laut.de-Kritik

Große Intensität im kleinen Kreis.

Review von

Es gibt zwar bereits Liveplatten von Phillip Boa. Ein dermaßen intimer, weitgehend akustisch gehaltener Gig jedoch ist neu im Boaphenium. "Reduced!" ist als Unplugged plus X-Album ein ebenso überfälliger wie entscheidender Schritt nach vorn. Ein schnuckliges Wohnzimmerkonzert im kleinsten Kreise; dafür mit großer Intensität.

Das Konzept des Lagerfeuer-Boa geht tatsächlich auf. Die Faszination seiner Musik gründet seit jeher ohnehin auf ihrer eigentümlichen Ästhetik und Sinnlichkeit. Der zurückgenommene instrumentelle Rahmen bringt diesen Aspekt perfekt zur Geltung. Entsprechend verzichtete man auf eine nachträgliche Korrektur des Livematerials. Ein zweischneidiges Schwert in den Zeiten des over gedubbten Perfektionismus. Denn ohne Netz und doppelten Boden hört man auch jeden Absturz des Artisten. Doch so etwas ficht Boa nicht an. Ein nicht geringer Teil der Boamagie bestand schon immer im farbigen Kontrast zwischen perfekter Komposition und bewusst ungeschliffener Darbietung.

Der reduzierte Mantel bringt den Voodoo-Anteil der Tracks gut zur Geltung. Allerdings als neuartige Nuance. Es ist weder der Voodooclubsound der mittleren 80er noch das moderne Kostüm der gelungenen letzten LP "Loyalty". Zwischen einem fast schon niedlichen Minimalbeat und einem versprengten Häufchen marodierender E-Gitarren geben vor allem Mandoline, Banjo und Akkordeon den Ton an. Alles zusammen dann verziert mit dem ausdrucksvollen Cello von Anne Müller; Anspieltipp dazu: "Deep In Velvet" ("She", 1996).

Neben Keith oder Cave hat kaum jemand den gelegentlich unsauberen Gesang so sehr zum Markenzweichen gemacht wie der Wahlmalteser. Streng wissenschaftlich betrachtet sind die Vocals mitunter einfach grottenschief. Ähnlich wie bei Dylan geht das bei Boa jedoch als künstlerische Ausdrucksform durch. Nach seiner Beauty and the Beast-Philosophie, den schönen Liedern immer etwas Irritierendes, gar Atonales zu implantieren, wäre das klingende Bild ohne eingebaute Schieflage ohnehin keine authentische Boa-Performance.

Genau diese Wertschätzung des expressionistisch Emotionalen ermöglicht es ihm, ein seit der wundervollen Swans Version nahezu uncoverbares - dennoch halb zu Tode interpretiertes - Kleinod wie Joy Divisions "Love Will Tear Us Apart" zu bringen, ohne das Gesicht zu verlieren. Statt eines verkopften Neuentwurfs rockt Boas Team den Evergreen couragiert nach Hause. Boa singt herrlich schmererfüllt und kommt dem verzweifelten Grundton des Curtis Originals näher als die meisten Interpreten.

Erstaunlich, wie homogen sich aktuelles Material mit Stücken aus den Anfangstagen verbindet. Die Spannbreite ist angemessen weit angelegt. "Sunny When It Rains" war schon 2012 auf "Loyalty" ein Aursufezeichen. Der leichte Sixties-French-Pop Touch des Liedes verstärkt sich in der abgespeckten Version noch. Das in künstlerischer Hinsicht "alte Ehepaar" Boa und Lund harmoniert prächtig. Ihr Set reicht mit dem oldschool Indie-Hit "I Dedicate My Soul To You" zurück bis in die Tage von "Aristocracie" (1986).

Für die Popfreunde gibt es Hits wie "Container Love" (Hair, 1989), den Pia im Refrain lässig erobert. Der Boanerd hingegen freut sich über einen standesgemäßen Opener wie "Fine Art In Silver" (Hair, 1989) oder die Hemingway Hommage "Fiesta" "Boaphenia", 1993). Der Romantiker entdeckt das mediterran angehauchte "Rome In The Rain" ("My Private War"; 2000). Und das Finale dann angemessen alternative zur Noiseorgie dekonstruiert.

Pia bekommt den Königinnenmoment auf Boas Schachbrett im letzten Drittel des Auftritt. Ihr biografisch sehr persönliches "And Then She Kissed Her" ("Helios", 1991; kein Lesbensong, sondern über das komplizierte Verhältnis zur eigenen Mutter und Schwester) gerät samt ergriffen intonierendem Publikum für Boa-Verhältnisse fast messianisch. Zum Abrunden daraufhin der Velvet Underground Klassiker "Sunday Morning". Weder so verkatert wie Reed noch so sinister wie Nico. Lund verleiht dem Standard einen Hauch lolitahafter Laszivität.

Mit "Reduced!" unterstreichen Boa und sein Voodooclub spielend die hervorragende Formkurve seit "Loyalty". Einmal mehr erweist sich Boa dabei als Garant des Unkonventionellen.

Trackliste

  1. 1. Fine Art In Silver
  2. 2. Sunny When It Rains
  3. 3. I Dedicate My Soul To You
  4. 4. Rome In The Rain
  5. 5. I Don't Need Your Summer
  6. 6. Container Love
  7. 7. Pretty Bay
  8. 8. Bells Of Sweetness
  9. 9. The Laughing Moon
  10. 10. Til The Day We Are Both Forgotten
  11. 11. Deep In Velvet
  12. 12. This Is Michael
  13. 13. Fiesta
  14. 14. And Then She Kissed Her
  15. 15. Sunday Morning (Bonus Track)
  16. 16. Love Will Tear Us Apart (Bonus Track / Noisy Version with Anne) 17. Hell (Bonus Track / Noisy Version with Anne)

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