30. März 2017

"Ich klinge wie ein quiekendes Schwein!"

Interview geführt von

Lange war es still um Nelly Furtado. Doch am 31. März kommt mit "The Ride" seit fünf Jahren wieder ein Album, auf dem die Sängerin sehr persönliche Gedanken verarbeitet. Wir haben mit ihr über die Entstehung von "The Ride" und über die Veränderungen in ihrem Leben gesprochen.

Wenn der Name Nelly Furtado fällt, denken die meisten an Hits wie "Promiscuous", "Maneater" oder "Turn Off The Light", die alle schon weit über zehn Jahre zurück liegen. Auch ich hatte die quirlige Tanzmaus im Kopf, dementsprechend schwer fiel es mir, mich in die Thematik des neuen Albums "The Ride" einzufühlen, in dem die Sängerin ihre Sinnkrise in den vergangenen Jahren verarbeitet.

In der Vorbereitung auf das Interview schien mir schon, dass Nelly immer ungefähr das Gleiche erzählt. Ich schob es auf ihre Gesprächspartner, doch schon während der ersten Frage merkte ich: Nope, diese Frau ist ein absoluter Medienprofi. Sie arbeitet sich an harten Fakten ab, die sie auf Biegen und Brechen in jeder Antwort fallen lässt. So wurde aus der flapsig formulierten "Bist du bereit"-Frage bereits ein Monolog über den Inhalt von "The Ride". Schade eigentlich, denn eigentlich stehen die etwas pauschalen Antworten stark im Kontrast zu der ruhigen und nachdenklichen Atmosphäre des Albums.

Hi Nelly, hast du Lust über "The Ride" zu reden?

Liebend gern! "The Ride" ist mein neuestes Album und das erste seit 2012. Ich bin dieses Mal wirklich aufgeregt, denn es ist fast wie ein Tagebuch. Es ist wirklich roh und ich erzähle von ein paar Sachen, durch die ich in den letzten vier Jahren gegangen bin. Ich bin einfach auf die Reise gegangen, weißt du. Und wenn du einmal anfängst dein Leben aus einer sehr persönlichen Sichtweise zu betrachten, beginnst du, ein paar deiner Ängste zu besiegen. Manchmal haben wir am meisten Angst vor uns selbst und wenn man sich einmal mit seinen Schattenseiten auseinander gesetzt hat, kann das sehr befreiend sein. Ich habe einfach ein paar dieser Themen für mich ausgeleuchtet.

"The Ride" ist dein erstes Indie-Album. Was war anders bei der Produktion?

Also, eigentlich ist es schon mein zweites Independent Album. Ich habe mein spanisches Album "Mi Plan" schon über Nelstar aufgenommen. Aber "The Ride" ist mein erstes englisches Album, das ist richtig. Und jetzt bin ich in der Lage mit vielen verschiedenen Partnern auf der ganzen Welt zusammen zu arbeiten. Ich bin eigentlich sehr spontan kreativ und jetzt unabhängig von einem großen Label zu sein bedeutet für mich, dass ich einfach alles aufnehmen und morgen schon veröffentlichen kann.

Ich hab diese Freiheit schon genutzt, als ich ein paar Cover-Songs releast habe. Calvin Harris "Feel So Close" hab ich zum Beispiel einfach über Nacht gedroppt. Ich fand das wirklich cool, weil mir ein befreundetes Paar erzählt hatte, dass sie meine Version auf YouTube gesehen hatten und das so gern als ihren Hochzeitssong nutzen würden. Also hab ich den Song nochmal richtig aufgenommen und ihn dann auch bei der Hochzeit gespielt. Danach hab ich ihn über Spotify veröffentlicht.

Streamingdienste erlauben es uns Künstlern, sehr spontan zu sein. Ich ging sehr unkonventionell mit der Promotion für mein neues Album vor und hab es vorgezogen, keine richtige Single zu veröffentlichen, sondern eher eine Reihe von Streaming-Optionen und -Events und kleine Geschichten. Ich hab schon vier Songs von "The Ride" in den letzten sechs Monaten veröffentlicht. Und ich hab den Song "Islands Of Me" gemacht, der nur auf der Vinyl-Ausgabe drauf ist.

Ich weiß auch nicht, es hat einfach Spaß gemacht, dieses Mal etwas anders vorzugehen. Ich bin auch in meinem Leben allgemein etwas kreativer geworden. Ich habe mit anderen Kunstformen herumexperimentiert. Ich habe eine Sound-Ausstellung für eine Freundin gemacht, wo ich wirklich mit nur mit Klängen Musik gemacht habe. Ich singe ein bisschen, aber nicht wirklich "linear" in dem Stil, in dem man Pop-Songs meistens schreibt.

Ich habe auch einen experimentellen Songwriting-Kurs im Museum Of Modern Art in New York gegeben, bei dem ich zusammen mit 80 Fremden über drei Stunden einen Song geschrieben habe. Ich wollte erreichen, dass die Leute merken, dass jeder Mensch Anteil nehmend und empathisch ist. Ich glaube fest daran, dass wir alle die Gefühle des anderen spüren. Und ich glaube ich habe vor allem gemerkt, dass ich wirklich ein "Feeler" bin und jemand, der wirklich alles fühlen will, damit ich dann darüber schreiben kann. Aber vor allem auch, damit ich mich selbst verstehen kann. (lacht)

"In Johns Musik steckt sehr viel Menschlichkeit"

Wie kam es zu der Arbeit mit John Congleton? Was konnte er dir geben, das dir kein anderer Produzent zu der Zeit geben konnte?

Ich habe ihn durch eine andere Sängerin kennen gelernt, Annie Clark von St. Vincent. Sie hat bisher glaube ich vier Alben raus gebracht und ich bin ein ziemlich großer Fan. Wir haben uns auf einem Festival getroffen und haben gequatscht und Nummern ausgetauscht. Irgendwann ist mir dann aufgefallen, wie großartig die Produktion war und ich wollte unbedingt wissen, wer der Produzent ist und wie er diesen Sound hin bekommt. Ich mochte die Musikalität sehr und Annie hat uns dann einander vorgestellt. So kam ich dann dazu, mit John zu arbeiten. Er kommt ursprünglich aus Texas und hat dort dieses coole kleine Studio, dass tatsächlich ein bisschen creepy ist, weil es vorher ein Bestattungsinstitut war (lacht).

Er arbeitet in einer sehr eigenen Art und Weise. Er macht das ganze Engeneering selbst, auch das Mixing und die Produktion macht er ganz allein. Er hat diesen Musiker beauftragt, der in seiner Jugend Kirchenmusik und Balladen gespielt hat und irgendwie funky und cool war. John will richtige Performance von einem Sänger. Also hat er mich gebeten so zu singen, als würde ich ein Konzert geben, also von Anfang bis Ende. Normalerweise wollen moderne Produzenten eher all deine Vocals auseinander schneiden und wieder zusammenfügen. Deswegen steckt in Johns Musik auch sehr viel Menschlichkeit. Er benutzt kein Autotune oder Melodyne oder andere Software und das gefällt mir sehr, dass jemand in einer sehr traditionellen Weise arbeitet, aber trotzdem mit einer modernen Perspektive, denn er ist sehr cool und trashig, aber aktuell, halt diesen Mix, den du nicht jeden Tag findest.

Ich hatte wirklich Glück, denn er ist sehr beschäftigt und arbeitet hauptsächlich für Alternative- und Rock-Musiker und war bereit, für mich Zeit und Energie zu opfern. Bei allem was er tut ist er mit dem Herzen dabei, deswegen hatte ich wirklich Glück ihn in einer ruhigen Zeit zu erwischen und wir gemeinsam etwas schaffen konnten, auf das ich sehr stolz bin. Das Album hat diese Einfachheit an sich, die ich sehr mag und die mir irgendwie sehr nahe geht.

Ich habe gelesen, dass man drei Begriffe benennen kann, die für "The Ride" stehen: Wachstum, Reflektion und Akzeptanz. Kannst du erklären, inwiefern diese drei Begriffe sich in deinem Album wiederspiegeln?

Ähm klar! ...Warte, was war das erste?

Wachstum.

Also, Wachstum ist jetzt nicht unbedingt eines der Themen würde ich sagen. Aber ich glaube schon, dass ich sehr viel reflektieren musste, damit ich diese Songs schreiben kann. Reflektion kann nur passieren, wenn man leise ist. Ich habe einen Song darüber, der heißt "Carnival Games". Der Text geht so: "Wenn du genügend Geld auf dem Jahrmarkt ausgibst, hast du einen Preis in der Hand wenn du gehst/ Aber der Preis wird dir aus der Hand rutschen und du wirst nie wissen wie es ist, zu gewinnen". Wahrer Gewinn, echter Erfolg hat absolut nichts mit Materialismus oder sozialem Status oder sowas zu tun. Es hat viel mehr mit persönlichen Dingen zu tun, wie zum Beispiel ob du dich einer Gemeinschaft zugehörig fühlst. Oder ob du einen altruistischen Sinn in deiner Arbeit spürst und ob du das Gefühl hast 'Hier gehöre ich her'.

Ich musste ein paar Sachen in meinem Leben etwas herunterfahren, damit ich das Herzstück meines Lebens wieder finde. Ich musste einfach einen langsameren Lebensstil für mich selbst finden, einen eher, ich würde sagen, poetischen Lebensstil. Wenn du nicht langsamer lebst, findest du keine Poesie in deinem Leben. Deswegen musst du reflektieren.

Mit Akzeptanz meine ich: wenn du in den Spiegel schaust, wird dir nicht unbedingt gefallen was du siehst. Du wirst vielleicht realisieren, dass du ein paar Schatten hast und ein paar dunkle Seiten, die du zu ignorieren versuchst. Wenn du dir aber die Zeit nimmst, deine Fehler zu akzeptieren und akzeptierst, was möglicherweise nicht schön ist in deinem Leben, kann das sehr befreiend sein. Und darum geht es ja, sich selbst zu akzeptieren und so frei zu sein.

Bei mir hat sich das so geäußert, dass ich versucht habe mein Selbstbewusstsein durch ein neues Hobby zu steigern. Ich bin zur Universität gegangen und habe Songwriting studiert, ich begann zu nähen und zu töpfern und hab für ein paar Tage bei einem Freund im Plattenladen gearbeitet. Ich habe viele Sachen gemacht, die ich vor zehn Jahren nicht gemacht hätte, weil ich vermutlich viel zu beschäftigt gewesen wäre. Du musst dir einfach Zeit für deine Träume nehmen. Und du musst deine Träume stetig neu bewerten und sicher gehen, dass du nicht nur versuchst, etwas zu jagen, sondern auch lebst.

"Erlaube dir selbst, das Leben zu fühlen."

Ein Song, der das für mich wiederspiegelt ist "Phoenix", weil du sagst 'Es ist okay zu versagen und es ist auch okay zuzugeben, wenn man versagt hat. Das ist nicht das Ende der Welt.' Das ist sehr inspirierend. Du hast auf "The Ride" aber auch noch den Song "Life", der mich aufgrund seiner Intimität noch mehr beeindruckt hat. Du schreist am Ende förmlich deine Lungen aus dir heraus und ich empfand das als sehr befreiend und gleichzeitig aber auch als einen sehr nahen Moment.

Ich bin froh, dass dir genau der Song so gut gefällt! Ich konnte bisher noch nicht wirklich über "Life" reden und ich finde es echt cool, dass dir aufgefallen ist, dass ich am Ende schreie! Ich habe eine lustige Geschichte über den Song (lacht).

Ich hab den Song in einem kleinen Flugzeug geschrieben, als ich auf dem Weg von Nairobi nach Kenia war. Da kam ich auf die Idee mit dem Refrain (singt) "I don't wanna life, I don't wanna life getting what I need and never what I want, 'cause I don't need you but I want you". Ursprünglich waren die Verse auch langsamer gedacht (singt) "Now that I'm lying here with imperfection running through my venes". Und ich hab John das vorgesungen und er meinte: 'Warum machst du das nicht schneller?'. Also hab ich es einfach schneller gemacht (singt wieder, verhaspelt sich und lacht). Und dann hat mich John gebeten, den Refrain zum Schluss einige Oktaven höher zu singen. Ich hab ihn angeschaut und gesagt: 'Bist du wahnsinnig? Ich kann nicht so hoch singen! Ich werde wie ein quiekendes Schwein klingen!' Und er meinte nur 'Ist mir egal, der Song ist sehr emotional und ich will, dass die Leute deine Verzweiflung am Ende spüren' (lacht). Also singe ich da jetzt halt die wahrscheinlich höchsten Noten, die ich überhaupt singen kann. In "Pipe Dreams" übrigens die tiefsten Töne. Das ist noch so ein Grund, warum John so ein großartiger Produzent ist, denn er holt wortwörtlich diese Verzweiflung und so auch die Verletzlichkeit aus einem Künstler heraus.

Bei "Life" geht es darum, dass du dich nach Liebe sehnst, nicht mehr perfekt sein willst und du entscheidest, dass es absolut okay ist, auch mal Fehler zu machen. Du fragst dich 'Warum muss ich immer das Richtige tun? Warum kann ich nicht einfach mal ganz bewusst Fehler machen und die Konsequenzen akzeptieren?' Ich glaube, dass das auch ein Teil davon ist, erwachsen zu werden. Du beginnst dich selbst weniger zu beurteilen und akzeptierst, dass du nicht perfekt bist. Und darum geht es in dem Song: Erlaube dir selbst, das Leben zu fühlen.

Das ist wunderschön! Die letzte Frage, die ich dir stellen möchte, dreht sich um die visuellen Beiwerke zu "The Ride". Du hast einen Kurzfilm zum Album gedreht, der wirklich düster und irgendwie ausgefallen ist. Im Vergleich dazu wirkt das Cover sehr hell und fast schon einladend. Hast du Lust, es uns zu erklären?

Ich kann es nicht wirklich erklären, weil es für mich sehr künstlerisch ist. Es beinhaltet ein Kunstwerk von Samantha McCurdy, einer Skulptur-Künstlerin aus Dallas. Ich hab das Fotoshooting vor einer ganzen Weile gemacht, als ich noch Songs für "The Ride" geschrieben und aufgenommen habe. Wenn ich das Bild sehe, sehe ich ein Gesicht, das kurz vor der Beichte steht (lacht). Ich gestehe und bin irgendwie nackt und sehr schmucklos, es beinhaltet einfach so viele Dinge auf einmal. Ich mag, dass es so verwirrend ist, denn das Leben ist verwirrend. Und ich glaube das ist auch der Grund, warum ich das Cover gewählt habe. Es hat etwas echtes, etwas rohes und verletzliches, das ich sehr gern mag.

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