27. Oktober 2011

"Ich will nicht nur der schmusige Balladen-James sein!"

Interview geführt von

"Einfach, einfach wie ein Sonntag morgen." Ein Interview mit James Morrison hinzubekommen – das hingegen erweist sich als gar nicht mal so einfach.Der Terminkalender des Briten ist voll. Gerade erschien sein drittes Album "The Awakening". Deswegen heißt es beim kurzen Berlinbesuch morgens Fernsehen, weiter zum Radio, dann schnell ab nach Zürich. Für ein Gespräch bleibt nur noch Zeit im Shuttle zum Flughafen. Aber: "Einfach... einfach wie ein Sonntag morgen." Gut drauf ist er, der 27-Jährige. Will nicht mehr als schnell eine Zigarette drehen, genüsslich rauchen während des Interviews. Von wegen Terminstress – einer wie Morrison lässt sich davon nicht beeindrucken.

James Morrison: Heute hab ich Lionel Richie auf Deutsch gelernt. (Singt) Einfach ... einfach wie ein Sonntag moooooorgen (lacht).

Ahh, ok, ich weiß, welchen Song du meinst.

Ja, den deutschen Dialekt kann ich echt gut imitieren.

Ich merke schon. Aber nun los: dein Album nennt sich "The Awakening" - von was bist du erwacht?

Man kann sagen, dass ich zum Leben erwacht bin! Seit drei oder vier Jahren war ich nun auf Tour, habe zwei Alben herausgebracht, ohne dass viel Zeit dazwischen verging. Danach brauchte ich eine Auszeit, ein wenig Urlaub. Freunde treffen, die Familie sehen. Ich hab jetzt eine Tochter, habe meinen Vater verloren. All das zusammen ließ mich über mein Leben nachdenken. Was hatte ich erreicht? Was will ich noch erreichen? Wo will ich hin? Der Song "The Awakening" dreht sich um meine Kleine und wie ich durch sie zum Leben erweckt wurde. Hey, ich hab jetzt ein Kind!

Glückwunsch! Vor ein paar Jahren hast du in einem laut.de-Interview gesagt: Ich nehme das Leben ernst. Stimmt das also noch immer?

Es ist nicht so, dass ich das Leben damals weniger ernst nahm. Heute bin ich jedoch zufriedener mit mir selbst, meinen Gefühlen und dem, was ich tue. Ein Kind zu haben, hat mich ausgeglichener gemacht.

Und durch das Vatersein hat sich auch deine Musik geändert?

Ja, ein wenig schon. Ich bin jetzt 27, keine 21 mehr. Ich zieh nicht mehr jede Nacht durch die Clubs! Schließlich hab ich nun ein kleines Mädchen, da muss man über seine Taten nachdenken. Ich bin zwar immer noch die gleiche Person wie früher, aber eine, nennen wir es, fokussiertere Version davon.

Dann erzähl doch mal was über das Album!

Ich hatte dazu viele Ideen dabei. Es sollte zum einen etwas von dem Live-Feeling rüberbringen. Oft wurde mir gesagt, meine Auftritte seien super, aber meine Aufnahmen würden dem nicht gerecht. Daher wollte ich dies näher aneinander rücken. Mein Album sollte an die ganze alte Musik erinnern, die ich so sehr liebe. Es sollte mit Modernem vermischt werden, rockiger klingen als meine Vorgänger, mit funkigen Soulsongs. Es gibt eine Ballade, einen Track mit Hip-Hop-Beat. Das Album zeigt viele Facetten, die Themen aber bleiben beständig und verbinden alle Songs miteinander.

Der Song "Person I Should Have Been" stammt komplett aus deiner Feder. Wie fühlt es sich an, den nun auf dem Album zu haben?

Das wurde verdammt nochmal ja auch Zeit! (lacht) Na, fühlt sich großartig an. Das war schon lange mein Ziel, ich hab es mir vorher aber nie zugetraut. Der Glaube an mich fehlte. Seit dem letzten Jahr weiß ich genauer, was ich für Musik machen will. Eine Melodie zu finden, ist easy. Passende Texte zu schreiben, die auch Inhalt haben, ist schwieriger für mich. "Person I Should Have Been" war ursprünglich ein Gedicht, das ich nach einem Telefongespräch mit meinen Vater schrieb. Wir sprachen über die Vergangenheit, was wohl die bester Version von ihm gewesen wäre – so kam es zu dieser Idee.

"Ich bin eine geplagte Seele."

Du hast deinen Vater letztes Jahr verloren. Die Öffentlichkeit bekam das natürlich mit und du musst immer und immer wieder darüber sprechen. Nervt das nicht? Will man nicht lieber in Ruhe trauern?

Es kommt immer ganz auf meine Gefühlslage an: Wenn ich müde und gerade sehr emotional bin, und dann jemand etwas Falsches über das Thema sagt, dann kotzt mich das an. Dann sag ich auch: 'Fuck off.' Aber eigentlich rede ich gerne über meinen Dad, das hält ihn am Leben. Klar, manchmal ist es schwer. Hey, es war schließlich mein Vater, der da gestorben ist. In meinen Songs kann ich in einer Art und Weise darüber sprechen und mit der Situation klar kommen. So wurde das Album erst zu dem, was es ist.

Also quasi Songwriting als Therapie?

Ja, auf jeden Fall! Und schließlich geht es vielen anderen Menschen genauso wie mir. Wenn es mein Job ist, über Dinge zu schreiben, mit denen sich die Leute identifizieren können, dann ist es genauso mein Job, dabei ehrlich zu sein. Andere in einer ähnlichen Situation können ihre Gefühle vielleicht nicht so ausdrücken, aber meine Songs helfen ihnen – deswegen tue ich das gerne.

Du musst also Leiden, um Songs schreiben zu können?

Definitiv! Ich bin eine geplagte Seele.

Gibt es noch Themen, an die du dich bisher nicht herangetraut hast?

Ja, ich will tanzbare Songs. Nicht so ein Buff-Buff-Dancy, sondern auf die Oldschool-Art. Da komm ich gerade erst rein. Es soll sich nicht immer alles um meine Gefühle drehen. Die eine Hälfte des Albums handelt davon, die andere macht einfach Spaß und dreht sich eher um die Musik. Ja, lustige Sachen reizen mich sehr.

Passt aber, ehrlich gesagt, nicht so gut mit deinem Image zusammen ...

Da hast du Recht. Es ist halt schwierig, die Wahrnehmung der Leute über dich zu ändern. Ich bin eine aufgeschlossene, humorvolle Person. Meine seriöse Seite gibt es natürlich auch – man ist doch von allem ein wenig. Ich kann nicht nur dieser schmusige James Morrison sein, der immer nur Balladen singt.

Ich finde, auf deinem Album gehst du wieder einen Schritt weg von der Radio-Popmusik des Vorgängeralbums, das gefällt mir gut. Ein Song allerdings ist ein Duett gemeinsam mit dem Popsternchen Jessie J. Warum sie?

Wegen ihrer außergewöhnlichen Stimme, das war der einzige Grund. Ist mir egal, ob sie in den Charts oben steht oder der heißeste Newcomeract ist. Ich wollte einfach jemanden mit ein großartigen Stimme. Jemanden, der dem Song etwas gibt, was ich selbst nicht geben kann. Nur weil sie Popsongs singt, vergessen die Leute ihre tolle Stimme. Für mich war sie die einzige Wahl – eine naheliegende, nicht naheliegende Wahl. Klar hätte ich jemanden wie Adele fragen können. Aber ich wollte, dass die Leute sich fragen, wie diese zwei Künstler zusammen passen.

Abgesehen von ihrer Stimme – wie war die Arbeit mit Jessie J?

Jessie J ist eine starke Persönlichkeit und sieht auch so aus. Ich war sehr nervös und ein wenig eingeschüchtert. Daher hielt ich mich anfangs zurück und war still. Aber sie ist witzig, eine sehr, sehr lustige Person. Auf dem Boden geblieben genug, um mich zu verstehen. Das mag ich an ihr: sie hat einerseits diese amerikanische Art an sich, diese Superstarqualitäten, mit denen man Platten verkauft. Andererseits ist da immer noch das britische Mädchen aus Essex in ihr. Eine tolle Kombination.

"Ich will nicht als Chris Martin Look-A-Like berühmt sein."

In Interviews sprichst du häufig von "wahren Musikern". Sagst, dass du nur mit "wahren Künstlern" zusammen arbeiten möchtest. Würdest du Jessie J als so jemanden bezeichnen?

Wie definiert man einen "wahren Musiker"?

Das würde ich gerne von dir wissen!

Wenn man singt, ein Instrument spielt oder Musik schreibt ... Jessie J tut das. Ich weiß jetzt nicht, ob sie auch ein Instrument spielt, aber sie ist eine wunderbare Sängerin und Schreiberin. Sie ist kein austauschbarer Popact. Ich möchte mit Menschen zusammen arbeiten, die ein Gefühl für sich selbst haben. Was ich nicht mag, sind Leute, deren Rolle mehr im Mittelpunkt steht als ihre wahre, ihre eigentliche Persönlichkeit. Die Stimme sollte im Fokus stehen. Da muss man nicht so was denken wie: 'Ohh, das ist doch der von X-Factor, das muss doch der heißeste Sänger aller Zeiten sein.' Ich will lieber mit Menschen arbeiten, die ihr Instrument beherrschen und singen können ...

... aber du kannst doch nicht behaupten, dass alle Leute aus Castingshows nicht singen können.

Nein, nein, nein! Das wollte ich damit nicht sagen. Es geht mir darum, Leuten um mich zu haben, die eine Ahnung davon haben, was für Musik sie machen wollen und die ihre Musik auch schreiben können.

Meinst du, es ist schwierig, im Musikbusiness "echt" zu bleiben?

Ich glaube, es ist einfach, sich vom Erfolg fehlleiten zu lassen. Und davon, was du glaubst, was die Leute sehen wollen. Es ist nicht schwer, du selbst zu bleiben – es ist vielleicht nur einfacher, sich aufsaugen zu lassen. Aber wenn du eine starke Person bist, mit festen Werten und guten Leuten um dich herum, die dich immer wieder in die Realität zurückholen, dann kannst du so sein und bleiben, wie du immer warst.

In Interviews hört es sich häufig so an, als wäre berühmt sein eher eine Last als eine Freude für dich. Stimmt dieser Eindruck?

Ja, kann sein. Es kommt eben immer auf die Persönlichkeit an. Ein Beispiel: in einem Raum voller Leute bin ich nicht derjenige, der in der Mitte stehen will. Berühmtheit zwingt dich dazu, plötzlich hast du keine Wahl mehr. Das geht einfach gegen meine Natur. Wann immer ich die Gelegenheit dazu habe, mein Ego zu pushen – dann lass ich es sein. Das kann ich nicht genießen.

Aber du stellst dich doch auch vor Tausenden von Menschen auf die Bühne – wie passt denn das zusammen?

Da geht es um die Musik. Der Hauptgrund für meine Liveauftritte ist diese fantastische Stimmung. Dieses universelle Gefühl, dass in diesem Moment alle das gleiche fühlen und alle miteinander verbunden sind. Aus diesem Grund mache ich Musik! Deswegen mach ich den ganzen Bulllshit mit dem Berühmtsein mit.

Du findest das alles Bullshit?

Ja, vieles davon ist doch Schwachsinn. Ehrlich wahr! Ich will berühmt sein wegen meiner Musik, nicht als Chris Martin Look-A-Like oder so was in der Art.

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