1. Februar 2011

"Ich hatte Angst, dass Manson uns schlachtet"

Interview geführt von

Deutscher Botschafter in China und Israel, Verstimmungen mit Hildegard Knef, Auserwählter bei Marilyn Mansons Hochzeit, und Zusammenarbeit mit Annette Humpe: Max Raabe als aufmerksamer Wanderer zwischen Pop-Kultur, Musik-Historie und gegensätzlichen Welten.Max Raabe vermittelt das Gefühl, willkommener Gast sein. Der Künstler begrüßt mich in Hamburgs Park Hyatt Hotel mit ausgesuchter Höflichkeit, hinter der sich auch dezenter Schalk verbirgt. Er bietet Sessel und Erfrischung an, serviert mit eleganter Beiläufigkeit. Kein Zweifel: in jedem Haus von Rang und Namen wäre eine Karriere als Maître d'Hôtel von Erfolgen flankiert.

Max Raabe ist neugierig. Jede neue Platte ist etwas Besonderes, doch gerade bei "Küssen Kann Man Nicht Alleine" ist seine Spannung groß, wie diese Arbeiten beim Hörer ankommen. Interview andersherum: Er fragt nach meinen Eindrücken und Lieblingsliedern, und wir kommen so entspannt hinein ins eigentliche Gespräch.

Wie kam eigentlich die Zusammenarbeit mit Annette Humpe zustande?

Wir haben uns mehr zufällig getroffen, kamen überein, mal etwas zusammen zu machen. Das hätte auch versanden können. Irgendwann, nach Monaten, rief sie dann an, und sagte: "Du, ich hab da eine Zeile für dich." Und das war eben "Küssen kann man nicht alleine." Ich war sofort elektrisiert, und habe geantwortet: "Das ist es!" - "Ja, mach dir mal Gedanken!", entgegnete Annette. Danach hatten wir uns einige Wochen später getroffen, und sie hatte schon eine Melodie parat, die sie mir auf dem Klavier vorspielte. "Sing' mal," forderte sie mich auf.

Ich sang diese Zeile darauf, und dann ging es Schlag auf Schlag. Schon nach rund einer Stunde hatten wir quasi das Konzept, wie das Stück komplett aussehen soll. Im letzten Februar hatten wir zwei Stücke fertig, und ich dachte, na, drei bräuchte man schon, für z. B. eine Single. Als das dann so anlief, meinte ich: "Lass uns doch mal gucken, wie weit wir so kommen, vielleicht kriegen wir ein ganzes Album zusammen." Wir haben uns, so oft es ging, zusammengesetzt, manchmal zwei-dreimal die Woche.

Wer hatte denn wie viel Anteil an Text bzw. Komposition?

Also, die Musik geht zu 98 % auf Annette Humpe. Die Textarbeit haben wir zusammen gestaltet. Ich habe etwas angebracht, sie hat kommentiert, wie zum Beispiel: "Ja, aber so kannst du das heute nicht mehr sagen, so würde man das heute nicht mehr formulieren. Wir müssen eine andere Wortwahl finden." Dann habe ich wieder ganz neue Wege genommen, ganz neue Ideen eingebracht. Manchmal waren schlichte Nebensätze schuld, dass wir auf eine frische Textzeile gekommen sind, oder uns überhaupt weitergehende Ideen einfielen.

Mitunter hat sie ganz einfach nur da gesessen, Klavier gespielt, und gefragt: "Was fällt dir dazu ein?" Dann habe ich ganz spontan etwas dazu gesungen. Annette ist sehr genau und ehrgeizig, und hinterfragt Vieles. Etwa, dass zu einem Stück noch eine besondere Wendung hinzukommen müsste, oder die Geschichte anders weitergehen könnte, oder Dinge anders zu umschreiben. In solchen Dingen bin ich ebenfalls voller Ehrgeiz, und überlege mir gern etwas, was noch besser, noch treffender wäre.

Vom Typ her sind sie zwei ganz unterschiedliche Personen. Lief das alles problemlos ab?

Ja. Sonst hätten wir das auch gar nicht gemacht. Es war eigentlich wie gesucht und gefunden. Was für Annette toll war: endlich mal Pop-Musik zu machen, die einen ironischen Unterton besitzt. Normalerweise sind Pop und Rock immer so 1:1, da wird einfach nicht ironisch hinterfragt. Das so etwas möglich war in der gemeinsamen Arbeit, war auch für sie ein großes Vergnügen, eben musikalisch und textlich besondere Brechungen hineinzubringen.

Wenn wir zeitlich zurückgehen, in Annettes Ideal-Phase: was haben sie beim Hören dieser Musik in den Achtzigern empfunden?

Ich war zu der Zeit auch bereits sehr vertraut mit dem Repertoire der zwanziger und dreißiger Jahre. Deshalb sind mir damals schon besonders ihre Texte aufgefallen, die so eine ganz besondere Reimform hatten, die ich sehr schätze. Gerade darum hat sich vielleicht jetzt etwas zwischen uns angebahnt, eben weil ich mit ihrer Arbeit schon lange etwas anfangen konnte.

Wird man sie beide gemeinsam auf der Bühne sehen? Und wie würden sie Annette und ihre Arbeitsweise charakterisieren?

Nein, nein. Sie verlässt die Berliner Stadtgrenze eigentlich überhaupt nicht. Nur ungern, und verreist auch ungern. Und geht auch nicht mehr gern auf die Bühne. Als Mensch ist sie sehr empfindsam, aber gleichzeitig humorvoll und wahnsinnig genau in ihrer Arbeit. Ich selbst bin ja schon sehr pingelig, aber sie ist noch genauer in ihren Sachen. Und da bin ich natürlich für sie genau der Richtige! schmunzelt Sich eben auf keine Halbheiten einzulassen, keinerlei unnötige Kompromisse einzugehen. Wir haben das übers Jahr erarbeitet, die einzelnen Stücke, und mit gesampelten Instrumenten die Wirkung vorab schon mal ausprobiert.

Eben um eine Ahnung zu bekommen, wie es dann später klingt. Dann haben wir es mit echten Musikern eingespielt, und es klang eigentlich ganz toll. Doch Annette bemerkte: "Da ist ja der ganze Pop raus. Da ist kein Pop mehr drin!" Sie war ganz unglücklich deswegen, und als ich nachfragte, warum, meinte sie, dass das ganze Freche und Leichte irgendwie verschwunden wäre. Deswegen haben wir uns bei der CD-Special Edition auch für zwei Versionen entschieden: zum einen ist da also die Pop-Version, und als Ergänzung die zweite CD, bei der die Songs mit Orchester eingespielt wurden. Dadurch bekommt das Ganze natürlich einen ganz anderen Charakter.

"Hildegard Knef war recht barsch"

Wenn ich auf ihren offiziellen Kalender blicke, liegt ein nahezu ausgefülltes Jahr vor Ihnen. Touren und Konzerte rund um die Welt, es scheint, als ob sie eigentlich gar nicht mehr daheim wären. Wie kann man sich das überhaupt vorstellen, wenn Max Raabe mal wirklich frei ist und Freizeit hat?

Das ist wahr, eigentlich werde ich kaum daheim sein. Allerdings hatte ich mich im vergangenen Jahr ohnehin zurückgehalten, sodass schon ein Ausgleich da ist. Da waren nur recht wenige Konzerte im Rahmen der "Übers Meer"-Tour, und in erster Linie die Arbeit mit Annette. Und in Berlin gibt es ja nun viele Seen. Da fahre ich dann gern hin, auch mal mit mehreren Leuten, und wir picknicken.

Clubs und Nächte durchmachen ist nicht ihr Ding?

Das kann auch schon passieren. Aber das plane ich nie. Das sind die verhängnisvollen Abende, wo man eigentlich nur zusammen essen geht, dann fällt einem ein: "Lasst uns doch noch tanzen gehen", und kommt dann auf einmal erst morgens um halb sieben nach Haus. Wenn so was passiert, lasse ich gern mal alle Fünfe gerade sein.

Vor Jahren hatten sie die Gelegenheit, mit Hildegard Knef zusammenzuarbeiten, haben auch deren Song "Jene Irritierte Auster" aufgenommen. Gestaltete sich die Zusammenarbeit mit der als divenhaft geltenden Knef als frei von Komplikationen?

Das geschah im Rahmen eines Filmes über sie. Wir haben Aufnahmen gemacht mit ihr, und ich verehrte die Knef schon seit langem. Ich hatte wirklich viel Respekt vor ihr, besaß alle ihre musikalischen Sachen und hatte ihre Musik auch oft bei Parties aufgelegt. Dazu wurde damals viel getanzt. Nun bin ich aber auch ein zurückhaltender Mensch, und sie hat meine Zurückhaltung vermutlich als Ablehnung empfunden.

Das Verhältnis untereinander gestaltete sich als etwas sperrig. Sie war auch schon mal kratzbürstig und barsch. Bei den Arbeiten im Studio hatte sie der dirigierende Arrangeur komplett genervt. Sie nannte das "Herumfuchteln". Es war nicht einfach mit ihr, das Vergnügen hielt sich also in Grenzen. Aber ich bin nun auch niemand, der den Leuten permanent Honig um das Mundwerk schmieren muss. Das habe ich damals auch nicht getan, sondern war gleichbleibend immer so, wie ich zu anderen Leuten auch bin: höflich, aber eben oft auch scheu.

Dann wurde die CD öffentlich vorgestellt, und auch diese Arbeit wurde die ganze Zeit von einem Filmteam begleitet. Wir waren in einem Theater, standen auf der Bühne, dann hörte man plötzlich ein lautes Rumpeln. "Oh," sagte sie, "was ist denn da passiert? Ist da jemand die Treppe runtergefallen?" Ich erwiderte: "Ich hoffe, der Regisseur." Daraufhin musste sie lachen, fürchterlich lachen. Danach war zwischen uns klar, das wir irgendwie einen gemeinsamen Humor besitzen. Ab da haben wir uns gut verstanden - aber es war leider erst zum Schluss, als schon alles fast vorbei war.

Da wir uns schon in der Vergangenheit bewegen, muss ich unbedingt auch auf den Hochzeits-Auftritt bei Marilyn Manson und Dita von Teese zu sprechen kommen. Das mutet noch immer so schräg an - was war dazu der Auslöser?

Marilyn Manson hatte eine CD von uns in einem Moskauer Café gehört, wie er mir erzählte. Fragte dort nach, wer das eigentlich sei, und hat sich daraufhin einen Stapel Scheiben von uns besorgt. Als dann seine Hochzeit anstand, gab er die Devise aus: "Entweder ist Max Raabe da, mit seinem Orchester - oder es gibt keine Musik." Das Ganze fand in Irland statt, im Schloss des Malers Gottfried Helnwein, ein riesiges Gemäuer. Und grundsätzlich ziemlich kalt, darum brannten überall auch Kaminfeuer. Es war schon ziemlich schräg. Und tatsächlich keine Musik da außer uns, kein DJ, kein Plattenpult, eine komplett musikfreie Zone eigentlich. Wir haben dann ein rund 45-minütiges Konzert-Programm geboten, bei dem alle friedlich und zuhörend zusammensaßen.

Hinterher waren wir dabei zum Mitfeiern, haben das auch gern getan, mitsamt all den skurrilen Vögeln, die da eingeladen waren. Irgendwann später haben wir dann nochmal die Instrumente ausgepackt und zum Vergnügen aller ordentlich eingeheizt. Ich war mir damals im Vorlauf eigentlich auch nicht ganz sicher, ob er uns so als eine Art rituelles Opfer während der Trauung schlachten wollte. Aber es könnte gleichzeitig auch sehr lustig sein, was ich zumindest vermutete. Deshalb hatte ich letztendlich keine Skrupel, dorthin zu fahren. Es gibt da ja auch dieses Interview mit ihm im Film "Bowling For Columbine", wo er mir sehr positiv auffiel, besonders als scheuer, zurückhaltender Mensch. Die Show-Fassade kaschiert sozusagen bei ihm wohl die sensible Seite.

"Die Atmosphäre in Israel war sehr freundlich"

2010 gaben Sie mit dem Orchester mehrere Konzerte in Israel. Da das, ohne es an dieser Stelle zu weit ausführen zu wollen, aufgrund der Historie ein sicher nicht einfacher Besuch war: wie gestaltete sich die dortige Aufnahme, und was waren besondere Eindrücke?

Die Atmosphäre war sehr freundlich. Im Vorfeld hatten wir zu einem Konzert in Bonn 15 israelische Journalisten eingeladen, damit sie für die dortige Berichterstattung schon mal einen Eindruck von dem bekommen, was wir eigentlich machen. Beim gemeinsamen Gesprächstermin fragte mich einer der Anwesenden, ob ich vielleicht auch eine spezielle Frage hätte. Worauf ich meinte: "Halten sie es überhaupt für eine gute Idee, dass wir dort bei ihnen auftreten?" Daraufhin schoben die Journalisten jegliche Bedenken weit von sich. "Kommen sie nur, die Leute werden sich freuen! Das wird funktionieren!", war der Tenor.

Und so war es dann auch. Wir haben für die Konzerte auch eine Reihe älterer, aus Deutschland emigrierter Bürger eingeladen. Und die waren ganz einfach nur dankbar und freuten sich tatsächlich, all diese Lieder wieder einmal hören zu können. Darunter waren Besucher aus dem Jahrgängen 1913 und 1919, die direkt etwas mit der Zeit assoziieren konnten. Viele waren bereits 1933, aber manche auch erst später in den dreißiger Jahren, emigriert. Die aber so natürlich noch viel mitbekommen haben von der Musik, die damals präsent war.

Von jeher haben wir ja viele Kernstücke im Repertoire, die Arbeiten jüdischer Komponisten und Texter enthalten, und deren Lieder zu meinen persönlichen Lieblingsstücken zählen - Songs und Texte von Fritz Rotter, Walter Jurmann, Richard Heymann, Marcellus Schiffer -, und die die Entscheidung zu Auftritten dort leicht machten. Ohnehin haben viele jüdische Bekannte in Berlin uns oft darauf angesprochen, und meinten: "Ihr müsstet doch eigentlich mal nach Israel fahren!" Es hat mich also schon sehr gereizt, das dort tatsächlich einmal auszuprobieren. Es waren sehr viele junge Leute im Publikum, auch Musiker, weil diese Art von Musik dort gar nicht gespielt wird. Deshalb waren die sehr neugierig darauf, was wir machen.

Gab es keinerlei kritische oder ablehnende Kommentare Ihnen und Ihrer Musik gegenüber, die in der Historie wurzelten?

Das ist ja zunächst das Problem bei uns Deutschen: wer ein bisschen nachdenkt, steht zunächst natürlich nur fassungslos davor, und fragt sich immer noch, wie so etwas passieren konnte. Gerade bei dem kulturellen Hintergrund, den wir haben. Natürlich gab es bei Interviews deshalb auch kritische Fragen. Bei einem Radio-Gespräch fragte mich die Moderatorin: "Warum kommen sie eigentlich nach Israel und singen deutsch? Meine Familie hasst die deutsche Sprache, weil ein Großteil meiner Verwandtschaft durch deutsche Hand umgekommen ist". Da habe ich geantwortet: "Weil das die Sprache der jüdischen Texter war. Es war ihre Muttersprache. Warum soll ich sie ein zweites Mal ihrer Muttersprache berauben?"

Dort habe ich eigentlich auch zum ersten Mal ausgesprochen, was ich tatsächlich denke, was ich aber auf der Bühne nie sage, weil, ich finde: das gehört da nicht hin. Das, was die Texter und Komponisten geschaffen habe, das soll Erfolg haben. Es ist und bleibt unfassbar, was damals geschehen ist, als all diese Menschen umgebracht wurden, und erfüllt mit Scham.

Auch kulturell wurde dadurch ein bis heute nachwirkendes Loch gerissen.

Ja, wir hätten natürlich ganz woanders weitergemacht. Man schaue zum Beispiel nach Frankreich, wo dann das Chanson entstand. Auch lange nach 1933 wurde es hier gute Musik - sehr gute sogar! - gemacht. Aber es ist etwas verlorengegangen - ein ganz bestimmter, ironischer Ton, ein bestimmter Humor, ein kluger Witz, der in der Form danach nicht mehr präsent war.

Ihre Tourneen führen Sie rund um die Welt, und da gibt es sicher Besonderheiten in den unterschiedlichen Kulturen. Stimmt es eigentlich, wie ich einmal las, dass das chinesische Publikum - nach einem vorgetragenen Lied in deren Sprache - vor Begeisterung die Bühne stürmte?

So schlimm war es nicht, die Bühne wollte niemand stürmen! Aber es sind alle aufgesprungen, haben gejubelt und waren ganz aus dem Häuschen. Aber das war auch schon vorher eine wunderbare Angelegenheit. Die Chinesen waren während des Konzerts voll bei der Sache, wir hatten sie voll auf unserer Seite, und die Stimmung war großartig. In der Mitte des zweiten Teils habe ich dann dieses Stück in der Landessprache gesungen. Nach dem Konzert wurden zuhauf Blumenbouquets auf die Bühne gebracht, bis man gar nichts mehr gesehen hat, und viele ließen sich mit uns zusammen fotografieren.

Ein Gedankenspiel zum Abschluss: Max Raabe bekommt für ein und denselben Abend von drei Damen die Einladung zu einem separaten, romantischen Essen. Für welche würden Sie sich entscheiden, und warum? Zur Auswahl stehen: a.) Lena Meyer-Landrut, b.) Olivia Jones und c.) Cecilia Crisafulli (die Geigerin des Palast-Orchesters).

Ich muss so antworten, sonst handele ich mir Ärger ein: ich würde mich mit allen Dreien verabreden, und jeder das Gefühl geben, sie wäre die Einzige, die ich mir erwählt habe.

Herr Raabe, vielen Dank für das Gespräch!

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