20. Dezember 2000

Partykönig im Big Apple

Interview geführt von

Doch die neuen Releases sind nicht das einzige, was dem umtriebigen DJ derzeit ein Lächeln auf's Gesicht zaubert. In der heimischen Clublandschaft und bei unseren eidgenössischen Nachbarn in Zürich schon lange geschätzt und für seine unbändige Feierlaune bekannt, hat sich Sven Väth nun auch im Big Apple als Partykönig etabliert. Seit einem Jahr ist er regelmäßig im New Yorker Twilo zu Gast; kein Wunder also, dass dieser erste Geburtstag am 15. Dezember mit einer fetten Party gefeiert wurde.

Unterstützt von Frank Lorber (Cocoon) und Richard Bartz (Kurbel Records) unterzog der "Technopapst" das beste Soundsystem der Stadt einer mehrstündigen Bewährungsprobe. Eines der knackigsten und unwiderstehlichsten Sets, das ich bisher von ihm gehört habe, arrangierte die inneren Organe der tanzenden Partycrowd mit jedem Beat neu. Väth at his best.

Den meisten Amerikanern lediglich von seinen Love-Parade-Auftritten ein Begriff, genießt Sven Väth, neben Paul Van Dyk der einzige deutsche Resident im Twilo, noch immer Exotenstatus in New York. Doch weiß die traditionell eher housige Clubszene der Stadt Väths Qualitäten durchaus zu schätzen, wie die verschwitzten Gesichter auf der Tanzfläche bewiesen. Die zweite Cocoon-Clubbing@Twilo-Geburtstagsparty scheint nach diesem Event schon fest gebucht zu sein.

Noch bevor dieser Glanzauftritt in New York über die Bühne ging, trafen wir den Star-DJ in Berlin, wo er bei geselligem Teetrinken auch die Zeit fand, unsere Fragen zu beantworten.

LAUT: Zuerst einmal zum Cocoon Club: Hat sich dein Party-Experiment auf Ibiza so entwickelt, wie du dir das anfangs vorgestellt hast?

Auf jeden Fall. Wir sind dieses Jahr das erste Mal über eine ganze Saison dort gewesen. 1999 hatte ich schon vier Testveranstaltungen gefahren und obwohl ich ein alter Hase auf Ibiza bin, war ich doch überrascht von der positiven Resonanz. Unser richtiger Techno-Sound mit Artists wie Jeff Mills, Carl Cox, Richie Hawtin, Dritter Raum, Alter Ego usw. kam super an, genau wie unser House-Floor mit sehr krediblem House-Line-Up. Also, es war ein voller Erfolg. Das ist auch der Grund, warum wir nächstes Jahr wieder reingehen. Parallel zur Retrospektive erscheint übrigens auch mein "In The Mix"-Album vom Ibiza-Sommer. Dafür habe ich mir die hottesten Tunes der Saison genommen und sie zusammen gemixt.

LAUT: Du bist ja quasi Herr eines kleinen Wirtschaftsimperiums mit der Cocoon Booking Agentur plus Club, dem Frankfurter U60311 oder dem Zürcher Matrix; hast du nun aus deinen Fehlern gelernt, da deine Labels Harthouse oder Eye Q vor Jahren in der Pleite endeten?

Ich will mal so sagen: Fehler habe ich zu der Zeit eigentlich nicht gemacht, ich habe mich – rechtzeitig – von meinem Partner Heinz Roth getrennt, der Eye Q hier in Berlin weitergeführt hat. Drei Monate später musste er dann die Pforten schließen, was für die Künstler natürlich bitter war. Demgegenüber stehen aber sieben erfolgreiche Jahre, wo man Musikgeschichte geschrieben hat, auch mit Harthouse und Recycle Or Die. Der Abgang war vielleicht etwas unrühmlich, aber sonst kann sich das schon sehen lassen.

Mit Cocoon gehe ich zwar ähnliche Wege, aber andererseits ... weißt du, das Problem mit Partnerschaften ist, dass es viele Interessen und Meinungen gibt. In der Vergangenheit habe ich da auch viel daraus lernen können, das geht bis in die Achtziger zu OFF zurück. Aber jetzt habe ich mir gesagt: Pass auf, Sven, jetzt machst du genau das, worauf du Bock hast. Keiner kann mir irgend etwas vorschreiben. Und nun fahre ich einen sehr guten Kurs mit Cocoon, der Agentur, dem mobilen Clubkonzept, dem Label, der Internetseite, ...

LAUT: ... das Design deines Netzauftitts (cocoon.net) ist sehr gelungen. Hattest du IT-Freaks in deinem Freundeskreis, die du engagiert hast oder bist du selber involviert?

Also, das sind eine Handvoll Typen, die ich schon aus Frankfurt kannte. Wir haben alle Ideen zur Seite beigetragen und die Zusammenarbeit ist dann gereift. Außerdem musst du wissen: wir saßen ein Jahr an der Homepage! Es war sehr teuer und arbeitsintensiv, aber jetzt bin ich wirklich happy damit. Wir bekommen auch viele Mails und Lob von draußen über das minimalistische Design, den Sound und so. Das Tolle an so einer Page ist ja, dass es immer etwas zu tun gibt und man nie fertig ist.

LAUT: Bist du demnach ein Internet-Freak, macht das neue Medium dich an?

Mich macht es an, aber ehrlich gesagt, fehlt mir dafür die Zeit. Ich checke unsere Seite und auch mal andere, aber ich sitze nicht lange davor. Andererseits bin ich auch froh, dass ich draußen unterwegs bin. Ich bin halt doch mehr der Traveller, der Kontakt zu den Menschen halten muss.

LAUT: Auf deiner Seite gibt es neben T-Shirts beispielsweise auch Schuhe online zu bestellen. Ist das für dich eine weitere Facette des Universalprodukts Techno?

Eigentlich schon, denn ich war ja schon immer sehr an Mode und Style interessiert, das konnte man ja auch mitverfolgen. Schon früh habe ich meine Klamotten selbst entworfen oder auch Plateauschuhe mit Lichtern hinten drin, einmal einen Buffalo-Schuh, alles Mögliche. Schuhe waren für mich immer etwas besonderes, denn ich stehe halt lange in Schuhen. Ich bin am Laufen, Marschieren, Tanzen und dann hat sich das über einen Freund von mir angeboten. Die Firma Accupuncture kam auf mich zu und wir haben zusammen diesen Cocoon Club-Schuh designt.

LAUT: Eine exklusive Sache?

Natürlich. Die Auflage beträgt weltweit nur 2000 Stück. Aber das sind eben Goodies, die nebenher laufen, weil sie Spaß machen. Ich treffe so viele Leute weltweit, da ist es toll, sich einmal mit Designern hinzusetzen. Und sowas dann über die Homepage zu verkaufen, ist dann einfach ein bisschen was für die Liebhaber, denke ich.

LAUT: Zu deiner Retrospektive: Die Auswahl der Stücke gestaltete sich doch bestimmt schwierig. Liegen nun deine Lieblingstracks vor uns oder die liebsten Remixe?

Dazu muss ich sagen, dass im Januar nächsten Jahres eine zweite Version des Albums mit zwei CDs erscheinen wird, ein Liebhaber-Package. Darauf werden dann die ruhigeren Tracks von mir sein, u.a. "The Day After", "The Birth Of Robbie" und "The Caravan Of Emotion". Aber klar, die Auswahl der Stücke war ziemlich hart, bei soviel Musik, die man schon aufgenommen hat.

LAUT: Und die Remixer, hast du die aus deinem Freundeskreis herausgepickt oder bist auch auf Leute zugegangen, von denen dir nur ein bestimmter Remix reingelaufen ist?

Genau so habe ich das gemacht. Ich habe die Leute angerufen, von denen ich musikalisch überzeugt bin, habe gefragt, was sie davon halten und so. Das war nicht weiter schwierig.

LAUT: Die Retrospektive endet 1997. Warum hast du die Alben "Fusion" (1998) und "Contact" (2000) außen vor gelassen?

Mit 1997 schließe ich die Zeit ab, die ich mit Eye Q, Harthouse und dem Omen erlebt habe. Deswegen soll die Retrospektive mit meinen Klassikern speziell die ersten sieben Jahre in den Neunzigern beleuchten. Ja ja, das verflixte siebte Jahr ... (lacht) Im Booklet gibt's dann schöne Bilder von damals und solche Sachen, es ist einfach eine Hommage, ein Tribut an die Zeit, aber auch ein musikalischer Abschied.

LAUT: "Contact" klingt ja so elektroinfiziert wie keines deiner Alben zuvor. Mir persönlich gefällt es gerade wegen der minimalistischen Einflüsse so gut wie kein anderes. Bist du während der Arbeiten auf bestimmte Alben oder Remixe zuhause besonders abgefahren?

Nicht wirklich. "Contact" mag zwar vordergründig einen Retro-Touch haben, gerade durch "Dein Schweiss" oder Kraftwerk-Anleihen wegen Producer Anthony Rother, aber es war keine geplante Aktion. Andererseits, im Sommer 1999 in Ibiza gab es die ein oder anderen Erlebnisse, als wir mit Kumpels im Garten abhingen und uns Platten von Plaid und Two Lone Swordsmen reingepfiffen haben. Das sind meine Lieblingsprojekte auf Warp Records. Das war sicher eine Inspiration, als wir nach dem Urlaub ins Studio gingen, vor allem für den Track "Privado".

LAUT: Wie kommt eigentlich ein solch verzwirbeltes Stück wie "Ein Waggon Voller Geschichten" zustande? Weißt du schon vorher, wie etwas zu klingen hat oder sind das vorwiegend Studiospielereien?

Ich arbeite immer sehr spontan. Beim "Waggon" hatten wir ein Elektrodrumming, danach kam die Bassline zustande und dann haben wir so herum editiert und programmiert. Irgendwann kam mir dann der Slogan "Ein Waggon Voller Geschichten, auf den Schienen ins All", und ich sagte "komm, gib mal das Mikro her" und fing an zu labern: "get your ticket ..." usw. (überlegt)

Ja, weißt du, da schwingt dann schon ein bisschen sowas wie Magic mit im Raum, das kann man nicht in Worte packen. Das sind solche Schwingungen und wenn die da sind, dann läuft's einfach.

LAUT: Hört Sven Väth privat auch Gitarrenmusik?

Eigentlich bewege ich mich schon eher im elektronischen Bereich, wobei ich die Red Hot Chili Peppers schon seit Jahren gut finde, muss ich sagen. Früher war es mal so, dass ich mit dem konkreten Vorsatz, mir ein Gitarrenalbum zuzulegen, in Plattenläden gerannt bin. Ich habe mir damals auch Nirvana gekauft, aber heute ist das nicht mehr so.

LAUT: Bleibt bei 24 Stunden Musik und Vielfliegerei noch Zeit für Hobbys übrig?

Ich mache doch mein Hobby ... (lacht) Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht. Nein, also ich reise gerne, das bringt der Beruf ja auch mit sich. Schwimmen und Joggen ist wichtig und ab und zu segle ich.

LAUT: Thema Drogen: Glaubst du dass deine früheren Erfahrungen notwendig waren, um dort zu sein, wo du heute als Künstler stehst?

Ähh, ich sag' mal, ich möchte nichts von dem missen, was ich gemacht habe und ich bereue niemals die Vergangenheit, wie ich sie gelebt habe. Anscheinend sollte das alles so sein. Heute bin ich froh, dass Drogen nie einen solch wichtigen Stellenwert in meinem Leben eingenommen haben, dass ich keinen Ausweg mehr gefunden hätte. Denn sonst wäre ich heute nicht da, wo ich bin. Teilweise finde ich es auch erschreckend wenn ich sehe, mit welcher Normalität heute über Drogen gesprochen oder gar konsumiert wird. Andererseits muss das wohl so sein, denn wichtig ist natürlich, dass die Aufklärung, besonders an den Schulen, gefördert wird.

LAUT: Du sprachst vorhin von deinem neuen Produzenten Rother, war die Abkehr von Ralf Hildenbeutel als Freund und Langzeit-Producer eine Entscheidung aus Innovationsgründen?

Mit Ralf habe ich schon so viele Alben produziert, dass ich dachte, es sei an der Zeit, eine neue Richtung einzuschlagen. Zumal Ralf auch den Lifestyle nicht mehr so gelebt hat, wie wir das früher gemeinsam gemacht haben, das ganze Clubding zum Beispiel oder auch seine Abkehr von Earth Nation. Wir merkten einfach, dass wir beide in verschiedene Richtungen drängten. Es war eben einfach genug nach so langer, aber auch erfolgreicher Zeit.

LAUT: Kein böses Blut?

Nein, nein, überhaupt nicht.

LAUT: Noch einmal zur Elektro-Legendenverehrung: die Chemical Brothers rühmen New Order, Miss Kittin und Terranova integrieren "Blue Monday" und "You Spin Me Round (Like A Record)" in ihre Sets ... Kannst du dieses Retro-Ding nachvollziehen und teilst du auch noch diese Liebe zu alten Klassikern?

Ja, ... (zögert) ich hatte natürlich auch meine New Wave-Zeit, in der ich auf solche Sachen abgefahren bin, aber eigentlich bin ich in diesem Fall nicht so der Nostalgiker. Ich schaue lieber nach vorne, bin neugierig und forsche nach neuen Sachen. Klar, man kann sich auch von alten Sachen inspirieren lassen, da gab’s ja wirklich tolles Zeug. Aber ich bin jetzt nicht so der Retro-Typ wie vielleicht Hell mit seinem Gigolo-Sound, was zwar auch gut ist, aber nicht wirklich mein Style.

LAUT: Von Kraftwerk erscheint dieser Tage bereits eine zweite 12" mit "Expo 2000"-Remixe von u.a. Orbital. Hättest du dich geehrt gefühlt, wenn du gefragt worden wärest, einen Remix anzufertigen?

Nicht wirklich, denn der Track hat mir nicht gefallen. Ich war, oder sagen wir besser, ich bin Kraftwerk-Fan, werde es auch immer bleiben, aber die neuen Sachen berühren mich nicht.

LAUT: Gibt es dann noch einen Kindheitstraum, irgend ein Angebot, dass dich heute noch vom Hocker reißen würde?

Ach, da gibt's schon noch einiges, was ich gerne machen würde und wo es sich lohnen würde, dafür noch Zeit zu investieren. Da gibt es zum Beispiel dieses spanische Aktionstheater "La Fura Dels Baus", mit denen würde ich gerne einmal an einem Theaterstück schreiben. Dann könnte ich mir vorstellen, eine Dokumentationsserie über Schamanentum in Südamerika zu drehen, um die lange Tradition der Trommel zu beleuchten. Von da könnte man dann den Bogen zu der heutigen Massenhysterie bezüglich Beats und Techno spannen. Die Rhythmen unserer Club Culture, auf die wir tanzen, gibt es ja schon seit Tausenden von Jahren.

Naja, du merkst schon, da gibt es noch genug Dinge, auf die ich Lust habe. Ich war früher auch lange ein großer Fan von Brian Eno, denn der hat einfach immer abgefahrene Sachen gemacht. Eno hat mich damals auch inspiriert, in die Ambient-Richtung zu gehen.

LAUT: Vertrittst du den Grundsatz "Einmal DJ, immer DJ" oder machen sich, getragen von deinem Retrospektive-Album, schon langsam Gedanken an den Ruhestand bei dir breit?

Oh, noch nicht (lacht). Ich hoffe, ich werde noch einige Jahre weitermachen können.

LAUT: Techno soll also nicht ins Museum?

Um Himmels willen, nein, ganz im Gegenteil (lacht).

Das Interview führte Michael Schuh.

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