laut.de-Kritik

Zwei Dinge bringt die Kanadierin mit: Geschmack und Können.

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Kieszas Fluxkompensator fluxuiert uns direkt in die frühen Neunziger des vergangenen Jahrhunderts. Meint sie das wirklich ernst? Für einen alten Sack, der Haddaway, Dr. Alban, Culture Beat und das Capatin Hollywood Project noch am eigenen Leib erfahren musste, stellt die erste Begegnung mit "Sound Of A Woman" eine harte Herausforderung dar.

Um hier etwas Neues und Frisches ausmachen zu können, mussten erst einmal die üblichen zwanzig Jahre ins Land ziehen. Nun kommen die Achtziger also in die Mottenkiste und Eurodance, Dance-Pop und Deep House stehen wieder hoch im Kurs. Dabei bringt die kanadische Sängerin zwei Dinge mit, die auf einer Bad-Taste-Party dieser Art im Grunde nichts zu suchen hat: Geschmack und Können.

So abwegig es dem ein oder anderen Greis auch zuerst erscheint, schafft es Kiesza doch, aus den eingestaubten Sekundärrohstoffen ein funktionierendes Album zu zimmern. Denn egal, welches Jahrzehnt wir auch zitieren, am Ende zählen die Songs, die unterhalb der Oberfläche schlummern.

"Everybody Dance Now". Über "Sound Of A Woman" thront "Hideaway". Unverfroren Retro, mit einnehmender "Oh, Ah, Ah, Oh"-Hook, gelingt der Sängerin berückender Pop. Das nachfolgende "No Enemiesz" klingt mit seiner Chicago-House-Bassline wie eine ebenso logische wie energiegeladene Weiterentwicklung des Sommerhits. "Over Myself", das innig mit Crystal Waters "Gypsy Woman (She's Homeless)" kuschelt, rundet die Rückblende in eine Zeit ab, in der Kiesza noch brabbelnd auf dem Wickeltisch lag. "La da dee / La dee da."

Es war früher ja nicht alles schlecht, wenn sich aber jemand wie Ray Slijngaard von 2 Unlimited am Rap versuchte, war es einfach vorbei. Zum Glück stehen Kiesza mit Joey Bada$$ ("Bad Thing") und Mick Jenkins ("Losin' My Mind") durchaus talentierte Gesellen zur Seite. Zudem findet die Sängerin auf diesem Weg zu einem ganz anderen, weitaus intensiveren Spielplatz der Neunziger.

Zwischen Soul und heiserem Trip Hop kokettiert sie mit Massive Attacks "Blue Lines" und den ersten beiden Soul II Soul-Alben. Wohl auch deswegen bilden die beiden schemenhaften Stücke die eigentlichen Highlights des Longplayers.

"I'm serious as cancer / When I say rhythm is a dancer." Die Querverweise springen einem regelrecht ins Gesicht. "Giant In My Heart" kongruiert mit den späten Snap!, nervt aber leider auf Grund des "Wow doo doo doo doo dow"-Geträllers schon beim zweiten Durchgang. Das Zuckerstückchen "Vietnam" pendelt sich irgendwo zwischen Stevie B, dem "King Of Freestyle", und der von mir abgöttisch geliebten Information Society ein und mobilisiert jeden Soundeffekt, den ein 12''-Remix zu jener Zeit aufzufahren hatte.

Mit dem Haddaway-Cover "What Is Love" treibt Kiesza ihre Liebeserklärung an die Neunziger auf die Spitze. Anstatt der Versuchung zu unterliegen, den Eurodance-Hit einfach eins zu eins in das Jahr 2014 zu transferieren, bremst sie das Stück auf eine klagende, stellenweise vor Kitsch triefende, Klavierballade herunter. Ein Umfeld, dass die schmalen Schultern dieser naiven Pop-Nummer kaum tragen können. Hier zeigt sich deutlich, dass ihre eigene Songs, die sie gemeinsam mit Rami Samir Afuni schreibt, qualitativ über der Arglosigkeit ihrer Vorbilder liegen.

Als würden kleine Kinder mit meinen alten Lego-Steinen spielen, baut Kiesza auf "Sound Of A Woman" die Bauklötze zu ihrem eigenen kunterbunten Raumschiff zusammen. Ich fühle mich alt, habe aber eine Menge Spaß dabei. "Hier ist alles super, hier ist alles gut, denn du bist nicht allein."

Trackliste

  1. 1. Hideaway
  2. 2. No Enemiesz
  3. 3. Losin' My Mind fet. Mick Jenkins
  4. 4. So Deep
  5. 5. Vietnam
  6. 6. Bad Thing feat. Joey Bada$$
  7. 7. What Is Love
  8. 8. Sound Of A Woman
  9. 9. The Love
  10. 10. Piano
  11. 11. Giant In My Heart
  12. 12. Over Myself
  13. 13. Cut Me Loose

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