laut.de-Kritik

Wenn scharfe Gitarren Synthies pürieren.

Review von

Plus und Minus – das klingt erst mal, als könne dies nur als Versinnbildlichung eines krassen Gegensatzes gemeint sein. Nun, auf ihrem sechsten Album hantieren Mew tatsächlich mit Elementen, die vermeintlich nicht unter einen Hut zu bringen sind. Auf der einen Seite steht da die große Pop-Ambition, die in jedem Song der Platte fest verankert scheint.

Doch Mew geben sich laut eigenen Aussagen nicht damit zufrieden, Melodien für die Ohren einer Masse zu zaubern. Den vier Musikern ist es offenbar ein Anliegen, mehr als nur den süßen Saft der Stücke zu melken. "+-" präsentiert sich genau dann am besten, wenn scharfe Gitarren die A-ha-Synthies formvoll pürieren und lange, experimentelle Passagen aufkeimenden Coldplay-Pathos zur Strecke bringen. Eben jene Bands als Vergleiche heranzuziehen heißt aber auch: Der Grat, auf dem Mew hier wandeln, ist äußerst schmal.

Ironischerweise dürfte es Teilen der eben genannten Bands geschuldet sein, dass die Veröffentlichung der letzte Mew-Platte "No More Stories..." schon sechs Jahre her ist. Denn Mew-Sänger Jonas Bjerre gründete zwischenzeitlich mit Coldplay-Bassist Guy Berryman und A-ha-Keyboarder Magne Furuholmen die Supergroup Apparatjik. Das Projekt Mew lag deshalb auf Eis, bevor die Arbeiten an "+-" im Sommer 2012 begannen. Kurz darauf durfte die Band den 2006 ausgeschiedenen Bassisten Johan Wohlert wieder an Bord begrüßen, was den ursprünglichen Mew-Vierer wieder komplett macht.

Die Rhythmusgruppe um Wohlert und Drummer Jorgensen liefert solide Arbeit ab. Straighte und reduzierte Drums und der roh abgemischte Bass schaffen die Grundlage für die verworrenen Strukturen des Albums. Denn wenn die Dänen hier schon vorwiegend Indie-Pop zelebrieren, wollen sie wenigstens dessen klassische Strukturen missachten. So trennen oft harte Brüche die Stücke in kleine Episoden, was sich wiederum auf die Länge der Songs auswirkt.

Der progressive Anspruch von Mew fordert seinen Platz – schon die erste Single "Satellites" kommt auf eine Dauer von gut sechs Minuten. Selbiges baut sich erst durch Harfenklänge auf, bevor Bjerres Gesang einsetzt. Die gewohnt hohe Stimmlage des Dänen trägt die Songs auf "+-" und ordnet hirtenartig diesen Grundpegel an wabernder Instrumentierung. Wie eine Laterne, die etwas heller scheint als die Nacht, um Schwärme von Glühwürmchen um sich zu scharen. An dieser Stelle erfüllt ihr Elfen-Pop durchaus.

Wenn Bjerre aber an der Seite von Kimbra ein Indie-Duett anstimmt ("The Night Believer"), kommt man sich vor wie 2006 bei den Shout Out Louds. Die Songs auf "+-" versäumen es, aus ihren durchdachten Ansätzen mehr zu machen. "Clinging To A Bad Dream" hält zwar durchaus einen Sigur Rós-artige, hymnische Melodie bereit, möchte aber schlussendlich nie mehr sein als Indie-Folklore, gegossen in schwammige Midtempo-Beats.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Mew liefern mit "+-" ein streckenweise wohliges Album ab. Nur hängt das Songwriting der Band zu sehr im Indie-Pop-Smog des Jahres 2005 fest, als beispielsweise Bloc Party ihr Debüt gaben. Wen wundert es, dass deren Gitarrist Russell Lissack auf "My Complications" mit in die Indie-Disse fährt? Der Song hält "+-", das eigentlich progressiv sein will, ungeniert den Spiegel vor. So bleibt das große Plus der Platte schlussendlich diese ironische Art von Nostalgie: Als würden Mew einer längst verglühten Ära nachträglich in den Arsch treten wollen.

Trackliste

  1. 1. Satellites
  2. 2. Witness
  3. 3. The Night Believer
  4. 4. Making Friends
  5. 5. Clinging To A Bad Dream
  6. 6. My Complications
  7. 7. Water Slides
  8. 8. Interview The Girls
  9. 9. Rows
  10. 10. Cross The River On Your Own

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Mew

Tauchen wir ein in eine andere Welt: Hier fliegen Strichmännchen-Engel umher, flackern Phantasiegeschöpfe fiebrig vor müden Augen. Schwerelos, an den …

1 Kommentar

  • Vor 8 Jahren

    Gute Rezi, deckt sich mit meinen Eindrücken ganz gut. Nach der eingängigen ersten Kostprobe kommt im Nachgeschmack eindeutig zu wenig Aroma. Die Songlängen wabern zwischen Selbstzweck und Zwecklosigkeit.

    Immerhin legt das Album über die Spielzeit mMn etwas zu, gerade die vier letzten Tracks entschädigen halbwegs für die zähe erste Hälfte, was allerdings auch der schwindenden Erwartung progressiverer Zwischentöne geschuldet ist.

    +- klingt wie eine vom Prog entgiftete Pop-Version von Mew. Santiano meinte, sie hätten ihren Zenit überschritten, ich würde eher sagen, sie machen Pop auf den Möglichkeiten ihres Zenits, nur ist dieser Zenit mittlerweile eine Fußnote im Rückspiegel. Und weil ich damit nur Herr Hutzels Urteil umformuliere gibt's auch von mir 3/5, leider mit enttäuschten Erwartungen und starker Shrinker-Tendenz.