laut.de-Kritik

Härter, schneller, weiter!

Review von

"Back / Caught you lookin' for the same thing. / It's a new thing - check out this I bring." Better believe the hype: Die Rap-Welt soll nach der Veröffentlichung von "It Takes A Nation Of Millions To Hold Uns Back" nie mehr die gleiche sein.

"Here it is. Bamm! And you say: Goddamn." Auch knappe 25 Jahre nach der Veröffentlichung fällt Fans und Kritikern angesichts der über sie hereinbrechenden Wort- und Soundgewalt nicht viel mehr ein. Sicher scheint nach einer Stunde Spielzeit (exakt 30 Minuten pro Seite - ja, Seite! - damit das Werk gut auf Kassetten - ja, Kassetten! - passt) nur noch eins: Die Tage der alten Schule sind unwiederbringlich gezählt. Public Enemy schlagen "the book of the new school rap game" auf. Um ein passenderes Bild zu bemühen: Sie treten vielmehr gruß- wie kompromisslos die Tür zu einer neuen Ära ein.

"Turn it up! Bring the noise!" Nie zuvor war Hip Hop härter, schneller, weiter als im April des Jahres 1988. Nachfolgende Generationen müssen sich redlich mühen, um das nun vorgegebene Level zu erreichen. "Ich hätte nicht für möglich gehalten, dass irgendetwas härter sein könnte als 'Yo! Bum Rush The Show'", vergleicht ein Redakteur des Melody Makers Public Enemys Zweitling mit ihrem Debüt. "Oder besser." Die Kinnladen fallen reihenweise.

"Once again back is the incredible." Möchte man im Hip Hop überhaupt eine Entsprechung zu Marvin Gayes bahnbrechendem Werk "What's Going On" suchen - "It Takes A Nation Of Millions To Hold Us Back" wäre der einzige Kandidat. Kein Rap-Album seiner Zeit hat bisher unverrückbar geglaubte Genre-Grenzen ähnlich pulverisiert, mit herrschenden Hörgewohnheiten ähnlich gebrochen, ähnliche Kreise gezogen.

"And I'm keepin' you from sleepin' / And on stage I rage and I'm rollin'." So manchem dürften Chuck Ds stinkwütende Predigten schlaflose Nächte bereitet haben. "Unsere Mission war es, dem 'Cold Gettin' Dumb'-Zeug den Garaus zu machen und zur Abwechslung einmal ein paar Realitäten anzusprechen", so Public Enemys Chef-MC.

"Power, equality - and we're out to get it", so das unverblümt in die Welt gebrüllte Ziel. "I know some of you ain't with it." Na, und? Mit dem haltlosen Zorn des Punk und der Brachialität harter Gitarren erheben Public Enemy Hip Hop wahrhaftig zum später viel zitierten "CNN of the black community." Ohne Rücksicht auf Verluste prangern Chuck D und sein durchgeknallter Sidekick Flavor Flav politische und soziale Missstände an. Die (damals schon) übermächtigen Medien bekommen ihr Fett gleich mit weg, genau so wie Praktiken des Sich-gegenseitig-Beharkens im Musikgeschäft.

"Caught, now in court 'cause I stole a beat / This is a sampling sport but I'm giving it a new name." Ein neuer Name für den Sport - wenn nicht gleich eine ganz neue Disziplin. Nie im Leben hätte "It Takes A Nation Of Millions ..." seine verheerende Wirkung entfaltet, wäre das Album nicht auf einem komplett neuartigen Soundteppich angerauscht gekommen. Beats geraten zu einer körperlich spürbaren Erfahrung, das Ganze "Louder Than A Bomb".

"Run DMC first said a DJ could be a band." Im Falle Public Enemy führt "Terminator X To The Edge Of Panic" und scratcht sich dabei durch Queens "Flash", "The Grunt" von den JBs, James Browns "Funky Drummer", "Love Rap" von Spoonie G, diverse hauseigene Tracks und zweifellos zahlreiche weitere Nummern, die ich gar nicht alle auf dem Schirm habe.

"Bass! How low can you go?" Zeit, auch noch die letzten Tiefen auszuloten. Public Enemys Produzenten-Team The Bomb Squad sprengt alle Horizonte seiner Zeit. Dabei bleibt der Strippenzieher am Krawall-Webstuhl geradezu lächerlich bescheiden:

"Wie oft fragt man sich schon bei einem stylishen Haus, wer die Rohrleitungen verlegt hat?", erklärte er uns unlängst im Interview. "Irgendjemand muss es ja gewesen sein. Wenn der einen guten Job gemacht hat und alles in Ordnung ist, kümmert es keinen. Ich hab' mich immer ein bisschen als den Klempner betrachtet. Ich geh' einfach rein und mach' einen guten Job, weil man das von mir erwartet." Understatement, dein Name ist Hank Shocklee!

Chuck D würdigt die Qualitäten seines Sound-Meisters etwas angemessener: "Hank ist der Phil Spector des Hip Hop. Er war seiner Zeit unglaublich weit voraus, weil er es gewagt hat, die Seltsamkeiten des Sounds herauszukitzeln." Dabei nutzt Hank Shocklee die Gunst der Stunde: Samples und Texte liefern Querverweise in alle Richtungen. Public Enemy reißen sich unter den Nagel und zitieren, was ihnen in die Hände fällt. Für ihre Songs verfremden sie Filmtitel ("Night Of The Living Dead", "Rebel Without A Cause"). Auch Tracks von Kollegen wie den Beastie Boys sind nicht sicher: "Party For Your Right To Fight".

Über einen Sample-Wahnsinn, wie ihn "Night Of The Living Baseheads" zelebriert, bräuchte man angesichts inzwischen gültigem Urheberrechts nicht einmal mehr nachdenken. Shocklee käme ohnehin nicht auf die Idee: "Ich glaube nicht daran, den gleichen Sound wieder aufzuwärmen. Ich denke, eine Platte wird für einen bestimmten Moment, eine bestimmte Zeit aufgenommen, und dann muss man weitergehen."

Die Inhalte bleiben - leider - zeitlos. "Please don't confuse this with the sound. I'm talking about base", schildert Chuck D die Schrecken, die zusammen mit Kokain und Crack in die Hood einzogen. Der collagenhafte, dichte, ständig in neue Richtungen ausbrechende Klang schließt mit den eindringlichen Worten eine unverbrüchliche Allianz. "Chuck D ist ein starker Rapper", so Shocklee. "Wir wollten etwas schaffen, das ihm akustisch standhalten konnte."

Die Bomb Squad'schen Soundwände erfüllen diesen Zweck damals wie heute, wozu auch die unterschiedlichen Talenten der Beteiligten ihren Teil beitrugen: "Eric [Sadler] war der Musiker, Hank das genaue Gegenteil. Eric hat eine Menge Drum-Programming geliefert, Keith [Shocklee, Hanks Bruder] hat das Gefühl mit eingebracht", analysiert Chuck D die Dynamik der Gruppe.

"I am the rock hard trooper to the bone, the bone, the bone." Das Resultat spricht für sich. Zwei Jahre nach der Veröffentlichung spielen Public Enemy ihren Song "Bring The Noise" (der bereits 1987 den Soundtrack zu "Less Than Zero" veredelte) zusammen mit den Thrashern von Anthrax neu ein. Eine gemeinsame Tour reißt die Schranken zwischen Metal und Hip Hop nieder und gerät, allen anfänglichen Zweifeln zum Trotz, zum denkwürdigen Ereignis - für alle Beteiligten.

Rapmetal? Ohne Public Enemys Pionierarbeit undenkbar. Ihre Kombination aus Funk-Samples, Scratching, Geräusch-Collagen, Soundeffekten und über jedes Maß hinaus erzürnten Lyrics bereitet den Boden. Die Jahre konnten der Kraft dieser Mixtur nichts anhaben. Ich, für meinen Teil, begrabe die Hoffnung, diese Platte je in ihrer ganzen Komplexität zu erfassen, zusammen mit der Furcht, sie jemals satt zu bekommen. "Time for me to exit. Terminator X-it!"

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Countdown To Armageddon
  2. 2. Bring The Noise
  3. 3. Don't Believe The Hype
  4. 4. Cold Lampin' With Flavor
  5. 5. Terminator X To The Edge Of Panic
  6. 6. Mind Terrorist
  7. 7. Louder Than A Bomb
  8. 8. Caught, Can We Get A Witness
  9. 9. Show 'Em Whatcha Got
  10. 10. She Watch Channel Zero?!
  11. 11. Night Of The Living Baseheads
  12. 12. Black Steel In The Hour Of Chaos
  13. 13. Security of the First World
  14. 14. Rebel Without A Pause
  15. 15. Prophets Of Rage
  16. 16. Party For Your Right To Fight

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Public Enemy

Legendäre Hip Hop-Gruppen gibt es wie Sand am Meer. N.W.A gelten als die Härtesten, Gang Starr bilden für viele das perfekteste Duo, und der Wu-Tang …

5 Kommentare