21. November 2014

"Bei anderen Platten fallen mir Fehler auf"

Interview geführt von

Film, Animation, Fotografie, Malerei, zwei Band-Projekte: Die Auseinandersetzung mit Kunst kennt für den TV On The Radio-Sänger Tunde Adebimpe keine Grenzen. Wir sprechen mit ihm über die "Interstellar"-Premiere, um die Ohren gehauene Nächte und existenzielle Daseins-Fragen.

Seine Band aus Brooklyn, New York hat aktuell einen harten Umbruch hinter sich. Nach dem Tod ihres Bassisten Gerard Smith und einer längeren Pause ist "Seeds" das erste gemeinsame Werk des Vierers. Zuvor mehrten sich die Zweifel, ob und wie es weitergehen soll mit der Indie-Kombo.

An einem frostigen Oktobertag betrete ich ein Berliner Hotel, als mir in der Lobby, in der irgend eine Band gerade ihren Soundcheck abhält, ein großer dunkelhäutiger Mann in Cordhose und mit Hut entgegenkommt. Sein Blick huscht kurz an mir vorbei, da ich meine Überraschung wohl kaum verbergen kann, Tunde Adebimpe schon hier unten und zehn Minuten vor Interview-Beginn über den Weg zu laufen.

Wenig später werde ich dann in das pseudo-futurustisch möblierte und etwas knatschig silberne Hotelzimmer geführt, in dem der Sänger tiefenentspannt auf der Couch sitzt und Tee trinkt. Ein paar graue Strähnen haben sich in den Bart geschlichen, dazu die schlichte Hornbrille und das glattgeschorene Haupt.

Vorab war zu hören, dass er seinen Pass unterwegs verloren habe und es gar nicht sicher sei, ob er nach Deutschland einreisen könne. Von der regelrechten Odyssee, die er hinter sich hat - nicht nur aufgrund der kuriosen Reise-Strapazen - erzählt er mir und strahlt dabei die Weisheit eines Mannes aus, der vieles zu überwinden hatte in den letzten Jahren.

Hi!

Tunde Adebimpe: Hi man, ich hab dich gerade eben schon in der Lobby gesehen. Wie war dein Tag bisher?

Hi, ich war etwas aufgeregt, weil ich mit dir quatschen darf. Was ging bei dir?

Ich hab meinen Personalausweis verloren ... das war ein Alptraum.

Ich habs schon gehört, ja krass, hat es dann doch alles geklappt?

Ja, wir waren heute früh morgens bei der Botschaft und mussten alles neu ausfüllen und ne Weile warten, das war echt ...

Oh man ...

Bevor der Trip los ging, haben wir in Las Vegas gespielt. Von dort sind wir dann gleich los nach Europa. Und ich hab halt komplett vergessen, dass wir nicht noch mal nach L.A. kommen, wo mein Ausweis zuhause liegt. Also bin ich nochmal zurück nach L.A., hab meinen Ausweis abgeholt, und dann waren wir in einem Flieger, der gestoppt wurde, weil es einen Verdacht seitens der Security gab, dass da irgendein Idiot im Flugzeug sein Wifi angestellt hat. Das Wifi trug den Namen "Alkaida Free Terror Network".

Also flog das Flugzeug in der Nacht nicht mehr los, obwohl ich noch meinen Ausweis geholt hatte. Wir mussten noch einen Tag warten. Ich war echt fertig. Und dann hab ich meinen Ausweis wieder verloren. Es war ...

Wohin genau ging der Flug?

Der mit der Drohung?

Ja.

Von Los Angeles nach London. Und ich hatte einfach keine Ahnung, was da eigentlich passiert. Und dann befragten sie Kyp, das war komisch. Sie zogen Kyp aus der Schlange, ihn und unseren Kumpel Carvin und redeten irgend einen Bullshit. Wir haben drei Stunden gewartet und alle haben ihre Handys wieder angemacht, weil wir dachten, wir kommen so oder so nicht so schnell los. Und als es dann mal danach aussah, als würden wir gleich losfliegen, passierte die Stewardess Kyp, den gerade jemand angerufen hatte. Kyp meinte am Telefon: "Ok, ich muss auflegen, diese Person bedrängt mich". Die Stewardess hört das und meint: "Niemand bedrängt sie, Sir" und ich nur so: "Sie bedrängen ihn schon ein bisschen ... er hat nicht das falsche Wort verwendet, auch wenn Ihnen das nicht gefallen hat." (lacht)

Das führte dann dazu, dass die Security kam und sie zu denen meinte: "Dieser Mann hört nicht auf zu telefonieren". Und ich dachte nur: Ja, und außerdem hat er einen Bart und ist braun, vielleicht hat dir das dabei geholfen, bescheuerterweise gerade ihn herauszusuchen. Anyway, ich bin am Rumnörgeln ...

Was hattet ihr in London zu tun?

Wir hatten eine Show in diesem "Oslo" und ein paar Presse-Termine. Nur ein paar Tage.

Und den Ausweis hast du in London verloren, oder wie?

Ja, ich hab ihn in London verloren. Aber ich überleg gerade, wir kamen irgendwie zu der Europa-Premiere von "Interstellar", dem Christopher Nolan-Film, was komisch war, weil wir dachten wir gehen einfach so rein. Wir hatten die Tickets vom Label in London organisiert bekommen und auf einmal standen wir auf dem blauen Teppich mit all diesen Papparazzis und ich dachte wir gehen einfach nur in diesen Film.

Auf einmal steht Michael Caine hinter dir und all diese Leute und du wirst reingedrückt mit der Masse. Das war insgesamt eine ganz lustige Sache. Wir dachten, wir gehen zu einer kleinen Vorführung und dann waren da die Nachrichtensender und all die Schauspieler, Matthew McConaughey und Anne Hathaway liefen da rum und wir hatten Sneakers und Jeans an, aber es war okay.

Ok, hat es sich denn gelohnt?

Es war ein großartiger Film, sehr, sehr gut. Ich war super beeindruckt. Ich mag ihn als Regisseur und viele seiner Schauspieler.

"Ich frage mich oft, was Gerard darüber denken würde, was ich mache"

Dann lass uns mal ein bisschen über "Seeds" sprechen, euer fünftes Album. Der letzte Song trägt diesen Titel, bezieht sich der darüber hinaus auch auf einen Neustart für euch?

Ich glaube schon. Definitiv. Am Anfang war es eben der Song, an dem wir gearbeitet hatten. Und Dave und ich meinten dann irgendwann: Ok, das ist vorerst ein guter Titel. Da es einer der ersten fertigen Songs war und wir ihn uns oft anhörten. Dieses Album habe ich mir direkt nachdem es fertig war noch sehr oft angehört, weil es sich immer noch so frisch anfühlt. Normalerweise brauche ich zwei Jahre Abstand nach einer Platte, bis ich sagen kann: Ok, jetzt verstehe ich, warum Leute das mögen. (lacht) Davor war es immer so: Keine Ahnung. Ich mag es, aber who knows.

Da sind viele Songs drauf, in denen es um eine Situation geht, die aussichtslos erscheint, die sich dann aber in etwas transformiert, das du nie erwartet hättest. Und ich glaube auch, dass es als Leitfaden dafür dient, wie ich und wie Dave und Kyp und Jaleel diese Platte angegangen sind. In der Hinsicht, dass wir eine sehr lange Pause hatten. Das war die erste lange Pause nach sieben Jahren. Wir hatten Zeit, unser Leben zu leben, ohne wirklich in der Band zu sein. Bei mir gab es einen Zeitabschnitt, während dem ich dachte: Ok, wir haben genug getan, wir müssen eigentlich kein neues Album mehr machen. Oder vielleicht können wir die Band auch auf Eis legen und andere Dinge machen. Wir verstehen uns alle gut, deshalb wäre es nicht total crazy gewesen.

Aber letzten Endes willst du halt mit deinen Kumpels abhängen, also hängst du ab. Und wenn das Freunde sind, mit denen du Musik machst, dann sagst du irgendwann: Ok, lass uns ein, zwei Dinge starten. Wir hatten nicht geplant ein Album aufzunehmen. Wir dachten, wir machen einfach weiter Singles, ohne uns den Druck oder die mentale Last aufzuladen, zu sagen, wir gehen jetzt hin und müssen ein neues Album machen und wir gehen jetzt in dieses Spaceship und kommen nicht mehr raus, bis es fertig ist. Also haben wir einfach Schritt für Schritt weiter Songs gemacht und brachten immer wieder Demos mit, die wir während der Pause aufgenommen hatten. Und das waren viele Demos, denn wir hatten ja drei Jahre, zumindest kommt mir das so vor, in denen wir das alles nicht so aktiv betrieben haben. Am Anfang der Aufnahmen hatten wir dann um die 60 Songs.

Sechzig?!

Ja, also auch Entwürfe. Wir pickten die raus, die essentiell wirkten und an denen wir arbeiten wollten. Aber der Schreib-Prozess verlief sehr schnell. Früher arbeiteten Dave und ich in einem Loft ohne Heizung, waren die ganze Nacht wach, rauchten Gras und tranken viel zu viel Kaffee und machten einfach unseren Kram. Dieses Mal fühlte es sich wieder so an. Ich war wieder bei ihm zuhause, wo er ein Studio hat und wir spielten einfach rum.

Die Idee von Regeneration, Wachstum, Wiedergeburt oder Transformation ist sehr präsent in den Songs. Auch für uns als Band fühlt es sich so an, als hätten wir diese Spanne an Zeit und Erfahrungen benötigt, um an einen Punkt zu kommen, wo du dich wieder erinnerst, warum du das eigentlich machst. Das gemeinsame Fundament für unsere Arbeit war die Idee der Möglichkeit: Wir können machen, was immer wir wollen und es wird ein TV On The Radio-Song.

Ist das nicht das Grandiose, dass ihr euch nicht so einfach kategorisieren lasst?

Doch, so seh ich das auch. Und das gilt auch für die, die sich das anhören. Ich will ja nicht, dass nur Indie-Leute sich das anhören und denken, alle anderen können sich verpissen. Ich werde nie irgendeine Form von Kunst oder Musik so betrachten. So war das, als wir angefangen haben und so ist es jetzt. Ich denke wirklich, es ist so was wie ein Neustart.

Also weitet sich diese Samen-Metapher auch auf den natürlichen Herstellungsprozess aus? Nichts war wirklich geplant.

Ja, absolut! Es ist wirklich diese ganze Metapher. Du ziehst diese kleinen Dinge auf und plötzlich hast du etwas, das du nicht vorhergesehen hast als solches, aber es ist definitiv ein Teil von uns. Etwas, auf das wir stolz sind und etwas, das auf eine Weise viel schöner ist, als wir es uns vorgestellt hatten. Es ist schön, wenn so was passiert.

Dave und ich haben gestern noch gesprochen, als wir uns zwei der Songs angehört haben, und ich meinte, dass ich mir diese Songs einfach anhören kann, als ob wir sie gar nicht gemacht hätten. Ich kann sie mir einfach reinziehen. Bei anderen Alben bemerke ich Fehler oder Dinge, die ich besser hätte machen können. Bei dieser Platte könnte ich auch etwas kritisieren, wenn ich lange genug dasitzen würde, aber ich mach es einfach an und fange an zu malen oder schreibe oder rufe Leute an. Ich will jetzt nicht angeberisch klingen. Aber ich kann es laufen lassen und andere Dinge machen. Und ich glaube das liegt auch daran, dass wir sehr schnell gearbeitet haben, so dass die Songs einfach nicht abgestanden wirken. Das ist auf jeden Fall ein gutes Gefühl und eine andere Erfahrung für mich.

Welche Fehler meinst du denn, die du auf alten Alben hörst?

Ich weiß es gar nicht genau, lass mich über ein konkretes Beispiel nachdenken ... es ist einfach ein bestimmter Sound oder die Art, wie ich etwas singe. Weil du manchmal an einen Punkt kommst, wo du den Song einfach fertig bekommen musst, du musst ihn gehen lassen. Und manchmal hab ich das Gefühl, die Songs einfach aus Notwendigkeit heraus losgelassen und gedacht zu haben: "Es wird schon ok sein, ich werde das nicht mal merken, weil alles andere ja gut klingt". Und dann ist es acht Jahre danach immernoch so: Fuck, das klingt nicht so gut, wie es hätte klingen können. Und die Leute merken das nicht, niemand merkt das außer mir. Sachen wie Phrasierungen einzelner Wörter. Aber ich wünschte, ich könnte dir ein konkretes Beispiel geben.

Ich erinnere mich gerade an einen Song auf "Cookie Mountain", "Hours". Ich weiß noch, wie ich dachte: "Hmm, ich weiß nicht, er ist nicht so wirklich gut, niemand scheint so richtig darauf abzufahren". Kazi Makino von Blonde Redhead war daran beteiligt und ich habe ihn mir neulich erst noch mal angehört und fand, dass es gar nicht so ein typischer TV On The Radio-Song ist. Ich mag ihn sehr, aber ich hatte ihn einfach komplett vergessen. Und ich glaube ich habe ihn deshalb vergessen, weil ich das Gefühl hatte, wir sind ihm nicht besonders gerecht geworden. Aber jetzt gefällt er mir sehr. Und auch der Song "Method": Als wir fertig damit waren, dachte ich, ich weiß nicht wirklich, wo das hinführen soll und verdrängte ihn deshalb und als ich ihn jetzt wieder anhörte, fand ich, dass er funktioniert, definitiv funktioniert. Außerdem verändert sich auch deine Stimme. Wenn du hörst, wie du noch mit 27 klangst, dann ...

Gefällt sie dir mehr oder weniger?

Es ist einfach komisch. Weil du denkst: "Ich weiß irgendwie nicht wirklich, wer diese Person ist" (lacht). Wenn du dir dein jüngeres Selbst vorstellst oder dich etwas sagen hörst oder ein Bild von dir siehst, erkennst du dich in dieser Person zwar schon wieder, aber gleichzeitig steht dir da manchmal trotzdem gerade beim Singen jemand ganz anderes gegenüber.

Manchmal erinnerst du dich auch an deine Lebenssituation während dieser Zeit. Ich kann mich definitiv daran erinnern, wo ich im Leben stand, als ich vieles aufgenommen habe. Aber wenn ich an mich in diesem Alter denke, ist das einfach eine komplett andere Person. Im Sinne von: Das ist die Person, die die Anleitung für das geschrieben hat, was du jetzt nicht mehr machen sollst (lacht). Von wegen: Du kannst das schon machen, aber eigentlich muss das wirklich nicht sein. Es ist einfach sehr viel einfacher kreativ zu sein, wenn du nicht denkst: "Ich muss so viel Gras rauchen, wie ich nur kann und drei Tage wach bleiben. Das wird total funktionieren." Aber es funktioniert nicht.

Das hast du also so getrieben damals?

Ja. Einfach dumme Sachen. Ich nehme an, das ist so das, was man halt macht in seinen 20ern. Irgendwelches Zeug. Und du hast bestimmte Ängste, Unsicherheiten, bestimmte Vorstellungen von der Welt. Das ist gar nicht unbedingt so präsent in den Songs, sondern eher wenn ich daran denke, wie ich so mit 26, 27 war. Ich habe mir Sorgen über so viel mehr gemacht als heute.

Wie zum Beispiel?

Ähm ... in der Lage zu sein alles zusammenzuhalten, psychisch und physisch, um eine Kunst-Karriere voranzutreiben. Fragen wie "Was soll ich machen, damit es das wert ist?" Dieses ganze Spektrum von: Ich kann etwas für mich selbst machen und das könnte nicht klappen, also sollte ich vielleicht meine Energie darin investieren, etwas für jemand anderen zu machen. Mit der Kunst ist es so: Ja, ich kann meine Zeit damit verbringen, meine eigene Animation zu machen und vielleicht komm ich damit irgendwo hin oder auch nicht - oder ich kann versuchen einen Job bei dieser Firma zu bekommen, wo es sicher einen Platz für mich gibt, aber dann muss ich mich auch darum kümmern. Über solchen Kram hab ich mir Sorgen gemacht.

Und ich hatte normale Ängste. Ob das Beziehungen sind, die kaputt gehen oder dass jemand stirbt. Ich hatte früher richtig Angst vor sowas und war paralysiert. Heute ist es mir nicht egal, aber jetzt ist es mehr ein Akzeptieren aller guten Dinge wie aller schlechten Dinge. Letztlich auch, weil man realisiert, dass man viel öfter keine Kontrolle hat als umgekehrt. Wenn ich jetzt Sorgen habe, dann darüber, etwas fertig bekommen zu wollen, oder dass ich jemanden nicht pünktlich treffe. Das ist cool. Denn die größeren Probleme - ich weiß nicht. Wenn eine Freundschaft oder eine Beziehung kaputt geht, kannst du das Beste tun, das in deiner Macht steht, es wieder hinzubiegen, aber manchmal ist es einfach nicht vorgesehen, dass du in dieser Situation bist und das ist in Ordnung. Ohne irgendwelche Bosheit oder Genugtuung, denn so ist es nun mal.

Leute werden dich verlassen, Leute werden sterben, du wirst sterben, ich ... versuche deine Zeit zu genießen, bevor du ausgetagged wirst und sei so gut du kannst zu dir und jedem anderen.

Gerard Smith, euer Bassist, verstarb 2011. Wie hat euch das als Band beeinflusst?

Alles was ich dazu sagen kann ist: Er war jemand, der absolut einzigartig war. Und das kann ich nicht über viele andere Leute sagen. Es war sehr inspirierend, aber auch sehr komisch, welch außergewöhnliche und sehr spezielle Person er war. Wenn du der Freund von jemandem bist, merkst du: Ok, der Typ ist großartig und deshalb bist du sein Freund, aber dann sind sie nicht mehr da und du realisierst ganz genau, dass du niemals wieder eine solche Person treffen wirst, also wahrscheinlich.

Zumindest für mich war sein Einfluss als Mensch und als Künstler so stark und ist so ein großer Teil meiner künstlerischen Entwicklung, dass er und die Vorstellung von ihm mich niemals verlassen werden. Seine Präsens hat mich geformt, in gleichem Maße wie dich das Dasein deiner engsten Freunde, deiner Familie und der Leute, die du bewunderst. Und wenn du einen Teil von dem, was du bist, herausnimmst, finde ich einen großen Anteil an Leuten, die ich liebe und mit denen ich zusammengearbeitet habe.

Mir geht es jetzt so, dass ich oft darüber nachdenke, was er wohl darüber denken würde, was ich mache. Und für uns vier wird er niemals nicht mehr da sein. Wenn wir vier zusammen sind, ist er immer in unseren Gedanken und unseren Herzen. Aber für mich ... in den letzten sieben Jahren, oder fast zehn Jahren, starb mein Vater, dann zwei Jahre später mein älterer Bruder und dann zwei Jahre danach Gerard.

Es war einfach diese Zeitspanne, in der du dich mit all dem auseinandersetzt. Und es ist komisch, weil es drei meiner aller engsten Menschen waren. Wenn ich daran denke, wie du zu einer Person wirst, dann hast du immer Leute, von denen du weißt, dass du ohne sie nicht das machen würdest, was du machst. Und ich hätte nichts von all dem getan, wenn genau diese drei Menschen nicht gewesen wären. Daher mache ich mir jetzt nicht unbedingt mehr Druck, aber ich überlege mir genauer, was ich mache und fühle mich fast älter auf eine Weise, weil ich das Gefühl habe, alles, was ich von ihnen gelernt habe, muss ich irgendwie umsetzen.

Ich glaube nicht, dass Menschen einfach verschwinden. Sie existieren nur in den Gedanken aller, die sie kannten. Und auch verschiedene Aspekte dieser Menschen. Wenn du jemanden triffst, der diese Person kannte, kannst du einen ganz anderen Blick auf sie bekommen. Ich glaube Menschen zerstreuen sich einfach nur, wenn sie sterben.

Du meintest, du fragst dich oft, was diese Leute über das denken, was du jetzt machst. Wie war das während der Entstehung zu "Seeds"? Wie seid ihr damit umgegangen, dass Gerard nicht dabei war? Habt ihr versucht ihn zu ersetzen?

Nein, nein. Es war im Prinzip dasselbe. Wir haben einfach unser Ding gemacht. Auf dem Level haben wir selbst noch nicht wirklich viel geredet, deshalb fühle ich mich nicht besonders gut, all zu viel darüber zu sprechen. Aber wir sind einfach ins Studio und konnten nicht wirklich an etwas anderes denken als an unsere Arbeit. Das wäre sonst nicht wirklich gesund gewesen.

"Achtzig Prozent der Songs wurden an einem Tag fertig"

Würdest du zustimmen, dass "Seeds" das bisher eingängigste TVOTR-Album ist?

Ich denke schon, ja. Während der Entstehung glaube ich galt auch die unausgesprochene Regel: Wenn du in der Architektur nicht sehr schnell den Song raushörst, ob damit die Musik als Fundament gemeint ist, die bereits da war, oder die Wechsel oder Texte, die fertig waren ... wenn es sich nicht innerhalb zweier Tage danach angehört oder angefühlt hätte, haben wir es verworfen. Die meisten Songs, rund 80 Prozent, wurden an einem Tag fertig. Das war essentiell. Denn du kannst es zu sehr überdenken.

Du spielst ein paar Durchläufe und weißt, das ist die Länge des Songs. So ist es dann in meinem Kopf, dann ist es schwer hinzugehen und anzufangen: "Oh ich glaube diese eine Stelle braucht ein wenig mehr." Du kannst Dinge beliebig verfeinern, wenn du die Grundform hast und daran haben wir schnell gearbeitet. Deshalb war es oft so: "Ok, der ist zu 80 Prozent fertig, lass uns den nächsten anpacken und danach den anderen auf 100 Prozent bringen und am nächsten Tag wieder mit einem anderen beginnen". Keep going, keep going, keep going.

Habt ihr dann einfach so lange gejammt bis aus den 80 Prozent 100 wurden, oder wie habt ihr die Songs dann abgeschlossen?

Meist war es so, dass wir einfach Demos mitgebracht haben. In meinem Fall ist das in der Regel Gesang mit Klavier oder bei Kyp etwas mit Keyboard. Und dann nehmen wir uns das Skelett dieses Songs vor und beginnen mit dem Fleisch drum herum. Dave setzt ein paar Beats darunter und fügt eine Atmosphäre hinzu und die anderen steigen ein und dann komm ich immer wieder rein und experimentiere mit Texten. Jeder packt eine Schicht drauf und am Ende können wir dann die Teile miteinander verbinden, um es in seiner eigenen Atmosphäre existieren zu lassen, als eigenständiges Ding.

Dave Sitek hat die Platte produziert. Ward ihr immer derselben Meinung oder gab es auch hier und da Uneinigkeiten was Sound-Details angeht?

Oh ja, ständig. Ich meine, das Schöne zwischen ihm und uns ist, dass wir schon so lange zusammen arbeiten, dass wir eine Sprache und gewisse Kurzformeln zwischen uns entwickelt haben, so dass keiner sagt: "Ok hier muss irgendetwas mehr so oder so klingen" oder "Hier braucht es zwei Harmonien darüber". Das Abstimmen geht sehr schnell bei uns. Dave hat ja auch schon viel für andere Leute geschrieben oder produziert und war nur in der Produzentenrolle tätig. Da schlägt er dann was vor, und im Prinzip müssen die das dann auch machen.

Haha.

Gar nicht in negativer Hinsicht, sondern weil sie ihn fragen: "Hey, ich weiß nicht wie ich das machen soll. Du bist der Produzent, sag mir was ich machen soll!" In dieser Rolle ist er der Chef, der alles dirigiert und formt und den Flow der Songs bestimmt. Aber ich hab das Gefühl, dass er bei uns aufgrund dieser eigenen Sprache und da er auch Teil der Band ist, großzügiger ist. Wenn jemand etwas ausprobieren will, selbst wenn drei von uns finden, dass es nicht funktioniert, lassen wir denjenigen seine Idee zu Ende vortragen und sagen dann: "Cool, aber ich glaube nicht, dass das hier hingehört, aber du kannst es definitiv vorspielen und wir hören es uns an". Und manchmal klappt es dann schlussendlich doch und du denkst: "Ich wollte eben nicht sagen, dass es scheiße ist, aber jetzt muss ich es auch nicht mehr (lacht), obwohl ich es dachte. Aber du hast mich eines Besseren belehrt."

Es gab einen Song, der hatte diesen Endpart. Ich hab mir das Ding angehört und fand: Das muss anders sein. Und Dave meinte daraufhin nur (flüstert): "Das war ich nicht!" Und ich meinte nur: "Ich weiß, dass du das nicht warst" (lacht).

Ok, jetzt musst du mir aber auch verraten, welcher Song das war!

Es gibt ihn nicht mehr. Es ist alles cool. Der Part ist nicht mehr im Song. Wir hatten ein Meeting wegen diesem Song und alle meinten, dass es das nicht ist. So was passiert sehr selten. Normalerweise sind wir uns einig, wenn etwas rausfallen muss. Manchmal ist es auch nur ein Platzfüllen: Du packst was an eine Stelle um dich daran zu erinnern, dass da noch was besseres hin gehört.

Also es gibt nicht viele Unstimmigkeiten, sondern eher gemeinsame produktive Diskussionen, denn die Ideen von jedem sind zulässig. Ich denke da oft malerisch: "Ok ich probiere diese Farbe aus und stelle dann fest - es sieht schrecklich aus, ich dachte es würde passen, da lag ich wohl falsch". Und die Leute, für die du malst, meinen nur: "Jaa, wir können das auch nicht korrigieren, lass es einfach raus".

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