2017 ist jeder Tag Frauentag, mit 365 Interpretinnen und Bands, sortiert nach Genres. Heute mit Vorreden von Dennis Lyxzén (Refused) und Doctorella.

Konstanz (skb) - In der fünften Folge der Reihe "Die Frau in der Musik" erwartet euch ein Blick auf Punk, Post-Punk, New Wave und die Riot Grrrl-Bewegung. Ein Querschnitt von den sumpfigen Anfängen im CBGB's bis hin zu aktuellen Veröffentlichungen. Die Vorrede überlassen wir auch heute Menschen vom Fach: Sandra Grether & Kerstin Grether von der Berliner Electro-Rock-Chanson-Band Doctorella. Kerstin ist außerdem Roman-Autorin (u.a. "Zuckerbabys" und "An einem Tag für rote Schuhe"), Sandra gründete die Riot Grrrl-Band Parole Trixi. Beide kennt man auch als Spex-Autorinnen und Betreiberinnen des Labels "Bohemian Strawberry".

Der Schwede Dennis Lyxzén ist Sänger und Vordenker der legendären Hardcore-Punk-Band Refused und gründete später The (International) Noise Conspiracy. Sein aktuelles Bandprojekt, in dem auch zwei Frauen musizieren, heißt INVSN. Am 9. Juni erscheint ihr neues Studioalbum "The Beautiful Stories". Viel Spaß mit ...

30 Frauen des Punk, Post-Punk und New Wave

Doctorella:
(Chansonnetten, Feministinnen und die Mutigen mit Erdbeeren)

Punk-Rock war für weibliche Musiker schon immer Fluch und Segen zugleich. Fluch, weil Frauen in der populären Musik nur ganz selten mal als Genies angehimmelt oder für ihre musikalischen Skills geliebt werden. Hartnäckig hält sich ja das sexistische Klischee von der Frau, die Musik macht, obwohl sie's "gar nicht richtig kann" (was aber nicht weiter tragisch ist, weil sie "so schön charmant dahin schrummelt".)

Ironie des Schicksals, dass Punk mit genau dieser Agenda angetreten ist: um zu beweisen, dass es bei Musik nicht um technisches Können, sondern um tausend andere wichtige Sachen geht. Für männliche Musiker mag das funktionieren: man nimmt sie trotzdem noch als Musiker ernst - nur dass sie halt einen "anderen" Stil haben. Aber wenn das "andere Geschlecht" dann Punk macht, dann finden das zwar viele "cool", aber keiner der Punk-Verfechter würde auch nur seinen ältesten Sid & Nancy- oder Kurt & Courtney-Button darauf wetten, dass sie wenigstens die berühmten drei Akkorde auf der Gitarre anständig hinkriegen.

Punk-Musikerinnen stehen also vor dem Dilemma, sich in einer fluchenden Kunstform auszudrücken, die aufs Unerschrockenste mit dem Klischee spielt, Abschaum zu sein, "wertlos" und "ein Produkt" obendrein. "We're pretty vacant" eben, um es mit den Sex Pistols zu sagen: "and we don't care." Wobei man hier zwischen dem britischen "Ursprungs"-Punk von 1976/77 und den Hardcore-inspirierten Riot Grrrl-Bewegungen ab 1990 unterscheiden muss.

In der Riot Grrrl-Bewegung, die viel weniger vom "Draufscheißen" handelte und sehr viel konstruktiver und kollektiver (und auch mittelschichtstypischer) die patriarchatsgeprägten Missstände ihrer Zeit formulierte, war die Idee der musikalischen Weiterentwicklung durchaus mit eingeschrieben. Den Riot Grrrls ging es genau darum, NICHT zum Konsum-Produkt zu werden. Aber Riot Grrrl haben sich ja auch Musikerinnen wie Kathleen Hanna & Tobi Vail (Bikini Kill) und Allison Wolfe (Bratmobile) ausgedacht, um ausdrücklich Männerdominanz im Musikgeschäft, in der Gesellschaft und die damit einhergehenden restriktiven Normen (z.B. das Schönheitsideal) zu kritisieren.

Bands wie Gossip oder Kathleen Hannas Le Tigre (Nachfolgeband von Bikini Kill) verbanden handwerkliches Können mit Punk-Spirit, ohne sich gleich in eine Ära des Post-Punk oder Post-Feminismus zu wünschen. Eine Tradition, in der wir uns auch mit unserer Electro-Chansonrock-Band Doctorella sehen. Sandra, eine der Verfasserin dieses Textes, hat ja mit Parole Trixi eine der ersten deutschsprachigen Riot Grrrl-Bands gemacht, und Parole Trixi dann Mitte der Nullerjahre aufgelöst, aus genau dem oben beschriebenen Dilemma: immer nur Skill-Shaming.

Und nie hat einer genau hingehört und bemerkt, dass auf dem Album kaum Drei-Akkord-Punk drauf war, sondern komplizierter SST/Hardcore-Jazz-Rock. Und dass die Lyrics nicht einfach aggressiv subjektive Befindlichkeiten rausgröhlten, sondern poetische Mehrdeutigkeiten in Flow setzten. Dass die Texte von mehr handelten als von "Frauen-Politik". Letzteres sicher auch ein Problem, dass deutschsprachige Punkbands schon eine Dekade vor Gender und Judith Butler hatten: so tolle vielschichtige Acts der deutschen New Wave-Ära wie Carambolage, Bärchen & die Milchbubis, Hans-A-Plast, Östro 430 oder auch die Schweizer Kleenex. Die sangen natürlich auch über mehr als über "das Leben als Frau". So viel zum Thema Fluch.

Und wie war das nochmal mit dem Segen? Die Journalistin Gillian G. Gear betont in "She's a rebel: The History of Women in Rock 'n Roll"(1992) die segensreichen Seiten des Frauen-Punk: "Wenn der Feminismus die Frauen dazu inspiriert hat, sich Gedanken um ihre eigenen Möglichkeiten zu machen, dann hat Punk ihnen den besonderen Rahmen gegeben, diese auch auszuleben." In dieselbe Kerbe schlägt auch die legendäre amerikanische Rockjournalistin Ellen Willies: "Punk tat nur so, als wäre er asozial. In Wirklichkeit kümmerte er sich darum, sich nicht zu kümmern."

Statt Musikschulen besuchten Punk-Musikerinnen wie z.B. die Slits-Gitarristin Viv Albertine staatlich geförderte Kunstschulen. Sie waren aus der Arbeiterschicht. Punk gab also den von Sexismus und Klassismus betroffenen Musikerinnen die Möglichkeit, öffentlichkeitswirksam den großen Mittelfinger zu zeigen, und auch als Frauen aggressiv, nicht-blümchenliebend, aufzutreten. Eine perfekte Keimzelle für feministische Inhalte.

Sowohl bei Ur-Punk-Girls wie Slits und X-Ray Spex, als auch bei Riot Grrrl-Bands wie Bikini Kill und sogar Hole war das Sich-Nicht-Kümmern auf den Kapitalismus "in all seinen Formen" UND auf die Geschlechter-Zuschreibungen bezogen. Das Riot Grrrl-Manifest erklärte in 18 Punkten, warum die Riot Grrrl-Revolte notwendig ist: U.a. "weil wir wütend sind auf eine Gesellschaft, die uns sagt: Mädchen = blöd, Mädchen = böse, Mädchen = schwach."

Und so muss man unterm Strich feststellen, dass nicht nur in der Mathematik, sondern auch im feministischen Punk minus mal minus eben Plus ergibt: sich in die doppelt-unterdrückende Zuschreibungshölle zu begeben, damit zu leben und zu experimentieren, hat die Rebel Girls des Punk nicht schwach, sondern sogar so stark gemacht, dass sie immer neue feministische Wellen mitbegründen konnten! Ist der Ruf erst ruiniert ... oder auch: wer sich einmal nackt im Schlamm wälzt, wie die Slits auf dem Cover ihres Debüt-Albums "Cut", dem glaubt man eben doch.

Dennis Lyxzén:
(Sozialist, Anarchist, Feminist)

Ich spiele bei INVSN in einer Band, die zur Hälfte aus Frauen besteht. Ich habe mich in ihrer Gesellschaft schon immer wohl gefühlt. Ein grundsätzliches Problem ist folgendes: Wir leben in einer Welt, in der Männern immer gesagt wurde, dass es in Ordnung ist, den kompletten Platz einzunehmen. Männer sind es gewohnt, sich durchzusetzen, wohingegen Frauen eher mal einen Schritt zurücktreten. Hier ändert sich gerade etwas und das muss man unterstützen. Wir waren mit Refused jetzt eineinhalb Jahre auf Tournee und haben gezielt Vorgruppen ausgesucht, bei denen Frauen mitspielen, einfach um den Leuten zu zeigen, was es für tolle Bands gibt, in denen Frauen mitspielen.

Hier in Schweden gibt es viele Festivals, die auf einen 50/50-Geschlechterschnitt der teilnehmenden Künstler achten. Das ist ein guter Anfang und diese Entwicklung kam zustande, nachdem sich in den letzten Jahren immer mehr Festivalbesucher in Zeitungen und über Social Media darüber beschwert haben, dass Veranstalter nur Bands mit Typen buchen. Wir schauen uns oft Festival-Line Ups an und schätzen den Anteil weiblicher Künstler, in der Regel ist das Ergebnis aber niederschmetternd. Offenheit und Gleichberechtigung mag in der Alternative Rock- und Punkrock-Szene en vogue sein, in den Statistiken schlägt sich das nicht nieder. Von den Mainstream-Events ganz abgesehen: Beim größten schwedischen Festival Sweden Rock spielen Aerosmith und Mötley Crüe und keine einzige Frauenband. Hier muss noch viel passieren.

In den 90er Jahren war es noch schwerer, weibliche Musiker zu finden. Dabei haben mich, als wir mit Refused anfingen, gerade Bands wie Bikini Kill, Sleater Kinney und all diese großartigen Bands inspiriert. Das Männer-/Frauen-Verhältnis im Punkrock/Hardcore war damals aber 99,9 zu 0,1. Da ist es heute schon bedeutend besser. Man braucht einfach Vorbilder, um Lust auf Musik oder eine Band zu bekommen. Deshalb brauchen wir im Punk- und Hardcore-Sektor mehr Vorbilder. Und im Metal sowieso.

Eine frühere Kollegin bei INVSN hat es gehasst, wenn sie als Frau und nicht als Musikern beurteilt wurde. Für mich ist die Zusammenarbeit mit Frauen ganz natürlich, die Gruppendynamik verändert sich, wenn eine Frau in der Band ist. Es ist alles relaxter und vielleicht auch eine Spur offener. Ich spiele aber nicht mit Frauen in einer Band, damit der Frauenanteil steigt, sondern weil wir sehr gut miteinander auskommen, teilweise schon jahrelang befreundet sind und weil ich die Musikalität der Bandmitglieder und Bandmitgliederinnen schätze. Ich denke, sobald der Punkt erreicht ist, wo es einfach egal ist, welches Geschlecht man hat, wo man nicht mehr darüber nachdenkt, dass es doch toll wäre, noch eine Frau in der Gruppe zu haben, das ist der Moment, wo wir am Ziel sind.

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