21. Januar 2016

"Es war großartig bei X-Faktor"

Interview geführt von

Berlin im Januar 2016: Es ist kalt und windig. Am Gendarmenmarkt laufen dick eingemummelte Menschen von A nach B. An den Dächern der imposanten Gebäude im Herzen der Hauptstadt hängen meterlange Eiszapfen.

Zwei Menschen, die im mollig warmen Konferenzraum des Arcotels gut gelaunt ihren ersten Kaffee des Tages zu sich nehmen, ist der triste Ausblick auf verschneite Geschäftsstraßen schnuppe. Sie sind heiß wie Frittenfett. Ihre Namen: Skin und Ace; Aushängeschilder einer Band, die Mitte der Neunziger jeder Alternativ-Rock-Fan auf dem Schirm hatte. Die Band heißt Skunk Anansie.

Nach der Gründung im Jahr 1994 verzückten Skunk Anansie die Rockwelt ein halbes Jahrzehnt lang mit jeder Menge Hits. Dann war die Luft raus. Es folgte eine knapp achtjährige Schaffenspause. Im Jahr 2009 dann das Comeback. Zwei Alben später sieht sich die Band mit vielen Fans und Kritikern konfrontiert, die unzufrieden sind, die alten Songs den neuen vorziehen und eine musikalische Rückbesinnung "einfordern". Doch Skunk Anansie machen was sie wollen.

Sie experimentieren mit Sounds, blicken über den eigenen Tellerrand und gehen neue Wege. Auch ihr neues Album "Anarchytecture" wird eingefleischten Fans der Anfangstage kein Lächeln ins Gesicht zaubern. Hits wie "Weak", "Selling Jesus" oder "Charlie Big Potato" sucht man auch auf "Anarchytecture" vergebens. Stattdessen überrascht die Band anno 2016 mit elektronischen Elementen und düsteren Atmosphären.

Trotz zum Teil böser Kritiken freut sich die Band augenscheinlich auf die Konfrontation mit der Presse und ihren Fans. Skin und Ace empfangen uns in Berlin mit strahlenden Augen und hochgezogenen Mundwinkeln.

Ihr kommt gerade aus Italien von einer Promo- und Autogramm-Session. Wie lief's?

Skin: Großartig!

Ace: Wir waren selbst ein wenig überrascht. Es herrschte ein immenser Andrang. Da waren plötzlich hunderte Fans, die völlig ausgerastet sind.

Euer neues Album? Skins Jurorentätigkeit beim italienischen X Factor-Ableger? Was war der Grund für den Ansturm? Was glaubt ihr?

Skin: Da saßen einfach Ace und Skin von Skunk Anansie und gaben Autogramme. Punkt. Ich meine, wir sind ja nicht irgendeine kleine Garagen-Band.

Ace: Die eine oder andere Anwesende hatte aber schon dieses X-Factor-Glänzen in den Augen (lacht).

Skin, wie kamst du eigentlich auf die Idee, bei einer Casting-Show mitzumachen?

Skin: Das sollte man alles nicht so überbewerten. Ich verstehe ehrlich gesagt die Leute nicht, die beim Begriff Casting-Show immer gleich sofort an die Decke gehen. Sicher, es gibt bestimmt Formate, die Schrott sind. Aber es gibt auch solche, die sich um die jungen Künstler kümmern und versuchen, das Beste aus ihnen herauszuholen. Die Jury spielt dabei natürlich auch eine wichtige Rolle. Und was soll ich sagen: Wir hatten's einfach drauf (lacht).

Wer saß neben dir noch alles in der Jury?

Skin: Ausschließlich Top-Leute, jeder einzelne ein echter Künstler. Mika war dabei. Dann hatten wir mit Fedez noch einen Rapper mit an Bord. Und natürlich den italienischen Frank Zappa, Elio. Wahnsinnstyp! Die eigentlichen Stars waren aber natürlich die Kandidaten. Da war beispielsweise ein Mädchen, das vorher noch nie irgendwo im Rampenlicht stand. Und plötzlich stand sie im Studio und haute uns mit ihrer Stimme allesamt von den Stühlen. Das war großartig. Es war für mich auf jeden Fall eine unglaubliche Erfahrung.

"Klingt das arrogant?"

Hatten irgendwelche Erlebnisse oder Erfahrungen während deiner X Factor-Zeit Einfluss auf die Arbeiten an eurem neuen Album "Anarchytecture"?

Skin: Nein. Das waren zwei völlig verschiedene Baustellen. Ein Skunk Anansie-Album funktioniert nur im engsten Kreis. Da sind die Band und eine Handvoll vertraute Personen um uns herum. Mehr lassen wir nicht zu. Wir machen das jetzt schon seit über zwanzig Jahren. Ich meine, auch wenn wir zwischendurch mal ein knappes Jahrzehnt hatten, in dem wir nichts aufgenommen haben. Wir standen aber trotzdem in Kontakt. Die familiäre Basis war stets präsent. Und nach so langer Zeit weiß man einfach, was für die Band am besten ist. Da brauchen wir kein Input von draußen.

Ein neuer enger Vertrauter hört auf den Namen Tom Dalgety. Der gute Mann hat bereits Royal Blood und Band Of Skulls produziert, und soll euch - so kam mir zumindest zu Ohren - ganz schön Beine gemacht haben. Was war da los?

Ace: Ja, Tom war ein Glücksfall. Wir hatten nur drei Wochen Studiozeit und schoben ein bisschen Panik. Tom hatte aber klare Vorstellungen, war sehr direkt und hat aus jedem von uns das Maximum rausgeholt.

Wie fühlt ihr euch mit dem Ergebnis?

Ace: Großartig. Ich weiß, das sagt jede Band, die ein neues Album am Start hat. Aber es fühlt sich wirklich toll an. Ich denke, dass wir es geschafft haben, uns musikalisch genauso zu präsentieren, wie wir uns momentan fühlen. Wir sind aufgeregt, angespannt und offen für Neues. Ich finde, so klingt das Album auch.

Mir gefällt's auch. Ich glaube aber, dass viele Fans eurer Anfangstage wieder auf die Barrikaden gehen werden. Nervt es euch eigentlich, dass ihr seit eurem Comeback von eben solchen Leuten nur noch auf die Mütze bekommt?

Skin: Nein. Die Kritik interessiert mich nicht. Weißt du, ich mag unsere ersten Alben. Aber wir haben damals keinen Vertrag unterschrieben, der besagt, dass wir uns nicht weiterentwickeln dürfen. Manche Leute glauben das aber. Das ist mir aber zu engstirnig. Als Künstlerin muss ich mich ausprobieren. Das ist nun mal so. Wir haben nie Musik gemacht, um anderen zu gefallen. Wir haben immer nur die Musik gemacht, die uns gefällt.

Klingt das arrogant? Mag sein. Letztlich kann man sich aber nur mit dieser Einstellung abends vor den Spiegel stellen und sich dabei in die Augen gucken und sagen: Das bin ich. Das sind wir. So klingen wir. Wenn es euch gefällt, dann lasst uns gemeinsam feiern. Wenn nicht? Auch gut. Aber wir werden uns für niemanden verbiegen. Wir werden kein zweites, drittes oder viertes "Paranoid And Sunburnt" aufnehmen, nur weil wir mit diesem Album die meisten Leute erreicht haben. Scheiß drauf! So sind wir nicht. Wir wollen den Menschen eine Band präsentieren, die echt ist, die sich entwickelt und nur das macht, wozu sie Lust hat. Wir sind keine Marionetten. Waren wir noch nie.

"In dieser Band steckt unheimlich viel Liebe und Respekt"

Nostalgie ist also nicht so euer Ding?

Ace: Das kommt ganz darauf an. Ich hör mir gerne alte Sachen an. Ich steh auf Led Zeppelin, David Bowie und den alten Madonna-Kram. Ich kann mich nur nicht damit anfreunden, wenn aus Nostalgie eine unüberwindbare Hürde wird. Wenn es nur noch darum geht, einen einzigen Moment auf ewig in die Länge zu ziehen, bin ich raus.

Skin: Mir geht es genauso. Ich kann Bands nicht verstehen, die sagen, dass sie sich mit ihrem neuen Album wieder mit ihrer Vergangenheit versöhnen wollen. Ich meine, was soll das? Sollen sie doch zugeben, dass es ihnen nur um die Kohle geht. Das wäre wenigstens ehrlich. Uns ging es nie um Kohle. Ich weiß, das lässt sich leicht sagen, wenn man schon ein paar Platten verkauft hat (lacht). Aber es ist wirklich so. Ich meine, hör dir doch einfach mal unsere letzten Alben an. Da wirst du nur wenig finden, das in Richtung Radio oder Charts schielt.

"Anarchytecture" hat auch nicht allzu viele Single-Optionen zu bieten. Vor allem klingt es bisweilen ungewohnt düster.

Ace: Nun, "Wonderlustre" war ein Album, bei dem es darum ging, der Welt zu zeigen, dass Skunk Ananasie wieder am Start sind. Es ging um uns als Band, wie wir wieder zusammengefunden haben. "Black Traffic" war ein reines Tour-Album. Wir waren wieder viel unterwegs, haben kein Festival ausgelassen und definierten uns praktisch ausschließlich live. All diese Erfahrungen und Emotionen haben wir ins Album gesteckt. Diesmal wollten wir etwas Neues wagen, uns mehr auf die Gegenwart beziehen und all das mit einbinden, was uns auch außerhalb der Band beschäftigt. Und ich glaube, es ist kein Geheimnis, dass es überall auf der Welt gerade ziemlich turbulent zugeht.

Skin: In meinen Ohren klingt es nicht ganz so düster. Sicher, gerade inhaltlich wird schon viel ans Tageslicht befördert, das dem einen oder anderen sicherlich unter die Haut gehen wird. Aber musikalisch überwiegt das Positive. Vor allem die einzelnen elektronischen Parts und die Grooves hellen das Gesamtbild, meiner Meinung nach, hörbar auf.

Es ist definitiv euer bis dato groovigstes Album.

Skin: Oh ja, das ist es. Es schaukelt hin und her und lässt dir keine Ruhe (lacht).

"Anarchytecture" ist jetzt das dritte Album seit eurem Comeback im Jahr 2009. Vor eurer "Auflösung" im Jahr 2001 hattet ihr ebenfalls drei Alben auf der Habenseite. Was unterscheidet die Band von 2001 von der im Hier und Jetzt.

Ace: Reife! (lacht)

Skin: Definitiv! (lacht)

Ace: Im Ernst: Wir haben uns einfach in allen Bereichen entwickelt. Wir sind älter geworden und sehen die Dinge heute etwas gelassener.

Skin: Wir sind damals auch nicht im Streit auseinander gegangen. Natürlich gab es auch Reibereien. Aber in erster Linie waren es künstlerische Beweggründe. Und wir haben uns auch nie aus den Augen verloren. Wir hatten ständig Kontakt. Ich denke, dass wir auch deswegen heute noch am Start sind. Wir sind wie eine Familie. In dieser Band steckt unheimlich viel Liebe und Respekt. Das ist der Schlüssel. Vielleicht werden wir irgendwann eine erneute Auszeit nehmen. Vielleicht ziehen wir das Ding jetzt aber auch bis zum Ende durch. Der Punkt ist einfach: Wir sind seit über zwanzig Jahren miteinander verbunden. Wir sind eine Einheit und uns bewusst darüber, was wir alles schon erreicht haben. Und dieses Bewusstsein macht uns stark und unterscheidet uns von Bands, die noch am Anfang stehen und noch nicht genau wissen, wohin die Reise gehen wird. Wir wissen, wo wir stehen. Und wir wissen auch, wohin wir noch wollen.

Und wohin?

Skin: (Lacht) Auf jeden Fall nicht mehr zurück.

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