laut.de-Kritik

Die letzte Hommage an den großen, kleinen Jazz-Sänger.

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"Jimmy hatte bereits 'Soul', als die Leute das Wort noch gar nicht kannten", erklärte Ray Charles einst. Er kannte sich aus, schließlich hatten er und Jimmy Scott 1962 gemeinsam das Album "Falling In Love Is Wonderful" aufgenommen. Statt in den Charts war es nach der Fertigstellung jedoch direkt in der Schublade gewandert, weil Scott bereits in den 1950er Jahren seine Seele an einen Managerteufel verschachert hatte, und dieser wiederum seine Stimme an ein anderes Label. Für 45 Platten.

Als das Album 2002 endlich erschien, war es kaum mehr als eine Fußnote der Jazzgeschichte. Nicht die einzige Enttäuschung in Scotts Leben. Aufgrund des Kallmann-Syndroms, einer seltenen, genetisch bedingten Hormonstörung, hatte er die Pubertät und den Stimmbruch nicht erreicht und war auch sehr klein geblieben. Als Jimmy Ende der 1960er Jahre in Vergessenheit geriet, arbeitete er in einem Krankenhaus und als Liftboy im Sheraton seiner Heimatstadt Cleveland. Dazu hatte er Probleme mit Alkohol und Frauen. Fünf Mal war er verheiratet. Dennoch verlor er nie seinen Optimismus und die Gabe, andere Menschen aufzumuntern, berichten diejenigen, die ihn lange kannten.

Das Blatt wendete sich schließlich 1992, als Scott auf der Beerdigung seines Freundes, Blues-Sänger Doc Pomus, sang und die Trauergäste tief berührte. Wenig später hatte er einen Vertrag in der Tasche, tourte mit Labelkollege Lou Reed und schien endlich jene Anerkennung zu erreichen, die im ersten Teil seiner Karriere fehlte.

Sein letztes großes Projekt sollte ein Album mit dem deutschen Produzenten Ralf Kemper werden. Der hatte sich vor allem im Werbebereich einen Namen gemacht. "Doch ich kam zu spät", erklärt er im Dokumentarfilm, der denselben Namen der CD trägt und 2016 beim SXSW-Festival Premiere feierte.

Zu spät bedeutete, dass Scott zu jenem Zeitpunkt bereits im Rollstuhl saß und kaum noch singen konnte. Doch gelang es Scotts altem Freund, Schauspieler Joe Pesci, den zarten Sänger doch noch zu Höchstleistungen am Mikrofon zu bewegen. Um den Rest kümmerte sich Kammer, nicht nur rührend um Scott selbst, sondern um Finanzierung, Orchester, Gastmusiker, Arrangements, Veröffentlichung, Vermarktung.

Ein Lebensprojekt also, dem man den etwas zu dick aufgetragenen Pathos gerne verzeiht. Der Umstand, dass die Aufnahmen 2009 stattfanden, und es drei Jahre seit Scotts Tod 2014 dauerte, um sie auf den Markt zu bringen, zeugt davon, wie vielen Schwierigkeiten er begegnet sein muss. Immerhin erdrückt das Orchester Scotts zarte Stimme nicht, sondern schafft es, ihr Halt zu geben.

"Er war einzigartig. Er sang vor dem Beat und nach dem Beat. In einer bezaubernden, hohen Stimme, die weder weiblich noch männlich war, doch beides gleichzeitig", erklärte Saxofonist Dexter Gordon, der mit ihm zu Beginn den 1950er Jahre in der Lionel Hampton Band spielte. Zwei Elemente, der mangelnde Stimmbruch und die ihm eigene Phrasierung, die auch bei Scotts letzten Aufnahmen gut herauszuhören sind.

Den Beginn macht das Gospel-Stück "Motherless Child", das dem noch unbekannten Folk-Sänger Richie Havens 1969 den Arsch rettete, als er in Woodstock noch mal auf die Bühne gescheucht wurde, weil die Nachfolgeband weit und breit nicht zu sehen war. So rhythmisch Havens' Version ist, so zärtlich Scotts, begleitet vom gewichtigen Joey DeFrancesco, dessen Hammond B3-Orgel einen prägenden Sound für das gesamte Album darstellt.

Mit Routine und Freude spielen sich Scott and Friends durch weitere elf Standards. "Love Letters" (mit Oscar Castro Neves) oder "I Remember You" (mit Sängerin Monica Mancini und Trompetenspieler Arturo Sandoval) bieten Bossa Nova, auf "If I Ever Lost You" haucht Till Brönner in die Trompete. Dee Dee Bridgewater gelingt es in "For Once In My Lifetime" fast, Scott zu einem Duett herauszufordern, James Moody steuert in "Everybody Is Somebody's Fool" ein gelungenes Saxofonsolo bei. Ein besonderes Stück, schließlich war es Scotts erster Hit, 1951, als Teil der Lionel Hampton Band. Auch wenn er in den Credits nicht erwähnt wurde.

Mit von der Partie waren auch die Schauspielerin/Sängerin Renee Olstead, Pianist Kenny Barron und Harmonika-Spieler Gregoire Mairet, das Grundgerüst bildeten Peter Erskine (Schlagzeug), Michael Valerie (Bass) und das nicht näher definierte HBR Studio Symphony Orchestra.

Dass die Aufnahmequalität exzellent ist, steht außen vor. Ein nostalgisches Album, das noch einmal die Anerkennung von Ray Charles unterstreicht, als er sagte: "Als Sänger handeln wir mit Schmerz. Wir alle versuchen, den Schmerz durch die Musik zu transportieren, und ihn dabei zu etwas Schönem zu machen. Jimmy Scott hat mehr Schmerz und Schönheit in seiner Stimme als alle anderen."

Trackliste

  1. 1. Motherless Child (feat. Joey DeFrancesco)
  2. 2. The Nearness Of You (feat. Joe Pesci)
  3. 3. Love Letters (feat. Oscar Castro Neves)
  4. 4. Easy Living (feat. Joey DeFrancesco)
  5. 5. Someone to Watch Over Me (feat. Renee Olstead)
  6. 6. How Deep Is the Ocean (feat. Kenny Barron)
  7. 7. If I Ever Lost You (feat. Till Brönner)
  8. 8. For Once in My Life (feat. Dee Dee Bridgewater)
  9. 9. I Remember You (feat. Monica Mancini & Arturo Sandoval)
  10. 10. Everybody Is Somebody's Fool (feat. James Moody)
  11. 11. Folks Who Live on the Hill (feat. Joe Pesci)
  12. 12. Poor Butterfly (feat. Gregoire Maret)

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