laut.de-Kritik

Eine Neuauslegung alter Symbole ohne ein Abklatsch zu sein.

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Wer die Entwicklung des Grime-Stars nicht unbedingt verfolgt hat und Stormzy mit dem klassischen, düsteren Explosions-Sound verbindet, wird wahrscheinlich überrascht sein. Denn "Gang Signs & Prayer" ist voller R'n'B-Momente, eine im Grundton eher ruhige Platte mit ein paar scheppernden Momenten. Mit seinem Debüt führt Stormzy den Versuch fort die festen, düsteren Grime-Strukturen aufzubrechen und weichere R'n'B-Sounds in das Klangfeld zu mischen. Denn eigentlich hat er schon auf der EP "Dreamers Disease" mit der Entwicklung dieses eigenen Sounds begonnen. Das Ergebnis kann schon fast als Meisterwerk betitelt werden.

Natürlich ist der Einstieg trotzdem düster, wenn der Regen prasselt und der Brite auf einem drückenden Bass erstmal gerade rückt, warum das Album so lange auf sich hat warten lassen: "Du hast mit deiner Freundin gestritten, während ich gegen meine Depression gekämpft habe". Mit "Cold" macht Stormzy klar, warum er als neuer Grime-König gehandelt wird: auf zweieinhalb Minuten spittet er lässig über das drückende Soundfeuer. Auch "Bad Boys" greift den düsteren, drückenden Bass auf und ehrt mit Chor-Hintergrund und Glocken den Klang des Friedhofs, hält aber eine unerwartet melodische Hook bereit.

Der Herr weiß zweifellos, dass die Leute den harten Grime von ihm erwarten. Er erfüllt diese Erwartungen mit Hingabe und zelebriert das Genre mit "Big For Your Boots" oder dem Überhit "Shut Up". Doch genauso gern bricht er auch mit den Erwartungen und verleiht "Gang Signs & Prayer" leise und gefühlvolle Momente. Die beiden "Blinded By Your Grace"-Teile beispielsweise, die sich als Gospel entpuppen und eine emotionale Tiefe entwickeln, wie es meist nur mit religiösen Texten möglich ist. Oder "100 Bags", das seiner Momma gewidmet ist. Der Song beginnt mit einer Sprachaufnahme seiner ihn segnenden Mutter und ergießt sich in einer feinfühligen Hommage an die Frau, die ihn auf die Welt brachte: "Hab viel Mist gebaut und ich bin nicht zu stolz drauf, dass du auf der Straße gelebt hast, dass dein Sohn angestochen wurde / Ich hatte dich auf der Wache, dein Sohn wurde erwischt / Hartes Glück, nur Mütter, keine Väter" rappt er feinfühlig ohne dabei kitschig zu wirken.

Die R'n'B-Momente auf "Gang Signs And Prayer" stehen Stormzy unglaublich gut. Vergesst Nelly und Kelly Rowland, hier kommen Stormzy und Kehlani. "Cigarettes & Cush" ist eine Schnips-Piano-Ballade ersten Grades, ist dabei so jedoch so sympathisch und ehrlich, dass man gar nicht anders kann, als es zu fühlen. Kehlanis Honigstimme passt perfekt zu Stormzys harten Tönen und übersetzt die Kitsch-Ballade mit Autotune und Bong ins hier und jetzt. Das idyllische "21 Gun Salute" zusammen mit Wretch 32 kommt mit seinen Keyboard-Klängen direkt aus dem Gotteshaus und macht noch jeden Hater zum Jünger.

Genau jetzt muss dringend auch ein Wort über das Artwork von "Gang Signs & Prayer" verloren werden. Das komplett in schwarz gehaltene Cover ziert eine Neu-Interpretation vom letzten Abendmahl, mit Stormzy in Jesusposition und rauchenden, Sturmmasken tragenden Jüngern. Das Bild beschreibt den Sound des Briten perfekt: Eine Neuauslegung alter Symbole, ohne dabei kitschig oder als Abklatsch zu wirken.

Nach diesem Debütalbum kann Stormzy zurecht von sich behaupten, der neue König des Grime zu sein. Crazy Titch, der auf einem zweieinhalbminütigen Interlude zu Wort kommt, fasst es passend zusammen: "Ihr könnt diesen Jungen hassen so viel ihr wollt, aber ihr könnt ihm nicht absprechen, dass er das hier von einem zweitklassigen Genre zu einem erstklassigen Genre aufwertet". War Stormzy schon vor "Gang Signs & Prayer" für viele das Aushängeschild des gesamten Genres, sorgt er jetzt dafür, dass Grime auch im Mainstream salonfähig wird.

Trackliste

  1. 1. First Things First
  2. 2. Cold
  3. 3. Bad Boys
  4. 4. Blinded By Your Grace, Pt. 1
  5. 5. Big For Your Boots
  6. 6. Velvet / Jenny Francis - Interlude
  7. 7. Mr Skeng
  8. 8. Cigarettes & Cush
  9. 9. 21 Gun Salute
  10. 10. Blinded By Your Grace, Pt. 2
  11. 11. Return Of The Rucksack
  12. 12. 100 Bags
  13. 13. Don't Cry For Me
  14. 14. Crazy Titch - Interlude
  15. 15. Shut Up
  16. 16. Lay Me Bare

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