laut.de-Kritik

Alles andere als herzlos.

Review von

Bereits mit ihrem Debüt "Sorrow And Extinction" strichen Pallbearer "Album des Jahres"-Auszeichnungen ein. Der Zweitling "Foundations Of Burden" tat es dem gleich und kletterte außerdem in die Billboard Top 100. Falls es im Underground-Doom-Bereich so etwas wie Shooting-Stars überhaupt gibt: Die Reputation des Quartetts aus Arkansas bewegt sich zumindest in diese Richtung. "Heartless" wird daran wohl nichts ändern. Denn die verflixte dritte Platte hält nicht nur mit den Vorgängern mit, sie übertrifft sie spielerisch.

Alles, das "Sorrow And Extinction" und "Foundations Of Burden" ausmachte, findet sich auch auf "Heartless" wieder, jedenfalls partiell. Dazu erweitern Pallbearer ihr Soundspektrum um mehr progressive Elemente und landen gleichzeitig manchmal nicht weit vom klassischen, eingängigen Heavy Metal oder gar Classic Rock entfernt. (Okay, für letzteres braucht es etwas Fantasie).

Immer wieder drängt sich der Vergleich mit Mastodon auf – in entschleunigter Version. Wie die Atlanta-Progger setzen Pallbearer Riffs nicht nur als Riffs, sondern gleichsam als Melodien ein. Die "richtigen" Melodien, instrumental wie gesanglich, schmiegen sie an das Rifffundament an wie die eine Hälfte eines Liebespaares an die andere.

Ihre Liebespaare baden Pallbearer in einer ganzen Reihe an Gefühlen. Klar, Melancholie und Verzweiflung bilden die vorherrschenden Assoziationen, doch statt in Schwermut zu versinken, strahlt "Heartless" simultan eine schwer greifbare Wärme aus, die teilweise gar die Intensität einer Stoner-Höhle erreicht.

Das für Pallbearer-Verhältnisse fast schon galoppierende "Cruel Road" etwa fächert, nachdem es zuvor mit Vocal-Hooks um sich geschmissen hat (kein Witz: Ich höre hier Parallelen zu Stratovarius) im Mittelteil eine schwitzigen Solopassage aus. Devin Holt und Brett Campbell werfen sich zunächst abwechselnd den Staffelstab zu, dann setzten sie zum Lead-Doppel an. Im Outro verschwimmen Melodie und Riff zu einer Einheit, während Campbell am Mikro energisch Kommandos dazwischenbellt.

"Cruel Road" gleicht einem vielarmigen Kraken im Ragemode. Demgegenüber steht "Dancing In Madness", das gewissermaßen die andere Seite des Pallbearer-Mantels verkörpert. Über fast zwölf Minuten erstreckt sich der Track. Entsprechend viel Zeit nimmt sich die Band, um die Basis zu schaffen. Man hat das Gefühl, "Dancing In Madness" steht nicht ohne Grund im zeitlichen Mittelpunkt des Albums.

In den ersten zweieinhalb Minuten breiten Pallbearer da einen Klangteppich aus, der zu Tränen rührt. Sanft simulieren sie mit dem Volume-Regler ihrer Gitarren Hintergrundstreicher, dann legt sich über das angerichtete Feld eine Sologitarre. Auf dem Cover-Artwork zeigen Pallbearer einen lebendigen Berg. So kitschig das klingt: Das "Dancing In Madness"-Intro könnte erklären, warum ein steinernes Herz zu schlagen anfängt.

Natürlich hört hier die Brillanz des Songs lange nicht auf. Mit fortschreitender Lauflänge fügen Pallbearer immer weitere Puzzleteile in ihre später als Mauer aufragende Kompostionsstruktur. Während zu Beginn ein lichtdurchlässiger Perlenvorhang wehte, ragen später unumstürzbare Riffpfeiler empor und verdunkeln die Erde unter sich. Der Schlussteil schließlich vereint beide Komponenten und entspricht genau jenem vorher angesprochenen Spagat zwischen Aufgabe der und Suche nach Hoffnung.

"Lie Of Survival", das einem ganz ähnlichen Aufbau folgt, greift dieses Gefühl auf. Besonders schön kommt hierbei das Zusammenspiel der Instrumente zur Geltung: Meditative Delay-Cleans übergeben die Führung an ein verzerrtes Lead, das zwischen den Gipfeln eines schneebedeckten Gebirges zu schweben scheint. Darunter schlängelt sich die transparente Wolkendecke in Form eines Arpeggios. Während im ruhigen Teil Mark Lierly am Schlagzeug für zusätzliche Tiefe sorgt, kommt diese Rolle später, als die Doom-Wand hereinkracht, Bassist Joseph D. Rowland zu.

Entscheidend am Songwriting-Ansatz, dem Pallbearer auf "Heartless" nachgehen, ist ihre Fähigkeit, Vertrautes in etwas Neues zu verwandeln. Dass die Band alten Helden huldigt und damit gewisse Traditionen aufleben lässt, ist kein Geheimnis. Auch wenn deswegen natürlich eine Nostalgie-Aura das Album umgibt, lasst mich diesbezüglich noch einmal das Bild des zweiseitigen Mantels bemühen: Dazu gesellt sich eben auch eine frische, moderne Schale. Wie klassische 70er-/80er-Genretrademarks inkorporieren Pallbearer das Feeling zeitgemäßen Post-Metals. Welchen Seite des Mantels man nun nach außen gekehrt tragen möchte, hängt vom Hörer ab.

Diese "Aus vertraut mach neu"-Devise zieht sich auch in andere Bereiche: So hat man Textzeilen wie "... and nothing ever changes" zwar schon viel zu oft gehört, empfängt sie im neuen Kontext aber dennoch mit offenen Armen. Überhaupt funktioniert "A Plea For Understanding" mit seinen Vocalmelodien im Grunde wie eine Singer/Songwriter-Sehnsuchtsballade, nur hat sie im Refrain eben dieses massive Doom-Akkord-Backing.

Letztendlich macht wohl diese Kombination aus theoretisch sperrigen Prog-Metal-Kompositionen und schmeichelnden, leicht zugänglichen Hooks, wie sie längst nicht nur der sofort auf den Punkt kommende Opener "I Saw The End" liefert, die Individualität Pallbearers aus. Doch das wäre fast schon zu einfach ausgedrückt. Man muss sich nur einmal den Titeltrack "Heartless" anhören, um zu erkennen, dass die Stücke der Band weit über solche Zusammenfassungen hinausreichen.

Am Ende muss wohl jeder für sich entscheiden, welcher Aspekt des Gebotenen besonders heraussticht. Die Liebe zum Detail, mit der Pallbearer ihre Riffs verschnörkeln oder Soli zu Leadmelodien transformieren? Das variable wie songdienliche Schlagzeugspiel Mark Lierlys, der nicht selten ebendiesen Riffs und Melodien die Show stiehlt? Die Symbiose von Instrumentalbett und dem Gesang Brett Campbells, der sich nie in den Vordergrund drängt, dabei aber doch so viel Eindruck hinterlässt? Oder schlichtweg das Gesamtpaket, bei dem dann wohl Bassist Rowland als der Star durchgeht, der aufmerksames Zuhören damit belohnt, sein unter der Oberfläche befindliches Reich zu enthüllen.

Welchen Zugang man wählt, ist eigentlich eh egal: "Heartless" könnte Metalfans (und tatsächlich wohl auch Leute, die das nie werden wollen) aus verschiedensten Ecken der Szene einen. Um diesen Text mit der Line abzuschließen, die bei mir nach dem ersten wie x-ten Durchlauf am stärksten haften blieb: "His feelings are real." "His" könnt ihr dabei beziehen, worauf ihr wollt: auf den Cover-Felsmensch, Pallbearer als Kollektiv, einzelne Mitglieder, Songs, Patterns, Melodien ... kurzum: "Heartless" ist ein Meisterwerk, und bestimmt kein herzloses.

Trackliste

  1. 1. I Saw The End
  2. 2. Thorns
  3. 3. Lie Of Survival
  4. 4. Dancing In Madness
  5. 5. Cruel Road
  6. 6. Heartless
  7. 7. A Plea For Understanding

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