19. Januar 2015

"Tom Waits ist von einem anderen Stern"

Interview geführt von

Katzenjammer nennen ihr neuestes Werk "Rockland". Wer jetzt nur Rockkracher erwartet, wird enttäuscht - wenn auch nur so lange, bis er feststellt, dass er noch viel mehr bekommt. Inspiriert von Folk und eben dem Gedicht "Rockland" von Allen Ginsberg haben die vier Norwegerinnen das Beste aus 83 Songskizzen herausgefiltert. Was Katzenjammer sonst noch inspirierte, warum ältere Brüder bestehlen gut für die Karriere ist und bei welchen Musikern sie wieder zu Teenies mutieren, erzählen uns Anne Marit Bergheim und Turid Jørgensen in Berlin.

Katzenjammer waren eine Weile von der Bildfläche verschwunden. Was habt ihr getrieben?

Anne Marit Bergheim: Wir haben neue Songs geschrieben und Kinder auf die Welt gebracht. Haha.

Turid Jørgensen: Ja, zwei von uns sind Mama geworden, zwei von uns haben an anderen Projekten gearbeitet, Anne Marit hat studiert. Aber unser Hauptfokus lag auf der Musik und dem Album.

In einem früheren Interview habt ihr gesagt, das Debüt "Le Pop" sei französischer und "A Kiss Before You Go" eher deutsch. Welches Land steht für "Rockland"?

Anne Marit: Amerika. Für mich zumindest war die Inspirationsquelle eindeutig Folk. Jeder hat für sich allein Songs geschrieben. Als wir dann zusammenkamen, hatten wir 83 Titel zur Auswahl. Wir hatten nichts abgesprochen, es war ziemlich überraschend, als wir feststellen, dass sich die Songs ähneln.

Wie liefen eure Treffen ab? In einem Song singt ihr von "Alphadog" und "Betababy" - gibt es das bei euch in der Band?

Anne Marit: Wir sind eine sehr demokratische Band, manchmal fast schon zu demokratisch. Wenn zwei dafür und zwei dagegen sind, dann kommen wir nicht weiter. Aber ich glaube, nach zehn gemeinsamen Jahren sind wir inzwischen ziemlich gut darin, eine Lösung für alle Dilemmata oder und Diskussionen zu finden. Mit den 83 Songs also ging es sehr unterschiedlich voran. Einige waren schon sehr fertig, andere interpretierten und veränderten wir noch gemeinsam. Der "Katzenjammer"-Twist durfte aber bei keinem fehlen!

Für mich klingen die jetzigen Aufnahmen im Vergleich zu den Vorgängern klarer.

Anne Marit: Ja, das wollten wir in etwa auch. Zumindest für mich war es sehr wichtig, einen authentischen Sound zu finden. Auf dem Vorgänger haben wir Layer über Layer gepackt. Damals war das richtig, jetzt schien es wichtig, wieder zum Livefeeling zurückzukehren.

Zu diesen Konzerten bringt ihr Gerüchten zufolge auch schon mal bis zu 30 Instrumente mit.

Anne Marit: Die Anzahl variiert. Bei kommenden Gigs sind um die 16 wohl realistischer. Ich weiß es nicht genau, ich hab sie nicht gezählt. Aber ja, es sind eine ganze Menge.

Turid: Hahaha. Zu Beginn war das wirklich sehr verwirrend. Ein Riesenchaos auf der Bühne! Anfangs waren es ja sehr kleine Bühnen und einfach zu viele Instrumente drauf. Das war ziemlich chaotisch. Inzwischen haben wir ein paar Tricks drauf.

Habt ihr euch für "Rockland" an neue Instrumente gewagt?

Turid: Ja, Anne Marit spielt Dobro.

Anne Marit: Wir würden am liebsten immer neue Instrumente lernen.

Turid: Fidel wäre toll, aber keiner von uns hat die Zeit. Ich wünschte, jemand hätte mir dieses Instrument in die Hand gedrückt, als ich noch ein Kind war.

"Ich nicht glaube, dass er so durchgeknallt ist, wie es scheint"

Mit welcher Musik bist du denn aufgewachsen?

Turid: Jedenfalls nicht mit Folk, das kam später. Ich hab einen älteren Bruder, dem hab ich immer alle CDs und Kassetten geklaut, meist norwegische Rockmusik.

Anne Marit: Mein Vater hatte eine Menge Schallplatten mit norwegischem Folk. Das hab ich sehr oft gehört. Als Kind fand ich das ein bisschen peinlich, aber es hat mich auf jeden Fall beeinflusst. Meine Mutter hat The Avett Brothers gehört. Ich hab gerade wieder damit angefangen, deren Musik zu hören. Sie sind fantastisch! Das hat mich zurück in meine Kindheit versetzt. Bruce Springsteen war mein erster Held, mit Elton John hab ich das Piano spielen gelernt.

Habt ihr einen eurer Idole mal live gesehen?

Beide: Oh ja! Ja! Oft sogar.

Turid: Ich hab sogar meinen heutigen 'Hero' getroffen: Goran Bregović. Ich hab mal mit ihm geskyped!

Wie kams denn dazu?

Turid: Wir waren für ein Radiointerview in Deutschland, und ich kannte die Moderatorin. Sie meinte, sie könne mal fragen, ob er mit uns sprechen will – er war einverstanden. Ich bin sein größter Fan!

Hört sich ganz so an, als wäre da der Teenie in dir rausgekommen.

Turid: Haha, oh ja. Ich komme nicht oft aus der Fassung, wir sind schließlich alle nur Menschen ... Aber an dem Abend rannte ich durchs Hotel, klopfte an die Zimmertüren der anderen und kreischte: "Ich werd mit Goran Bregović skypen! Ahhhhhhh ...".

Und wie lief das Gespräch?

Turid: Das ist es ja ... Ich wusste nicht, was ich zu ihm sagen sollte. Eigentlich wollte ich uns vorstellen und ihm sagen, dass wir natürlich gerne zusammenarbeiten können, wenn er Lust hat. Wir haben sogar noch ein paar mal geskyped, und er wollte uns treffen, aber wir waren immer in verschiedenen Ländern.

Was ist aus eurem Traum geworden, Tom Waits zu treffen?

Anne Marit: Leider noch nichts. Es wäre fantastisch – obwohl ich sicher sprachlos wäre. Ich meine, Bruce Springsteen ist mein Kindheitsheld, aber ich wäre eventuell in der Lage, mit ihm zu kommunizieren. Bei Tom Waits ... keine Ahnung. Er ist wie von einem anderen Stern. Obwohl ich nicht glaube, dass er so durchgeknallt ist, wie es scheint.

"Meine Seele ist alt!"

Eure erste Single heißt "Lady Grey". Es geht darin um eine alte Frau, die ihr gerne getroffen hättet, als sie jung war. Ist der Song eher optimistisch oder melancholisch?

Anne Marit: Beides, denk ich. Marianne hat ihn geschrieben. Sie ist Krankenschwester und ihre erste Patientin war eine Lady mit Alzheimer, sie konnte nicht mehr sprechen. Marianne stellte sich also vor, wie die Frau in jungen Jahren war. Sie wollte dieser Frau damit Respekt zollen, sie ist ein Mensch, sie hatte ein Leben. Sie war so wie wir.

Freut ihr euch aufs Älterwerden?

Anne Marit: Ich bin doch schon alt! Hahaha. Meine Seele ist alt.

Turid: Ich weiß nicht. Aufzuwachsen und dann erwachsen zu sein, war bisher echt schön. Und ich schätze, man lernt sich immer besser kennen – warum sollte es also schlechter werden?

Bevor wir alle alt werden, geht ihr erst mal auf Tour. Was macht ihr bis dahin?

Turid: So viel Zeit ist es ja gar nicht mehr. Wir starten in Norwegen, unsere CD kommt im Januar dort auf den Markt. Es geht also nahtlos weiter wie bisher. Und ein bisschen üben sollten wir auch noch.

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