laut.de-Kritik

Von Liebe, Ecstasy und goldenen Seidenhosen.

Review von

Genau so haben wir uns das vorgestellt: "Er fiel mir auf, weil er eine goldene Seidenhose anhatte", verrät Dave Ball im Booklet nach 30 Jahren endlich den wahren Grund für das Zusammentreffen des schüchternen Keyboarders mit Textil-Flamingo und Vokalakrobat Marc Almond.

Die beiden Engländer studierten Ende der 70er in Leeds: tagsüber Kunst, nachts die Clubs. Aus Balls Vorliebe für Northern Soul und Almonds ungezügelter Dance-Affinität purzelten 1981 die ersten Songs in Form des Debütalbums "Non-Stop Erotic Cabaret" aufs Volk.

Der unerwartete Erfolg der Gloria Jones- Coverversion "Tainted Love" drängte das restliche Material des Albums schon damals in den Schatten - zu Unrecht.

Obschon Almonds hyperemotionaler, überzogener Vortrag schon auf dem Welthit aufzeigte, dass Soft Cell entgegen vieler ihrer roboterhaften Mitstreiter nichts gegen eine große Portion Menschlichkeit im Soundbild einzuwenden hatten.

Als glühender Anhänger des Kabaretts war es für den Sänger zudem eine Selbstverständlichkeit, seinen theatralischen Impulsen nachzugeben und Übertreibungen sowohl in textlicher als auch darstellerischer Hinsicht hemmungslos auszuleben. So viel Mut zum Kitsch hatten selbst zur damaligen Zeit nur wenige.

"Das Album sollte eine Sound-Peepshow werden, ein Blick in eine schlüpfrige Welt, ein Soundtrack für einen Stripteaseladen", fasste Almond das Debüt 1999 zusammen. Den Titel von einer Neonwerbung geklaut, erzählten Soft Cell auf den zehn Songs des Originalalbums von Träumen und der Sehnsucht nach Glamour im tristen Grau der schmutzigen englischen Realität.

"I think it's time to cook a meal / to fill the emptiness I feel", singt Almond in "Bedsitter", das als Blaupause seines damaligen Lebens in einem Ein-Zimmer-Appartment im Leedser Rotlichtbezirk zu verstehen ist. "Dancing, laughing, living, loving" - der New Romantics-Stammclub des Duos, das Warehouse, diente dem Duo als Flucht aus der "Frustration" des Alltags.

"I do the garden / I watch girls / I am so ordinary (...) I wish I could experiment with cocaine, LSD / and set a bad bad example" - Der Album-Opener spiegelte die Abenteuerlust wider, mit der zahlreiche Bands der angloeuropäischen Synthiepop-Bewegung in Wort und Ton die 80er Jahre begrüßten.

Im Falle von Soft Cell war da unübersehbar noch der Faktor Sex. Angefangen beim provokanten Albumtitel bis zum homoerotischen Cover, auf dem sich Marc Almond wohl kaum den Guardian unter die Lederjacke schiebt. Er sah auch keine Notwendigkeit darin, der Presse seine Sadomaso-Vorlieben vorzuenthalten.

Nicht zu vergessen die Musik: Das frivole "Seedy Films" etwa, in New York am Times Square aufgenommen oder das heimliche Highlight "Sex Dwarf", zu dem gar ein Pornoclip gedreht wurde, den man an die Boulevardpresse lancierte. Mit dem Ergebnis, dass Soft Cells Label Some Bizzare Besuch von uniformierten Abgesandten empfangen durfte.

Dass dem Debütalbum noch das 1982 veröffentlichte Remixalbum sowie einzelne Maxis und Singles beiliegen, macht die Deluxe Edition zum absolut lohnenswerten Sammlerstück. "Non Stop Ecstatic Dancing" stellte ein damals revolutionäres Experiment dar, das zeitgleich auch in Sheffield (Human League, "Love And Dancing") getestet wurde: Ein Album voller Remixes.

Schon während der Arbeiten am Debütalbum in New York begeisterten sich Almond und Ball für den neuen Discosound in den Tanztempeln Danceteria und Paradise Garage. Dass dort nicht nur Wodka-O getrunken wurde, dürfte kein Geheimnis sein. Laut Marc Almond ist der Upbeat-Remix von "Memorabilia" der erste Ecstasy-Dancetrack. Auch diese Entdeckung wollte der Sänger sogleich mit allen teilen: "Just look at me / and you will see / why they call me Cindy Ecstasy".

In jenen erweiterten Bewusstseinszuständen gedieh auch der geniale Einfall, "Tainted Love" mit dem Supremes-Hit "Where Did Our Love Go" zu vermählen, bis heute eine der meistgespielten Maxiversionen und auf der zweiten CD enthalten. Auch dabei sind das damals nur als Single veröffentlichte Highlight "Torch", die noch hymnischere 12" von "Say Hello, Wave Goodbye" und natürlich "What?", das wohl unerträglichste Stück der gesamten Soft Cell-Historie.

Dave Ball sieht es im Booklet ganz ähnlich: "Keine Ahnung, warum wir damals nach den ganzen Scherereien mit "Tainted Love" noch mal eine Northern Soul-Nummer coverten. Ich vermute mal, diese Entscheidung basierte auf Drogen." Ein schönes Schlusswort.

Trackliste

  1. 1. Frustration
  2. 2. Tainted Love
  3. 3. Seedy Films
  4. 4. Youth
  5. 5. Sex Dwarf
  6. 6. Entertain Me
  7. 7. Chips On My Shoulder
  8. 8. Bedsitter
  9. 9. Secret Life
  10. 10. Say Hello, Wave Goodbye
  11. 11. Memorabilia
  12. 12. Where Did Our Love Go?
  13. 13. What?
  14. 14. A Man Could Get Lost
  15. 15. Chips On My Shoulder
  16. 16. Sex Dwarf
  17. 17. Torch
  18. 18. A Man Could Get Lost
  1. 1. Memorabilia (Extended)
  2. 2. Tainted Love/Where Did Our Love Go? (12" Mix)
  3. 3. Bedsitter (Extended)
  4. 4. Say Hello, Wave Goodbye (Extended)
  5. 5. Torch (Extended)
  6. 6. What? (Extended)
  7. 7. Persuasion
  8. 8. Facility Girls
  9. 9. Fun City
  10. 10. Insecure Me (Extended)
  11. 11. So

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