1. Oktober 2007

"Ich biete genug Angriffsflächen"

Interview geführt von

Der "Goldene Reiter" auf dem Weg zu neuen Ufern: Mit "Auf Ewig" zieht er den Schlussstrich unter die "Bayreuth"-Reihe - und nimmt eine große Zäsur in seinem Leben vor.Ein Telefon-Gespräch mit dem "Goldenen Reiter". Nun ist das Image-Bild des Künstlers Joachim Witt ein durchaus düsteres und oft auch hartes - was würde mich erwarten? Der Apparat klingelt zur vereinbarten Zeit, ich melde mich, eine ruhige, freundliche Stimme antwortet mir: Keine Spur von Aggressivität oder gar wagnerianischem Pathos. Wir plaudern ein wenig, machen uns gegenseitig miteinander vertraut, bevor wir mit dem eigentlichen Interview beginnen. Joachim Witt ist ein höflicher Mensch, und ein sehr offen-angenehmer Gesprächspartner, wie ich im Laufe unseres Telefonats feststelle.

Wie kam es zu der Entscheidung, mit "Auf Ewig - Meisterwerke" eine "Best Of" statt eines brandneuen Albums zu veröffentlichen?

Für mich bedeutet es in erster Linie der Abschluss der Werkreihe "Bayreuth", weil ich mich nun einfach neuen Ufern zuwenden möchte. Ich möchte die "Bayreuth"-Serie ab nun für sich selbst stehen lassen, deshalb war das für mich ein Anlass, noch einmal die Höhepunkte zusammenzustellen. Aber damit es für die Fans nicht so wie eine normale 1:1-Best Of ist, haben wir uns entschlossen, die Titel noch einmal frisch zu bearbeiten und als besondere Bonbons "Goldener Reiter" und "Herbergsvater" neu aufzunehmen.

Auch zwei brandneue Songs sind ja darauf zu finden. Sind das unveröffentlichte Titel aus früheren Jahren oder wurden sie extra für diese Best Of komponiert?

Diese zwei Titel stammen aus der Schaffensphase des letzten Jahres.

Du bist ja nun rund drei Jahrzehnte im Musikgeschäft und hast da eine Menge miterlebt. Wenn man nun Rückschau hält, gibt es eine Art "ultimativer Erkenntnis" oder eine spezielle Essenz, was das Showgeschäft angeht? Etwas, das besonders haften bleibt, wenn man zurückblickt?

Dass es schon eine harte Branche ist und es oft nicht leicht fällt, am Ball zu bleiben. Gerade, weil es zwischendurch immer wieder ökonomische Zwänge gibt, denen man sich dann auch unbedingt widmen muss und sehr viel Energie darauf verwendet. Es ist ein Wechselspiel zwischen Erfolg und Misserfolg, und man muss hart arbeiten, auch selbst mal hart sein, sonst hält man es nicht durch.

Im Laufe der Jahre sind Kritiker oft sehr harsch mit dir umgesprungen. Wie sehr berührt so etwas persönlich und wie geht man damit um? Oder geht es einem als Künstler einfach vorbei?

Nein, das tut es gewiss nicht. Es ist so, dass ich mittlerweile auch darüber weiß, dass manche Kritiker nicht in der Lage sind, in meine emotionale Welt einzutauchen. Da haben wir dasselbe Problem wie in Partnerschaften, das heißt, Menschen passen eben zusammen oder nicht. Das liegt im Kern schon irgendwie zusammen. Es gibt eben auch Musik, über die man nicht so kontrovers redet, eben weil sie nicht besonders kontrovers ist. Aber über meine Musik redet man dann ganz gern, weil sie eben Ecken und Kanten hat, und weil sie auch eine besondere spezielle Prägung besitzt: Emotional betont und sehr persönlich, weil ich viele Dinge von mir darin dann einfach herauslasse. Da bietet man natürlich auch sehr große Angriffsflächen. Menschen, die meine eigenen Motive nicht richtig nachvollziehen können, können das vielleicht dann nicht verstehen. Das weiß ich, und dem muss ich mich dann aber natürlich auch aussetzen und stellen.

Wie entsteht eigentlich ein Joachim Witt-Song? Gibt es da irgendwelche Vorgaben?

Also, ich habe keine Vorbilder oder etwas, dem ich einfach nacheifere. Es ist so, dass die Klangbilder aus einer speziellen emotionalen Situation heraus entstehen, der Verfassung, in der ich gerade bin. Es entspricht meiner Gedankenwelt, wie ich sie empfinde, wie ich meine Umwelt wahrnehme und so weiter. Dabei spielen auch soziale Zusammenhänge eine große Rolle. Diese Eindrücke bündele ich und lebe sie klanglich aus. Ich kann aber nie vorher sagen, was dabei herauskommt, das entwickelt sich im Laufe des Komponierens. Und ich orientiere mich auch sehr emotional an Klangfarben, einer bestimmten momentanen Faszination oder einem bestimmten Eindruck. Und dann setze ich diese Dinge so zusammen und um, wie ich sie in diesen Momenten tatsächlich fühle und empfinde.

Zur Neuauflage von "Goldener Reiter" gibt es auch ein aktuelles Video - Das Song-Thema umgesetzt als Manager-Story. Das wirkt natürlich gänzlich anders als früher und weckt auch neue Assoziationen.

Ja, es war eine andere Zeit, doch die eigentliche Geschichte ist stets dieselbe. Ich habe sie damals auch inhaltlich ebenso wiedergeben wollen. Das sicher zeitlose Thema des Songs ist dieser Knick in der Karriere, aufgrund einer mangelnden Sinngebung. Das ist von jeher der Ansatz des "Reiters", und so haben wir auch versucht, es für heute erneut umzusetzen.

"Mit Peter Heppner gab es Differenzen"

Sind im Lauf der Jahre besondere Freundschaften im Show-Geschäft entstanden?

Die besten Freunde habe ich noch immer aus ganz früher Kindheits-Zeit. Und aus meiner ersten musikalischen Phase, dem Beginn des Musik-Machens.

Und wie war das mit Peter Heppner? Oder handelte es sich da mehr um eine berufliche Angelegenheit statt einer freundschaftlichen?

Das ging auf einer besonderen Gefühlsebene mit ihm da sicher parallel. Doch wie es oft so ist, sind da manchmal auch gewisse, in diesem Falle geschäftliche Differenzen mit ausschlaggebend, ob sich nun eine weitere Freundschaft entwickelt oder eben nicht. Das war damals leider so, sind aber Dinge, die sich mittlerweile beruhigt und gelegt haben. Eigentlich haben wir meist keinen persönlichen Kontakt mehr, oder nur über Schriftverkehr.

Zum 90. Geburtstag von Heinz Rühmann 1992 gab es unter anderem einen neu aufgenommenen Tribute-Song des Klassikers "Ein Freund bleibt immer ein Freund". Eingespielt wurde er von einem ungewöhnlichen Trio: Ulrich Tukur, Achim Reichel und eben Joachim Witt ...

Ja, das war eine einmalige Zusammenarbeit! Zu Achim Reichel habe ich lange Zeit danach auch weiter intensiveren Kontakt gehabt. Er gehört auch nach wie vor zu meinem Bekanntenkreis, auch wenn wir uns die letzte Zeit nicht mehr besucht haben. Aber das hat mit nichts mit Aversionen zu tun, das ergibt sich halt aus dem Leben heraus manchmal. Manchmal sieht man sich halt längere Zeit nicht so oft wie früher.

Für den "eigentlichen" Joachim Witt, der so in der öffentlichen Wahrnehmung existiert, ist dieser Titel sehr ungewöhnlich. Wenn ich den mal Freunden vorgespielt habe, wollte keiner glauben, dass du da mitsingst.

Oh, ich lasse mich ja gern mal auf so Seitensprünge ein! Gerade, wenn es mich, wie in der vorliegenden Form, überzeugt und ganz schlicht auch Spaß macht.

Überhaupt: Das Imagebild in der Öffentlichkeit. Denkt man an dich als Künstler, da entsteht ein hartes, martialisches Bild ohne jegliches Lächeln. Hat Joachim Witt überhaupt eine humorvolle Seite? Oder geht er zum Lachen in den Keller?

Nein, absolut das Gegenteil! Ich bin, glaube ich, ein total humorvoller Mensch, und ich suche auch gern die bizarren und lustigen Momente im Leben. Und wenn ich etwa jetzt mit meinem alten Kameraden Harry Gutowski zusammen bin, der auch für mein Management zuständig ist, sind wir sind die Hälfte der Zeit am Lachen, weil wir auch einen ähnlich gelagerten Humor haben. Gemeinsames Lachen macht eine Zusammenarbeit auch viel gelöster und fruchtbarer. Lachen ist in meinem Leben extrem wichtig.

Du siehst dich auch als politischen Künstler. Was bedeutet das genau, und was siehst du als Aufgabe eines politischen Künstlers?

Ich sehe das für mich nicht als Aufgabe, sondern es treibt mich einfach dahin, weil mich manche Themen nicht ruhen lassen, und ich meine, dass man dazu in irgendeiner Form auch mal Stellung beziehen muss. Das tue und versuche ich auf meine Art und Weise. Ein wichtiger Aspekt ist mir auch das Vermitteln von Werten, eine ganz wichtige Sache, ich versuche das auch das in meiner Musik mit einzubeziehen.

Da gab es ebenfalls oft Differenzen und Vorwürfe gegen dich, etwa, wenn du dich zum Thema "Globalisierung" meldest.

Aus kommerzieller Sicht ist das sicher nicht ratsam, wenn man an diesen Dingen festgemacht wird, man verliert dadurch natürlich auch einen gewissen Hörerkreis. Das ist mir klar. Oft liegt es an irgendeiner Angst, wenn Leute nicht mehr klare Positionen beziehen. Diese Angst habe ich nicht, das gehört für mich zu meinem kreativen Auftrag.

"Die Nachkriegs-Amerikanisierung ist noch immer spürbar"

Gerade zu Beginn deiner "Bayreuth"-Arbeiten wurdest du manchmal in eine rechte Ecke gestellt, weil du dich - u. a. erkennbar an der Werkreihen-Titelgebung - auf besondere Art mit deutscher Kultur auseinandergesetzt hast. Aber wie sollte man überhaupt mit vergangenen deutschen Kultur-Epochen umgehen, ohne dass sofort irgendein Nazi-Stempel von außen auftaucht?

Authentisch! Ich versuche in meiner Arbeit, damit authentisch umzugehen. Ich habe ja ganz bewusst versucht, Felder, die von den falschen Leuten vereinnahmt waren, neu zu besetzen. Das ist die einzige Chance, nur so kann man auch manche Klischees zerstören. Und das hat damals natürlich auch nicht jeder begriffen, doch das war es mir wert, das muss ich ehrlich sagen.

Zu diesem Thema gibt es sehr schönes Zitat von Achim Reichel. Er meinte einmal: "Irgendjemand muss die Courage haben, die Kultur nicht irgendwelchen Verrückten zu überlassen. Ein Volk ist nicht komplett, wenn es keine Kultur hat."

Ja, diese Einschätzung teile ich absolut.

Der Bereich hierzulande produzierter Musik hat heute einen viel größeren Stellenwert als zu deinem Karrierebeginn. Auch das Themen- und Stil-Spektrum ist größer geworden. Wie beurteilst du das?

Man ist der eigenen Kultur wieder aufgeschlossener, man versucht, mehr zu differenzieren. Auch im Umgang mit meiner Musik spüre ich die früheren, offenen Anfeindungen nicht mehr so. Allerdings ist nach wie vor natürlich diese Nachkriegs-Amerikanisierung klar zu spüren, das geht ja in alle Bereiche hinein. Dazu zählt auch diese spezielle Art des Liberalismus. Es ist deshalb manchmal erschreckend, dass kaum einer mehr in der Lage ist, eine richtige Entscheidung zu treffen. Im Zuge dieser Vergangenheits-Amerikanisierung tun sich nach wie vor viele Problemfelder auf, die nicht nur den kulturellen Bereich betreffen, sondern auch den politischen Umgang.

Manche Leute werden dir mit solchen Aussagen gewiss Anti-Amerikanismus vorwerfen...

Nein, anti-amerikanisch ist es für mich nicht. Ich habe ja nichts gegen Amerikaner und deren Kultur im eigenen Bereich! Aber ich bin halt nicht auf der Linie der amerikanischen Polit-Administration.

Allgemein arbeitest du in deinen Texten und der Musik sehr stark mit emotionalen, herzblut-getränkten Stimmungsbildern. Kann man Joachim Witt als Romantiker bezeichnen?

Das glaube ich schon. Ich neige sehr zur Sentimentalität, zu Fernweh und diesen Sachen. Mein Fernweh drückt sich aber nicht territorial aus, sondern eher wie in "Die Flut" mit der Sehnsucht nach einer besseren Welt. Dann sind da Situationen, die mich sehr sentimental stimmen. Für mich sind das keine negativen Emotionen, denn daraus schöpfe ich sehr viel für meine Arbeit und es hält mich auch kreativ wach. Es sind halt oft die gefühlvollen Momente, die meine Kreativität am meisten entfachen.

Gibt es Künstler, die dich sehr beeindruckt haben auf dem Weg zum eigenen Stil?

Sehr stark zum Beispiel die Gruppe Can. Auch die Arbeiten von Neu!, da sind, glaube ich, die stärksten Einflüsse für mich zu finden. Aus den sechziger Jahren sind es Velvet Underground, und die Arbeit von Roxy Music in den Siebzigern bewundere ich sehr stark, bis heute. Das sind für mich so richtige, wahre Perlen der Pop-Musik.

Wie sehen deine Zukunftspläne aus, und ist ein neues Studio-Album zumindest angedacht?

Ich mache jetzt eine für mich krasse Zäsur: Ich werde in London leben, eigentlich bin schon da. Nach dem Abschluss, was meine bisherige Arbeit und Umgebung ausmachte, werde ich mich ganz neuen Einflüssen aussetzen. Einfach einmal sehen, wie und was so auf auf mich wirkt, und ich könnte mir vorstellen, dass das sehr kosmopolitisch wird. Doch es ist keine Auszeit in eigentlichen Sinne, es ist - auch von der Dauer - noch sehr unbestimmt. Glücklicherweise ist so ein Schritt ja auch nicht mehr mit einem kompletten Bruch vom bisherigen Leben und kompletter Trennung von Freunden verbunden. Das Vernetzt-Sein ohne Informations-Blockaden ist ja das besonders Schöne an der heutigen digitalen Welt, das halte ich sogar für revolutionär.

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