17. Juli 2013

"Labelshit ist auch so'n Kack"

Interview geführt von

Knapp zwei Monate nach Erscheinen ihrer neuen Platte gaben Retrogott & Hulk Hodn ihr zweites, wiederum restlos ausverkauftes Releasekonzert im Kölner Gloria. Ein Huss & Hodn-Nerd und ein eher neutraler Betrachter trafen die frisch umbenannte Crew zum Interview.Wir trafen Master of Ceremony Kurt und sein Turntable-Rückhalt Patrick in der Domstadt zu einem angenehm spontanen Gespräch über "Fresh & Umbenannt", Chartplazierungen, Musik als lebenserfüllendes Element und zurückhaltende Promotion.

Nachdem jetzt hier und auf der Releaseshow in Berlin so viele Zuschauer am Start sind, stellt sich natürlich die Frage, ob nicht mal eine Tour ansteht.

Kurt: Nee wir machen das eher so, dass wir am Wochenende irgendwann auftreten. Eine kompakte Tour haben wir nicht geplant. Das Modell, am Wochenende mal auf Klassenfahrt zu gehen, ist irgendwie besser. (lacht)

Patrick: Wir haben ja auch ein Privatleben. Und die Konzerte da unterzubringen, macht das Touren immer sehr schwierig.

Die anstehenden Konzerte entsprechen also eher einer Tour in eurem Sinne.

K: Ja, aber 'ne Tour, das bedeutet für mich: Man setzt sich in einen Bus und fährt heute da hin, morgen da hin, übermorgen da hin. Und so machen wir es nicht.

Habt ihrs schon gemacht?

P: Wir haben schon mal so was gemacht zu "Der Stoff Aus Dem Die Regenschirme Sind". Das war auf jeden Fall cool. Es ist aber halt schwierig, dafür die Zeit zu finden, wenn du mit vielen Leuten unterwegs bist. Weil jeder sein Ding macht. Man geht einerseits arbeiten und hat andererseits ja auch Familie.

Der Autor unserer "Fresh & Umbenannt"-Review schickte mir vorher noch eine Frage. Er interessiert sich dafür, was ihr abseits eurer Mucke eigentlich so macht - falls ihr es sagen wollt.

P: Ähm, Dinge. Wir machen Dinge.

Okay.

P: Das reicht erst mal.

Das heißt, es gibt da Dinge abseits der Musik?

(Kurt nickt.)

P: Auf jeden Fall!

Habt ihr denn keine Ambitionen, die Musik als komplett lebenserfüllendes Element zu etablieren?

P: Ich bin der Meinung, dass man arg unter Druck steht, wenn man Musik als Grundstein für den Income macht. Also ich könnt' da keinen Sound machen. Wir machen es so, wie wir Bock drauf haben, und sind nicht abhängig davon. Ich hab' keinen Bock drauf, abhängig zu sein.

K: Ich seh' das so, dass Musik so oder so ein lebenserfüllendes Phänomen ist.

P: Ja.

K: Egal, ob man davon leben kann oder nicht. Ich lebe nicht von der Musik, ich lebe mit der Musik. Natürlich lebe ich auch von Musik, wenn ich damit Geld mache. Aber das ist ein Nebeneffekt. Ein angenehmer Nebeneffekt, aber nicht die Hauptsache, nicht die Motivation. Die sollte es, finde ich, auch nicht sein.

Ihr lebt ja einen Traum, dem wir alle nachjagen: Wenn die das so gut machen, und es kommen so viele Leute zu den Konzerten - ist es für die so einfach? Die machen ihre Gigs und ihre Musik, packen auf ein Album 25 Tracks ...

K: Ja, aber es kann ja auch jeden Tag vorbei sein. Damit rechnen wir eigentlich von Anfang an. Seit wir ein bisschen Aufmerksamkeit haben, rechnen wir beide damit, dass es jeden Tag wieder so sein kann, dass keiner kommt und alle drauf scheißen. Aber das ist auch okay. Wir sind dann nicht enttäuscht.

P: Dann macht man ja immer noch sein Hobby.

K: Genau.

Da fällt mir eine Frage ein, die ich eigentlich zu Beginn stellen wollte. Die euch sicherlich nicht zum ersten Mal gestellt wird, die aber die Leser interessiert. Warum habt ihr euch umbenannt - wo ihr euch als Huss & Hodn doch einen so krassen Namen gemacht habt?

K: Das ist, glaube ich, ein bisschen meine Schuld. Weil ich einfach meinen MC-Namen gewechselt habe - zu Retrogott.

P: Aber es geht ja auch so.

Und wenn ich ehrlich bin, wusste man ja schon eine ganze Weile, was es mit dem Retrogott auf sich hat. Wenn man die Lieder gehört hat.

K: Aber das haben manche bis heute nicht verstanden. (lacht) Und fragen: Wer macht eigentlich was, und wer ist wer?

Hey, aber ich hab' dankbar aufgenommen, dass das auf der Platte steht. Zum Beispiel ist mir dadurch aufgefallen, dass die Beats der dritten Vinylseite komplett ...

P: Komplett von ihm sind.

Genau.

K: Wir haben ja schon bei der "Jetzt Schämst Du Dich" drangeschrieben, wer welchen Track gemacht hat.

Auf der LP, aber nicht auf der CD.

K: Doch, auch auf der CD, mein ich. Oder?

P: Ja, ich mein schon.

K: Oder stands nur auf der Vinyl? Ach, ich weiß nicht. Jedenfalls fand ich das halt irgendwie cool. Man könnte natürlich auch sagen: Scheiß drauf, es ist unser Produkt. Aber irgendwie find ichs auch gar nicht so schlimm, dann hört man vielleicht so'n bisschen eine Handschrift.

Man hört hin und wieder ja auch in den Texten, dass du selbst an dem Beat gesessen hast. Und bei den anderen Tracks kommt öfter mal ein "Danke Hulk Hodn für diesen wunderschönen Beat, yo".

P: Ey, aber weißt du, wie oft ich das höre: "Ey voll geiler Track, Mann!". Dann muss ich immer sagen: "Der ist aber leider nicht von mir". Ich will da keine falschen Lorbeeren einheimsen. Ich bin aber auch der Meinung, dass man das hören kann, wenn man sich ein bisschen für unsere Sachen interessiert.

"Wir machen halt viel Spökes"

"Jetzt Schämst Du Dich" auf Vinyl konnte ich mir nicht mehr kaufen. Wird es eine Neuauflage geben?

K: Ja, wir haben mal darüber nachgedacht, eine Re-Issue zu machen, sind bisher aber einfach nicht dazu gekommen. Vielleicht zum Zehnjährigen. (Gelächter)

P: Wir machen ja alles irgendwie selber, Labelshit ist halt auch so'n Kack. Und es ist ja alles Spaß, und wenn du alles aus Spaß machst, dann zieht sich so was hin. Du hast dann Ideen, willst was machen, dann sind da aber wieder andere Sachen. Wieder neue Releases, die dazwischen kommen. Irgendwann wird die Vinyl aber wahrscheinlich wiederkommen. Bleib' mal geduldig.

K: Wenn sich keiner mehr dafür interessiert.

Apropos: Man hatte den Eindruck, dass ihr keinen großen Wert darauf legt, mit der neuen Platte einen großen Popularitätsschub zu erreichen. Ich glaube auch, dass es viele Leute gibt, die schon mal von euch gehört, aber von der Platte eigentlich nichts mitbekommen haben. Haltet ihr das bewusst so? Gerade, wo es heutzutage dem Standard entspricht, dass jeder Rapper seine 100.000 Facebook-Fans an Land zieht ...

K: Ja, das ist in der Tat so. Wir legen da erklärtermaßen nicht so den Fokus drauf. Wenn ich das jetzt persönlich bewerten soll: Ich glaube, was wir machen, ist eine Form von gesundem Wachstum, ohne irgendwelche Zusätze. Oder: Wir wollen die Pflanze nicht überstrapazieren. Wenn man dann 'ne gewisse Fanbase hat - cool. Man macht dann so weiter ... oder verändert man sich auch, klar. Aber man folgt einfach der eigenen Nase und das ist halt ein bisschen unsere Philosophie.

Ich war ein bisschen verblüfft: Bei Wikipedia stand, dass die neue Platte auf Platz 31 in den deutschen Charts eingestiegen ist.

P: Das war aber nicht Platz 31, glaube ich.

Ich habs aber gelesen!

P: Wir waren irgendwo bei 80, dachte ich. Aber das ist so ... die Charts kommen allwöchentlich, und wenn du ein neues Album rausbringst und einen kleinen Hype hast, bist du da eine Woche drin. Aber es ist nichts, was man sich dann auf die Fahne schreibt.

Wie kriegt ihr das eigentlich mit? Wird man da angerufen?

K: Über Gespräche, vom Hören-Sagen ...

Puetz (Entourage Business-Macher, steht zufällig gerade im Zimmer): Man kriegt einen Glückwunsch vom Vertrieb per Mail. Aber weil die ja wissen, wie wir ticken, stand da drin: "Wir wissen, dass ihr das nicht wollt. Aber trotzdem: Ihr habts in die Charts geschafft. Andere reißen sich dafür den Arsch auf, ihr habt alles dafür getan, nicht in den Charts zu sein. Trotzdem: Herzlichen Glückwunsch". (lacht)

Wenn man eure Alben zusammenzählt, sind das 98 Tracks. 98 Lieder! Das ist so arschviel.

K: (lacht) Ja, aber die sind ja nicht alle so furchtbar komplex. Ich würd sagen ... (atmet tief aus) ... ja, die sind nicht alle gleichwertig.

P: Und es gibt eigentlich ja noch viel mehr Tracks.

K: Klar, wir machen halt viel Spökes. Du kannst die auch mit einem Audioschneideprogramm durschneiden, dann hast du doppelt so viele.

P: Es gibt Sachen, die vielleicht auch nie rausgekommen sind, die dann irgendwo auf nem Mix gedroppt wurden, oder irgendwie irgendwo gelandet sind.

K: Oder auf Myspace.

P: Ich bin heute wieder mal gefragt worden, ob der Retrogott eigentlich der Nachtmahr ist.

Ha! Ja, das wollte ich auch fragen.

P: Nein, der Nachtmahr ist nicht der Retrogott. Aber eigentlich will ich gar nicht über ihn reden. Er wurde jetzt erwähnt, das ist schon zu viel. Aber es gibt ja Leute, die screenen den kompletten Output von uns und laden das ins Internet.

Aber ich muss gestehen: Auch hierfür war ich sehr dankbar. Anders wäre ich zum Beispiel nicht "Rap Scheisst Auf Dich" begegnet. Setzt ihr euch eigentlich mit der Spotify-Thematik auseinander, oder geht euch das komplett am Arsch vorbei?

K: Mich interessiert das nicht.

P: Ich habe Spotify bei mir zuhause, zum Ausprobieren. Aber dass wir da jetzt auch dabei sein müssen, finde ich nicht. Spotify ist ganz gut, um Musik zu hören.

Zu eurer neuen Platte "Fresh & Umbenannt": Im positiven Sinne klingt es so wie immer. Im besten Sinne. Und ich habe mir gedacht: Die müssen doch Tracks von vor acht Jahren benutzt haben, damit es immer noch so unverfälscht klingt, wie am Anfang.

K: Es sind auch Tracks drauf, die vier Jahre alt oder noch älter sind. Sehr alt ist zum Beispiel "Sofunktionertdiewelt".

P: Wenn man ein Album zusammenstellt, geht man ja noch mal die ganzen Tracks durch, die man so hat. Und hier und da stößt man auf irgendeinen Track, der es nicht geschafft hat oder einfach nicht beachtet wurde.

"Wir hängen mindestens drei Mal die Woche ab"

K: Ey Scheiße, jetzt hab' ich dein Handy eingesteckt, ich hab' mich schon gewundert.

Ach, deswegen habe ich es auch dahingelegt: Weil sie gleich aussehen. Wie viele Sekunden haben wir denn noch für das Interview?

K: Nur mit der Ruhe! Ihr seid ja nett. Habt ihr denn noch Fragen?

Ja, brennend. Um mal auf eure Arbeitsweise zu sprechen zu kommen: Hat sich diese zwischen den Alben geändert? Es ist ja schon einige Zeit vergangen.

P: Die Arbeitsweise hat sich bedingt von der einen zur anderen Platte geändert. Insofern, als ich ein, zwei Mal umgezogen bin.

Nicht mehr Köln?

P: Doch, schon in Köln. Aber ich teile die Beats gerne in Abschnitte von verschiedenen Räumen und Wohnungen ein. Ich weiß halt: Hey, den Track hab ich dort aufgenommen, und den in der Bude. Aber sonst, vom Ablauf her, ist das alles beim Alten geblieben.

Ihr macht ja schon lange zusammen Musik. Wurdet ihr immer schlau aus dem, was ihr macht? Und fühlen sich die Tracks auch noch ehrlich und richtig an, wenn sie vier Jahre alt sind?

K: Ja, die Texte ändern sich zwar schon ein bisschen, aber irgendwie ist es immer dasselbe. Man macht dasselbe zusammen: Rap-Musik.

(Kurts Handy klingelt, und er verlässt kurz den Raum.)

Patrick, hast du das neue Dexter-Album schon gehört?

Ja. (hält kurz inne) Beeindruckend. Jeder macht ja sein eigenes Ding, und er hat eine ganz andere Herangehensweise. Ich bin nicht so der Typ, der dermaßen am Arrangement arbeitet. Ich habe halt meinen Beat und einen 4-Bar-Loop, und dann nehmen wir was auf. Dann geh' ich noch mit dem Arrangement auf die Raps ein. Und der Dexter ... das ist schon eine ganz andere Ecke.

K: (kommt wieder rein) Ich muss jetzt gleich Schluss machen. Am besten noch eine abschließende Frage.

Okay. Wie sieht das eigentlich bei euch aus, trifft man sich ein Mal in zwei Monaten, oder hängt ihr wirklich dauernd ab und macht Musik?

K: Wir hängen schon ab, eigentlich. Mindestens drei Mal die Woche.

P: Wir sind ja Nachbarn.

K: Ja, wir treffen uns dann, trinken Bierchen oder Kaffee, machen vielleicht zusammen einen Beat. Oder er hat schon einen, und dann schreibe ich was drauf. Oder ich hab' schon was geschrieben.

P: Oder man bespricht die nächste Show, macht zusammen ein Set.

K: Es ist halt hobbymäßig, gesund hobbymäßig, im positiven Sinne.

Doch noch eine kurze Frage: Ein Freund von mir hat gemeint, dass er es sehr beeindruckend fand, wie lange du ohne Backup-MC auf der Bühne klar zu verstehen warst.

P: Das finde ich auch immer sehr beeindruckend!

Gabs nie die Überlegung, sich einen 'anzuschaffen'?

K: Nee. Also ich hab eine Zeit lang - gerade so die ersten paar Jahre, wo wir mehr Auftritte hatten - viel mit Sylabil Spill zusammen gemacht. Und dann haben wir uns auch gegenseitig gebackt. Aber es war nie so ein Backup-Konzept. Er war ein eigenständiger Charakter und ich auch. Jetzt aber einen zu holen, der mich nur backt: Da hab ich ehrlich gesagt nie drüber nachgedacht und das hat für mich auch keinen Sinn. Ein MC, ein DJ, zwei Turntables, ein Mikrofon: Ich finds geil. Das gefällt mir. Andere Modelle sind auch cool, aber dann lieber 'ne Crew. So war es bei Sylabil Spill und mir: ein Team. Ein MC-Double.

P: Ich war kürzlich auf einem Konzert, da wurde der Backgroundsänger als 'Backgroundsänger' angekündigt. Und das fand ich irgendwie wack. Der Typ, der ist doch auch ein ... Künstler! Und man diskreditiert ihn damit. Das find ich dann nicht so gut.

Mit Retrogott & Hulk Hodn sprachen Michael Schröder und Simon Langemann.

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