laut.de-Kritik

Überaus unterhaltsames Scheitern auf allen Ebenen.

Review von

Mister West fistet ein weintrinkendes Mädel, während ihn Bon Iver-Frontmann Justin Vernon als "Star Fucker" huldigt: "Uh, black girl sippin' white wine / Put my fist in her like a civil rights sign" ("I'm In It"). Ach, die freizügig frivolen Franzosen wieder, denken sich Amis und andere. Immerhin nahm Kanye das Album ja unter anderem in Paris auf. Mit Daft Punk. Daft Punk. Natürlich. Tanzt sich das elektronisch-erotisierende Dance-Duo selbst gerade mit fluffigen Pop-Funk durch die Format-Radios der Republik, packt es für "Yeezus" wieder die alten Elektro-Robocop-Grooves aus. Nur das Beste dieser zwei Welten, und die kleine des Rap-Fans bliebe heil wie Petri. Doch neben Daft Punk sind noch ein paar andere im Haus, denn:

Rick Rubin - packt aus.

Hudson Mohawke - packt aus.

Der Rza – packt aus.

Young Chop - packt aus.

Und Bon Iver – packt aus.

Und genau das – ein vollkommen verrückt-inkohärenter, fett abgemixter Sound-Overkill - kommt auch heraus. "Yeezy season / Fuck what ever y'all been Hearing", keiner kann zum Schluss sagen, der wütende West hätte uns netterweise nicht schon im Opener "On Sight" gewarnt. Selbst wer dank der Justice-Elektro-Punk-Ohrfrikadelle – ja, wir sind noch in Paris wie Ibra - nach den ersten Minuten noch im Quadrat kopfnickt oder wahlweise kotzt, entkommt dem Motto des Albums nicht: "He'll give us what we need / It may not be what we want", die gesampelte Bridge der Holy Name of Mary Choral Family umschmeichelt zum Schluss die geschockten Gehörgänge. Kanye und sein 6728-köpfiges Co-Produzententeam wissen besser als wir selbst, was wir alle wirklich wollen – und können nur scheitern. Wie schrieb Jean-Paul Satre:

"In einem Turm gefangen kann der Mensch nicht ohne Weiteres flüchten, aber er kann planen zu flüchten, er kann sich mit der Möglichkeit einer Flucht beschäftigen. Der Mensch kann sich jederzeit über die Situation hinaus entwerfen, selbst wenn er dabei scheitert. Das Scheitern ist nicht der Gegensatz zur Freiheit, sondern eine menschliche Möglichkeit, die sich aus seiner Freiheit ergibt."

"Yeezus" flüchtet, flüchtet aus dem Turm der kulturellen Vorurteile, der Genregrenzen, Rassen- und Klassenklischees. "Sich über seine Situation hinaus entwerfen", die eigene Grenze austesten und scheitern – hier passiert genau das unterhaltsam auf allen Ebenen. Wenn im Opener das erwähnte Elektro-Punkpferd bedingungslos nach vorne precht, fliegt Yeezys Flow schneller vom Sattel als beim Rodeo. Er kämpft, er wütet, er schreit, doch ein junger Ice Cube oder ein Tyler ist er eben nicht – und am Ende fällt er.

Gleiches auf "Black Skinhead", seinem "theme song, my leather black jeans song". Der pompöse Beat galoppiert mit mächtigen Bass-Hufen nach vorne, während Kanye als Kiddie-Killer aus Chitown wie Chief Keef provoziert und scheitern muss: "Stop all that coon shit / Early morning cartoon shit / This is that goon shit / Fuck up your whole afternoon shit". Hmmhmm.

Der Mut, sich musikalisch vor allem mit einem Hudson Mohawke gegen die eigenen Wände zu werfen, erhöht Kanye jedoch – wenn auch nicht auf Jesus-Level. Immer wieder treten kleine Siege, kleine, ja fast göttliche Momente ans Licht des Tagesgeschäfts. In "New Slaves" kracht ab Minute 2:54 in den bis dahin minimalistischen Synthie-Horror die bombastische Daft Punk/Frank Ocean-Version von "Gyöngyhajú lány" der ungarischen Prog Rock-Legenden von Omega. Allein für die Entdeckung dieses unglaublichen Originals gebührt ihm Dank. Dass er vorher seinen klarsten Einsichten findet, rundet den Song ab: "I know that we the new slaves, y'all niggas can't fuck with me / Y'all niggas can't fuck with Ye, y'all niggas can't fuck with Ye / I'll move my family out the country, so you can't see where I stay". Auch ich bin nur ein Sklave, egal wie rebellisch. Und ich kann nur hoffen, dass ihr mich nicht findet.

Im wabberenden "Hold My Liquor" treffen sich Chief Keef, Young Chop, Bon Iver und Kanye zur Suchttherapie. Der Song wechselt zwischen Ebenen, Sounds und Rhythmik wie ein Fahrstuhl mit Schluckauf. Daraus machen andere Künstler ganze Alben und alle Welt fragt sich verwirrt: Ist das jetzt genial oder affektierte Avantgarde? Zumindest die kleine, heile Welt manch bonierter Hip Hop-Hörer hat Yeezus geschrottet wie Luke den Todesstern. "Das ist doch kein Rap!" Und jene Heads schlagen gnadenlos zurück. Macht kaputt, was euch kaputt macht wie Rio Reiser. Seit Freitagnacht feiern Foren das große Yeezy-Bashing, tobt der Kampf auf Twitter zwischen Jüngern und Gehörnten. Für die einen ist es Kanyes "Kid A", "In Utero", für die anderen reiner Möchtegern-Lärm.

Natürlich ist es weder das eine noch das andere. Kanye West versucht vordergründig alles einzureißen, entkommt aber seinen Grenzen – vielleicht zum Glück - oft nicht wirklich. "Blood On The Leaves" sticht mit einem wahnwitzigen Wechselspiel aus melancholischen Piano-Loops und in den Krieg führenden Elektro-Beats, könnte aber auch vom locker Vorgänger stammen – genau wie "I am a God". Synthies und Klangebenen lösen zwar den klassisch-orchestralen "Dark Fantasy"-Bombast ab, die Atmosphäre und das Gefühl eher einer Filmmusik, einer Rap-Oper zu lauschen, bleiben. Wenn auch nicht gottgleich wie Nas, reimt sich West hier zudem seinen besten Part zusammen:

"Soon as they like you make 'em unlike you / Cause kissing people ass is so unlike you / The only rapper who compared to Michael / So here's a few hating-ass niggas who'll fight you / And here's a few snake-ass niggas to bite you / I don't wanna hear what some niggas might do / Old niggas mentally still in high School / Since the tight jeans they never liked you / Pink-ass polos with a fucking backpack / But everybody know you brought real rap back / Nobody else had swag, man, we the Rat Pack"

Hört her, ich bin realer als ihr, ich entwickle mich und Hip Hop weiter, während ihr in eurer beschränkten Welt verharrt. Bei aller Wut spürt man aber gerade hier auch seinen Wunsch, geliebt und in seinem Schaffen anerkannt zu werden. I keep it real, love me! Wie anders ist der beatlose Schluss-Track "Bound 2" zu erklären, der dank Soul-Sample-Nostalgie tief in den eigenen Anfangstagen diggt. Damals als alle Kopfnicker-Kollegen Kanye noch für den neuen Produzenten-Gott hielten. My Home is eben doch my Turm. Tief im Inneren lebt es sich doch gut in seinem Leben und am Ende ist die Yeezy Season nur eine Ego-Season. Groß, genial und gescheitert.

Trackliste

  1. 1. On Sight
  2. 2. Black Skinhead
  3. 3. I Am A God
  4. 4. New Slaves
  5. 5. Hold Myy Liquor
  6. 6. I'm In It
  7. 7. Blood On The Leaves
  8. 8. Guilt Trip
  9. 9. Send It Up
  10. 10. Bound 2

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58 Kommentare mit einer Antwort

  • Vor 10 Jahren

    Kann mir leider kein Urteil erlauben, da ich das Teil noch nicht gehört habe aber es scheint typisch Kanye zu sein: Genie und Wahnsinn. Liebe und Hass. Manche Tracks echte Bretter und andere eher Bretter vorm Kopf. Es bleibt wie bei all den anderen Alben: Love it or Hate it. Ich bin gespannt, was mich am Releasetag erwartet.

  • Vor 10 Jahren

    "Uh, black girl sippin' white wine / Put my fist in her like a civil rights sign"

    jow in Kims Arsch hats locker Platz...

  • Vor 10 Jahren

    Die erste Hälfte ist top - zweite Hälfte fand ich etwas lau, alles in allem ein sehr anstrengendes Album. Sehr elektronisch, sehr laut und sehr großkotzig, hatte nach 'Dark Fantasy' irgendwie höhere Erwartungen.
    'Black Skinhead' und 'New Slaves' beste songs.