23. April 2007

Die Explosion der Explosion

Interview geführt von

Am Anfang war dieses Grund und Boden erschütternde Boom!!!: Es ist November 2006, als Mike Stroud und Even Mast aus Brooklyn, New York ,mit "Classics" in den After-Work-Clubs einschlagen wie das berühmte Looney Tunes™-Fallobst mit der 10t-Aufschrift. Ein onomatopoetischer Multi-Gitarren-Bombast, der aber nicht erst im Abgang vor allem nach Keyboards schmeckte, hinterließ a Krater on the dancefloor. Jede Menge gülden-fluffiger Synthie-Feinstaub blieben zurück und versetzten einen ganzen Berufsstand ins Schwärmen.Auch Kollege Schuh hatte ob der Klasse des zweiten Ratatat-Albums Plüschherzen im Adlerauge. "Ratatat to Germany!", forderte er. Widerstand zwecklos, drum reist das Duo brav nach Europa und stellt sich dem laut.de-Interview. Im Backstage-Bereich des Prime Club treffe ich auf zwei leider eher mäßig interessierte Musiker. So manches Mal streifen ihre Antworten die Grenze der Unhörbarkeit, und auch inhaltlich geben sich Stroud und Mast eher auf den Kern reduziert.

Steht ihr eigentlich auf Comics? Ich frage, weil "Classics" so randvoll ist mit onomatopoetischen Momenten, wie man sie aus Zeichentricks kennt.

Mike: Nicht wirklich. Ich stand nie auf Comics.

Even: In meinem ganzen Leben habe ich vielleicht ein Heft gelesen.

M: Na ja, ich schaue mir die Strips in der Zeitung an.

Würdet ihr für mich eure Musik in einem Bild zusammenfassen?

E: (zeichnet mit drei Strichen ein Zackengebilde) Es ist eine Explosion in einer Explosion.

Wenn es nicht die Comics sind: Was hat euren Bandnamen und die lautmalerischen Geräuschkulissen etwa in "Wildcat" denn stattdessen inspiriert?

E: Keine Ahnung. Wir haben ganz einfach nach neuen Sounds und interessantem Zeug gesucht. Im Mix warfen wir dann alles zusammen, was wir cool fanden, ohne weiteren Hintergedanken. No hidden agenda.

Hat euch diese Suche viel Zeit gekostet?

E: Yeah, für "Classics" haben wir sehr viel länger gebraucht als fürs Debüt. Damals haben wir die Songs jeweils in zwei bis drei Tagen gebaut. Diesmal beanspruchte ein einziger Song mitunter einen ganzen Monat.

M: Es sind einige Tränen geflossen im Laufe der Produktion…

Ist der größere Arbeitsaufwand vielleicht schon der entscheidende Unterschied zwischen "Ratatat" und der zweiten Platte? Anders gefragt: Würdet ihr heute immer noch wie 2004 klingen, wenn ihr bloß einen einzigen Tag im Studio verbringen könntet?

M: Ich weiß nicht recht, wahrscheinlich nicht. Beim ersten Album hatten wir keine Amps. Lediglich ein Distortion-Pedal, an das wir sämtliche Geräte angeschlossen haben. Ein vollkommen simples Setup, wir gaben unseren Ideen freien Lauf.

E: Wir fangen meistens mit einem Beat an, den wir dann im Studio mit allen möglichen Instrumenten unterfüttern.

M: Aber der Gedanke der Reduktion ist interessant. Es kommt vor, dass wir einen ganzen Tag damit vergeuden, an einer bestimmten Songstelle herum zu frickeln. Am Ende des Tages haben wir dann vollkommen den Faden verloren. Also könnte es manchmal schon hilfreich sein, alles in einem Rutsch aufzunehmen ...

Es soll auf "Classics" ein Stück geben, das aus unglaublichen 70 Spuren besteht.

M: Bei manchen Songs haben wir es sogar bis auf 80 Tracks geschafft. Tatsächlich setzen sich die meisten Stücke aus 60 bis 70 Spuren zusammen. Unsere Musik ist Schichtwerk.

E: Der Song "Kennedy" hat nur 50. Sehr einfach gestrickt …

Gibt es im Angesicht dieser Spurgewalt noch Spontaneität auf der Bühne?

E: Wir bleiben nah am Album dran.

M: Wir verändern die Songstrukturen nur ungern. Die Art, wie sie zustande gekommen sind, diktiert ihre Live-Umsetzung.

Man darf von Ratatat on stage also ein relativ exaktes Soundabbild von der CD erwarten?

E: Pretty much. Aber man sagt auch von uns, dass wir live sehr viel rockiger klingen, während das Album eher im Elektronischen verortet wird. Ohne eventuelle Neuerungen vorzubereiten, könnten wir nicht auf die Bühne gehen. So eine Band sind wir nicht. Wir zeigen bloß unsere Gitarren, unsere Drums und unser Zeug und spielen die Songs. Das war's. Wobei ich denke, dass das immerhin ziemlich cool klingt.

M: Einige Anteile, die auf CD mit dem Keyboard eingespielt wurden, übernimmt bei einer Show die Gitarre. Hier liegt demnach der größte Unterschied zwischen Performance und Platte.

Sein Zeug zeigen. Das war's.

Von einem "großen Unterschied" ist wenig später beim Auftritt indes nur wenig bis gar nichts zu spüren. Ratatat bemühen sich aufzuzeigen, dass ihnen eine sollbruchstellenfreie Darbietung ihres bis ins kleinste Detail ausgeklügelten Zweitlings keinerlei Schwierigkeiten bereitet. Als entscheidendes Manko offenbart sich aber gerade der Versuch, "Classics" 1:1 zu rekapitulieren. Durch das Festkrallen am Albumkonzept bleibt das live um einen Keyboarder erweiterte Zweigespann jede Überraschung schuldig. Abseits der bekannten Songs bleibt nur die Bühnenpräsenz: Während Mast seinen durch Dutzende SFX gejagten Bass eher stoisch bespielt, übt sich Gitarrist Stroud in Guitar Hero-Pose. Einem Andrew W.K. gleich lässt er sein langes Haar kreisen, rutscht gniedelnd auf den Knien herum und springt ins Publikum, um seine Saitenzwurbeleien den vorderen Reihen hautnah vor Augen zu führen. Das wirkt in vielen Momenten bloß reichlich bemüht um Authentizität.

Grenzen? Keine. Obwohl...

Live sind eure Grenzen demnach klar abgesteckt. Gibt es für zukünftige Aufnahmen strikte No-Go-Bereiche? Dinge, die im Kontext Ratatat unmöglich sind?

M: Wir setzen uns keine Limits. Wir erschaffen undogmatisch die einzelnen Songparts und entscheiden hiernach, ob es richtig oder falsch ist.

E: Fest steht eigentlich nur, dass wir immer zu zweit arbeiten. Wir werden auf Platte nie nach einer durchgedrehten Liveband klingen.

Auch fürs Shows habt ihr noch nie drüber nachgedacht? Das würde euren Performances sicher neue Horizonte eröffnen…

E: Von Zeit zu Zeit spielen wir mit dem Gedanken. Aber es ist in vielerlei Hinsicht einfach unpraktisch. Mit einem großen Live-Ensemble könnten wir in Clubs wie diesem hier zum Beispiel gar nicht auftreten. Wir werden immer in der Grauzone zwischen "komplett live" und "komplett unlive" bleiben.

M: Wären wir gemeinsam mit Björk auf einer großen Tour und würden in einem riesigen Stadion spielen, könnte es schon cool sein, einen ganzen Haufen Leute auf der Bühne zu haben. Aber im Augenblick ergibt es für uns keinen Sinn. Wir könnten es uns auch finanziell gar nicht leisten.

Könntet ihr euch Gastrapper vorstellen? Ihr bringt schließlich regelmäßig Mixtapes auf den Markt, demnächst erscheint "Ratatat Remixes Vol. 2". Da habt ihr doch sicher Verbindungen in die Brooklyner HipHop-Szene?

M: Nicht wirklich. Es sind jedoch zwei MCs aus New York City auf dem Tape vertreten, Beans und Despot. Letzterer begleitet uns demnächst auch auf Tour. Ein Rapfeature könnte in Zukunft jedoch durchaus passieren. Wir haben in der Hinsicht allerdings keine konkreten Pläne.

Seht ihr auch langfristig prinzipiell davon ab, Gesang in euren Sound zu integrieren?

M: Wir wollen keinen Sänger.

E: Jeder, der sich wirklich daran stört, mag unseren Sound offensichtlich doch nicht so sehr. Wir schreiben ganz bewusst Instrumentals. Sie sind nicht für Gesang ausgelegt. Dafür bräuchten wir einen völlig anderen Songwriting-Ansatz. Regulären Gesang wird es bei Ratatat niemals geben. Punkt aus.

Okay, anderes Thema. Ihr seid die erste Band, die jemals im Guggenheim-Museum in New York performt hat. Erzählt mal.

E: Es war der Wahnsinn! Amazing! Leute standen stundenlang bis um den Block an. Und wir haben derweil eine Menge Instrumente zerstört.

M: (lacht) Die Security hat uns gehasst.

E: Sie müssten eigentlich etwas Derartiges erwarten haben, schließlich gab es im Guggenheim vor uns schon hin und wieder DJ-Sets. Wahrscheinlich haben sie genau das auch von uns erwartet: ein DJ-Setup. Unsere Lautstärke und die wilde Bühnenshow haben sie wohl ziemlich überrascht. Sie hatten Angst, die Bilder würden von der Wand fallen.

Wie hat das Publikum reagiert?

E: Die ersten Reihen gingen ganz gut ab. Ein Typ sprang auf die Bühne, zog sein Shirt aus und wirbelte damit herum.

M: Im ersten Augenblick dachte ich, das sei ein Security-Mann.

E: Das Publikum bestand zur Hälfte aus Leuten, die wegen uns gekommen waren, und zur Hälfte aus Guggenheim-Angestellten.

Zurück zur Musik. Weil Ratatat an der Schnittstelle von Rock und Elektro operieren: Kennt ihr eigentlich das ganze Ed Banger-Zeug, das momentan von Paris aus die Clubs übernimmt?

E: Yeah. Wir sind große Fans von dieser ganzen HipHouse-Geschichte. Vor allem SebastiAn finden wir großartig. Sounds fresh and cool. Wie eigentlich alle Künstler auf dem Label. Hat man so vorher noch nie gehört. Justice ist auch super. Er klingt wie ein explodierender Lautsprecher, und trotzdem immer sehr poppy.

Mögt ihr auch Klassik?

Beide: Yeah!

M: Ich mag Bach, Beethoven, Mozart ...

E: (lacht) Im Tourbus läuft aber eher andere Musik.

Was läuft da?

E: Momentan viel von The Child Ballads. Die letzte Ghostface Killah kann auch einiges – obwohl ich die Beats auf "Fishscale" nicht so überragend finde wie die des Vorgängers. Die Raps sind immer noch über jeden Zweifel erhaben.

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Ratatat

Zwei Jahre nach ihrer ersten Begegnung beschließen die New Yorker Evan Mast und Mike Stroud im Jahr 2003, aus bloßen Gedanken-Spinnereien endlich Ernst …

Noch keine Kommentare