laut.de-Kritik

Die Belgierin jongliert mit Hip Hop, Pop, Soul und Reggae.

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Und wieder stellt sich die Frage: Wie rückständig ist Pop-Deutschland eigentlich? Ein Land, in dem Dieter Bohlen bestimmen darf, was gute Musik ist, in dem seine Schergen regelmäßig die Charts entern und in dem Dudelbarden wie Tim Bendzko als erfrischender Gegenentwurf dessen gelten. Ein Hoch auf die weltweite Vernetzung, sonst bliebe in der Tat nichts anderes als der neidische Blick auf die Nachbarn.

In Frankreich und Belgien nähert sich der Hype um Selah Sue bereits dem Ende, bevor hierzulande überhaupt die Chance dazu besteht. Dort nämlich steht das Debüt der 22-Jährigen seit einigen Monaten in den Regalen. Und verkauft sich verdientermaßen wie geschnitten Brot. Deutsche Interessenten – zumindest die, die physische Tonträger bevorzugen – mussten sich bislang mit YouTube-Clips und Arte-Beiträgen begnügen.

Darin beweist die Belgierin, dass eine Gitarre und eine dazu passende Stimme tatsächlich ausreichen, um eine gute Show abzuliefern. Auf Albumlänge wird das schon schwieriger. Um Langatmigkeit zu vermeiden, bat Selah Sue einige erfahrene Produzenten ins Studio: Meshell Ndegeocello, Farhot, der schon Nneka zur Karriere verhalf, und Patrice.

Das Quartett sorgt für einen kurzweiligen Mix aus Soul, Pop und Reggae, dessen Highlights gleich zu Beginn stehen. "This World" fesselt mit ungeheuerlichem Groove, "Peace Of Mind" ist eine lohnenswerte Mischung aus Hip Hop, Ragga und Soul, die Assoziationen mit Stephanie McKay weckt. "Raggamuffin", die Singe mit der sich Selah Sue in ihrem Heimatland ins Rampenlicht spielte, verbindet getrieben von einer Akustikgitarre Soul mit Reggae.

Die Routine, mit der die 22-jährige Selah Sue mit den unterschiedlichen Genres jongliert, ist bemerkenswert, wenngleich die Themen nicht Jedermanns Sache sein dürften. Viele der Titel haben bereits mehrere Jahre auf dem Buckel, sind geprägt von pubertären Problemen wie Selbstzweifel und -hass, Unsicherheit und Einsamkeit. Die Identifikation mit derlei Texten dürfte zumindest den älteren Hörern schwer fallen.

Die Art und Weise des Vortrags tröstet darüber jedoch hinweg – sofern man mit der etwas schrägen englischen Aussprache der Belgierin zurechtkommt. Im Gegensatz zur frühen Lena wirkt diese wenigstens nicht aufgesetzt und abgeguckt. Das dachte sich wohl auch Cee-Lo Green, der sein Gastspiel "Please" bereits auf seinem The Lady Killer veröffentlichte. Das barocke Funkduett ist auch einige Monate später noch ein Hinhörer.

Ironischerweise fällt ausgerechnet die Komposition ab, die Selah Sue unter anderem zum Supporting Act von Prince gemacht hat. "Summertime" ist ein ruhiges, zurückhaltendes Stück, in dem nur sparsame Streicher und Drums sowie eine Basslinie Selah Sues Gitarre und Stimme begleiten. Und das leider gar keine Atmosphäre schafft. Solche Arrangements funktionieren live deutlich besser.

Abseits der Bühne erlebt Selah Sue ihre Sternstunden, wenn ihre tiefe, markante Stimme ein ordentlich groovendes, gut produziertes Soundgerüst übertönt – wie in weiten Strecken des Albums zu hören. Die Zusammenarbeit vor allem mit Farhot und Patrice, die für die meisten Stücke der Platte verantwortlich zeichnen, war die richtige Entscheidung. Ob dies reicht, um Deutschlands poppigen Einheitsbrei etwas farbenfroher zu machen, bleibt abzuwarten.

Trackliste

  1. 1. This World
  2. 2. Peace Of Mind
  3. 3. Raggamuffin
  4. 4. Crazy Vibes
  5. 5. Black Part Love
  6. 6. Mommy
  7. 7. Explanations
  8. 8. Please ft. Cee-Lo Green
  9. 9. Summertime
  10. 10. Crazy Sufferin Style
  11. 11. Fyah Fyah
  12. 12. Just Because I Do

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10 Kommentare

  • Vor 12 Jahren

    Ich hätt nicht mit ner Review gerechnet, da ichs schon seit Monaten hab. Allerdings dachte ich es wär schon offiziell in Deutschland erhältlich, denn ich hab es online bestellt. Naja egal mir gefällts sehr gut.

  • Vor 12 Jahren

    Beim hören setzte bei mir der "Ellie-Goulding-Effekt" ein: sehr prägnante Stimme, die sich allerdings nicht penetrant in den Gehörgang schmeichelt. Da bleibt immer etwas woran man sich reiben kann! Aber generell sind Singer/Songwriter leider nicht ganz mein "Cup of Tea". Es sei denn, die Remixer nehmen sich der Songs an...und mit der passenden Percussion kann das hier eine sehr, sehr spannende Sache werden: Selah Sue liefert einfach tolles Grundmaterial zum veredeln :)))

  • Vor 12 Jahren

    Meiner Meinung nach eine gelungene Scheibe. Obwohl ich zugeben muss, dass ich mir mehr Abwechslung/Kreativität bezüglich der Songstrukturen gewünscht hätte, lässt sich das Album gut durchhören und gefällt fast mit jedem Track. Besonders gern mag ich 'Peace Of Mind', ein doch eher ungewöhnlicher Song im Genre Reggae, wie ich finde - das lässt ihn positiv auffallen. Schön!