laut.de-Kritik

Scheiterhaufen, Schwert und Pipapo.

Review von

Schandmaul sind volljährig! 18 Jahre segelt die Kogge bereits und mausert sich mittlerweile zum echten Topseller und Big Player der nationalen Rockszene. Und auch die neue Scheibe "Leuchtfeuer" nistet wieder gemütlich zwischen echter Inspiration und überflüssigem Tüdelkram. Das Album ist keine Schande, schmiert dem Hörer gleichwohl längst nicht nur Honig ums Maul.

Leicht machen Schandmaul es einem auch nach fast zwei Jahrzehnten nicht. Zwei Lieder dieser Platte bringen diese Zerrissenheit auf den Punkt. Da wäre zum einen ihr bislang größter Showbiz-Coup: Die Kollabo mit der ehemaligen Miss-Nightwish Tarja Turunen. Gemeinsames Baby ist die Ballade "Zu Zweit Allein", bei der die Finnin erstmals deutschsprachig singt.

Leider ist das Stück eines der ödesten und blutärmsten Reißbrettnummern in Schandmauls Laufbahn. Die auch nach dem zehnten Hördurchgang nicht haftende Allerweltsmelodie ist kaum mehr als handwerklich sauberer Schwarzszeneschlager ohne jede Individualität. Ein Lied dessen vorgegaukelte Emotionalität höchstens als Romantik-Imitat durchgeht. Wenn so etwas das einzige bzw. beste Ergebnis der gemeinsamen Arbeit ist, degradiert sich die Idee "Schandmaul meets Frau Nachtwunsch" unnötig zum bloßen PR-Gag.

Demgegenüber findet man in der Tracklist von "Leuchtfeuer" auch ihren besten Song bislang. "Tjark Evers" ist ein Juwel, für das man Lindner und co stundenlang auf die Schulter klopfen möchte. Selbst der zynischste Schandmaul-Hater wird hier die Waffen strecken müssen und ein Tränchen verdrücken, nicht nur wegen des wundervollen Piano/Cello-Arrangements.

"Tjark Evers" starb am 23. Dezember 1866 im dichten Nebel über dem Wattenmeer zwischen Langeoog und Baltrum. Der Navigationsschüler wollte seine Familie zu Weihnachten besuchen. Beim Übersetzen entließ das Boot ihn versehentlich nicht am Inselufer. Es war eine Sandbank. Als die Flut stieg und Ewers des nahenden Todes gewiss wurde, schrieb er einen Abschiedsbrief und setzte diesen in einer Zigarrenkiste aus. Der Brief erreichte tatsächlich die Küste; Tjark nicht. "Ich bin Tjark Evers von Baltrum ... ich bin Tjark Evers von Baltrum ..."

Zwischen diesen beiden Polen tummeln sich ein Dutzend teils nette, teils überflüssige Songs. Der schnucklige "Sommernachtstraum" etwa landet als romantisches Instrumental zwischen Shakespeare und Irish Folk. "Freunde" ist das obligatorische Sauflied, bei dem man leider viele Humpen heben muss, bis man es auch nur entfernt interessant findet. Und der "Schachermüller-Hiasl" bietet gut gemachtes True Story-Telling mit Fallbeil und Kopf ab.

Mit "Orleans" wird es dann noch einmal so richtig anstrengend. Ein Lied über die heilige Johanna mit Scheiterhaufen, Schwert und Pipapo? Warum nicht? Hieran haben sich schon Genies wie Cohen versucht. Schandmaul jedoch überladen die Geschichte mit all zu vielen Worten, die einander kaum atmen lassen. Am Ende gleicht es eher einer Vorlesung als einem Rocksong. Schandmaul hierzu: "Wir haben den Anspruch, dass man diesen Text nehmen, sich vor die Klasse stellen und ein Referat darüber schreiben kann."

So bietet "Leuchtfeuer" einmal mehr das Besondere neben dem Stereotyp und das große Gefühl neben Profanitäten.

Trackliste

  1. 1. Orleans
  2. 2. Heute Bin Ich König
  3. 3. Jack O' Lantern
  4. 4. Leuchtfeuer
  5. 5. Schachermüller-Hiasl
  6. 6. An Deiner Seite
  7. 7. Freunde
  8. 8. Ich Werd' Alt
  9. 9. Loreley
  10. 10. Herr Der Wellen
  11. 11. Tjark Evers
  12. 12. Zu Zweit Allein [feat. Tarja Turunen]
  13. 13. Zeit

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1 Kommentar mit 2 Antworten

  • Vor 7 Jahren

    tjark evers brief im original wortlaut:

    "Liebe Eltern, Gebrüder und Schwestern, ich stehe hier auf einer Plat und muß ertrinken, ich bekomme euch nicht wieder zu sehen und ihr mich nicht. Gott erbarme sich über mich und tröste euch. Ich stecke dieses Buch in eine Sigarren Kiste. Gott gebe, daß Ihr die Zeilen von meiner Hand erhaltet. Ich grüße euch zum letzten Mal. Gott vergebe mir meine Sünden und nehme mich zu sich in sein Himmelreich. Amen.

    An Schiffer H. E. Evers Baltrum

    T U H Evers

    Ich bin T. Evers von Baltrum."

    • Vor 7 Jahren

      Höchstens 2/5 für Fans der artiger Mucke. Becks Bier her, Becks Bier her oder ich fall um....hier wohl passend gegröhlt.

      "Zwischen diesen beiden Polen tummeln sich ein Dutzend teils nette, teils überflüssige Songs."

      Und das heute heute einfach zu wenig um was zu reißen. Ich hab mir wirklich die Mühe gemacht und hab versucht das Album nochmal zu hören nach dem ersten Durchgang, weil ich mir auch die deutsche Sprache mehr wünsche in der Rock- /Popmusik. Bis auf "Tjark Evers", blieb alles beim durch zappen, das ist eine unterirdische Halbwertzeit für deutsch sprachige Songs, die einem ja gerade emotional so zugänglich sein sollten. Aber danke für das posten des Briefes. Nur sind solche Alben leider der Sargnagel, den die deutsche Sprache nicht brauchen kann gerade.

      Gruß Speedi

    • Vor 7 Jahren

      "Nur sind solche Alben leider der Sargnagel, den die deutsche Sprache nicht brauchen kann gerade."

      Obacht, Glashaus!