7. April 2014

"Uns gibts noch. Reamonn nicht"

Interview geführt von

Vor genau zehn Jahren veröffentlichten Jamaram ihren Erstling "Kalahassi". Heute blicken die Münchner auf sechs weitere Platten und ein Tourleben ohne größere Verschnaufpausen zurück. Von Müdigkeit keine Spur. Oder zumindest kaum eine. Drummer Murxen Alberti erklärt das "Everlasting Pleasure" - und die Art und Weise, wie seine Band Abnutzungserscheinungen trotzt.

Der Frühling ist in der Stadt, als mich Max "Murxen" Alberti am Bahnhof München-Laim abholt. Unser Ziel, nach mehreren Planänderungen: Murxens Elternhaus. Dort machen wir es uns auf der Terrasse gemütlich und quatschen bei Holundersirup und Crackern munter drauf los. Themen gibts genug: kontroverse Banddiskussionen über die neue Setlist, das Soloprojekt Samy Danger, ausgelatschte Schuhe oder die erste Best Of-Compilation "Almost Hits" inklusive Dokumentarfilm.

Und natürlich die Heimat München. Alberti selbst hat den Stadtkern längst hinter sich gelassen und teilt sich draußen auf dem Lande ein Haus mit Jamaram-Keyboarder Lionel Wharton und sechs weiteren Mitbewohnern. Dass München ein langweiliger Ruf nicht ganz zu Unrecht anhaftet, tangiert ihn daher wenig. "Wir sind halt in und um München groß geworden. Aber ich kann für mich sagen, dass ich nie in der Szene unterwegs war. Wir waren nie die Weggeher, nie im Münchner Nachtleben unterwegs. Nur wenn wir halt selber gespielt haben, wenn uns irgendjemand engagiert hat."

Durch die dreistellige Zahl an Gigs im Jahr hat der Wohnort für die Bandmitglieder ohnehin etwas an Bedeutung verloren. Läge ein Umzug in eine andere Stadt nicht trotzdem nahe? Eigentlich sei die Band daran schuld, dass manch einer noch nicht umgezogen sei, stellt Murxen fest. "Denn du musst hier bleiben. Hier sind die Proben, von hier aus geht alles los. Wenns Jamaram nicht schon seit 14 Jahren gäbe, wäre ich bestimmt mal für ein Jahr, für ein ganz anderes Leben, woanders hingegangen."

Dennoch könne man als Band froh sein, in der bayrischen Hauptstadt aufgewachsen zu sein. Schließlich sei es in Berlin deutlich schwieriger, sich einen Namen zu machen. "Das ist Seeed gelungen, oder Culcha Candela. Aber da gibts ja noch viel, viel, viel mehr Bands. Insofern sind wir ganz dankbar, dass wir es von München aus gestartet haben. Irgendwann hatten wir dann alle Locations abgegrast, die man hier spielen kann."

Ja, selbst die Olympiahalle, als Supportact für Reamonn. "Das war schon ein Erlebnis. Und uns gibts noch - Reamonn gibts nicht mehr. Wir haben sie sozusagen überlebt." Ebenso wie zahlreiche der Münchner Bands, mit denen Jamaram damals angefangen haben. Alberti denkt etwa an die Babacools, Dubios Neighbourhood oder Headcornerstone: "Alles super Reggae-Bands, aber die sind alle ausgestorben. Das ist die Gefahr, die einem droht: Dass irgendwann die Familie wichtiger wird oder der Job. Man trennt sich dann irgendwie, weil niemand daran glaubt, dass man eine Band bis ins hohe Alter haben kann. Uns droht das auch immer wieder."

Und doch blieb die Priorität immer bei der Musik. Bemerkenswert, bestreiten die acht Mitglieder ihren Lebensunterhalt doch weniger mit den Tourgagen als mit Jobs als Moderator, Designer, Schauspieler oder Saxophonbauer. Klar habe es auch Rufe danach gegeben, mal für ein Jahr zu pausieren, das dauernde Touren gehe schließlich auch an die Substanz. "Manchmal sehnt man sich schon danach, nicht jedes Wochenende weg zu sein."

Dass Jamaram dennoch ständig spielen, sei zwar teils eine finanzielle Sache - teils aber auch einfach Gewohnheit. "Irgendwie ist es immer dabei geblieben. Wir wollten mal zu einer größeren Booking-Agentur wechseln. Die haben aber von Anfang an gesagt: Zwei Wochen im Frühjahr, zwei Wochen im Herbst und Festivals im Sommer. Und da haben alle gesagt: Nee, das ist uns zu wenig. Das ist scheiße. Wir wollen 100 Gigs im Jahr spielen."

"Bei Jamaram gibts keinen Plan"

Für interne Diskussionen sorgte indes die neue Compilation "Almost Hits", der auch Murxen zunächst skeptisch gegenüber stand. "Meine Devise war: Best Ofs bringen nur Bands raus, die keine Ideen mehr haben." Das unmittelbar zurückliegende Probecamp belehrte ihn allerdings eines Besseren: Für zehn Tage schloss sich die Band auf einer Burg ein - "ohne Frauen und ohne Kinder" - um sich neben dem neuen Liveset auch um frische Songs zu kümmern. "Da kommen noch ganz viele Ideen, weil die Leute nach wie vor kreativ sind. Man muss nur zusammenkommen." Im Endeffekt kehrten Jamaram mit einer derartigen Fülle neuer Tracks zurück, dass sie sich theoretisch gleich der neuen Platte widmen könnten.

Nun markiert aber erst mal besagte Best Of ein neues Kapitel, das die Band auch mit einer selbstproduzierten Doku über die Frühjahrstour mit dem simbabwischen Trio Acoustic Night Allstars aufwertet. Das gemeinsam mit Saxophonist Hannes Beblo gefilmte Material schnitt Murxen als fünfwöchiges Mammutprojekt zu einem stimmigen 40-Minüter zusammen.

Dabei liegt der letzte Release aus dem Jamaram-Camp erst ein paar Wochen zurück: Gitarrist Samuel Hopf kam mit seinem Soloprojekt Samy Danger um die Ecke, auf das sein Drummer große Stücke hält: "Ich bin nach wie vor der Meinung: Das hätte man ruhig mal an die Labels schicken können. Für mich wäre das eigentlich ein potenzielles Major-Thema gewesen. Er ist ein freakiger Typ und hat auch was zu erzählen. Irgendwie dachte ich mir, das müsste eigentlich auch ein größeres Publikum interessieren. Aber sie habens nicht versucht. Und ich kann auch nicht mehr machen, als es 30 Mal zu sagen."

So scheint das Projekt auf gewisse Art auch ein wenig heilsam zu wirken. "Sam war nach 13 Jahren Jamaram manchmal lustlos. Jetzt war er aber auf Samy Danger-Solotour und hat halt gemerkt, dass da plötzlich nur noch ein Bruchteil der Leute kommt. Da spielst du dann in Köln plötzlich vor 20 Leuten. Das kann zwar auch schön sein. Aber das war ein ganz guter Motivationsschub für ihn, um zu sehen: Jamaram ist eigentlich doch ganz geil."

Ohnehin fungiert Sam auch dort immer mehr als Hauptsongwriter, gerade auf der letzten Platte "La Famille" stammt ein Großteil der Tracks hörbar aus seiner Feder. Da habe man laut Murxen sogar aufpassen müssen, dass es ein Jamaram- und kein Samy Danger-Album wird. "Früher hat er auch noch andere Songs geschrieben, die eher Richtung Party gingen. Das macht er eigentlich fast gar nicht mehr", beschreibt Alberti die Entwicklung. "In den vergangenen Jahre war es vor allem ich, der sagt: Komm, jetzt machen wir mal wieder eine geile Latin-Nummer oder nen krassen Reggae-Song."

Doch ist ein gewisser Stimmungswandel hin zum Melancholischeren nicht ein natürlicher Prozess? "" Murxen scheint durchaus erleichtert darüber, dass der Band auch diesmal ein maßvoller Umgang mit der Schwermut gelang. Wohl wissend, dass das auch mit seinem eigenen Gegensteuern zu tun hat.

Und daran hält der Drummer auch fest. "Denn es macht auch Bock, live auf den Putz zu hauen. Das ist einfach geil. Auch wenn wir privat vielleicht nicht mehr in der Vollgas-Laune ist, wollen wir das bedienen. Darum ging es bei uns schon immer: Die Leute sollen eine gute Zeit haben und ausgepowert nach Hause gehen. Andernfalls würde es vielleicht kein Schwein mehr interessieren", formuliert er einen Hauch von Existenzangst, um dann dagegenzuhalten: "Trotzdem muss man sich gestatten, auch mal anders zu sein. Aber das ist ein schmaler Grat."

"Ich würde gerne tiefer gehen."

Zum Zeitpunkt unseres Gesprächs befindet sich die Band ohnehin mitten in einer Diskussion über die Setlist, beispielsweise über den Verbleib des choreographischen Stimmungsmachers "Green Leaf". Ein "ausgelatschter Schuh", auf den man dennoch angewiesen sei, so zumindest die Meinung der einen Jamaram-Hälfte. "Denn wenn du die Crowd bis zu dem Zeitpunkt noch nicht gekriegt hast, schaffst du es spätestens mit diesem Song."

Zum Streit führe im Grunde jedes Mal dasselbe Dilemma: Stellt die Band ihre Konzerte ohne Rücksicht aufs Publikum zusammen - oder spielt man das, was die Leute hören wollen? "Man fragt sich halt: Warum haben die Leute Bock auf Jamaram? Was bringt sie dazu, auf die Konzerte zu kommen?"

Er persönlich habe trotz allem große Lust darauf, nicht bei der einen Ebene 'Feiert mit uns' zu bleiben, sondern auch mal tiefer zu gehen und andere Themen anzusprechen. "Denn man spielt ja jedes Wochenende vor hunderten von Leuten. Da könnte man auch mal was anderes machen." Andererseits merke er, wie selten es vorkomme, dass die Zuschauer auf Konzerten still im Raum stehen und zuhören. "Vor allem bei einer Band wie Jamaram: Bumm, brachiales Intro, fetter Reggae, Party, Rumba, Latin, Ska und so. Die ruhigen Songs gehen dann oft total vorbei, weil alle nur am Labern sind."

Doch warum wagen Jamaram nicht einfach mal den dramaturgischen Umbruch zum gemütlicheren Liveset? Murxen denkt daran, wie er Max Herre in seiner Singer/Songwriter-Phase auf dem Summerjam sah - und die ganze Crowd im Grunde nur auf die Freundeskreis-Klassiker wartete. "Dann verspielst du es dir schon irgendwie. Dann heißt es ganz schnell: Ja, Jamaram, das war früher geil. Aber die sind irgendwie älter geworden." Andererseits gebe es nichts peinlicheres als die Bands, die ihr ganzes Leben lang Party machen wollen wie mit 20.

Ein Dilemma, das wir an jenem Montagabend natürlich nicht mehr gelöst bekommen. Man darf gespannt sein, wie es die achtköpfige Band auf der aktuellen Konzertreise ausbalanciert. Auf den aktuellen Tourplakaten der Münchner prangt jedenfalls der Titel "Everlasting Pleasure". Aber klar habe sich mit dem Alter auch manches verändert. Es sei beispielsweise schon auffällig, dass man nach den Auftritten rascher zusammenpackt und das Hotel aufsucht.

Und zwar alleine: "Es gab früher natürlich Zeiten, in denen der Bus mit Leuten ... Frauen vollgepackt war. Da waren wir noch eher single, jetzt sind die Kollegen ja teilweise verheiratet. Es ist schon viel gediegener. Aber es ist auch geil, wenn du nach einer Festivalshow im Hotel in einem goldenen Fahrstuhl hoch in dein geiles Zimmer fährst und denkst: Hey, das hab ich mit dem Typen da neben mir aus dem Nichts aufgezogen. Daran muss man sich immer wieder erinnern."

Vom nicht mehr vorhandenen Reggae-Hype kriegt die Band jedenfalls wenig mit. Wenn es nicht gerade um das Ende des Chiemsee Reggae Summers geht: Ab 2014 findet das Großevent als Chiemsee Summer statt - u.a. mit Paul Kalkbrenner, Blink-182 und Macklemore. Und auch Jamaram sind wieder dabei. "Ich glaube, wir werden mittlerweile nicht mehr als Reggae-Band, sondern als Jamaram wahrgenommen. Entweder wir als Band kriegen noch mal einen Hype - oder halt nicht."

Dabei scheinen die Münchner vor allem eines schätzen gelernt zu haben: die Kontinuität. Schließlich gebe es wahnsinnig viele Musiker. Und nur sehr wenige Projekte, die erfolgreich touren. "Ich weiß nicht, ob wir doch noch mal 2000er-Hallen füllen. Das weiß man nie. Aber darum geht es nicht. Sondern darum, dass man immer noch das machen kann, was man liebt. Dass man es genießen und immer noch unterwegs sein kann."

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