laut.de-Kritik

Nach einem holprigen Anfang kommen die wahren Helden ...

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"Ihr kennt das Phänomen vielleicht so gut wie ich: Da läuft eine Musik, man hört gar nicht richtig hin, ist mit den Gedanken woanders, und auf einmal durchzuckt es einen wie ein Blitz: Die Worte, die da soeben gesungen wurden, drücken genau das aus, was einen gerade bewegt und was einem (bislang noch unausgesprochen) durch den Kopf ging!" So beschreibt Wim Wenders den Grundgedanken des Films zum vorliegenden Soundtrack.

Auf der Suche nach den richtigen Bildern zur Musik schickt der Regisseur den Modefotografen Finn (Campino von den Toten Hosen) auf eine Reise durch Wirklichkeit und Traum, die ihn von Düsseldorf nach Palermo und in die tiefsten Gänge seines Gehirns führt. Stets begleiten ihn ein MP3-Player und ein Kopfhörer, die ihn von der Außenwelt abschotten, oder besser: seine innere Welt über die äußere stülpen.

Ein Konzept, das nicht leicht umzusetzen ist, wie sich an den ernüchternden Kritiken zeigt, die der Streifen bei seiner Premiere in Cannes im Frühjahr 2008 erhielt. Wobei es sich um eine vorläufige Fassung handelte, die der Regisseur vor dem offiziellen Gang in die Kinos ein halbes Jahr später noch einmal kürzte und überarbeitete. Doch die Frage, die uns hier interessiert, ist eine andere: Funktioniert der Soundtrack auch ohne die gewaltigen Bilder des Films?

Die Liste der Beteiligten macht Hoffnung, auch wenn der Anfang holprig klingt. Nick Cave ist mit seinen Grinderman extra ins Studio gegangen, doch mehr als ein verzerrter Verschnitt von U2s "One" ist dabei nicht herausgekommen. Kaum besser klingt das ebenfalls eigens entstandene "Busy Hope" von Get Well Soon alias Konstantin Gropper, der hier zu tief in die Elektronikkiste der Mannheimer Popakademie greift.

Dann fließt Beth Gibbons tiefe, verrauchte Stimme aus den Lautsprechern – und alles ist gut. "The Rip" ist nicht nur der Beweis für die Güte ihrer Band Portishead, sondern führt auch die melancholische Stimmung ein, die den Film und auch den Rest des Albums bestimmen.

Die Folk-Eigenbrötler Iron & Wine und Will Oldham, alias Bonnie 'Prince' Billy, passen nahtlos zu den Deutschen Monta und Thomas Hanreich alias Thom, zu Zach Condon alias Beirut und zum Kanadier Jason Collett. Ob Calexicos altbekanntes "The Black Light" wirklich nötig ist, bleibt Ansichtssache, jedenfalls ist es eines ihrer besten Stücke. Dass Velvet Underground wie so oft in einem Soundtrack vertreten sind, ist hier vertretbar, denn Lou Reed tritt im Film kurz auf.

Doch die wahren Helden des Albums sind andere. Der erste ist Can-Mitglied Irmin Schmidt, der minimalistische, aber effektive instrumentale Zwischenstücke komponiert hat – unter anderen mit Trompeter Markus Stockhausen. Dann Rosa Balistreri, eine Sängerin aus Palermo, die sich lange als Putzfrau ihren kargen Lebensunterhalt verdiente und eine Stimme besaß, die dem eh schon meist traurigen Volksgutes Siziliens einen zusätzlichen Todeshauch verleiht. "Wenn ich sterbe, lasst keine Messe für mich lesen. Aber erinnert euch an eure Freundin", trägt sie inbrünstig vor.

Eine wahre Entdeckung ist auch Sibylle Bayer, eine Jugendfreundin Wenders', die über verschlungene Pfade zu einem Album unter eigenem Namen kam. Das neu komponierte "Let Us Know" erinnert von den Atmosphären her an den frühen Leonard Cohen. Schließlich ist da der in Italien kultartig verehrte Fabrizio De André. Das rockige "Quello Che Non Ho" mit fast schon peinlichem Giorgio Moroder-Finale ist zwar kaum eines seiner besten Stücke, aber allein die Tatsache, dass er dabei ist, ist großartig.

Ein Soundtrack, also, der immer wieder eine nette Überraschung parat hält. Ohne die Bilder passen die Stücke stellenweise nicht richtig zusammen, doch für sich genommen machen die meisten Sinn. "Wie eine bestimmte Musik im Film 'wirkt', weiß man oft erst, wenn man den Film wieder und wieder gesehen hat. Und so wie ein Film bei einem jedem Sehen anders vorkommen kann, so kann auch die Musik unterschiedlich wirken," erklärt Wenders. Sicher ist: Allein wegen Rosa Balistreri lohnt es sich, das Album immer wieder einzulegen.

Trackliste

  1. 1. Grinderman – Dream (Song For Finn)
  2. 2. Get Well Soon – Busy Hope
  3. 3. Portishead – The Rip
  4. 4. Irmin Schmidt – Accordeon 1 Flavias Thema
  5. 5. Iron & Wine – Freedom Hangs Like Heaven
  6. 6. The Long Winters – It's A Departure
  7. 7. Calexico – The Black Light
  8. 8. The Velvet Underground – Some Kinda Love
  9. 9. Thom – Beds In The East
  10. 10. Irmin Schmidt – Trompete 2 Das Fresco Thema
  11. 11. Beirut – Postcards From Italy
  12. 12. Fabrizio De André – Quello Che Non Ho
  13. 13. Jason Collett – We All Loose One Another
  14. 14. Bonnie 'Prince' Billy – Torn & Brayed
  15. 15. Monta – My Impropriety
  16. 16. Sibylle Baier – Let Us Know
  17. 17. Irmin Schmidt – Cello 1 Bei Flavia
  18. 18. Rosa Balistreri – Quannu Moru
  19. 19. Grinderman – Song For Frank
  20. 20. Beth Gibbons & Rustin' Man – Mysteries
  21. 21. Get Well Soon - Good Friday

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