13. Juni 2007

"Wir sind keine politische Band"

Interview geführt von

Der auf der Bühne stumme Leadgitarrist Brad Delson und Joe Hahn, Herrscher über die Samples und Scratches, erzählen, was sich bei Linkin Park im Vergleich zu früher geändert hat.Nachdem wir das Hamburger Nieselregenwetter hinter uns gelassen haben, wähnen wir uns sogleich in den wundervollen Vereinigten Staaten von Amerika. Nicht nur die angelsächsische Namensgebung der Halle, sondern auch das Flair der zahlreichen Imbissbuden, jedes in von Marketingexperten wohl erdachten Mottos liebevoll designt, lässt ein Gefühl des American Way of Life aufkommen. Vom Fish & Chips, Burger, Wurst, Pommes bis zum Café Latte kann der Freund des durchdachten Entertainments die kulinarischen Leckerbissen erstehen. Auch das Merchandising kommt nicht zu kurz und wird von Horden von Teens und Twens mit Begeisterung gekauft und getragen.

Nachdem wir uns durch zahlreiche Korridore und Sicherheitsposten gewühlt haben, stehen wir noch eine Viertelstunde in einem Gang des Backstagebereichs. Auch hier Massen von Securitypersonal, und wir wähnen uns am G8 Gipfel, nur dass hier 30 Seconds To Mars und Linkin Park die Rollen von Blair und Bush einnehmen. Schließlich führt man uns in einen stimmungsvoll beleuchteten und mit kuscheligen Sofas eingerichteten Raum.

Wir nuckeln gerade bei Kerzenschein an unseren französischen Wassern, als ein paar Stiernacken Brad Delson und Joe Hahn in den Raum schieben. Zu meiner Verwunderung lässt man uns sogar allein mit den beiden. Wuschelkopf Brad strahlt von der ersten Minute an und nimmt schon nach dem ersten Händedruck die Rolle des Sympathieträgers für sich ein. Sein wohl proportionierter Bandkollege Joe gibt sich eher reserviert und nimmt mit aller nötigen Contenance in den weichen Kissen Platz. Kurz vor dem Interview hatte ich noch von einem Fußballspiel zwischen Linkin Park und ihren "Betreuern" von der Plattenfirma gehört, somit meine erste Frage:

Wie war Fußball gestern?

Brad: (Mit breitem Grinsen) Gut, weil wir gewonnen haben. Es war ein ganz schön hartes Spiel. Ich hab immer noch ziemlichen Muskelkater.

Die Jungs von der Plattenfirma haben gesagt, dass ihr und besonders du, es wirklich drauf habt ...

Brad (erstaunt): Ich, du meinst ich besonders? (und da ist wieder, dieses unnachahmliche Zucken um die Mundwinkel) Na ja, ich würde sagen, dass ich ein paar der Jungs ein klein wenig durch die Gegend geschubst habe ... (grinst)

Genau, das haben sie gesagt!

Brad: Wenn es ein reguläres Spiel gewesen wäre, hätte ich wohl eine rote Karte kassiert. (grinst breit)

Also seid ihr an Fußball wirklich interessiert. Schaut ihr euch manchmal Spiele im Fernsehen an?

Brad: Ein paar der Jungs haben in der High School Fußball gespielt und sind daher Fußballfans.

Irgendeine Lieblingsmannschaft?

Brad: Fußball ist in der USA nicht wirklich so beliebt wie hier, also wenn du überhaupt eine Mannschaft anfeuerst, ist es meist ein europäisches Team.

Da Brad nicht gerade der Fußball-Experte der Band zu sein scheint und sich auch Joe nicht gerade anschickt, gleich aus seinem Sitz zu hüpfen um uns seine Lieblingstricks am Leder zu zeigen, gehen wir zum eigentlichen Thema unseres Interviews über, der neuen Platte von Linkin Park "Minutes to Midnight".

Eure Zusammenarbeit mit Jay-Z war ein großer Erfolg und brachte euch sogar einen Grammy ein. Im Rockbiz kann man allgemein einen Trend hin zu elektronischen Einflüssen wahrnehmen. Warum ist "Minutes to Midnight" das rockigste Album in der Geschichte von Linkin Park?

Joe: Wir haben schon eine Menge Elektronik für das Album verwendet, aber als es dann dem Ende zuging, haben wir ein paar Entscheidungen getroffen, die das gesamte Album natürlicher, ja vielleicht ein bisschen wie Classic Rock klingen lassen. Aber das hängt mit einem Haufen anderer Dinge zusammen. Einer der Gründe ist sicherlich, dass wir an die Songs mit einer minimalistischen Sichtweise herangegangen sind. In der Vergangenheit hatten wir eher einen härten Sound mit wuchtigen Gitarren und wuchtiger Elektronik. Da sich das Ganze auch noch auf mehreren Ebenen gleichzeitig abspielte, ergab es eine ziemlich überfrachtete Angelegenheit. Dieses Mal wollten wir die einzelnen Songs ein bisschen mehr atmen lassen und sichergehen, dass jeder Sound, den wir in dem Album verwendeten, auch wirklich gehört wird ... kurze Pause mit der Stirn in Falten ... falls das Sinn macht?

Diese Unterteilung der einzelnen Elemente hört man auch beim Gesang. Der typische Aufbau euerer Songs, in dem Mike mit seinen Raps die Strophen und Chester mit Gesang und Screaming die Refrains übernahm, findet man auf eurem neuen Album kaum.

Brad: Ja, gerade der Umstand, dass man hier ein Muster erkennen konnte, war einer der Gründe, warum wir damit brechen wollten. Wir wollten die Leute wirklich überraschen, und ich denke, das ist uns gelungen.

Limp Bizkit haben sich aufgelöst, und immer mehr Bands aus der Alternative, Indie-Richtung übernehmen den Markt. Denkt ihr, Nu Metal ist tot?

Brad: Ich hoffe doch! (Breites Grinsen) Wir haben uns nie einem bestimmten Genre oder Kategorie zugehörig gefühlt. Als wir die Band gründeten, kombinierten wir unterschiedlichste Musikstile, um genau dieses Denken in Schachteln herauszufordern, und natürlich wurde uns ein Stempel verpasst, so wie es Journalisten und Magazine mit jedem Künstler tun. Mit "Minutes To Midnight" wollten wir die Leute wirklich was Neues bieten und die Meinung über die Musik, die wir machen, in ein neues Licht rücken. Das Album ist wirklich durch die einzelnen Songs bestimmt, und man kann nicht einfach sagen, es sei eine bestimmte Sache oder ein bestimmter Stil.

Haare als Kristallkugel

Meint ihr, dass diese Veränderungen innerhalb eures Bandprojekts eher in Verbindung mit dem Wandel des Geschmacks der Gesellschaft im letzten Jahrzehnt steht, oder dass doch der Reifungsprozess der individuellen Charaktere in eurer Band den Ausschlag gab?

Joe: Oh, das ist nur schwer in ein paar Worten zu beantworten. Es gab da einen Haufen von unterschiedlichen Schritten, bis wir das Album vollendet hatten. Vom Songwriting her sind wir ganz neue Wege gegangen. Unterschiedlichste Paarungen in der Band wirkten an den einzelnen Parts der Songs, und wir versuchten wirklich jede Idee, die uns auch nur irgendwie in den Kopf kam, zu verwirklichen. Am Ende standen 150 Songs zur Debatte. Die besten von ihnen schafften es in das Album. Die beiden Sänger Mike und Chester waren sehr offen für neue Ideen bezüglich der Texte. Das war vorher nie der Fall, und hinzu kommt, dass wir alle wesentlich älter sind als vor zehn Jahren, als wir das Ganze starteten. Die beiden ersten Alben waren nach dem selben Muster gestrickt.

Natürlich war "Meteora" eine Weiterentwicklung in der Evolution der Band, aber dennoch enthielt es einen großer Teil der Prinzipien und Ideen von "Hybrid Theory". Das ergibt ein nettes Buch mit Kapitel Eins und Zwei, aber wir wollten diesmal sicher gehen, uns von all dem abzugrenzen. Und um noch mal zu den Texten zurückzukommen: Sie sind alle von einer beobachtenden Warte aus geschrieben, im Gegensatz zu unsern alten Texten, die sich alle aufs Persönliche und den Blick nach Innen konzentrieren. Und von dem her hast du vielleicht schon Recht, wenn du sagst, dass sich auf diesem Album viele Dinge verändert haben, weil wir beobachten, was in der Welt um uns herum geschieht.

Bei so vielen Songs, warum habt ihr es nicht wie die Red Hot Chili Peppers auf "Stadium Arcadium" gemacht und ein Doppelalbum herausgebracht?

Joe: Ja, wir haben wirklich daran gearbeitet, ein Doppelalbum herauszubringen. Aber als wir uns es dann anhörten, war es einfach zu anstrengend. Zu viel Musik auf einmal. Wir wollten das Album so besonders wie möglich machen, und so stellten wir letztendlich die Qualität über die Quantität. Wie jeder Künstler mussten wir auch erst unsere Fehler durchleben, bis wir unsere Treffer landen konnten. Nicht alle Songs waren unbedingt das Gelbe vom Ei.

In Berlin war euer Auftritt in 90 Minuten ausverkauft und euer Album ging von Null sofort auf Platz Eins der deutschen Charts. Wie erklärt ihr euch euren Erfolg, besonders in Deutschland?

Brad: Können wir nicht!

Obwohl ich mich eigentlich ganz wohl fühle, so wie mich dieses sympathische Wesen in aller Ruhe angrinst, stammle ich nach gefühlten zehn Minuten doch etwas wie:

Du meinst es passiert einfach so...?

Brad: Wir sind wirklich sehr dankbar dafür und haben sicherlich hart dafür gearbeitet. Wir haben eine wirklich gute Beziehung zu unseren Fans beibehalten, ich bin nämlich davon überzeugt, dass das Ganze von unseren Fans getrieben wird. Aber dieses Ausmaß von Erfolg? Wir haben das nie erwartet und schwimmen daher im Moment einfach weiter auf der Welle.

Ja, ihr seid wahrscheinlich überall beliebt ...

Brad (Plötzlich ganz aktiv und bestimmt): Aber das kannst du nicht als selbstverständlich ansehen! Es ist wirklich etwas sehr Besonderes, wenn es dann passiert. Als wir den Gang runter kamen, hatten wir gerade erst Platin für unser neues Album erhalten. Das erste Mal, dass wir überhaupt Platin bekommen haben. Und es ist erst eine Woche her, dass die Platte draußen ist, und so war es wirklich surreal, als es so schnell passierte. Ich dachte, es könnte vielleicht in sechs Monaten oder in einem Jahr passieren. Und dass es gerade hier in Deutschland so erfolgreich ist, macht uns richtig glücklich. (Quizfrage: Welcher Gesichtsausdruck ist bei Brad festzustellen?)

Auf eurem Cover und auch in eurem Video präsentiert ihr euch in einem optisch ganz neuen Look. Alles ist sehr viel dunkler und klassischer arrangiert. Auch die Haare, besonders Brads fallen auf. Ist das der Linkin Park-Style der Zukunft?

Joe: Ich pflichte dir bei, dass Brads Haar die Zukunft ist. (Lautes Gelächter im ganzen Raum) Nicht bloß von Linkin Park sondern der Welt im Allgemeinen. Es ist wie eine Kristallkugel, aber du kuckst eben in Brads Haare. Es ist wie beim Händelesen, verschiedene Linen mit denen man Dinge aus der Zukunft vorhersagen kann. (Joe und Brad giggeln sich gegenseitig auf der Couch an, und nach ein paar dummen Sprüchen von mir in Richtung Sponsoring-Vertrag für ein Haarshampoo greife ich noch mal nach dem roten Faden, der in dieser gediegenen Atmosphäre leicht verloren geht.)

Joe, ich habe gehört, dass du für den Inhalt der Videos verantwortlich zeichnest ...

Ja, genau ... (Hey, der Kerl hat vor lauter Albernheit also doch noch nicht den Bezug verloren. Scheint wirklich ein Profi durch und durch zu sein...) Nein, es ist nicht wie du sagtest, dass hier ein bewusster Vorgang stattgefunden hat, mehr in die klassische oder dunklere Richtung zu gehen. Es ist eine sehr natürliche Sache, wenn wir Videos oder irgendetwas produzieren. Wir versuchen einfach etwas Neues und Interessantes zu produzieren, weil wir darin unsere Aufgabe als Künstler sehen. Es ist eben immer etwas anderes, was sich zu dem bestimmten Zeitpunkt richtig anfühlt. Und bei diesem Video fühlte es sich einfach passend zum Song an. Und auf eine Weise denk ich mal, ist das schon eine Art von Entwicklungsprozess, aber wir versuchen, das bei jedem Video, Single oder Album zu erreichen.

"Wir sind keine politische Band!"

Euer Video zu "What I've Done" zeigt Bilder einer Welt voller Extreme und Bitterkeit. Zur gleichen Zeit singt Chester aus der Perspektive einer einzelnen Persönlichkeit. Wie kann man diesen Kontrast verstehen, fühlt ihr euch etwa verantwortlich für das, was in der Welt falsch läuft?

Nein, ich glaube nicht, dass wir uns verantwortlich fühlen für das, was in der Welt so vor sich geht. Ein paar der Sachen, die du erwähnst, sind sicherlich Teil unseres beobachtenden Standpunkts. Das Album deckt von globalen Themen hin bis zu sehr introspektiven Themen alles ab. Die nach innen gerichteten Themen sind ein Tribut an unseren älteren Dinger. Na ja und wenn du sagst, dass wir viele dunkle Themen berühren: Dunkle Themen waren schon immer das Grundgerüst unserer Musik. Das macht sie für mich sehr besonders, und ich habe auch mit ein paar Fans gesprochen, und die haben mich darin bestätigt, dass die Musik ihnen helfen konnte.

Um mit dir ins Reine zu kommen, musst du nun mal einen Blick in dein Inneres werfen, die negativen Seiten beleuchten und letztlich mit ihnen klarkommen. Am Ende sollte es dennoch positiv sein, und diese besondere Art der Freiheit ist, was ich an unserer Musik schätze. Es ist wie ein Schrei, um es aus deinem System zu bekommen. Ich kenne ein paar Leute, z.B. Athleten, die die Musik gerne vor Spielen hören, oder manche hören es auch, während sie Auto fahren. Es ist einfach ein sehr berauschendes Gefühl.

Ein Angestellter der Plattenfirma hat sich reingeschlichen, um zu verkünden, dass die nächste Frage die letzte sein wird.

Fernab der individuellen Aspekte berührt ihr in eurem neuen Album zum ersten Mal auch gesellschaftlichkritische Themen bzw. übt harte Kritik an euerer politischen Führung. Bei eurem letzten Interview mit laut.de im Jahre 2003 habt ihr dagegen zu diesem Thema vehement jede Aussage verweigert. Woher der plötzliche Sinneswandel. Was genau hat euch dazu veranlasst, einen anderen Weg einzuschlagen?

Brad: Wie Joe und auch du es schon früher gesagt habt, haben sich unsere beiden früheren Alben fast ausschließlich um die Erkundung der eigenen Gefühle gedreht. Jetzt haben die beiden Texter Mike und Chester damit begonnen, die Welt um sie herum zu erforschen. Ich würde nicht sagen, dass das Album vornehmlich politisch ist. Auch ist keiner von uns sechs politisch orientiert. Wir sind keine politische Band! Wir alle haben total verschiedene Ansichten von der Politik und der Welt, und daher ist es unmöglich, einen einzigen Standpunkt zu finden, den die gesamte Band vertreten könnte.

Aber die Platte hat definitiv ein soziales Bewusstsein, und als Band versuchen wir, dieses soziale Bewusstsein zu zeigen, indem wir die Position, in der wir uns befinden, dazu einzusetzen, unseren Beitrag zur Verbesserung der Welt zu leisten. Und wenn wir mit "Music for Relief", einer Organisation, die wir gründeten, um Menschen die Opfer von Naturkatastrophen wurden, zu helfen, mit anderen Bands zusammen Geld sammeln und Häuser bauen können, dann ist das einfach unglaublich! Wir versuchen einfach, etwas zurückzugeben in der Art wie es uns möglich ist.

Aber gab es einen bestimmtes Ereignis, das euch dazu bewog, den Kurs zu ändern?

Brad: Ich würde einfach sagen, dass das Älterwerden und der damit verbundene Reifeprozess dazu führten. Mike und Chester sind verantwortlich für die Texte, und so wie wir alle sind sie älter geworden, und wir haben einen Haufen gesehen und erlebt. Indem du älter wirst, siehst du anders auf die Welt und wie sie sich verändert. Dementsprechend bringst du dich auch anders ein.

Da 14 000 Fans auf den Auftritt warten, die Band eh schon eine dreiviertel Stunde hinter dem Zeitplan hinterher hängt und mir sowieso keine andere Wahl bleibt, gebe ich dem vehementen Drängen der Organisatoren nach und entlasse Brad und Joe in die Hände der Sicherheitsleute. Ich hätte noch gerne beim Thema Politik weiter gebohrt, aber Brad lässt es sich nicht nehmen, mit seiner charmanten Art meinem Ego eine gehörige Politur zu verpassen. So bewege ich mich beschwingt in die schon prall gefüllte Halle dieser amerikanischen Enklave im Norden Deutschlands.

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