laut.de-Kritik

Ein wilder Mix mit saxueller Belästigung.

Review von

Ein Noel Gallagher muss niemandem mehr beweisen, dass er brillante Songs schreiben kann. Und doch weiß man bei Gallagher's High Flying Birds nie genau, was der experimentierfreudige Ex-Oasis-Mann so alles auf das Album packt. Das hat sich insbesondere mit dem aktuellen Werk nicht geändert.

Auf "Chasing Yesterday" vereint Gallagher dermaßen viele Einflüsse und Stile, dass es alles andere als ein homogenes Album geworden ist und die einzelnen Songs stellenweise etwas überladen wirken. Das liegt wohl daran, dass Gallagher kein Produzent zur Seite stand, der den musikalischen Output ein wenig ordnen konnte. "Ich mache mir niemals Notizen, während Produzenten meist ein System haben, wie sie Sessionmusiker und alles Mögliche buchen. Jedermann hat mich nur angeschaut, als wolle er sagen: 'Ok, und was machen wir heute?' Ich habe mir die ganze Zeit spontan irgendetwas ausgedacht", sagt Gallagher.

Zu diesen Blitz-Einfällen müssen wohl auch die Saxophon-Solos auf dem Album gezählt werden. Bereits beim Opener "Riverman" fragt man sich, in welchem Jazz-Club Noel Gallagher wohl die letzten Monate seine Freizeit verbrachte. Gallagher rechtfertigt die blasmusikalische Darbietung mit den Worten: "Wir haben zunächst eine Demoaufnahme von 'Riverman' gemacht und die war schon erstaunlich gut. Dann habe ich mir Pinball von Brian Protheroe angehört und gedacht: Soll ich wirklich einen Saxophonisten anheuern? Und was wäre, wenn ich ihn statt ein gleich zwei Saxophonsoli spielen lasse? Ich kann mir denken, dass man mir dann saxuelle Nötigung vorwirft. Drauf gepfiffen."

Wer Saxophon-Solos nicht mag, könnte sich auch beim Lied "The Right Stuff" genötigt fühlen. Hier dudelt sich der Saxophonist ebenfalls einen ab, als ob die High Flying Birds neuerdings eine Free-Jazz-Combo wären.

Sind sie – dem Pop-Gott sei dank – nicht. Bei beiden Songs dominieren eben noch immer die wunderbar eingängigen Noel-Gallagher-Riffs, die wie eine Dampflokomotive den Rest der Instrumente vor sich hintreiben, die Gallaghers Gesang sanft umschmeicheln. Die sich dann zusammen mit dem Saxophon zu einem psychedelischen und souligen Ungetüm aufbäumen. Nach zwei Liedern ist der Bläser-Spuk aber zum Glück vorbei und Noel packt die tiefen Gitarren aus.

Auf "In The Heat Of The Moment" zum Beispiel. Eine Stadion-Hymne, ein Hit inklusive Mitsing-Refrain. Bei der wunderschönen und feinfühligen Ballade "The Dying Of The Light" zeigt Gallagher seine gesamte Finesse als Songschreiber. "The Mexican" wartet mit Stoner-Rock auf. Und bei "Ballad Of The Mighty I" flankiert Gitarren-Größe Johnny Marr Gallagher, was zu einer nie enden wollenden spacigen Jam-Session ausartet.

Spätestens bei "Lock All The Doors" wird den Oasis-Fans das Herz aufgehen. Ein Stück, das Gallagher vor 23 Jahren zu schreiben angefangen hat und das es nie auf ein Oasis-Album schaffte. Der Song hat fast alles, was ein gutes Oasis-Lied braucht: Powervolle Riffs, straighte Gitarren-Soli, genügend Tempo. Nur einer fehlt bei einem halben Oasis-Lied dann eben doch: Liam. Beziehungsweise sein Gesang. Den man aber ansonsten auf dem Rest des Albums nie vermisst.

Weil "Chasing Yesterday" wie schon sein Vorgänger kein "Oasis-Light"-Album geworden ist. Klar sind die Oasis-Einflüsse dezent zu hören. Aber auch wenn Gallagher seinen Stil mit den Birds noch nicht präzise ausgefeilt hat; eines scheint er zumindest musikalisch nicht zu sein, auch wenn der Album-Titel dies vermuten lässt: Ein Nostalgiker.

Trackliste

  1. 1. Riverman
  2. 2. In The Heat Of The Moment
  3. 3. The Girl With X - Ray Eyes
  4. 4. Lock All The Doors
  5. 5. The Dying Of The Light
  6. 6. The Right Stuff
  7. 7. While The Song Remains The Same
  8. 8. The Mexican
  9. 9. You know We Can't Go Back
  10. 10. Ballad Of The Mighty I

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8 Kommentare mit 15 Antworten

  • Vor 9 Jahren

    Hätte meiner Meinung nach 5 Sterne verdient. Ist aber leider kein Indie-Album also nur 4 ;)

    • Vor 9 Jahren

      Sehe das etwas anders...

      Ok, nach den ersten Eindrücken ist das Album, zumindest für mich, über weite Strecken ziemlicher Käse.

      Das plätschert gefällig vor sich hin und ist fett arrangiert und produziert. Soweit nicht schlecht, aber ohne echte Höhepunkte. Noel im Sumpf des Adult Contemporary der Radiotauglichkeit... mir würde jetzt auch kein Song einfallen, der mit der Zeit noch gewinnen könnte... Ausnahme vllt der Schlusstrack.

    • Vor 9 Jahren

      Gut gemacht und professionel. Radiotauglich und Massenkompatibel. Er muss eben niemanden mehr etwas beweisen. 4/5 ist korrekt und völlig OK.

  • Vor 9 Jahren

    warum das album sooo extrem gelobt wird frag ich mich echt. ich wuerde mich sogar fast als oasis fanboy bezeichnen und ich finde das album deutlich weeeit hinter dem debut. haengengeblieben ist bei mir nur der letzte track. alle anderen lassen sich zwar hoeren, man vergisst sie aber sofort wieder. fuer mich ein kuenstliches herauszoegern der oasis-reunion

    • Vor 9 Jahren

      Dein letzter Satz gefällt mir!

      Ich als Über-Oasis-Fanboi und Liebhaber des Noel-Debuts bin über alle Maßen gespannt auf das Ding hier - geht mit User-Meinungen ja schon queer durch die Bank los!

    • Vor 9 Jahren

      ich denke mir noch ein weiteres album wird es von noels projekt geben. danach wars. liam wird zu der zeit schon zusehen womit er wieder geld machen kann. noel brauch dann wieder eine beschaeftigung. gute argumente fuer eine oasis-reunion. ich bin mir auch sicher dass da was grandioses bei raus kommen kann - wenn sie wollen. im gegensatz zur aussenwelt fand ich die dig out your soul zb noch fantastisch.

    • Vor 9 Jahren

      Yo, so siehst aus. Das ist das Vorspiel zum Reunion-Hauptspiel. Und Geld wirft es sicherlich auch noch genügend ab. :-$

  • Vor 9 Jahren

    hab das album jetzt 2-3 mal durchgehört und weiss nicht so recht was ich davon halten soll. einerseits hat es wieder das noel-feeling mit den fließenden melodien und gitarrenläufen, andererseits sticht bis auf riverman und die beiden singles kein track wirklich hervor. lock all the doors klingt für mich wie eine schlecht abgemischte b-seite von oasis. bis jetzt wirkt das wie ein album, das man nebenbei laufen lässt wenn man nicht weiss was man hören soll. braucht auf jeden fall noch ein paar durchläufe.