laut.de-Kritik

Ihre Stimme reift wie eine Flasche edlen Rotweins.

Review von

"Ich habe lange nach einer Definition von 'Folk Music' gesucht. Muss ein Folk-Lied alt sein und auf traditionellen Instrumenten gespielt werden? … Ich bin zur Überzeugung gelangt, dass ein universell geliebtes und verstandenes Lied zeitliche Barrieren durchbricht und zum Folk-Stück wird, weil es vielen von uns etwas bedeutet", erklärt Natalie Merchant im Booklet zu dieser CD.

Eine Interpretation, die durchaus interessante Möglichkeiten eröffnet. Gehören auch Gloria Gaynor mit "I Will Survive" dazu? Bob Marley mit "No Woman No Cry"? Oder gar Metallica mit "Fade To Black"?

Die ehemalige Sängerin der 10.000 Maniacs lässt sich auf solche Experimente nicht ein. Von elf Stücken stammen gerade mal zwei aus den letzten 35 Jahren: Der Opener "Sally Ann" von den Horseflies sowie "Crazy Man Michael" von Fairport Convention. Ansonsten beschäftigt sie sich mit einem Gewerkschaftsaufruf ("Which Side Are You On?"), unglücklichen Liebesgeschichten ("Diver Boy", "House Carpenter", Bury Me Under The Weeping Willow"), einem Kinderlied ("Soldier, Soldier"), dem harten Leben auf dem Land ("Owensboro", Down On Penny's Farm") und religiösen Themen ("Weeping Pilgrim", "Poor Wayfaring Stranger").

Eine gelungene Mischung, die Merchant mit ihrem Musikverständnis veredelt. Ihre Stimme gleicht einem edlen französischen Rotwein, der seine Güte erst im Alter entfaltet. Erreichte sie auf dem Vorgänger "Motherland" (2001) im Titeltrack eine ungeahnte Ausdrucksstärke, haucht sie neues Leben in die Stücke, die sie hier interpretiert. Bei "Which Side Are You On?" möchte man aufspringen und (an ihrer Seite) gegen das Böse auf dieser Welt kämpfen, beim fröhlichen "Down On Penny's Farm" wähnt man sich bei einer ländlichen Hochzeit aus dem 19. Jahrhundert. Liefert sie mit "Diver Boy" eine Murder Ballad, die mit E-Gitarre gut auf Nick Caves gleichnamiges Album gepasst hätte, könnte sie mit "Weeping Pilgrim" und "Owensboro" selbst den Papst zu Tränen rühren.

Unter so vielen guten Stücken ragen zwei heraus. "Bury Me Under The Weeping Willow" ist nach Merchants Angaben das erste Lied, das die Carter Family 1927 aufnahm. "Ihre Rolle in der amerikanischen Musik ist nach wie vor unerreicht", erklärt sie, eine Achtung, die sie mit ihrer mitreißenden Version überzeugend beweist. Es ist eine erste Verbindung zu Johnny Cash, dessen Frau June der nachfolgenden Generation der Carter-Familie angehörte. Das zweite ist "Poor Wayfaring Stranger", das sowohl dieses Album als auch "American III: Solitary Man" des verstorbenen Country-Sängers abschließt. Merchants Version klingt schräger und besitzt aus gegebenem Anlass nicht die gleiche Tiefe. Dafür verzichtet sie auf überzogenes Pathos.

Das Album ist umso eindrucksvoller, wenn man bedenkt, dass Merchant ihrem Major-Label den Rücken gekehrt und mit "Myth American Records" ihr eigenes gegründet hat, dazu neben Songauswahl auch Produktion und Verpackungsgestaltung übernimmt. Ein glückliches Händchen beweist sie auch bei der musikalischen Begleitung; mit der Ausnahme von "Soldier, Soldier" verzichtet sie auf verstärkte Instrumente und setzt auf Westerngitarren, Banjos, Geige und Klavier. Der Klang ist zwar traditionell, wirkt aber nicht altbacken.

Mit "The House Carpenter's Daughter" ist Natalie Merchant erneut eine musikalische Perle gelungen. Eine Feststellung, die kaum überrascht, schließlich hat sie sich schon mit ihrer ehemaligen Band qualitativ hochwertige Musik als Schaffensziel gesetzt. Jetzt, wo sie in jeder Hinsicht ihr eigener Chef ist, könnte sie sich auch mal an ungewohntes Material wagen. Johnny Cash hat es ja schon vorgemacht; universell geliebte und verstandene Lieder, die zeitliche Barrieren durchbrechen, gibt es in jedem Genre ja genug.

Trackliste

  1. 1. Sally Ann
  2. 2. Which Side Are You On?
  3. 3. Crazy Man Michael
  4. 4. Diver Boy
  5. 5. Weeping Pilgrim
  6. 6. Soldier, Soldier
  7. 7. Bury Me Under The Weeping Willow Tree
  8. 8. House Carpenter
  9. 9. Owensboro
  10. 10. Down On Penny's Farm
  11. 11. Poor Wayfaring Stranger

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