11. März 2016

"Wir machen nur, was uns gefällt"

Interview geführt von

Auf ihrem neuen Album "Closer To The People" überrascht Tanita Tikaram mit intensiven Tupfern aus den Bereichen Jazz, Blues und R'n'B.

Noch heute greifen Radio-Verantwortliche immer wieder gerne auf "Twist In My Sobriety" zurück, wenn es zwischen stampfendem Elektro und aufgeplustertem Charts-Pop etwas tiefer gehen soll. Tanita Tikarams Hit aus dem Jahr 1988 ist aber auch eine Perle; keine Frage. Das einzigartig tiefe Timbre der britischen Songwriterin mit malaysischen Wurzeln, gepaart mit gezupften Gitarrenklängen, kennzeichnet auch die Veröffentlichungen nach ihrem Erfolgsalbum "Ancient Heart" im Jahr 1988. Doch irgendwie hatte die Masse die Lust auf "mehr" schnell wieder verloren. "The Sweet Keeper" ging zwei Jahre später noch relativ steil. Danach ging es für Tanita Tikaram aber kontinuierlich bergab.

Die sympathische Sängerin hat sich aber nie unterkriegen lassen. In regelmäßigen Abständen veröffentlichte sie ein Album nach dem anderen. Dieser Tage geht das mittlerweile neunte Studiowerk ins Rennen. Es heißt "Closer To The People" und präsentiert Tanita Tikaram von ihrer experimentellen Seite. Im Interview verrät sie uns, warum ihr neues Album so klingt wie es klingt und warum der Drang nach kommerziellem Erfolg in ihrem Leben schon lange keine große Rolle mehr spielt.

Tanita, dein neues Album heißt "Closer To The People". Wenn man sich den Verlauf deiner Karriere vor Augen führt, könnte man meinen, dass hinter dem Titel eine besondere Botschaft steckt. Ist das so?

Tanita Tikaram: (lacht) Ich verstehe, auf was du hinaus willst. Aber der Titel hat eher weniger mit dem Verlangen zu tun, wieder größere Massen zu mobilisieren. Natürlich würde ich mich freuen, wenn das Album viele Menschen erreicht. Aber der kommerzielle Aspekt interessiert schon lange nur noch sekundär. Der Titel ist ein Auszug aus der Biografie von Anita O'Day ("High Times, Hard Times"). Dieses Buch hat mich die letzten Monate sehr intensiv begleitet. Vor allem die Tatsache, dass Anita zum Ende ihrer Kariere hin wirklich nur noch für die Musik gelebt hat. Das hat mich sehr beeindruckt. Diese Leidenschaft und dieses Feuer haben mich sehr inspiriert. Und ich rede jetzt nicht nur vom Titel des Albums.

"Closer To The People" ist ein unglaublich facettenreiches Album geworden. R'n'B, Jazz, Pop, Blues: Es gibt viel zu entdecken.

Ja, das sehe ich auch so. Ich habe in den vergangenen Jahren viel mit meiner Band gearbeitet. Da ist eine richtige Einheit entstanden, die die Dinge nur noch aus purer Leidenschaft angeht. Es geht nicht um irgendwelche Trends oder Hypes. Wir machen nur das, was uns gefällt. Und für dieses Album haben wir ein bisschen im Archiv gekramt. Meine Band fühlt sich mit alten britischen R'n'B-Vibes am wohlsten. Das haben sie total drauf. Und ich hatte diesmal Lust auf urbanen Jazz im Stile von Ella Fitzgerald. Ich habe zwar nicht die Stimme dafür. Aber irgendwie haben wir trotzdem eine authentische Mixtur gefunden, bei der sich alle wohl gefühlt haben.

Wie hast du dich da stimmlich reingearbeitet?

Ich wusste, dass ich eine andere Stimmfarbe habe. Ich wollte mich keineswegs verbiegen. Das hätte auch nicht funktioniert. Ich wollte einfach meinen eigenen Weg in die Musik finden. Das war nicht immer einfach. Aber letztlich bin ich sehr zufrieden mit dem Ergebnis.

"Bobby Irwin hatte diesen einzigartigen Groove"

Mein Lieblingssong ist "The Dream Of Her"; eine sehr intensive Jazz-Nummer mit bluesigem Anstrich. Wie sieht's bei dir aus?

Das ist auch einer meiner Favoriten. Dieser Song fasziniert mich aber nicht nur musikalisch. Auf diesem Song hört man auch die letzten Drums von meinem Schlagzeuger Bobby Irwin, der während der Produktionsphase des Albums leider viel zu früh von uns ging. Das war ein großer Schock für uns alle. Auf diesem Song hört man noch einmal was für ein großer Künstler Bobby war. Ihm ging es nie um technische Spielereien, Tempo und Kraft. Bobby hatte diesen einzigartigen Groove.

Bobby gehörte auch zur Band von Nick Lowe. Hier präsentierte er sich ebenfalls als Mann für die besonderen Rhythmen.

Er war ein außergewöhnlicher Musiker und ein großartiger Mensch, mit dem ich unheimlich gerne zusammen gearbeitet habe. Der Schmerz über seinen Verlust sitzt bei uns allen noch sehr tief. Es gibt Momente, da kann ich mir "The Dream Of Her" nicht anhören. Da kommen dann zu viele Erinnerungen hoch. Es gibt aber auch Augenblicke, da blüht mein Herz regelrecht auf, wenn ich den Song höre. Dann vergesse ich alles um mich herum und genieße nur noch. Musik eben. Immer wieder faszinierend. In jeder Lebenslage.

Wann berührt dich Musik eigentlich am meisten? Während der Entstehungsphase? Oder wenn du sie erstmals einem Publikum präsentierst?

Der erste Live-Kontakt ist natürlich ein toller Moment. Man ist aufgeregt. Man weiß ja nicht, wie die Leute reagieren. Der berührendste Moment ist aber der, wenn man während des Songwritings merkt, wie ein Rädchen ins andere greift. Das ist pure Magie. Manchmal sitzt man stundenlang an einer Strophe. Und wenn dann die Bridge in einen Refrain mündet, der den Song vollkommen macht, dann ist das ein unbeschreibliches Glücksgefühl. Meist erlebe ich solche Augenblicke allein. Nur ich und meine Gitarre. Das macht es natürlich noch intensiver. Bei meinem neuen Album hatte ich viele solcher Momente. Songs wie "The Dream Of Her", "The Way You Move" oder "Food On My Table": Die Entstehung dieser Songs kam einer emotionalen Achterbahnfahrt gleich. So etwas erlebt man nur mit Musik.

"Vielleicht hätte ich noch viel mehr mitnehmen können"

Musik als Lebensdroge?

Oh ja. Für mich auf jeden Fall.

Demnach definierst du musikalischen Erfolg auch eher innerhalb deiner eigenen vier Wände?

Ja. Ich interessiere mich schon lange nicht mehr für Verkaufszahlen. Ich genieße natürlich auch den Luxus, frei und unbekümmert arbeiten zu können. Der große Erfolg meiner Anfangstage hat da sicherlich maßgeblich zu beigetragen. Aber ich war auch schon vor meinem Durchbruch gefestigt und klar. Zumindest was die Musik angeht. Ich war damals ja noch sehr, sehr jung. Aber es war immer so, dass der Augenblick, in dem ein Song entstand und mich berührte, immer einen größeren Wert für mich hatte als der Applaus von fremden Menschen.

Du blickst also nicht wehmütig zurück?

Nein, gar nicht. Ich hatte meine Zeit im Rampenlicht. Ich habe diese Phase auch genossen, auch wenn ich damals vieles nicht verstanden habe. Wie gesagt: ich war noch sehr jung. "Ancient Heart" erschien im Jahr 1988. Da war ich gerade mal 19. In diesem Alter ist man noch unentschlossen und auf der Suche. Wenn dann plötzlich die halbe Welt vor der eigenen Haustür steht, kann man schon mal durchdrehen. Ich habe diese Zeit glücklicherweise sehr gut überstanden. (lacht)

Ärgert es dich nicht, dass dich auch heute noch viele Menschen lediglich mit deinem Erfolgs-Hit "Twist In My Sobriety" in Verbindung bringen?

Nein, nicht wirklich. Es ehrt mich. Es beweist ja schließlich, dass es ein besonderer Song ist. Nicht viele Lieder werden auch nach über 25 Jahren noch dauerhaft im Radio gespielt. Das macht mich natürlich auch ein bisschen stolz. Vielleicht würde ich heute anders darüber denken, wenn ich mich musikalisch komplett neu erfunden hätte. Aber das habe ich nicht. Sicher, ich habe mich über die Jahre entwickelt. Neben den typischen Singer/Songwriter-Trademarks gibt es nun auch Blues, Jazz und R'n'B auf meine Alben zu entdecken. Aber das Fundament ist geblieben. Insofern freue ich mich, dass meine Musik – und damit meine ich nicht nur diesen einen Song – immer noch gerne gehört wird.

Auch heute noch steht deine charakteristische Stimme im Vordergrund. Erinnerst du dich noch an den Moment, in dem du deine Stimme als Instrument erkannt hast?

(Lacht) Das ist ziemlich lange her. Ich habe mir zu Beginn eigentlich nie darüber Gedanken gemacht. Ich habe mich immer nur als Songwriterin gesehen. Irgendwann wurde mir aber bewusst, dass irgendwer meine Songs auch vortragen muss. Das war ein einschneidender Moment. Ich kann mich allerdings nur noch an das Gefühl erinnern. Einen expliziten Augenblick habe ich leider nicht mehr im Kopf. Vielleicht war es zuhause. Vielleicht aber auch auf einer kleinen Bühne. Ich weiß es nicht mehr genau. Ich weiß aber noch, dass mich die Erkenntnis sehr beschäftigt hat; denn im Grunde wusste ich sofort, dass es wahrscheinlich an mir hängen bleiben würde (lacht). Aber es hat ja zum Glück funktioniert.

"Funktioniert" ist gut.

Naja, du weißt schon was ich meine. Ich glaube auch, dass mir diese tiefe und ruhige Stimmfarbe damals viele Türen geöffnet hat. Ich meine, damals gab es noch nicht allzu viele Frauen im Business. Und dann kam auch noch eine um die Ecke mit einer tieferen Stimme. Das passte schon alles gut zusammen.

Wie gefallen dir deine Kolleginnen von heute?

Es gibt viele tolle Sängerinnen da draußen. Ich glaube auch, dass es endlich eine halbwegs ausgewogene Balance gibt. Es gibt viele Frauen, die in Bands Karriere machen. Es gibt aber auch viele Solo-Sängerinnen, die große Erfolge feiern. Wir sind endlich mittendrin ...

... statt nur dabei.

Exakt. Vielleicht hätte ich auch noch viel mehr mitnehmen können. Aber mich hat damals so viel beschäftigt. Da war die Musik, der Erfolg und der ganze plötzliche Trubel. Da war aber auch noch das Verlangen nach ganz normalen Dingen, die man mit Anfang Zwanzig gerne erfahren möchte. Ich wollte mich und die Welt besser kennenlernen. Dafür habe ich mir viel Zeit genommen. Aber, wie gesagt: Ich bin froh und glücklich darüber, dass alles so gelaufen ist. So konnte ich wachsen und mich entwickeln. Vielleicht wäre ich sonst verheizt worden und würde heute irgendwo einem trägen Job außerhalb der Musik nachgehen. Das wäre furchtbar. Alles gut, so wie es ist.

Na dann: Auf dass es so bleibt.

Ja, bitte! (lacht) Ich danke dir.

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