Die dritte Auskopplung aus "Anthrazit" ließ sich offensichtlich von French Montanas "Unforgettable" inspirieren - und klingt dennoch lange nicht so gut.

Wien (ynk) - Es geht Schlag auf Schlag mit den Auskopplungen aus "Anthrazit", dem neuen Projekt des Wieners RAF Camora. Doch die neue, mittlerweile dritte Single "Andere Liga" zeigt recht symptomatisch, was mit RAFs Dancehall-Elementen mal mehr und mal weniger schief läuft:

Die Produktion lehnt sich recht deutlich an "Unforgettable" von French Montana und Swae Lee an, wofür das Produzentenduo 1Mind verantwortlich zeichnet. Nicht nur verwertet "Andere Liga" den Drumbeat fast eins zu eins, auch einige Elemente in der Synth-Produktion und Songstruktur finden sich in RAFs Titel wieder. Dennoch klingen die beiden Songs fundamental unterschiedlich. Wie kann es also sein, dass die Produktion von Beataura und RAF nicht ansatzweise an die offensichtliche Vorlage heranreicht?

Der Drumbeat

Fangen wir mit der offensichtlichsten Gemeinsamkeit an: Natürlich klingt die Perkussion erst einmal recht typisch für einen Dancehall-Song, die vordergründige Four-to-the-Floor-Kickdrum synkopiert ein wenig versetzt die Snare. Dennoch wirken die Drums auf "Andere Liga" wesentlich schwächer, als sie es auf "Unforgettable" tun. Dies hat zwei Gründe:

  • Die Variation. 1Mind ergänzt das Kick-Snare-Pattern nur subtil um aufs Stereo gelayerte Hi-Hats, eine Drumroll, die alle vier Beats einsetzt, und einen Breakdown nach der Hook. Diese Elemente befinden sich alle mittig und leise im Beat, sodass sie keinen Fokus vom eigentlichen Rhythmus ablenken.

Beataura und RAF erweitern den Sound hingegen um einige Trap-Elemente. Besonders fallen dabei die Hat-Rolls auf, die dominant im Mix rattern und gegenläufig zum eigentlichen Puls funktionieren. Das schwächt den treibenden Groove, der "Unforgettable" so eingängig macht.

  • Der Mix. Es ist eine klassische deutsche Produktions-Krankheit, alle Elemente übereinander zu stapeln und am Ende mit der Hoffnung zu mischen, es werde schon alles irgendwie aufgehen, wenn es gleich laut ist. Die Drumlines von Beataura nehmen wenig Raum im Bass ein, haben aber auch wegen der überzüchteten Synthesizer wenig Platz, um in den Mitten der Frequenz zu atmen.
    Simpel formuliert, wird die Perkussion hier zwischen den verschiedenen Elementen zerquetscht und verdrängt, was die blechernen Edits (vermutlich Filter) noch verschlimmern. Hört man im Gegensatz dazu die Drumline in "Unforgettable", wird deutlich, dass hier die anderen Elemente um sie herum gemischt wurden. Die Drums fühlen sich, ohne an sich lauter zu sein, weitaus präsenter, fülliger und vordergründiger an.

Diese Produktionsentscheidungen führen dazu, das "Andere Liga" wie viele andere deutsche Dancehall-Beats das wichtigste Element - den Groove - unter allem möglichem Brimborium und Firlefanz verschüttet. Das Resultat: ein matterer, lebloserer und unspannender Sound.

Die Instrument-Auswahl

Interessanterweise finden sich auch viele vergleichbare Melodie-Elemente in den beiden Songs. Die Bassläufe verwenden dieselbe Textur. Dazu kommen jeweils Synthesizer, die eine Akkordstruktur in den Höhen addieren, und ein letztes Element, das melodische Akzente einfügt (Bei RAF klassische Reggaeton-Blechbläser/Synth-Hits, bei French Montana eine Steelpan mit Bitcrusher). Doch auch hier läuft auf Seiten des 1Mind-Beats einiges besser:

  • Die Textur. Ein gutes Beispiel: Hört man beim Einsatz der Refrains genau auf die Höhen, fallen in beiden Titeln (FM: bei 2:02 / RAF: bei 0:50) Melodieläufe auf, die sich recht ähnlich abwickeln. Doch während bei RAF stets alle Elemente auf dem selben Schlag einsetzen, sorgen Delay und Latenzzeit bei 1Mind für eine natürliche Synkopation der Melodieläufe. Dies führt zu einer besseren Verteilung und Spannung der Sounds.

  • Die Sounds an sich. Vielleicht ein No-Brainer, aber einer der wichtigsten Punkte: 1Mind verwendet schlicht und einfach wertigere Synthesizer-Sounds. Während RAF höchstwahrscheinlich Sounds aus gängigen Synth-VSTs wie Nexus oder vergleichbaren verwendet, die klanglich einfach ein wenig abgedroschen daherkommen, herrscht bei French Montana eine beeindruckende Vielfalt: Der subtile Basslauf basiert auf einer rückwärts abgespielten, mit EQs in ihren Frequenzbereich gegossenen akustischen Gitarre. Dazu stoßen Steelpans mit einem Bitcrusher und Vocalchops aus dem The Weeknd-Song "Wicked Games" aus dem Klassiker-Album "House Of Balloons", die Echos und Filter fast schon nach Ambient klingen lassen (zu hören zum Beispiel auf 3:33). 1Mind investiert mehr Detailarbeit und Kreativität in die Produktion, wodurch der Klang in seiner Gesamtheit schlicht frischer und einzigartiger anmutet als der Beat von RAF und Beataura, der vielerorts schematische und formelhafte Entscheidungen vermuten lässt.

  • Das Leveling. Wie auch im Drum-Punkt erwähnt, funktioniert das Zusammenspiel der Elemente auf "Unforgettable" wesentlich besser. "Andere Liga" krankt am Maximalismus der einzelnen Instrumente, die alle gleichzeitig einsetzen und miteinander ringen, was den Fluss der Musik lähmt und auch einzelnen Facetten des Songs kaum Raum lässt, um sich zu entfalten. Das wird besonders im Umgang mit der Songstruktur deutlich: "Unforgettable" baut so perfekt aufeinander auf, dass der Wegfall oder die Ergänzung eines einzigen Sounds schon dazu führt, dass der Wechsel zwischen Hook und Refrain absolut intuitiv und passend funktioniert.

Auf Genius haben 1Mind im Übrigen eine eigene Dekonstruktion ihres Beats aufgenommen, in der sie die Geschichte und den Entstehungsprozess des Songs besprechen. Dort lassen sich viele hier angesprochene Aspekte noch einmal bildlicher nachvollziehen:

Was ist jetzt also der Punkt? All das soll ja nicht wahllos gegen RAF Camora schießen. Jeder Kritik zum Trotz funktioniert die Single doch einigermaßen und klingt auch nicht ganz schlecht. Viel mehr geht es darum, eine Sensibilität zu wecken, um mit musikalischen Stil-Adaptionen umzugehen.

Oft arbeiten deutsche Produzenten hier nämlich noch zu sehr in ihren gewohnten Bahnen, um derartigen Einflüssen wirklich voll gerecht zu werden, und verlieren unnötig Potenzial. Hätte man zum Beispiel den erwähnten Maximalismus (ein etwa in der Dipset- und Crunk-Ära tatsächlich sehr effektiver Produktionsstil) zurückgesteckt und statt auf Hochglanz mehr auf Rhythmus-orientiertes Mixing gesetzt, könnte auch "Andere Liga" ein absoluter Sommerhit sein.

So aber bleibt "nur" noch eine Single im klassischen RAF-Anstrich, die eben ganz gut klingt, aber eigentlich auch nur bei den Hörern richtig ankommt, die zum originalen Dancehall noch keinen wirklichen Draht gefunden haben. Das wird sogar im Vergleich mit einer Single wie "Unforgettable" klar, die Dancehall an sich schon mit größtmöglichem kommerziellen Appeal ausspielt.

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"Ich war schon immer ein Typ, der eine gespaltene Persönlichkeit hat." Da liegt es natürlich nahe, sich zu verwandeln: Aus RAF Camora mach' RAF 3.0.

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"They thought the game was over / When B.I.G. died, then the homie Hov took it over / (In a New York minute) / They shot Pac five times / Years later, …

10 Kommentare mit 6 Antworten

  • Vor 6 Jahren

    Super Artikel! Objektiv und vor allem informativ.

    Selbst ich als absoluter Raf-Fan, kann euch da nur zustimmen. Mir fällt schon seit Jahren auf, dass seine Musik gnadenlos überproduziert und -komprimiert ist.

    Das nenne ich mal guten Musikjournalismus! Mehr davon, bitte!

  • Vor 6 Jahren

    unabhängig vom langen, durchaus informativen Artikel (der aber etwas zu sehr ins technische Detail gehen mag) in dem wohl mehr Arbeit steckt als im eigentlichen Track stellt dieses Stück mal wieder knallhart zur Schau, warum ich mir Raf auf Albumlänge nicht geben kann und will

    alles klingt gleich, seine Gesangseinlagen variieren nie, die Hintergrundberieselung ist entweder plastikpoppige Dancehallstangenware oder überdramatisierte Pathosfetzen, sein flowässerter Ösi-Slang nölt immer gleich, seine Songs sagen entweder zu viel Kalendersprüche oder komplett bedeutungsloses aus und ich empfinde beim Hören immer zugleich eine wirklich große Langeweile

    • Vor 6 Jahren

      Für sein Frühwerk (v. a. "Nächster Stopp Zukunft", "Therapie nach dem Album" und "Artkore") wird er bei mir immer einen Stein im Brett haben, aber angesichts seiner letzten Songs muss ich dir schon recht geben...

    • Vor 6 Jahren

      Gegen vergangene Taten hab ich ja auch gar nichts und habe einige Tracks gut im Gedächtnis, diese nun schon länger anhaltende Schiene ist aber nichts für mich

  • Vor 6 Jahren

    Alter, das ist doch kein Zufall, erst dieser Typ vorhin und dann diese Review hier?! :D

  • Vor 6 Jahren

    Toller Artikel, absolut mehr davon.

    Im Bezug auf Deutsch(rap)produzenten sehr treffend. Fast alles langweilig, unspannend, 08/15 und vor allem meist viel zu spät schlecht kopiert.

    RAF mag ich an sich, aber diese langweiligen Dancehall-Billigbeats und das Überstrapazieren davon seit "One Dance" und "Palmen aus Plastik" nervt hart.

  • Vor 6 Jahren

    Sehr geiler Artikel. Bitte mehr davon!

  • Vor 6 Jahren

    Angeblich beendet RAF ja seine Solo-Karriere nach der Fortsetzung von PaP und einem weiteren Solo. Eigentlich keine schlechte Idee, denn bis dahin ist dieser Sound sicherlich wieder out und im Moment sehe ich noch nicht, wie er sich danach neu erfinden könnte. Falls er sich dann aufs Managen und Produzieren verlegen möchte, hoffe ich mal, dass er diesen gelungenen Artikel gelesen hat. ;)

    • Vor 6 Jahren

      Im Neuerfinden ist er ja König, aber wenn man sich anschaut, wie viele Inkarnationen davon funktioniert haben (circa 1,5 von gefühlt 10), sehe ich das ähnlich.