klausur gelernt. Zwei Monate vorher habe ich mich gestresst, um dann am letzten Tag mich hinzusetzen.

P: Bei mir war es ähnlich. Ich habe zwar nicht soviel gelernt wie du, aber bei meinen Songs ist es genauso. Im übrigen war es unsere Idee, die Zeit so einzuteilen. Wenn die Plattenfirma es so gewollt hätte, dann wäre das noch mal etwas anderes.

Gab es auch Druck vom Produzenten Tore Johansson (Franz Ferdinand)?

N: Nein, gar nicht. Wir waren alle mit diesem neuen Weg einverstanden.

P: Er war es gewohnt so zu arbeiten. Früher hatte er schlechte Erfahrungen mit langwierigen Aufnahmesessions, und war somit auch zufrieden.

Werdet ihr noch mal mit Tore arbeiten?

N: Vielleicht. Es ist nicht unmöglich. Wir sind diesmal auf ihn zurückgekommen, obwohl wir ihn während der Aufnahmen zu "Long Gone Before Daylight" quasi gefeuert hatten. Wir haben uns damals entschieden, nicht mit ihm weiter zu arbeiten. Aber diesmal haben wir ihn gefragt, ob er noch mal mit uns was machen will. Was in der Zukunft sein wird, wissen wir jetzt noch nicht. Wir machen unsere Entscheidungen immer von einer Platte zur nächsten. Das Arbeitsverhältnis diesmal war auf jeden Fall sehr gut.

Wie denkt ihr über Universal? Wie lief eurer Meinung nach der Verkauf von "Long Gone Before Daylight"?

N: Unsere Situation ist nicht schlimmer als bei anderen Bands. Vielleicht sogar ein bisschen besser. Wir sind glücklich, dass wir nicht rausgeschmissen worden sind. Wir haben eine sehr gute Beziehung mit Stockholm Records. Das ist unser Mutterlabel in Schweden. Ihnen gehört unser Repertoire. Sie glauben an uns. Wir haben sehr viel Freiheit. Andere Bands können das leider nicht von sich behaupten.

Ich habe gelesen, dass die Promotion fürs letzte Album nicht so gut lief?

N: Ich denke, sie waren wegen diesem Internetschock paralysiert.

P: Es gab mehrere Gründe. Erstens gab es eine fünfjährige Pause zwischen "Gran Turismo" (1998) und "Long Gone Before Daylight" (2003). "Gran Turismo" verkaufte sich ca. zwei Millionen Mal. Wenn man an heute denkt, ist das richtig gut. Auch was die Videoproduktion angeht. In den 90ern kostete ein Video ca. 300.000 Euro und heute vielleicht noch 30.000. Und das hat sich in nur fünf Jahren so entwickelt. Während unserer Pause waren wir nicht in diesem ganzen Zirkus. Mit der letzten Platte sind wir nicht so direkt kommerziell eingestiegen, aber dennoch haben wir es nicht bereut. Manche Leute von Universal waren irritiert, da es keine Radiosingle gab. Aber rückwirkend war es eine sehr gute Platte. Wir haben eine halbe Million davon verkauft und was kann man mehr erwarten von einer kleinen Band aus Jönköping?

Allgemein ist der Plattenverkauf auf dem Markt runter gegangen. Die Firmen behaupten, dass es am illegalen Downloaden liegt. Aber es gibt Statistiken, die sagen, dass die Leute, die illegal downloaden die Kunden sind, die heutzutage Online-Musik kaufen.

N: Ja, genau. Das ist das selbe, wie mit den Musikkassetten früher. Die waren zuerst auf dem Markt und die Plattenfirmen hatten damals die selbe Angst.

P: Die ganze Download-Piraterie-Idee ist nur ein Sündenbock. Der wahre Grund ist, dass die Musikindustrie zu schnell expandiert und einfach zu groß ist. Und dazu kommt, dass dabei sehr viele Scheißplatten heraus kommen.

Jetzt mal zu eurer aktuellen Single "I Need Some Fine Wine And You, You Need To be Nicer". Erzählt uns was zu diesem Song.

P: It's a hit! (alle lachen)

N: Wir haben gestern das Video in Stockholm dazu gedreht. Was soll ich sagen ...

P: Als wir das Stück zum ersten Mal spielten, haben wir alle gleich gemerkt, dass es eine typische Cardigans-Single ist, was immer das auch sein mag.

Und wie genau kam es zu dem Textinhalt? Ist das etwas persönliches?

N: Ich möchte meine Texte nicht zu sehr ineinander verdrahten oder kryptisch sehen, aber alles ist wahr und fiktional zugleich, wenn ihr versteht was ich meine. So wie es bei jeder Kunst der Fall ist. Es basiert nicht auf einer wahren Geschichte, sondern auf Dingen, die ich kenne.

P: Ein hundertprozentiges Durcheinander eben ... (grinst)

N: Ganz genau. Ich finde es sehr schwierig, über Songtexte zu sprechen. Alles was ich sagen will, steht in den Lyrics. Ich glaube, es war diesmal auch das erste Mal, dass der Text bzw. die Phrase "I Need Some Fine Wine And You, You Need To be Nicer" vor dem Song selbst stand. In der Regel passe ich meine Texte immer an die Songstruktur an.

P: Ich habe lange an dem Song gearbeitet und ich mag vor allem den Intro-Part sehr und das Schlagzeug und wie der Bass klingt ... Ja, das ist schon sehr schön ... (grins) Aber ich konnte den Song nie wirklich zu Ende bringen. Es fehlten hier und da immer wieder kleine Parts und ich wusste nicht, was der Chorus sein sollte und was der Refrain. Beim Videodreh war es ganz lustig. Der Mann, der die Musik einspielte, fragte uns irgendwann nach der Struktur des Songs. Er hatte wohl Probleme das Stück aufzuteilen. Und wir konnten ihm diese Frage leider auch nicht beantworten. Und als Nina damals dann mit ihrer Textzeile zu mir kam, dachte ich nur, das ist ein toller Name für einen Song. Das war schon sehr wichtig und passiert nur selten.

Also hattest du die Songidee und Nina kam dann mit ihren Texten und daraus entstand der Hit?

N: Nein, so kann man das nicht sagen.

P: Nina hat den Song vorher nicht gehört.

N: Als wir uns alle zum Proben getroffen haben, stellte Magnus seinen Bass plötzlich hin und spielte diese schöne Melodie auf dem Piano. Das gefiel mir sehr. Es gab also verschiedene Einflüsse innerhalb der Band.

P: In der Regel läuft es so, dass ich die Musik schreibe und Nina die Texte und danach arrangieren wir alle gemeinsam den Song. Bei dem Stück lief es diesmal etwas anders. Ich hatte die Wörter, bevor der Song überhaupt fertig war.

Und der Titel war nicht zu lang? Hat die Plattenfirma nicht gemeckert?

N: Wir hatten ursprünglich einen Albumtitel, der noch länger war als dieser Singlename. Von daher wussten sie, worauf sie sich einlassen mussten. Und ich bin gespannt darauf, wie die Moderatoren den Titel ankündigen, sollte dieser Song jemals im Radio laufen. Vollständig oder denken sie sich irgendwelche Abkürzungen aus? Ich glaube im Internet gibt es schon Kürzel wie INSFW ... oder so.

P: Es ist immer schwierig, sich auf einen Titel zu einigen, der vor allem von der ganzen Band akzeptiert wird. Unser jetziger Albumtitel "Super Extra Gravity" gefällt vor allem Nina und mir. Es gab dann auch mal ein Interview, in dem sich jemand aus unserer Band negativ über diesen Namen äußerte.

N: Was? Er hat den Albumtitel im Interview schlecht gemacht?

P: Ja.

N: Nun gut, jeder darf seine Meinung sagen.

P: Ja, das nennt man Demokratie, oder? (grins). Allerdings mochte ich den Titel des Albums davor auch nicht besonders. Ich hätte dies aber außerhalb der Band niemals geäußert. Demnach war ich ein wenig aufgebracht, dass diese andere Person, ich nenne seinen Namen jetzt mal nicht, sich öffentlich darüber ausgelassen hat.

N: Ist diese andere Person klein oder groß? (grinst)

P: Klein. (alle lachen)

N: Hat er ein oder zwei Kinder?

P: Ein Kind. Ist er der Schlagzeuger? Ja! (grinst)

Das Interview führten Paul J. Greco und Jasmin Lütz.

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