laut.de-Kritik

Standard-Werk für all die Sandalenträger.

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Die gute Nachricht ist: Joshua war sechs Jahre weg. Die Schlechte: man hat's gar nicht gemerkt - also nichtmal genießen können. "Send me picture postcards from L.A." flehte er 1994 von seinem Piano aus und schon damals fragte ich mich, wer dieser Piano-Grinsbacke ernsthaft dämliche Bild-Postkarten aus L.A. schicken will? Die Antwort: viele wollten. Und noch mehr Leute kauften die Folk-Ballade "Jessie" und subventionierten damit die Schnulzen des dauergrinsenden Schrebergartenrebellen.

2001 lacht er sogar. Beim Anblick des Covers ist klar, warum: Joshua hat sein Piano auf eine Laster-Ladefläche geschnallt. Sollte die Entsorgungsstelle, zu der er seine Klimperorgel hoffentlich bringen will, zufällig noch eine akustische Recyclingsanlage anbieten, kann er seine Songs da auch gleich abladen.

Gibt es wirklich noch Romantiker, denen bei Textzeilen wie "In Carolina's eyes I see the ocean" nicht spontan die Freundin im Arm wegnickt? Oder gibt es tatsächlich Frauen, die beim ersten Erklingen dieser über 11 Songs gestreckten Ballade ihren Freund nicht sofort verlassen? Ist man überhaupt beziehungsfähig, wenn man Joshua Kadison hört?

Anyway, der Piano Man dudelt hier trotz dicker Produktion variantenarm über große Themen wie Schicksal, Hoffnung und Liebe. Er selbst scheint zu hoffen, diese Nudelvorstellung geht als intelligentes 'Storytelling' durch, doch heraus kommt nur ein Standard-Werk für all die Sandalenträger, die ihre grünen Wollsocken auch im Sommer gerne spatzieren tragen. Oder anders: Softie-Alarm im Führerhaus. Denn kein Trucker dieser Welt würde sich wohl mit einem Kadison-Tape on the road erwischen lassen wollen.

Die Klasse großer Songwriter wie Elton John und Van Morrison mag "Desert Flower" und die Hommage "My Father's Son" vielleicht zart umwehen. Ein Loslösen vom pompösen Schmalzbelag ist hier aber in etwa so wahrscheinlich wie die Vorstellung, mich in naher Zukunft beim Postkartenschreiben mit Kadisons Soundtrack anzutreffen. Schließlich möchte ich meine Freundin nicht verlieren.

Trackliste

  1. 1. Carolina's Eyes
  2. 2. Desert Flower
  3. 3. Begging For Grace (Dragonfly Wings)
  4. 4. Cherry Bowl Drive-In
  5. 5. El Diablo Amor
  6. 6. I Belive In You
  7. 7. Shine
  8. 8. Greyhound Bound
  9. 9. Molly In The Mirror
  10. 10. My Father's Son
  11. 11. Song For A Grounded Angel

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3 Kommentare

  • Vor 16 Jahren

    Über Musik lässt sich wie bekannt streiten... doch ein super produziertes, geniales Album wie Vanishing America - das für mich ein absoluter Klassiker ist und immer wieder gern gehört wird - so runter zu machen, find ich schon ziemlich heftig.

    Kritik ist ja immer einfach - besser machen ist schwierig.

    Joshua's Musik hat für mich viel Charme und Herz - sie spricht von der Seele. Und das mit sauguten Musikern und prima Piano Arrangements.
    Versuch das mal nachzuspielen während Du singst! Ha!

    Also ich find Joshua KLASSE - wesentlich besser als das Gejaule was man derzeit meist im Radio hört!

    Übrigens war der Picture Postcards from LA song über ein Mädel, das ihre Träume nie verwirklicht hat. Aber da muss man ja Englisch verstehen...
    ;)

    INGO ZEN
    http://Journeys-Online.com
    http://myspace.com/ZenSpaceLounge

  • Vor 16 Jahren

    ach gott, waren das selige zeiten damals, als wir bands noch richtig verprügelt haben, weil uns die industrie noch nicht gekauft hatte. danke fürs erinnern :D

  • Vor 16 Jahren

    Über Musikgeschmack lässt sich tatsächlich streiten, aber derartig einen Menschen zu kritisieren, runterlaufen zu lassen, schlecht zu machen...das ist schon sehr NIVEAULOS, GESCHMACKLOS !! Ich war 2006 in Freiburg im Jazzhaus bei Joshua, und werde dieses Jahr auch wieder zu seinem Konzert gehen...ich denke mal nicht, dass ich an Geschmacksverirrung leide, eins an der Waffel habe oder anderweitige Behinderungen aufweise.
    Würde gerne mal wissen, was das für Menschen sind, die so diskriminierende Äußerungen in öffentlichen Artikeln niederschreiben...ich würde mich für sowas schämen. Lieber behält man solche Unverschämtheiten für sich, als so ausfällig zu werden, obwohl man den Menschen, den man so mit Dreck bewirft, überhaupt nicht kennt.