laut.de-Kritik

Verschachtelte Beats und zarter Gesang im natürlichen Einklang.

Review von

Mitte der 90er-Jahre sprießten in Großbritannien, beflügelt von den Erfolgen Massive Attacks und Portisheads, Trip Hop-Projekte wie Pilze aus dem Boden, darunter auch Lamb aus Manchester. Die legten mit ihrem selbstbetitelten Debüt, das am 30. September 1996 erschien, einen stabilen Grundstein für ihre weitere Karriere, die bis heute anhält.

Louise Rhodes, die sich für Lyrics und Songwriting zuständig zeigt, wuchs mit Folk-Musik auf, ließ sich aber auch von Hip Hop und Soul beeinflussen. Zunächst versuchte sie sich in Musik- und Modefotografie. Ihre Lust zum Klang erstarkte jedoch wieder, als sie auf einem Piratensender einen frühen Breakbeat-Track von Peter Bouncer ("Love Is All We Need") hörte. Daraufhin schrieb sie eigene Songs und nahm Kontakt zu Andy Barlow auf, den sie durch einen Freund kennengelernt hatte.

Der war ein Technik- und Computerfetischist, der sich auf die Programmierung von verschachtelten Beats spezialisiert hatte, sich aber auch schon in der Band Mucky Pub an Hip Hop-Klängen versuchte. Zunächst hielt er zwar wenig von der Idee, mit einer Sängerin zu arbeiten, ließ sich aber dann doch von ihr überzeugen. Mit der Single "Cottonwool" landeten die beiden schließlich 1996 einen ersten Achtungserfolg in ihrer Heimat.

Der Song fällt im Gegensatz zu den restlichen Tracks des Albums noch relativ rau aus. Man hat den Eindruck, als versuche Lou mit ihrer jazzig inspirierten, immer etwas kippenden Stimme gegen die harten, hektischen Breakbeats ihres Kollegen anzukämpfen. Eine düstere Drum'n'Bass-Version der Nummer gibt es auf der Platte übrigens als Hidden Track versteckt.

Barlow, der zu der Zeit noch dem Partyleben frönte, und Rhodes, die schon fast zehn Jahre älter war als er und mit ihren kleinen Kindern mitten im Leben stand, waren von Anfang an ein ungleiches Paar gewesen, weshalb es innerhalb der Band immer wieder zu Reibungen kam. Dennoch haben es die Briten auf dieser Platte und auch auf späteren Alben geschafft, ihre beiden Talente natürlich in Einklang zu bringen.

Davon zeugt schon der Opener "Lusty", bei dem sich der zart hauchende Gesang Rhodes' warm ins komplexe, breakbeatlastige Soundgebilde Barlows einfügt. Dazu streut Andy noch markante Elektronikgrooves ein, die ihr Übriges für den Wiedererkennungswert des Duos tun. Im Grunde hört man nämlich einen Lamb-Track aus tausend anderen Songs deutlich heraus.

"God Bless" klingt dann mit rotierenden Drum'n'Bass-Klängen, verträumtem Gesang, melancholischen Streichern, jazzigem Kontrabass und psychedelischen Flötensounds so flirrend und lebendig wie eine Roni Size-Nummer. "Trans Fatty Acid" erweist sich dagegen mit schlürfenden Beats, wobbelndem Bass, bedrohlich anschwellender Elektronik und lasziven Vocals als recht düster und nimmt schon die beunruhigende Ästhetik auf Massive Attacks Meilenstein "Mezzanine" ein wenig vorweg.

Mit "Zero" kommt im Anschluss der erste Ruhepol des Albums, bei dem die Beats von Barlow ausnahmsweise mal schweigen, so dass kammermusikalische Streicher und Rhodes' zerbrechliche Stimme auf intime Weise miteinander verschmelzen. Dafür tobt sich Andy anschließend im Instrumental "Merge" mit repetitiven Loops, jazzigen Bläsersamples und maschinellen Elektronikeinschüben mal so richtig aus.

Danach führt "Gold" mit mysteriösen Grooves, tiefen Kontrabasstönen, polyrhythmischen Drumloops, Vinylknistern und einer einnehmenden Melodie, die einem James Bond-Soundtrack alle Ehre macht, in eine verrauchte Jazzbar. "Closer" erinnert dann wieder an das Raue von "Cottonwool", hat aber in der Mitte ein paar interessante, sphärische Klangeinschübe nebst zitternden Trompetensounds zu bieten.

Das folgende "Górecki", das nach dem gleichnamigen polnischen Komponisten benannt ist und ein Sample seiner dritten Sinfonie, der "Symphony Of Sorrowsoul Songs" enthält, bildet schließlich das Stück, an dem sich alle anderen Tracks der Band bis heute messen lassen müssen. Das hält sich nicht mit Kleinlichkeiten und Banalitäten auf, geht es doch um die wahre Liebe, um die bewusste Entscheidung für eine bestimmte Person.

Dazu heißt es zu Beginn zu hellen Piano-Tupfern, wogenden Streichern und indischen Tablarhythmen mit dramatisch anschwellender Stimme: "All this time I've loved you / And never known your face / All this time I've missed you / And searched this human race / Here is true peace / Here my heart knows calm / Safe in your soul / Bathed in your sighs." Wer wünscht sich diese Ruhe und Sicherheit nicht? Danach schwingt die Nummer mit lauter werdenden Streichern, wuchtigen Breakbeats und sich überschlagendem Gesang in wahrhaft überirdische Sphären über und jagt einen Schauer nach dem anderen über die Haut. Im Grunde macht das Stück die Liebe für jede Faser des Körpers erlebbar. Danach braucht man viel Zeit zum Durchatmen.

Die gibt es mit "Feela" auch, das mit ätherischen Klaviertupfern, subtilen Hintergrundgeräuschen, Celloeinschüben und fragendem Gesang die Scheibe nachdenklich und minimalistisch beschließt. Auf den Folgealben wagte sich die Band noch weiter in verspieltere Gefilde heraus, ohne jedoch ihre eingängigen Qualitäten zu vernachlässigen, was uns weitere Songgroßtaten wie "Bonfire", "Till The Clouds Clear" oder "Gabriel" bescherte. Mit der letztgenannten Nummer landete sie in Portugal sogar einen Nummer Eins-Hit.

2004 legten Lamb eine künstlerische Pause ein, um sich Soloprojekten zu widmen. 2011 knüpften sie mit "5" etwas halbherzig wieder an ihre Wurzeln an. Mit "Backspace Unwind" legten sie drei Jahre später ihre Berührungsängste gegenüber dem 4/4-Takt bei gleichzeitiger Fokussierung auf mehr Streicher ab und transformierten ihre Musik so erfolgreich in die Gegenwart. "The Secret Of Letting Go" zeichnete 2019 schließlich eine gewisse Skizzenhaftigkeit aus.

An die Frische und das besondere, bittersüße Feeling ihres Debüts kam aber keine Scheibe der Briten mehr heran. Mit "Lamb" sprangen sie nämlich erfolgreich in eine Nische, die sich abseits der gespenstischen Atmosphäre Portisheads, der Hip Hop- und Dub-Reggae-beeinflussten Töne Trickys und Massive Attacks, der souligen Grooves Morcheebas und den poppigen Tendenzen der Sneaker Pimps aufgetan hatte. Gespannt, mit was uns das Duo in Zukunft noch weiter beglückt, darf man natürlich trotzdem sein.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Lusty
  2. 2. God Bless
  3. 3. Cottonwool
  4. 4. Trans Fatty Acid
  5. 5. Zero
  6. 6. Merge
  7. 7. Gold
  8. 8. Closer
  9. 9. Górecki
  10. 10. Feela

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