laut.de-Kritik

Ein Spezialeinsatz zur Rettung des Battlerap.

Review von

Totgeglaubte leben länger. Eine unheimlich lahme Phrase, gebe ich zu, noch dazu gleich zu Beginn. Doch manchmal steckt selbst in der stumpfesten Plattitüde ein Funken Wahrheit. Denn wer hat bitte wirklich in Betracht gezogen, dass von der ersten ernstzunehmenden Berliner Crew, den Masters Of Rap, nach dem Weggang der Zugpferde Kool Savas und Melbeatz noch irgendein Lebenszeichen zu erwarten sei?

Anno 2001 schlug die gesamte Szene noch auf die damals neunköpfige Truppe ein, weil sie es wagte, die gängigen Konventionen unter einem dicken Haufen Rapshit zu begraben und sich mit straightem Battlerap selbst abzufeiern. Dergleichen kannte man – in weit harmloserer Form – bis dato nur von Samy DeLuxe. 2005 hat sich das Blatt, respektive der Geschmack der deutschen Breithosenfraktion, um 180 Grad gewendet. So hat Royal Bunker jedes Recht der Welt, Berliner Battlerap im Pressezettel als "in den Tiefen der Niveaulosigkeit gefangen" zu bezichtigen. Dem dramaturgischen Schema eines guten Theaterstückes folgend, tauchen an dieser Stelle die Ursupatoren auf, um ihren auf die schiefe Bahn geratenen Spross wieder auf rechte Wege zu lenken.

Doch wer sind die dezimierten M.O.R. von heute schon? Von Justus kam seit "Zeichen und Muster" kein ernst zu nehmendes Lebenszeichen mehr, Jack Orsen und Big Derill Mack kleckerten solo eher, als dass sie klotzten. Ronald MackDonald und Illo traten schon auf "NLP" als Rapper nicht großartig in Erscheinung, Fumanschu gab sich zwar alle Mühe, schaffte es aber nie zum Erstliga-Rapper. Insofern wirkt die Kapelle eher wie Goldblum und Smith in Independence Day, als eine Spezialeinheit zur Rettung gefährdeter Musikrichtungen. Doch auch die durften sich bekannterweise nach getaner Arbeit die Fat Lady anzünden.

Der Zahn der Zeit ist auch an den selbsternannten Rapgroßmeistern nicht vorbeigegangen. Was 2001 mit völlig überzogenem Selbstbewusstsein einfach nur darauf abzielte, den Rest der Rapszene lyrisch zu kastrieren, kommt heute mit Gesangeinlagen und, man höre und staune, Themensongs daher. Auf der Tagesordnung steht alles, was das Herz eines Rappers in Partylaune erfreut: Big Derill plaudert in "Verstehen Sie Spaß" aus dem Nähkästchen und zelebriert jede Droge von Jägermeister bis Crack. "Sex ist ein Spiel, so wie Schach. / Man fühlt sich als Gewinner, legt man die Dame flach." Natürlich wird auch der holden Weiblichkeit relativ direkt klargemacht, dass man die breiten Hosen nicht ausschließlich aus Coolness trägt: "Liebespfeil" nennt sich diese vertonte Orgie, bei der Zett, wie mehrfach auf dem Album, beweisen darf, dass er nach Justus der talentierteste MC im derzeitigen Bunker-Lineup ist. Der scheint übrigens endgültig den Verstand verloren zu haben: Erst den hervorragenden Solotrack "Bunkerhass" rappen, und dann das Mic an den Nagel hängen zu wollen, das grenzt schon an Sadismus. Auch Bunker-Kollege und bekennender Herta-Fan Rhymin Simon kriegt sein Fett ab: „Es tut mir leid für dich Simon, / Bayern hat neunundneunzig Punkte, Hertha nicht mal einen.“

Besonders erwähnenswert sind die letzten Tracks der Scheibe: "Die Letzten Tage" widmet sich der Frage, ob man dereinst mit gutem Gewissen auf dem Totenbett liegen könne, und in "Vergangenheit" feiert Big Derril sogar eine kleine Premiere, wenn er seine eigene Drogen-Biografie einmal kritisch abarbeitet. So viel Deepness ist man von dem Haufen eigentlich gar nicht gewohnt, was der Begeisterung allerdings auf keinen Fall Abbruch tut. Denn die ursprüngliche Attitüde der rappenden Gladiatoren kommt auf keinen Fall zu kurz: "Kein Spiel", "Bunkerhass", "Zu Nice" - Freunde des gepflegten Battleraps kommen auf jeden Fall auf ihre Kosten. Zumal etwaige Gegner nicht einfach nur exekutiert, sondern vorher einer Folter in Form von Justus-Hooklines ausgesetzt werden. Als Rapper kann man dem Mann kaum ans Bein pinkeln, aber das Singen sollte er wirklich sein lassen.

Ausgerechnet die vermeintlichen Lückenbüßer mutieren auf dieser Scheibe zu echten Alleinunterhaltern. Illo und Fumanschu droppen die besten Parts seit Jahren, Derrill geht in sich selbst und kommt mit seiner nachdenklichen Seite im Gepäck als legitimer Nachfolger Savas' in der M.O.R.-Crew zurück. Auch Jack Orsen beweist in "Arafat", dass mehr in ihm steckt, als Endzeitfantasien aus Robotersicht und semilustigem Schwachsinn, verpackt in eine Taktloss-Collabo. Ich muss zugeben, ich bin völlig baff.

Die Beats, sorgfältig von den üblichen Verdächtigen Ronald MackDonald, Fumanschu, Illo, Big Bennay, Wassif und Kaizer Soze programmiert, stehen den lyrischen Leistungen der Battlerapper in nichts nach. Ordentlich pumpend, jedoch immerzu die Melodie in den Vordergrund stellend. So, wie man es von M.O.R. gewohnt ist. Dennoch verlieren einige der Beats nach längerem Hören deutlich an Reiz, während die Raps das Album immer weiter wachsen lassen. Hip Hop is still okay, besonders dann, wenn das demnächst erscheinende Album hält, was das Mixtape verspricht.

Trackliste

  1. 1. Kick Off
  2. 2. Kniet Nieder
  3. 3. Kältester Tag
  4. 4. 99 Punkte
  5. 5. Zu Nice
  6. 6. Verstehen Sie Spaß
  7. 7. Bunkerhass
  8. 8. Teufelskreis
  9. 9. Kein Spiel
  10. 10. Sao Paolo
  11. 11. Einfach Stolz
  12. 12. Wie Ein Tiger
  13. 13. Arafat
  14. 14. Wir übernehmen
  15. 15. Liebespfeil
  16. 16. Lifestyle
  17. 17. Die Letzten Tage
  18. 18. Vergangenheit

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