10. Oktober 2004

"Musik aus der Schweiz ist meistens sehr, sehr schlecht"

Interview geführt von

Als wir im luxuriösen Casino Theater gerade anfangen, an unseren Colas zu nippen, schwebt auch schon Lunik-Sängerin Jael ins Restaurant und streckt mir die Hand entgegen. Wir verziehen uns in eine ruhige Ecke des Lokals und beginnen, uns über die schweizer und die deutsche Musikszene zu unterhalten.

Euer neues Album "Weather" kommt im November in Deutschland raus. Wie würdest du den typischen Lunik-Sound beschreiben?

Für mich ist es irgendwo doch Pop Musik, aber da das Wort 'Pop' für die meisten Leute einen etwas bitteren Beigeschmack hat, beschreibe ich unseren Sound lieber als melodiöse Musik mit melancholischem Einschlag. Man hört aber schon noch, dass wir ursprünglich aus dem Trip-Hop kommen.

Ich habe gelesen, dass ihr in England, Kanada und auch Amerika Chart-Erfolge feiern durftet. Von einer schweizer Band hört man das sehr, sehr selten, in welchem Ausmaß muss ich mir das also vorstellen?

Das war ganz verschieden. Der Erfolg in Kanada kam durch meine Zusammenarbeit mit der kanadischen Band Delerium. Der Song "After All", den wir zusammen aufgenommen haben, stieg in den UK-Dance Charts auf Platz eins. Was Amerika angeht, haben wir dort einfach mal unser Album auf den Markt gebracht und abgewartet. Es lief auch ganz okay, war jetzt aber nicht der absolute Mega-Erfolg.

Was ist mit Deutschland? Habt ihr da noch nicht so den Schwerpunkt draufgelegt?

Doch eigentlich schon. Unser letztes Album "Ahead" ist auch in Deutschland erschienen, doch leider ist da ziemlich viel schief gelaufen. Wir möchten es mit der neuen Platte gern besser machen und haben nun auch eine kleines Label (Silversonic Records) gefunden, das uns mit viel Herzblut unterstützt. Es ist ein wichtiger Release für uns und wir freuen uns echt darauf.

Habt ihr auch vor, in Deutschland zu touren ?

Ja, wir haben ein paar Showcases für den November geplant. Je nachdem, wie es läuft, möchten wir gerne vermehrt in Deutschland touren. Auf jeden Fall werden wir nächsten Sommer einige deutsche Festivals ins Auge fassen.

Wie wichtig ist es für euch, im Ausland, speziell in Deutschland Fuß zu fassen?

Das ist sicher ein erklärtes Ziel von uns. Gerade deshalb weil es einfach einer der größten Träume eines Musikers ist, in den Tour-Bus zu hüpfen und einmal quer durch Europa zu fahren. In der Schweiz gibt es halt nicht so viele Möglichkeiten für Bands. Du gehst an den Wochenenden auf Tour und hast dann bald alle Clubs gesehen. Darum ist es für uns schon wichtig, mal aus der Schweiz rauszukommen.

Was ist deiner Meinung nach der Grund, dass so wenige Schweizer Bands den Durchbruch ins Ausland schaffen?

Ich denke, es gibt viele Vorurteile gegenüber schweizer Musik, die zu einem großen Teil auch berechtigt sind. Es gibt schon viele schlechte Bands hier. Ich glaube, dass es daran liegt, dass fast jeder Schweizer so Hobby-mäßig eine Gitarre und einen Proberaum zuhause zur Verfügung stehen hat. Die meisten haben dann auch noch reichlich Geld auf der Seite und können sich super Studioequipment kaufen. Ich bekomme zum Beispiel täglich irgendwelche CDs zugeschickt, doch das meiste ist einfach sehr, sehr schlecht. Es ist wirklich traurig aber leider wahr.

Gibt es denn einen klaren Unterschied zwischen Musikern in der Schweiz und Musikern in Deutschland?

Es ist natürlich so, dass wir den Beruf Musiker hier fast neu erfinden mussten. Sehr wenige Bands können in der Schweiz überhaupt von der Musik leben. Man braucht viel Idealismus und Durchhaltevermögen, da man weder von den richtigen Leuten noch Firmen umgeben ist. Wir mussten uns alles selbst beibringen, um unseren eigenen Sound zu finden.

Dann gibt es auch keine richtige Musik-Szene?

In Bern, da wo wir herkommen, gibt es schon so eine kleine Musik-Szene. Wir kennen unter anderem Züri West, aber die spielen ja Mundart-Rock, also etwas ganz anderes als wir. Es ist natürlich nicht dasselbe, wie wenn man zum Beispiel in Berlin wohnt. Ich stelle mit vor, in Berlin hast du so zehn, zwanzig Bands, die in eine ähnliche musikalische Richtung gehen. Solch ein Umfeld gibt es hier nicht, aber es findet trotzdem ein Austausch statt.

Wie seid ihr auf den Namen Lunik gekommen?

Lunik war eine von zwei, drei russischen Raumsonden, die Ende der fünfziger Jahre, die ersten Fotos von der 'dark side of the moon' schossen. Damals glaubte man, auf der Rückseite des Mondes etwas Tolles, wie fruchtbares Land zu entdecken. Schließlich fand man dann heraus, dass es auf der Rückseite genau gleich wie auf der Vorderseite aussieht. Einerseits ist es die Zerstörung eines Mythos, andererseits aber auch die Betretung von Neuland. Wir dachten uns, dass der Name gut passen würde und außerdem klingt er schön.

Euer neues Album wurde teilweise vom Cardigans Produzenten Tore Johansson produziert. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?

Wir haben ihn einfach gefragt! Ich und Luk lieben "Gran Turismo", die vierte Scheibe der Cardigans, und dachten uns, was solls, wir fragen ihn einfach mal. Also haben wir ihm eine E-mail geschrieben, auf die dann ein ziemlich ruppiger, unfreundlicher Manager geantwortet hat. Er hörte, dass wir Schweizer sind, und meinte daraufhin ziemlich ablehnend, wir sollen das Zeug mal hochschicken. Was wir natürlich gemacht haben, und schon bald kam eine Antwort von Tore persönlich, dass er gerne mit uns zusammenarbeiten würde. Daraufhin sind wir nach Schweden gereist, wo wir angefangen haben, mit ihm aufzunehmen. Er ist wirklich ein sehr spezieller Mensch. Im Studio hat er zum Beispiel nicht so viel Wert auf eine Hochglanz-Produktion gelegt. Da kam es dann schon vor, dass er morgens zu mir sagte, ich solle mich lieber nicht einsingen, und er meine Stimme einfach so, wie sie war, aufgenommen hat. Manchmal dachte ich dann "Wow", ich wusste gar nicht, dass ich so singen kann. Er zeigte uns, dass er wirklich auf unseren Sound steht, was uns eine große Sicherheit gab.

Welche Tracks auf dem Album stammen denn von ihm?

Bei "Weather" hat er ziemlich Hand angelegt. Da stammt auch ein Teil des Refrain von ihm. Bei weiteren Tracks hat er einfach noch so das Sahnehäubchen aufgesetzt. Zum Beispiel zu "Through Your Eyes" haben er und seine Frau die Background-Vocals eingesungen.

Euer "The Most Beautiful Song" war auf dem Soundtrack für den schweizer Kinderfilm "Globi" vertreten. Ich habe gehört, dass es daraufhin negative Reaktionen gab. Habt ihr das erwartet ?

Ja, dass haben wir schon ein Stück weit erwartet. Ich selbst hatte immer so eine Hass-Liebe zu diesem Song. Wir haben ihn extra für den "Globi"-Soundtrack geschrieben und er sollte halt zu einem Kinderfilm passen - demnach fröhlich und witzig sein. Wir haben uns irgendwann so halbwegs mit dem Song angefreundet, hätten aber nie erwartet, dass es ein solcher Knüller wird, der ein ganzes Jahr im Radio läuft. Eigentlich wollten wir ihn gar nicht mit aufs Album packen, als dann aber der "Globi"-Film gleichzeitig wie unsere Platte letzten Herbst rauskam, haben wir uns umentschieden und den Track als erste Single veröffentlicht. Mittlerweile macht es mir immer mehr Spaß, den Song live zu singen. Man merkt, dass er beim Publikum gut ankommt, und das freut mich natürlich auch.

Würdest du sagen, dass die neue Platte mehr Pop ist?

Ich denke das kann man schon so sagen. Ich selbst habe auch kein Problem mit dem Wort Pop, es wird nur manchmal so dargestellt, als hätten wir uns hingesetzt und gesagt, "so, wir machen jetzt eine Pop-Platte" - das war einfach nicht der Fall. Wir machen einfach das, worauf wir Lust haben, und das, was uns gefällt. 1998 haben wir halt Massive Attack und Portishead gehört, und heute hören wir Coldplay und die Cardigans. Das merkt man natürlich. Ich finde es auch ehrlicher. Wenn du deine eigene Musik schreibst und sie nicht von irgendeinem Songwriter komponieren lässt, dann ist dass deins, das kommt gerade heraus und muss ehrlich sein. Da verändern sich natürlich auch die Themen der Texte. Ich bin halt nicht mehr achtzehn, sondern fünfundzwanzig, und die Produktionen verändern sich dadurch.

Gab es Fans, die euch kommerziellen Ausverkauf vorwarfen ?

Ja, die gabs schon. Manche fanden den "Globi"-Song den besten den wir je geschrieben hatten, und andere fanden, macht doch lieber wieder Trip Hop. Aber dieses Kapitel ist einfach vorbei. Viele Stimmen kamen auch und meinten, das ist nicht mehr Lunik. Ich sage, das ist mehr Lunik denn je. Wir sind Lunik, und wir machen unseren Sound aus. Es ist toll, wenn es Leute gibt, die diesen neuen Weg mit uns gehen wollen, und es ist genauso okay, wenn andere lieber Trip Hop hören. Die sollen dann halt unsere Scheibe nicht kaufen. Ich denke, entweder stehen sie auf uns oder auf unser erstes Album. Dann wollen sie jedoch auch, dass wir in der Phase stecken bleiben, und ich will nicht stecken bleiben, ich will weiterkommen.

Gibt es irgendwelche Geschichten mit Fans, die ihr zu diesem Thema erlebt habt ?

Keine konkreten Geschichten aber es gibt sehr viele Leute, die extrem Mühe mit unserem neuen Sound haben. Da kamen dann so Sätze wie "ihr habt eure Seelen verkauft" und anderes in dem Stil. Ich finde, man sollte nicht so schnell urteilen. Die meisten kennen mich nicht, und die Musik, die ich heute mache, ist sehr, sehr nah an dem, was ich fühle. Das hat sicher nichts mit Seelenverkauf zu tun, es ist einfach anders.

Wie verläuft der Rest des Jahres?

Nach den Showcases in Deutschland bin ich noch mit einem anderen Projekt auf Tour. Dann im Februar/März geht's wieder ins Studio. Songs haben wie sowieso schon geschrieben, und irgendwie läuft im Moment alles ein bisschen parallel.

Zum Schluss noch: Habt ihr konkrete Ziele für das nächste Jahr?

Also, das Release in Deutschland ist für uns extrem wichtig. Deutschland hat halt einen sehr großen Musikmarkt und ist sehr wichtig. Man hofft, wenn es in Deutschland läuft, ziehen auch andere Länder mit. Wenn die Leute unsere Musik hören wollen - was ich hoffe - dann glauben vielleicht plötzlich auch Personen im Ausland daran. Wenn du heute eine echte Band bist und nicht irgendein Casting-Produkt, musst du dich zuerst einmal beweisen. Aber ich glaube, wenn du dich nur in der Schweiz bewiesen hast, reicht es noch nicht.

Das Interview führte Kathrin Fink

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