laut.de-Kritik

Theatermusik zu Stücken von Brecht, Goethe und Voltaire.

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Still ist es um Kante geworden, die mit "Zweilicht" eines der besten deutschsprachigen Album der 2000er veröffentlicht haben. Wir schreiben mittlerweile bereits das neunte Jahr nach "Die Tiere Sind Unruhig". Selbst die Hauptstadt-Revue "Kante Plays Rhythmus Berlin" liegt mittlerweile ganze sieben Jahre zurück. Immerhin erscheint nun ein Querschnitt durch ihre Theater-Arbeiten der letzten Jahre.

Kante waren schon immer ein wenig anders als die anderen Schmuddelkinder der Hamburger Schule. Im Gegensatz zu Tocotronic, Die Sterne oder Blumfeld, bei denen Sänger und Gitarrist Peter Thiessen einst Bass spielte, ließen sie von Beginn an ihre Songs in alle Richtungen offen, schreckten nicht einmal vor Jazz zurück. Mit "In Der Zuckerfabrik – Theatermusik" erweitern sie nun ihr Spektrum um die Einflüsse, Texte und Melodien von Bertolt Brecht, Sophokles, Goethe, Voltaire, Dostojewski und Tom Waits.

Die fünfzehn Stücke auf "In Der Zuckerfabrik" stammen aus Friederike Hellers und Peter Handkes mit Musik erfüllten Arbeiten am Burgtheater Wien, Residenztheater München, Schaubühne Berlin, Staatsschauspiel Dresden und dem Thalia Theater Hamburg. Sie bieten einen Querschnitt aus den verschiedenen Aufführungen und Episoden, die Kante unterstützten.

Mit dem Titelsong "Lied Von Der Zuckerfabrik" gelingt ein Einstand nach Maß. Geschickt entwickelt Thiessen Voltaires "Candide Oder Der Optimismus" weiter und integriert den harten und politischen Grundstoff um einen Sklaven, der auf Grund unserer europäischen Opulenz ein erbärmliches Leben fristet, in das Gesamtwerk seiner Band. Eine Abrechnung mit unserer Scheinheiligkeit, die kraftvolle Gitarren und ein detailerliebtes Bläserarrangement tragen und so auch ohne weiteres auf früheren Kante-Platten seinen Platz gefunden hätte. "Das ist der Preis, das ist der Preis / Das ist das Blut das bei uns fließt / Das ist der Preis, das ist der Preis / Um den ihr drüben in Europa euren Zucker genießt." Obwohl die Novelle bereits 1759 entstand, ist ihre Aussage heute so aktuell wie damals.

Aus der gleichen Inszenierung stammt "Das Erdbeben Von Lissabon", eine Umsetzung von Voltaires "Poème Sur Le Désastre De Lisbonne". Der blutige Text basiert auf einer der größten Naturkatastrophen Europas. "Und nun? Beerdigt die Toten und ernährt die Lebenden", sprach Premierminister Sebastião de Mello, während Menschenleben für das Wohl des großen Ganzen geopfert wurden. "Seid ruhig und sterbt ohne zu klagen / Hören die Sterbenden euch sagen / Denn eure Heimat wird, so hört / Für's Glück der Welt restlos zerstört," singt Thiessen zum vorantreibenden Desert Blues seiner Band.

"Ihm färbt der Morgensonne Licht / Den reinen Horizont mit Flammen / Und über seinem schuld'gen Haupte bricht / Das schöne Bild der ganzen Welt zusammen." Aus Goethes "Wilhelm Meisters Lehrjahre" ersteigt die mitreißende und zielstrebig geradeaus rockende "Morgensonne". Die Klavier-Ballade "Wenn Ich Dich Begehre Gegen Jede Vernunft" vertont voller Zartheit, Begierde und Schwermut ein Gedicht von Thomas Brasch. Aus dem Handke-Stück "Spuren Der Verirrten" stammt das beschauliche und zuckersüße "Donaudelta", das die Atmosphäre eines dahinfließenden Flusses in spürbaren Wellen in seine Komposition überträgt.

Zeitweise überspannen Kante den Bogen allerdings gewaltig. Zu Beginn von "Keine Wegspur, Nichts Zu Sehen" zitieren sie noch ergreifend Alexander Sergejewitsch Puschkins "Besy" und untermalen dessen Worte dezent und mustergültig. Sobald ein Marsimoto-Stimmchen jedoch beginnt, die Geschichte von der Heilung des Besessenen von Geras aus dem fünften Kapitel des Markusevangeliums zu zitieren ("Mein Name ist Legion; denn wir sind viele."), kippt der Song. Bertolt Brechts "Das Lied Vom Sankt Nimmerleinstag" verfügt zwar über ein wundervolles verqueres Arrangement, mit dem bewusst dilettantischen Gesang wirkt es jedoch schnell viel zu erzwungen und aufgesetzt. Das mag im Theater-Kontext alles funktionieren, abseits der Bühne schleicht sich aber eine unfreiwillige Komik ein.

Viel besser ergeht es dem dem proletarischen "Lied Vom Achten Elefanten", dessen torkelnde Dickhäuter im Oberst Hathi-Marsch voran schreiten und wild in die Tuba schmettern. Das schwer zu bändigende "Arioso Der Shen Te" entführt in eine düstere, nur mühsam zu erarbeitende Klangwelt. Mit Thiessens etwas hölzernem Englisch und einem an Mike Garson erinnerndem Piano findet die wilde Riot Jazz Brass-Nummer "The Black Rider", im Original von Waits, eine ganz neue, eigentümliche Perspektive.

Das sperrige "In Der Zuckerfabrik – Theatermusik" schwankt zwischen dem typischen Kante-Sound und schwer verdaulichen Stücken. Manches liegt wie ein Stein im Magen. Nicht selten streckt sich das Album zu sehr in die Länge und bildet nie ein homogenes Gesamtbild, sondern wirkt viel mehr wie eine Kruschelkiste, dessen schrulliger Inhalt eine Überraschung nach der anderen bereit hält. In den Interpretationen zwischen Rock, Jazz und Kammermusik finden sich viel Irrsinn, Wagemut und Irritation.

Trackliste

  1. 1. Lied Von Der Zuckerfabrik
  2. 2. Wenn Ich Dich Begehre Gegen Jede Vernunft
  3. 3. Das Erdbeben Von Lissabon
  4. 4. Morgensonne
  5. 5. Keine Wegspur, Nichts Zu Sehen
  6. 6. Arioso Der Shen Te
  7. 7. My Love Is As A Fever (Sonett 147)
  8. 8. Glückselige Solcher Zeit (Zweites Standlied)
  9. 9. Das Lied Vom Sankt Nimmerleinstag
  10. 10. Lied Vom Achten Elefanten
  11. 11. Donaudelta
  12. 12. Geist Der Liebe (Drittes Standlied)
  13. 13. Der Tag Verging
  14. 14. The Black Rider
  15. 15. Walzer

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