laut.de-Kritik

Fast wie ein Zeitgenosse Beethovens - nur nicht froh und dankbar.

Review von

In seiner 6. Symphonie lässt Beethoven das Orchester groß auftrumpfen, um im vierten Satz "Gewitter und Sturm" Regen peitschen und Wind blasen zu lassen. Doch sind es nur wenige Augenblicke, bevor wieder Freude und Leben aufkommen. Der fünfte Satz "Hirtengesänge – Frohe und dankbare Gefühle nach dem Sturm" gehört zu den sonnigsten und bekanntesten der Klassik.

Fast schon wie ein Zeitgenosse Beethovens hört sich der Brite Matt Elliott zu Beginn des achten Albums unter eigenem Namen an. Die Art und Weise, wie er im kurzen Intro "A Beginning" seine Konzertgitarre zupft, erinnert an eine Fingerübung des italienischen Komponisten Mauro Giuliani.

Fröhlich geht es bei Elliott aber nicht zu. Ein in tiefen Gefilden rührendes Cello sorgt von Anfang an dafür, dass dieses Album, unter all den deprimierenden, die er veröffentlicht hat, besonders düster ausfällt. "I've got this headache for days / Here comes the rain / The first few drops caress & gently dance / ... / But soon the gentle drops become the deadly wolf of a gale / Our voices become lost beneath the chaos", singt er mit ruhiger, tiefer Stimme. Und meint damit nur im übertragenen Sinne das Wetter, sondern eine über ihn hereinbrechende Depression.

Schon immer hatte Elliotts Musik, ob eher folkig unter eigenem Namen oder tecnoid unter seinem Alter Ego Third Eye Foundation, direkten Bezug zum eigenen Seelenzustand, schon fast eine kathartische Wirkung. Das zeigt er eindrücklich in der knapp einstündigen Dokumentation "What A Fuck Am I Doing On This Battlefield" (2013), bei der er zum Schluss ein Stück auf der Gitarre spielt – und bei den letzten Noten weint.

Natürlich stellt sich die Frage, warum man sich als Hörer so etwas antun muss. Der Grund bliebt derselbe wie bei all seinen anderen Alben: die wunderbar einfachen, aber erschreckend eindringlichen Kompositionen, die er um seine Texte webt. Diesmal verzichtet er weitgehend auf Samples, auch wenn er wie gewohnt seine Stimme zu gewaltigen Chören aufbläht, die in ihrer Intensität schon fast Gehörschmerzen verursachen.

Stürmische Cellowinde blasen durch den Raum und bringen gespenstische Stimmen mit sich, die aus dem Jenseits zu stammen scheinen. Minutenlang, womit auch erklärt wäre, warum das Album nur sechs Stücke enthält, dennoch fast eine Dreiviertelstunde lang dauert.

Diesmal klingt Elliott weitgehend wie er selbst, als wolle er sich nicht mehr hinter Effekten verstecken. Hoffnung auf Erlösung gibt es freilich keine. Er sei Agnostiker, erklärt Elliott in der Doku. Es gebe sicherlich eine andere Dimension, die wir nicht verstünden, aber er glaube nicht an einen Gott. Dass ihm Religion suspekt ist, stellt er in "The Feast Of St. Stephen" klar. Liebe wäre toll, klar, aber gibt es sie wirklich ("I Only Wanted To Give You Everything")?

So bleibt nichts anderes übrig, als weiter zu leben, mit der Hoffnung, doch noch einen Sinn zu finden. " My feet are bleeding to the bone / They’re cracked & worn / The skin is torn from such a long road / But there's still a long way to go", singt er im abschließenden Stück "The Allegory Of The Cave".

Doch im Gegensatz zu Platon, der durch fremde Hilfe, notfalls durch Zwang, einen Weg aus der Dunkelheit der Unkenntnis ins Licht der Wahrheit sieht, gibt es bei Elliott keinen Retter. " Eternity in the dark is such a long time / ... / The crushing pain, the endless void / Repeat the same painful mistakes or / Slowly rot into the soil / Oh darkness please whisper my name / Whisper the rules of this here game ", lauten die letzten Zeilen.

Kein Entrinnen, also? Vielleicht doch: Immer wieder ein neues, hörenswertes Album aufnehmen und es vor überschaubarem Publikum in intimem Ambiente live vortragen. In Deutschland im Mai 2016.

Trackliste

  1. 1. A Beginning
  2. 2. The Calm Before
  3. 3. The Feast Of St. Stephen
  4. 4. I Only Wanted to Give You Everything
  5. 5. Wings & Crown
  6. 6. The Allegory Of The Cave

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6 Kommentare mit 4 Antworten

  • Vor 7 Jahren

    Oh yeah ein neues Matt Elliott Album. Hab ich überhaupt nicht mitbekommen, dass da was neues kommt.
    Schnell ein paar politische Kommentare online lesen, dann bin ich deprimiert genug um das hier zu genießen! los geht's!

  • Vor 7 Jahren

    "Natürlich stellt sich die Frage, warum man sich als Hörer so etwas antun muss."

    Die Welt ist schlecht und Matt liefert halt den perfekten Soundtrack dazu.

    • Vor 7 Jahren

      Er hat schon eine deprimierend pessimistische Weltsicht, das spielt sich sowohl textlich als auch musikalisch wieder. Ich bin längst nicht so pessimistisch, aber das musikalische Ergebnis ist großartig!

    • Vor 7 Jahren

      Ich auch nicht, aber auch nicht unbedingt religiös veranlagt. Ich glaube, der Mensch zeichnet sich durch seine Entscheidungen und sein Handeln aus. Leben heißt täglich auf's neue kämpfen und irgendwann fällt halt der Sargdeckel drauf. Schön ist es aber Menschen zu begegnen, die Farbe in's Leben bringen oder halt die Kunst oder die Natur da draußen, um von den täglichen politischen und gesellschaftlichen Wahnsinn abzulenken, aber ich glaube, wir entfernen uns ein wenig vom Thema.

    • Vor 7 Jahren

      Mag sein. Worauf ich nur hinaus wollte; man Elliott's Weltsicht nicht mal teilen und kann trotzdem in seiner Musik "versinken" (oder engl. 'drown' passt für mich hier wie die Faust auf Auge). Für mich kommt auch die neue Platte wieder sehr authentisch daher.

    • Vor 7 Jahren

      Eintauchen passt. Klingt sehr konsistent von der Stimmung und Atmosphäre. Jetzt noch die neue And Also The Trees dazu. Perfekt.

  • Vor 7 Jahren

    Ich finds bisschen dröge. Hätte nicht den Nerv mir das länger zu geben.

  • Vor 7 Jahren

    Hab es jetzt mehrfach gehört; tolles Album. Wie man Matt Elliott kennt tieftraurig, verbittert und hoffnungslos, durchzogen von schönen, bittersüßen Melodien und verstörenden Texten:

    "you forgive the choir master as if you hadn’t seen
    That he had tried to fuck your daughter when she was just 14"

    Wächst mit dem hören, hat bei mir aber schon im ersten Durchgang gezündet. Ein Typisches Matt Elliott.

  • Vor 7 Jahren

    Habe jetzt bloß die The Broken Man, aber das hier ist schon fast zugänglich durch diese Meeres- und Sturmatmosphäre. Was mir gefällt ist der generelle Flamenco-Einsatz der Gitarre an vielen Stellen und so Details wie der fast schon jazzige Kontrabass. Lyrisch handelt das wie eh und je von psychischen und zwischenmenschlichen Abgründen. Tolles Album.

  • Vor 7 Jahren

    An "The Broken Man" kommt's nicht ran. Aber durchaus ein schönes Album.