31. August 2016

"Wir sind keine Kinder der Hamburger Schule"

Interview geführt von

Mit ihren ersten beiden Platten "Im Schwindel" und "Die Unsichtbaren" gelangen Messer zwei Überraschungserfolge. Doch von manchem Kritiker gerade erst auf den Thron eines neuen Post-Punk-Trends gesetzt, wurde es im Anschluss auch schon wieder ruhiger um die Gruppe aus Münster. Percussionist Manuel schloss sich als festes Mitglied an, Gründungsgitarrist Pascal verließ die Band, Milek stieß als dessen Ersatz hinzu. Nun erscheint das dritte Album "Jalousie": das Ergebnis eines Umbruchs.

Ein regnerischer Julinachmittag im Industriegebiet am Hafen Münster. Vorbei an einem Getränkelager, einer Firma mit dem Slogan "Pädagogik, die bewegt" und einem Gebetsraum verbirgt sich eine unscheinbare Metalltür. Sie führt ins Proberaumstudio der Band Messer, in dem mich Sänger Hendrik Otremba und Bassist Pogo McCartney an einem Tischchen mit Oreo-Keksen und Sprudelwasser empfangen.

Hendrik, in unserem Gespräch vor drei Jahren sagtest du über Interview-Termine: "Ich könnte mir auch vorstellen, dass es in drei Jahren mal nervt". Tut es?

Hendrik Otremba: Eigentlich nicht. Ich find das immer nett. Vielleicht auch weil ich selber manchmal was als Journalist mache. Ich finde es als Situation aus verschiedenen Perspektiven cool. Wann macht man das sonst, sich für eine konzentrierte Zeit hinsetzen und über etwas wahnsinnig Abstraktes sprechen? Wir finden es absolut reizvoll zu beobachten, was für Bedeutungen entstehen, wenn Leute das anhören. Weil das für uns die Bedeutung ja auch nochmal neu aufrollt.

Pogo McCartney: Bis zu einem gewissen Grad kann ich das nachvollziehen. Manchmal find ich's aber auch langweilig, immer wieder über das Gleiche zu sprechen und manchmal auch die gleichen Fragen zu hören. Es gibt aber gewisse Themen, die triggern mich total. Dann verspüre ich einen Impuls, etwas sagen zu müssen. Das ist dann meistens so nerdiger Tech-Talk. (lacht) Bei manchen Themen ist es wiederum total gut, dass Hendrik da ist, und total gerne darüber spricht. Da würde bei mir wahrscheinlich gar nicht so viel rauskommen.

H: Wir haben in Messer alle ganz unterschiedliche Perspektiven, Wahrnehmungen, Vorstellungen und Ansprüche. Es ist eigentlich ein Wunder, dass man so gut miteinander kann, aber das ergibt sich aus diesem Spannungsfeld. Ich kann zu diesen ganzen Produktionssachen zum Beispiel gar nicht so viel sagen. Dafür hat Pogo eine unglaubliche Affinität entwickelt. Wir haben die Hälfte der Platte hier im Proberaum unter seiner Regie aufgenommen.

Der Kölner Express hat euch ja mal als Retter des europäischen Punks bezeichnet. Bei euch hat das Zitat vermutlich Legendenstatus, aber lustigerweise hat sich seit eurer letzten Platte in der Wave-/Punk-Richtung ja tatsächlich manches getan.

H: (lacht) Na, ich hab schon das Gefühl, dass wir unsere ersten beiden Platten in einem Zeitraum rausgebracht haben, als sich wieder viele Bands in diesem groben Kosmos gegründet haben. Wir haben das von Anfang an wahrgenommen, und es ist auch manche Freundschaft zu anderen Musikern entstanden. Aber wir haben uns nie als Band verstanden, die in einem regionalen oder gar deutschen Frame stattfindet. Für uns war der Blick in andere Länder sowieso immer da, weil wir keine Identifikation mit Deutschland haben. Wir sind ja keine Kinder der Hamburger Schule.

P: Nee, das sowieso nicht. Es wurde ja ein bisschen versucht, daraus ein bisschen was zu stricken, so eine Bewegung. Das war alles ein bisschen an den Haaren herbeigezogen. Mir ist das zu statisch und zu einfach.

H: Let's call it a movement, ja. Dabei hat diese Programmatik nie existiert. Andererseits kann ich auch verstehen, dass es da aus der Perspektive von Menschen, die darüber schreiben oder sich damit auseinandersetzen, eine Begeisterung dafür gibt, bei so etwas dabei zu sein, weil Menschen einfach danach suchen. Ich glaube, dass ein Großteil unserer Hörer kunstaffin ist, eine linke Prägung hat und an einer Schwelle zur Depression ob der Zustände der Welt steht. Wenn man sieht, dass sich da etwas formiert, dass Leute zusammenkommen und etwas bilden, das eine gewisse Stärke entwickelt, dann wollen sich die Leute auch dafür begeistern. Deshalb finde ich es vollkommen okay, sich solche Bewegungen auszudenken oder etwas darum zu spinnen.

P: Das sagst halt du als Journalist. (lacht)

H: Ich finde solche Sachen schon spannend und suche danach. Aber als Protagonist sind das dann oft Zuschreibungen, mit denen man sich nicht identifizieren kann. Weil man natürlich nicht alle Bands so toll findet, mit denen man in einen Topf geworfen wird. Das ist auch so ein Ding. (lacht)

Die Nerven gehören nicht dazu.

H: Mit denen fühlen wir uns schon verbunden.

P: Die Frage ist halt immer: Was macht eine Verbundenheit aus? Julian und Konsorten, das sind zum Beispiel alles total liebe Kerle, mit denen wir immer eine gute Zeit hatten. Da gibt es diese persönliche Verbundenheit. Aber wann fängt eine Verbundenheit nach außen an, und wo ist sie vielleicht nur ein Stück weit gekünstelte Inszenierung? Das finde ich halt spannend. Im Verlauf der letzten Jahre wurden Verbindungen geknüpft, die persönlich vielleicht da sind - aber als Band hab ich die nie gesehen.

Musikalisch hattet ihr mit den Nerven in der Tat nicht übermäßig viel gemeinsam.

P: Die Nerven sind jetzt ein doofes Beispiel. Denn da hatte ich schon immer das Gefühl, zu kapieren was die machen, und umgekehrt war's genauso. Aber es gab andere Bands, die in diesem ganzen Dunstkreis genannt wurden, bei denen ich das überhaupt nicht gespürt hab. Und ehrlich gesagt ein paar Fragezeichen überm Kopf hatte.

H: Ging mir genauso. Ich war jetzt nicht beleidigt, aber dachte schon: Da sehe ich mich überhaupt nicht, mit denen will ich nicht identifiziert werden. Da sind Sachen dabei, die ich einfach falsch formuliert finde. So was kommt halt auch vor. Andererseits gibt es eben Bands wie Candelilla oder Sex Jams, zu denen zwar eine Verbundenheit besteht, aber da steckt keine Programmatik dahinter. Das passiert.

Vielleicht hängt diese Wahrnehmung von außen auch mit gegenseitigem Namedropping in sozialen Netzwerken zusammen?

P: Weiß ich gar nicht. Das gab's ja auch schon vor dem Internetzeitalter. Hamburger Schule ist ja so ein inszenierter Begriff, oder Grunge, oder was weiß ich. Da wurden halt Bands in einen Topf geschmissen, die das wahrscheinlich gar nicht so verstanden haben.

H: Es musste aber, glaube ich, mehr stattfinden, damit es dazu kam. Wenn ich mir auf alten Plakaten angucke, was für Shows es früher gegeben hat ...

Ich finde, man wird auch immer wieder, etwa auf einem Die Nerven-Konzert, daran erinnert, dass es nun mal keine Jugendbewegung ist.

H: Ja, auch unser Publikum ist sehr bunt. Bei uns sind viele alte Männer. Bei uns sind aber auch viele ...

P: ... alte Frauen? (lacht)

H: Auch, ja. Wenn ich das Publikum mal sehe und mir kein Licht ins Gesicht scheint, bin ich immer froh darüber, wie kunterbunt es ist. Denn ich will nicht, dass wir als Band Musik für einen bestimmten Typ Mensch machen. Es ist schon schön zu wissen, dass man Leute erreicht, die man privat gar nicht erreichen würde.

Ich stell's mir auch angenehm vor, nicht ausschließlich in intellektuellen Kunst- und Theaterkreisen stattzufinden. Die Gefahr bestünde wahrscheinlich, wenn ihr euch auf Dauer der, wie ihr selbst es nennt, "strukturlosen Musik" widmen würdet, wie etwa bei der Vertonung der Romy Schneider-Tagebücher.

P: Das würde uns auch gar nicht entsprechen. Wir fünf sind ziemlich weit gefächert in dem, was wir hören. Manchmal sind da strukturlose, avantgardistische Sachen dabei. Manchmal auch ganz klassische Popsongs.

H: Philipp hat eine immer stärkere Affinität zur Popmusik entwickelt. Manuel Chittka hat mit seinem festen Einstieg eine ganz neue Ebene reingebracht. Unser neuer Gitarrist Milek hat einen so breiten Geschmack, der war früher auch auf Gabba-Partys. Ich find das aber auch gut, dass man mal so freie Sachen macht, bei denen man sich aus einer künstlerischen Perspektive nochmal neu orientiert - diese Sachen mit Romy Schneider und Boris Vian waren für uns auch eine Gelegenheit, etwas hinter uns zu lassen, in dem wir uns gut eingerichtet hatten, und uns auf dünnes Eis zu begeben. Diesen Anspruch an uns selber haben wir ohnehin. Ich spiel manchmal gerne eine Setlist, die ich schon halb auswendig kann, finde es aber genauso wichtig, auf die Bühne zu kommen und nur eine vage Ahnung zu haben, was passieren wird.

"Ich will nicht bei irgendeiner Sponsorkacke mitmachen"

Heißt es im Nachhinein, man habe sich für eine Platte mehr Zeit genommen, ist das gerade im künstlerischen Kontext ja oft eine schöne Umschreibung dafür, dass die Zeit nun mal benötigt wurde. War "Jalousie" eine schwere Geburt?

P: Also die Begleitumstände waren sicherlich schwieriger. Dadurch dass Pascal die Band verlassen hat.

Wie kam's dazu?

H: Palle konnte sich mit der Idee von Rockband irgendwie nicht mehr identifizieren. Es war zwar auch etwas, das man künstlerische Differenzen nennen könnte. Er war aber auch vom Typ her an einem Punkt, in dem er nicht mehr in einer solchen Struktur Musik machen wollte. Aber da waren diese Skizzen, wir waren alle irgendwie heiß - und dann musste man da irgendwie rauskommen. Letztendlich stimmt es uns immer noch traurig, weil Palle für uns so wichtig ist. Aber wir respektieren das alle und finden in unterschiedlichen Geschwindigkeiten unseren Frieden damit.

P: Dazu kamen auch die geografischen Umstände. Philipp ist schon während der zweiten Platte nach Hamburg gezogen, sodass man nicht mehr klassisch jede Woche proben konnte. Das eigene Studio war auch eine Chance, die wir nutzen wollten. Das dauerte ein bisschen, weil wir da erst mal reinkommen mussten.

H: Wir brauchten die Zeit auch, weil wir einfach anders weitermachen wollten. Wir haben eine Zäsur empfunden. Personell, aber auch perspektivisch. Wir haben uns wahnsinnig verändert. Allein in der Band Messer zu sein, hat unser Leben verändert. Damit muss man sich erst mal zurechtfinden. Dann kommt durch das eigene Studio hinzu, dass man mit Songs viel mehr Experimente machen kann. Weil man nicht die ganze Zeit weiß, dass man in zwei Wochen alles fertig kriegen muss.

Man spürt auf jeden Fall, dass die Platte anders geklungen hätte, wenn sie ein Jahr vorher erschienen wäre. Und dass sie alles andere als schnell nachgeschoben wurde, etwa aus Erfolgsgründen.

P: Wir hatten auch einfach das Glück, dass die Band nicht so explodiert ist, dass wir davon leben müssten. Glück insofern, dass wir nicht auf die Idee gekommen sind, das sei eine sichere Sache: Wir machen jetzt einfach weiter, dann läuft das schon irgendwie - ich glaub, das ist ein Motiv, das ganze viele Bands antreibt, die an der Schwelle stehen.

H: Und die liefern dann zu schnell ab.

P: Da bin ich sehr froh, dass wir uns dahingehend überhaupt gar keine Gedanken machen mussten, und so frei wie möglich an die Sache rangehen konnten.

H: Wir wollen das noch ganz lange machen und müssen dafür bestimmte Rahmenbedingungen schaffen. Wie zum Beispiel, es nicht als Wirtschaftsfaktor zu begreifen. Wir wollten immer verhindern, dass man irgendwann kalkulieren muss. Ich würde sagen, es ist immer die richtige Entscheidung, das nicht als Job zu empfinden, oder als Möglichkeit, über die Runden zu kommen. Das ist uns allen klar.

P: Es wäre vielleicht zu idealistisch zu sagen, dass das überhaupt keine Rolle spielt. Dafür ist es zu interessant, weil jeder von uns auch gewisse Dinge bezahlen muss. Und wir als Band sowieso. Aber das soll jetzt nicht das Ding sein, das heller strahlt als alles andere. Das wäre fatal.

H: Ich bedaure das manchmal, wenn ich Bands beobachte, die ich spannend finde, und die sagen zu schnell: Wir setzen alles auf eine Karte. Denn man merkt, wie nervös die Leute werden. Wie ängstlich sie Songs schreiben. Wie sie krampfhaft alles mitnehmen. Wir sind eine Band, die mehr absagt als sie zusagt. Das möchte ich mir rausnehmen können, weil wir eine Band mit politischem Selbstverständnis sind. Ich will nicht bei irgendeiner Sponsorkacke mitmachen, damit ich meine Miete bezahlen kann.

Wenn wir gerade beim Thema Wirtschaftlichkeit sind, bietet es sich an über euren Labelwechsel zu sprechen. Wie kam's dazu?

P: Geld! (lacht)

H: Letztendlich haben wir genau besprochen, was getan werden muss, damit wir so arbeiten können, wie wir arbeiten wollen. Es war nicht: Summe X, macht mal! Sondern: Was ist intelligent? Und was ist für das, was man künstlerisch machen will, das richtige Setting? Wir wollten auch einen Tapetenwechsel. Weinrich hat bei This Charming Man so viele Bands am Start, dass er das auch verkraften kann. Ich hab das Gefühl, der bringt jede Woche eine Platte raus. Daher ist das kein Verrat an ihm.

Für uns war diese Zäsur, diese Neuperspektivierung der Grund zu gehen. Es hatte keine finanziellen Gründe, sondern eher das Interesse daran, ein sicheres Umfeld zu verlassen und sich auf dünnes Eis zu begeben. Da haben wir mit Rüdiger Ladwig von Trocadero jemanden gefunden, der von Anfang an eine wahnsinnige Einfühlsamkeit aufgebracht hat. Das ist für uns als Band, die nicht mit Euro-Zeichen in den Augen rumrennt, einfach toll.

P: Wenn ich darüber nachdenke, was mich persönlich dazu bewogen hat, bei Trocadero mein Ja drunter zu setzen, dann war es das Sich-verstanden-Fühlen. Das fand ich immer gut. Da ist es dann auch egal, ob man zwei-, dreitausend Euro weniger Vorschuss kriegt. Man hat bei ihm nicht das Gefühl, dass er diesen Labelpopanz aufbaut: Alles ist super, alles ist cool, hier ist die geilste Crew.

Gab es solche Gespräche?

H: Ja, schon. Ich hab mich mit ein paar Labels in Berlin und Hamburg getroffen. Das waren alles nette Leute mit finanziell lukrativeren Angeboten. Aber nichts, wo wir das Gefühl hatten, dass es uns entspricht.

P: Ich weiß nicht, wen die versuchen, damit anzulocken. Vielleicht hätte das funktioniert, wenn wir alle zehn Jahre jünger gewesen wären. Aber mich stößt so was eigentlich eher ab als dass es mich anziehen würde.

H: Ich find's gut, dass es Angebote und Interesse gibt. Man redet ja auch mit denen. Aber ich glaube, man kriegt uns jetzt nicht mit so Business-Argumenten, sondern eher wenn man uns als Künstler ernst nimmt. Nicht, dass das die anderen nicht tun, aber Rüdiger Ladwig hat das mit einer Intensität gemacht, dass wir das Gefühl hatten: Er hat uns verstanden.

"Brachialität ist nicht mehr so spannend"

Von einer Zäsur zeugt auch das Albumcover, das diesmal nicht von dir gemalt wurde. Ich dachte, das wird jetzt so das Messer-Ding.

H: Genau, ich auch, und deswegen haben wirs gelassen. (lacht) Das hat immer total Spaß gemacht, und ich dachte irgendwann, das wird als Signatur immer so weitergehen. Aber dann hab ich mich als Maler anders orientiert. Und ich fand es spannend, dieser personellen und musikalischen Zäsur auch eine ästhetische hinzuzugeben. Die Jalousie tauchte dann immer wieder auf, sie ist ein Leitmotiv auf der Platte. Das Wort und seine Atmosphäre kommen immer wieder vor. Das war nicht als Konzept gedacht, sondern hat sich erst im Nachhinein so ergeben. Ich bin darauf gekommen, weil ich in Münster ein Jahr lang in einer Wohnung direkt vor einer Straßenlaterne gewohnt und immer schlecht geschlafen hab. Ich lag nächtelang wach und hab das Licht beobachtet, das durch die Jalousie geschienen hat.

Musikalisch springt einem zunächst die Orgel ins Auge, die stellenweise den Bass ersetzt. Dann kam mir der Eindruck, dass manches einen gewissen NDW-Touch hat.

P: Bei "Meine Lust" kann ich verstehen, dass man das denkt.

Genau, und bei "Der Staub Zwischen Den Planeten", das mich irgendwie an Peter Hein erinnert.

H: Das ist interessant, weil die beiden Stücke entstanden sind, als Milek fest in die Band kam. Die hat er letztendlich als Songwriter mitgeschrieben. Die sind schon zusammen entstanden, aber da war sein Einfluss am spürbarsten.

P: Das war das erste Mal, dass man wieder dieses Gefühl hatte, das davor ganz lange weg war, als ich viel am Computer entworfen und per Dropbox verschickt habe. Da passierte mal wieder was im direkten Prozess. Da ist eine Energie entstanden, die vorher lange nicht da war. Das spürt man auch in den Songs, glaube ich.

H: Die kriegen dann Bumms. (lacht) Aber ich find es super schön, dass wir für die Songs so viele verschiedene Ansätze wählen mussten. Weil es dadurch eine Platte geworden ist, die ganz viele Gefühlswelten berührt.

P: Mir fällt gerade ein, dass ausgerechnet "Meine Lust" stark von einer englischen Band beeinflusst wurde: Wire.

H: Das ist zum Beispiel ein Stück, bei dem der Text total schnell entstanden ist. Der war einfach da.

Das merkt man, denn so einen Text hat es von euch vorher nicht gegeben.

H: Der ist eigentlich ganz einfach. Das gefällt mir auch. Gerade weil man vorher mit sehr komplexen Songtexten vielleicht schon Erwartungshaltungen geweckt hat. Bei dem Stück ging es mir um meine Emanzipation.

Ähnliches dachte ich mir bei "Niemals".

H: Das war für mich ein Experiment mit literarischen Verfahren. Ich bin seit zwei Jahren in einer Beziehung mit jemandem aus Berlin, und bin da auch vor kurzem hingezogen. Ich hab mich am Anfang viel rumgetrieben, bin rumgelaufen und rumgefahren. Ich wollte diese fragmentarisch aufgegriffenen Bilder, inspiriert von Cut-Up-Perspektiven, in einem bestimmten Wahrnehmungsmodus zusammenzubringen - und dann auf diese letzten paar Sätze stoßen lassen. Es ist auch ein bisschen inspiriert von der Neuen Sachlichkeit, "Berlin Alexanderplatz".

P: Das ist musikalisch, glaube ich, die älteste Idee auf der Platte. Die ist 2012 entstanden und lag ganz lange auf Eis.

Abgesehen von den angesprochen Stücken fand ich das Album erstaunlich balladesk, und war erstaunt, wie viel ihr mit Atmosphären arbeitet.

H: Das kommt sicherlich auch durch die Synthesizer von Milek. Aber auch durch die Orgelskizzen, die eine andere Energie und Dynamik reingebracht haben. Dazu kommt der veränderte Schreibmodus. Wir wollten über neue Gefühle singen, auch über Liebe. Das hab ich früher kategorisch ausgeschlossen. Diesmal war die Herausforderung, Perspektiven zu finden, mit denen ich mich irgendwie identifizieren kann. Für mich kamen außerdem ganz viele Motive und Inspirationen aus Träumen. Ich träume immer sehr intensiv. Das ist ein Materialgeber geworden. Alleine dieser Zustand bringt vielleicht schon so eine Ruhe mit rein.

P: Wir sind auch alle älter geworden. Es finden ganz andere Themen statt in unserem Leben. Die meisten von uns haben ganz lange laute und brachiale Musik gemacht und gehört - und tun das zwar auch immer noch. Aber irgendwie ist der Fokus ein bisschen verrutscht. Es ist nicht mehr so spannend für mich. Zumindest nicht über ein ganzes Album. Da hab ich irgendwie das Interesse verloren. Nochmal so eine Platte wie unsere ersten beiden aufzunehmen, die schon wesentlich mehr nach vorne gingen, hätte ich langweilig gefunden. Aber das ist vielleicht ein ganz natürlicher Prozess.

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