15. Juni 2011

"Indie heißt heute enge Hosen und Justin Bieber-Haircut"

Interview geführt von

2010 gelang den drei Zürchern der Durchbruch. Ihr Debütalbum "Our Love Will Cut Through Everything" wurde nicht nur in der Schweiz positiv aufgenommen.Im Anschluss an ein Konzert voller großer Gefühle auf kleiner Bühne, treffe ich mich mit Sänger Thom Luz zum Gespräch. Der Rahmen ist ihr "Tourbus", ein alter Lieferwagen voller Kleidung und Equipment, der unterstreicht, dass begeisterte Kritiken nicht gleich Berge von Geld nach sich ziehen.

Thom ist hochmotiviert und gibt bereitwillig ausführliche Antworten, während seine Mitmusiker lautstark das Equipment in den Bus verfrachten. Interviews geben scheint also nicht immmer eine Tortur zu sein, vor der sich der Künstler gern drückt.

Ihr spielt in der Schweiz regelmäßig in größeren Clubs. Was ist das jetzt für ein Gefühl, hier in Stuttgart im relativ kleinen Schocken aufzutreten?

Thom Luz: In der Schweiz haben wir am Anfang viele Konzerte vor einem Junkie und einem toten Hund gespielt. Das hätte hier natürlich auch wieder so sein können, aber es war toll. Die Leute kannten die Single und konnten sogar einige Texte mitsingen – in der Schweiz hat das drei Jahre gedauert. Wir beschweren uns natürlich nicht über kleine Bühnen, das wäre ja vermessen. Sowas würde mir vielleicht in zehn Jahren einfallen.

Ich will aber auch nicht unbedingt zurück, weil ich finde, dass unsere Musik schon einen gewissen raumgreifenden Anspruch hat. Da werden große Inhalte verhandelt, weshalb größere Bühnen auch für den Zuhörer besser funktionieren.

Seht ihr euch eher als Live-Band oder bevorzugt ihr die Abgeschiedenheit eines Studios?

Ich mag beides, nur sind die Sachen unterschiedlich schwierig. Ich finde es im Studio einfacher, obwohl ich Auftritte sehr mag. Es geht uns aber darum, dass die Songs live spielbar sind. Sie müssen live funktionieren, darauf achten wir bei der Aufnahme sehr. Die Songs sollen in ihrem Grundgerüst zu dritt spielbar sein und nicht etwa nur durch Overdubs funktionieren. Wir lieben einfach den Sound und den möchten wir auf beiden Medien so haben.

Bei euch geht's seit Februar ja richtig ab. Was genau ist denn seit der Veröffentlichung von "Our Love Will Cut Through Everything" alles passiert?

Im Februar kam die Platte und wurde vor allem im französischsprachigen Teil der Schweiz stark abgefeiert. Dadurch hing dann auch Frankreich dran, weil die da so semipermeabel sind (lacht). Das einzige Wort, das ich aus dem Biologieunterricht noch kenne. Das heute war unser erstes richtiges Deutschlandkonzert – letztes Jahr haben wir auf der Popkomm gespielt.

Österreich und Beligien vertrösten wir gerade per Facebook, da man ja ruckzuck das Postfach mit Anfragen voll hat. Die nehmen wir auch alle sehr ernst. Aber jetzt hat eben die Arbeit an der zweiten Platte angefangen, die ja auch nicht erst in zwei Jahren rauskommen soll, sondern lieber in einem.

"Albert Hofmann hat das LSD auch im Ausland erfunden"

Könnt ihr auch während einer Tour Songs schreiben? Zum Beispiel haben ja gerade die Gorillaz ein Album veröffentlicht, das auf ...

... dem iPad komponiert wurde! Ich finde diese Aktion ja ein bisschen fraglich. Warum hat er [Damon Albarn, Anm. d. Red.] diese iPad-Werbeaktion nötig? Wir arbeiten anders, denn wir versuchen so viel Zeit wie möglich im Proberaum zu verbringen, um dann die Songs auch mal zwei, drei Monate liegen lassen zu können. Wir wollen ja kein zweites Album, das so klingt wie das erste.

Wisst ihr schon, in welche Richtung die neuen Sachen etwa gehen werden?

Wir gehen da relativ "unkonzeptig" ran. Wir versuchen, wie schon beim ersten Album, Songs zu machen, die uns gefallen. Es wird mehr Piano geben, aber ansonsten versuchen wir einfach, noch bessere Songs zu schreiben. Wir haben jetzt natürlich mehr Konzerterfahrung. Während das erste Album eher in häuslichen Umständen entstanden ist, wissen wir jetzt wie Songs klingen, die wir dann gut live performen können. Außerdem sind wir natürlich besser an unseren Instrumenten geworden ...

Ach, das ist also auch noch ein Faktor?

Ja, aber wir versuchen auch nicht zu gut zu klingen. Jeder von uns hat noch einmal Stunden genommen, aber nur so ganz ... cool (grinst). Wir versuchen einfach weiterzukommen, wir haben ja auch einen gewissen Anspruch an die Sache. Ich möchte allerdings aufpassen, dass wir nicht in die Indie Rock-Hymnenfalle geraten. Hymnen und Balladen – es soll eben auch noch etwas dazwischen geben.

Das Thema des neuen Albums wird Köperlichkeit sein. Beim ersten Album wird ja auch oft von einem Teenager-Album geredet. Als Teenie ist ja im Kopf mehr los, als nachher dann wirklich. Insofern wird dann die zweite Platte einen Schritt weiter gehen, indem es um wirkliche Körperlichkeit geht.

(Ruft dem Schlagzeuger zu): Gell, wirkliche Körperlichkeit?!

Kusi: Körperlichkeit finde ich super!

Wo wir gerade bei Hymnen sind, muss jetzt natürlich die obligatorische Arcade Fire-Frage kommen, oder wie du sie in einem Interview genannt hast, "diese Kanadier".

Weißt du, wenn wir vor sechs oder sieben Jahren das gleiche gemacht hätten, würden uns jetzt alle auf Bright Eyes ansprechen. Und wenn wir das vor 16 Jahren gemacht hätten, würden uns jetzt alle auf Grandaddy ansprechen. Arcade Fire sind einfach im Moment die Übergötter und natürlich lieben wir sie wie alle anderen auch.

Der Mensch oder auch der Journalist muss unsere Musik natürlich vergleichen können. Am Anfang hatten wir damit schon etwas Mühe. Ich kann mich aber noch an mein erstes Arcade Fire-Konzert vor hundert Leuten erinnern. Da kam ein Freund zu mir und sagte: "Ey, komm mal mit zu dieser neuen Band aus Australien, die heißen irgendwie Arcade Huppadingsda!" Das war gut, aber hat mich jetzt nicht bekehrt. Natürlich ehrt uns der Vergleich, aber wir fühlen uns vom Geist her viel näher bei den Raveonettes. Wir reden mehr über Sigur Rós, als über Arcade Fire.

In der Schweiz wurdet ihr ja unter anderem als unschweizerisch wahrgenommen.

(hastig) Das ist jetzt wieder dieser schweizer Komplex! In der Schweiz scheint es eine ungeschriebene Regel zu geben, dass man sich nicht über ein gewisses Mittelmaß erheben darf. Wenn du das tust, egal in welchem Beruf, muss man eigentlich gehen. Das war auch mit Bonaparte so, der ja eigentlich Schweizer, aber dann nach Berlin gegangen ist. Oder auch mit Sophie Hunger, wo es in Frankreich losging. Albert Hofmann hat das LSD auch im Ausland erfunden.

Aber bei den Raveonettes in Dänemark, da sagt jeder: "Yeah, Dänen!Hefftehüteheffte!" In der Schweiz ist das dann eben unschweizerisch, aber das ist ein Nationalkomplex, der weit zurückgeht.

Was wäre denn dann speziell schweizerische Musik für dich?

Naja, da gibt es Arthur Honegger, den Komponisten, oder die Young Gods, eine Industrial-Band, auf die sich von U2 bis Marilyn Manson alle berufen. Das sind aber alles Insider-Tipps. Mit Bonaparte, Sophie Hunger und uns fängt es an sich ein wenig aufzulösen, aber man kann schon sagen, dass wir Schweizer unemotionale Menschen sind. Vielleicht auch ein bisschen kalt und pflichtversessen, aber ich wüsste jetzt nicht was bei My Heart Belongs To Cecilia Winter besonders schweizerisch wäre.

Vielleicht ist es die Eigenständigkeit, denn im französischen und im deutschen ... äh ... Reich (lacht) gibt es keine Band wie uns. Vielleicht auch deshalb immer gleich der Vergleich mit den Arkadenfeuern.

Wobei natürlich die Frage ist, wie schweizerisch eure Heimatstadt Zürich überhaupt ist.

Schon sehr. Es gab da Zwingli, den Reformator, der alles Sinnliche aus der Religion genommen hat und letztendlich nur noch auf Strafe gegangen ist. Ich habe lange in Zürich gewohnt und ich spüre das ganz stark. Wenn ich in andere Städte gehe, merke ich, wie ich diese (überlegt) ... sinnliche Weltfremdheit mitbringe. Auch beim Flirten ist das so. Ich habe ein halbes Jahr in Berlin, dieser Stadt in Deutschland, gewohnt und dort merkt man die schweizerische Höflichkeit und das Zurückstellen erst richtig. Der Deutsche kommt einfach her und sagt: "Ey doo, kommaher dooo!."

(Kusi kommt herein und bringt Weißwein)

Was ist denn schweizerisch an uns?

Kusi: Das ist doch eine unwichtige Frage. Ich meine, was ist denn heute noch typisch deutsch?

Eigentlich hatten wir gerade festgestellt, dass ihr eigentlich anti-schweizerisch seid.

Thom: In Zürich herrscht eine Art Schrebergartenstimmung. Da gibt es eine Doom Rock-Szene, eine Elektro-Szene ...

Kusi: Ja, extrem unterschiedliche Szenen.

Thom: Es gibt auch eine sehr dogmatische Indie-Szene, aber wir sind eben nicht Teil einer bestimmten "Kanadienrock"-Szene, die jetzt in Zürich anfinge.

Kusi: Wir finden einfach alle, dass die Schweiz ein komisches Land ist und darüber machen wir eben Musik. Es ist eben komisch, oft geil, aber auch immer wieder scheiße, dieses Land. Im Parlament versteht sich keine Sau und so etwas verschafft viele Zwischenräume. Genau über diese Zwischenräume machen wir dann Musik. Darum klingt's eben auch unschweizerisch, weil es nicht so eindeutig ist.

"Die Musikindustrie ist einfach am Boden"

Okay. Wo ich doch Internetfuzzi bin ...

Ich auch!

Genau darauf wollte ich hinaus. Ihr seid ja total durch die Blogs gegangen und auch eure Facebook-Seite floriert. Inwiefern wäre euer Erfolg auch ohne Internet möglich gewesen?

Die Musikindustrie ist einfach am Boden, das war immer ein Schlagwort und wir erleben es jetzt im Moment am eigenen Leib. Dass es Internethypes gibt, ist neu. Auch die Rolle von MySpace beziehungsweise jetzt eher Facebook wird immer wichtiger.

Aber was die Blogs angeht, sind die ja von niemandem abhängig. Wir haben zum Beispiel niemanden angestellt, der regelmäßig Blogs schmieren geht. Ich nehme die Blogs auch insofern ernst, weil sie keinen Grund hätten, uns nicht in die Pfanne zu hauen. Als Musikheftchen hast du demjenigen eine sanfte Verpflichtung und die Booking-Agentur hat sich eingekauft. So ein Pimpf mit einem Indie-Blog, der 10.000 Mal im Monat geklickt wird, hat das nicht.

Aber es geht uns nicht darum, "indie" zu sein. Früher hieß indie, wenn unabhängige Labels seltsame Gitarrenmusik vermarktet haben. Heute heißt indie doch nur noch: enge Hosen und Justin Bieber-Haircut (allgemeines Gelächter).

Wie sähe denn My Heart Belongs To Cecilia Winter anno 1995 aus, also ohne die ganze Internet-Bubble?

1995 wären wir Teil einer viel größeren Szene. Viel mehr Leute würden Musik machen wie wir, das kommt daher, dass wir einfach solche "Nostalgiaholics" sind. Vielleicht wären wir dann mit Weezer auf Tournee gegangen.

Kusi: (schwärmerisch) Das wär geil!

Vielleicht wären wir bei einer mittleren Plattenfirma gesigned gewesen. Ich finde das aber gar nicht scheiße wie das mit der Musikindustrie gerade läuft, weil wir als Künstler im Moment sehr viel Kontrolle haben, was mit uns in der Öffentlichkeit geschieht. Eben weil wir das über Facebook und Twitter selbst steuern können. Früher hat sich das Label dazwischen geschaltet, während ich jetzt mit dem Kunden (grinst) oder dem Fan in Kontakt treten kann.

Ersetzt das Internet die kleinen Clubs, in denen man sich hochspielen muss?

Kusi: Nee, das glaube ich nicht. Man weiß auch bei diesen Hypes nie, was das jetzt ist und was daraus folgt. Das kann man ja nie wissen. Wir haben schon so oft mit so genannten Hype-Bands gespielt, aber bei den meisten ist der Ofen wieder aus.

Thom: In Clubs gehen und spielen ist aber auch mehr als nur Business-Strategie. Man würde das ja nicht machen, wenn man das nicht persönlich geil finden würde. Da gilt eben schon dieses "Don't Believe The Hype!" Klar, das Internet trägt viel bei, aber das wird sich weiterhin in Arten verändern, die wir uns überhaupt nicht vorstellen können.

Wir spüren jetzt schon den Generationsunterschied bei unserem Publikum. Das ist viel schneller, YouTube-mäßiger. Da ist die Aufmerksamkeitsspanne ganz anders, so hättätä hättätä hättätä – weg! Wir sind noch auf Konzerte gegangen, wo man erstmal zwanzig Minuten ineinander hängt und das ist eben ein Unterschied. Das wird auch noch viel schlimmer werden. Da kann man nichts anderes machen, außer: Fröhlich bleiben und Herz geben!

Welch schönes Schlusswort!

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