16. Juli 2014

"Sechs Wochen im Hansa-Studio? Da sagt man nicht nein!"

Interview geführt von

Nach dem Ausstieg von Haupt-Songwriter Jesper Strömblad im Jahr 2009 glaubten nur die wenigsten In Flames-Anhänger an eine erfolgreiche Zukunft der Band. Zwei Jahre später bewiesen die Schweden jedoch, dass sie auch ohne ihr vermeintliches Herzstück zu großen Taten in der Lage sind. Nun steht mit "Siren Charms" das zweite Album der Post-Strömblad-Ära in den Startlöchern.

Ein schöner Sommertag in der Hauptstadt: Während die strahlende Sonne bereits am frühen Morgen für gute Laune auf den Straßen rund um Berlins Mitte sorgt, torkeln die letzten Schland-Anhänger grölend und freudetrunken in Richtung Fanmeile. Die deutsche Nationalelf ist zurück aus Brasilien und möchte 400.000 Fans die Weltmeister-Trophäe präsentieren.

Auch im nur wenige Kilometer entfernten Gibson-Showroom lassen sich Promo-Mitarbeiter und Hausangestellte von der spürbaren Rundleder-Euphorie anstecken. Und so präsentieren die aufgereihten Laptops keine detaillierten Interview-Schedule-Listen sondern den ARD-Livestream vom Brandenburger Tor. Auch die anwesende In-Flames-Belegschaft kann sich den Bildern von zigtausenden fahnenschwenkenden Fußball-Fans nicht entziehen. So dauert es einen kleinen Moment, ehe mich Niclas Engelin, Peter Iwers und Daniel Svensson in das vorbereitete Interview-Zimmer begleiten. Eine höfliche Entschuldigung lässt aber nicht lange auf sich warten.

Niclas: Sorry, aber das waren schon krasse Bilder.

Kein Problem. Hier drehen gerade alle ein bisschen durch.

Peter: Ein bisschen? Das sah gerade so aus, als hätte man vor einer Stunde jedem einzelnen Deutschen Freibier auf Lebenszeit versprochen (lacht).

Der war gut.

Peter: Wir Schweden hätten aber auch die Sau rausgelassen, wenn wir den Pokal geholt hätten.

Ihr durftet diesmal ja leider nicht mal mitkicken. Und das, obwohl ihr mit Zlatan Ibrahimovic einen der international wohl auffälligsten Akteure in euren Reihen habt.

Niclas: Ja, das stimmt. Aber was nützt schon ein Einzelner? Die Deutschen haben keinen Messi, keinen Ronaldo und auch keinen Ibrahimovic. Trotzdem halten sie jetzt den Pokal in ihren Händen. Was zählt, ist das Team. Das ist der Schlüssel zum Erfolg wenn es um Mannschaftssport geht.

In einer Band ist das nicht anders, oder?

Niclas: (lacht) Gute Überleitung.

Es gibt nicht Wenige, die behaupten, dass ihr euch seit dem Ausstieg von Jesper Strömblad stärker denn je präsentiert. Wie empfindet ihr das?

Peter: Das sollen Andere beurteilen. Wir machen einfach nur weiter unser Ding. Natürlich war Jespers Ausstieg ein Schock für uns. Aber wir saßen danach nie zusammen und hatten das Gefühl, einen neuen Gang einlegen zu müssen, nur um die Zweifler davon zu überzeugen, dass In Flames auch ohne Jesper in der Lage sind, gute Musik zu machen. Diesen Druck haben wir uns ganz bewusst nicht gemacht. Wir sind alle halbwegs gute Musiker, die wissen, wie man Songs schreibt. Ich denke, das haben wir mit "Sounds Of A Playground Fading" auch bewiesen.

Daniel: Wir haben ja auch mit Niclas jemanden fest einbinden können, der uns qualitativ und menschlich auf Augenhöhe begegnet. Insofern…

Niclas: Danke (grinst).

Daniel: Gerne (grinst).

"Wir sind es leid, interne Band-Befindlichkeiten nach außen tragen zu müssen"

Niclas, das neue Album "Siren Charms" ist das erste Werk, an dem du richtig mitgearbeitet hast. Wie war das für dich?

Niclas: Es war ein tolle Erfahrung und so etwas wie der letzte fehlende Schlüssel. Jetzt bin ich richtig drin. Das fühlt sich gut an.

Ich durfte im Vorfeld schon einige neue Stücke hören. Die Songs klingen allesamt sehr düster, emotional aufwühlend, fast schon traurig. Hattet ihr ein Konzept in punkto Sound?

Peter: Nein, definitiv nicht. Wir hatten ein paar Ideen, eine Handvoll Riffs und große Lust, das Ganze irgendwie zusammenzufügen. Mehr ist da nicht passiert. Inhaltlich sind wir sicherlich wesentlich komplexer vorgegangen. Musikalisch hingegen kam alles mehr oder weniger aus dem Bauch heraus.

Apropos Inhalt: Ihr beschäftigt euch auf dem neuen Album mit der Faszination des Verlangens nach Verführung. Das klingt für mich nach einer Aufarbeitung der jüngeren Band-Vergangenheit. Ist dem so?

Peter: Nun, es wurden bei uns in der Vergangenheit sicherlich auch einige Opfer gebracht. Da stimme ich dir zu. Aber es geht nicht nur um uns. Es geht generell darum, was der Mensch zu opfern bereit ist, um ein bestimmtes Verlangen zu befriedigen.

Jespers Alkoholsucht und Anders Burn-Out nach den Aufnahmen dienten demnach nicht als "Inspiration"?

Peter: Unterbewusst vielleicht schon. Aber wie gesagt, es geht eher um die Allgemeinheit, als um Einzelschicksale.

Wie geht es Anders heute?

Peter: Es geht ihm gut. Aber sei nicht sauer, wir sind es leid, die internen Band-Befindlichkeiten permanent nach außen tragen zu müssen.

Ihr müsst gar nichts. Es gibt nur viele Anhänger, die sich nicht nur für die Musik sondern auch für die Geschehnisse hinter der Fassade interessieren.

Peter: Das kann ich auch verstehen. Wir verweigern uns ja auch nicht. Es geht ihm gut. Das muss reichen.

"Diese Erinnerung bleibt für die Ewigkeit"

Tut es auch. Anderes Thema: Die Wahl des Studios. Wir sitzen hier gerade nur unweit des Ortes, an dem "Siren Charms" seinen Feinschliff erhielt. Die Rede ist vom ehrwürdigen Hansa-Studio. Wie kam es dazu?

Niclas: Auch hier hat das Bauchgefühl eine große Rolle gespielt. Wir hatten unser Studio in Göteborg verkauft und suchten nach einem geeigneten Ort für die neuen Aufnahmen. Wenn einem dann sechs Wochen im Hansa-Studio angeboten werden, dann überlegt man nicht lange.

Das kann ich mir vorstellen. Wie hat es sich denn angefühlt, in einer Umgebung aufzunehmen, in der bereits so illustre Legenden wie U2, Iggy Pop und David Bowie ihre Spuren hinterlassen haben?

Daniel: Es hat sich super angefühlt. Ich meine, wir hatten auch in Göteborg alles, was wir brauchten. Es ging auch gar nicht so sehr um das Equipment. Es war dieser Flair und die Musikgeschichte, die innerhalb dieser Wände geschrieben wurde, die unheimlich inspirierend war. Ich meine, wer weiß, ob wir jemals wieder an einem derart geschichtsträchtigen Ort zusammenkommen werden um Musik zu machen. Diese Erinnerung bleibt für die Ewigkeit.

Das klingt, als würde "Siren Charms" anders klingen, wenn…

Daniel: Ja, ich denke schon. Ich glaube, dass die Tiefe des Albums auf den Ort zurückzuführen ist, an dem es entstanden ist.

Peter: Das sehe ich auch so. Wobei es da nicht um die Songs an sich geht. Harte Gitarren und fette Drums bekommt man auch in jedem anderen Studio auf der Welt gebacken. Hier waren wir aber tagtäglich eins mit einem nicht gerade unwichtigen Puzzleteil der Musikgeschichte. Das war schon ziemlich heftig.

Ihr wart sechs Wochen in Berlin?

Peter: Exakt. Wir hatten das neue Material bereits vor den Aufnahmen im Kasten. Das hat uns ein bisschen Druck genommen.

Für euer letztes Album habt ihr drei Monate im Studio verbracht, diesmal ganze sechs Wochen. Ging finanziell nicht mehr? Oder habt ihr euch bewusst für eine kürzere Aufnahmezeit entschieden?

Daniel: Mit Geld hatte das alles weniger zu tun. Wenn man im Hansa-Studio aufnehmen kann und der Meinung ist, mehr als sechs Wochen für ein Album zu benötigen, dann unterschreibt man auch gerne den einen oder anderen Schuldschein. Wir wollten diesmal aber von vornherein weniger Zeit im Studio verbringen. Das war so eine Form von Selbsttherapie (lacht).

Inwiefern?

Daniel: Naja, wir haben uns bisher – abgesehen von den Anfangstagen – eigentlich immer sehr viel Zeit für die Aufnahmen genommen. Dabei haben wir aber auch gemerkt, dass wir uns immer wieder dabei ertappten, wie wir uns im Kreise drehen. Man kommt im Studio an, legt sich erstmal auf die Couch, trinkt was und guckt, was der Tag so bringt. Das ist zwar immer sehr entspannt, aber auf Dauer auch ermüdend. Diesmal haben wir uns selbst einen Arschritt verpasst, indem wir gesagt haben: Nicht länger als sechs Wochen. Das war plötzlich ein ganz anderes Arbeiten (lacht).

Peter: Man steht plötzlich unter Druck. Auch wenn ich weiß, dass der eine oder andere in der Band gerne mehr Zeit gehabt hätte, denke ich, dass es für das Album letztlich genau die richtige Entscheidung war.

Niclas: Das sehe ich auch so. Es gab zwar Momente, in denen einige von uns gemerkt haben, dass es unter Zeitdruck schwieriger sein kann, aber am Ende waren alle glücklich und zufrieden. Wir waren wesentlich fokussierter und haben schneller aussortiert als in der Vergangenheit. So wanderte Ballast schneller auf dem Müll und Gutes wurde schneller gesichert. Was will man mehr?

Also werdet ihr auch in Zukunft eher weniger als mehr Zeit im Studio verbringen?

Peter: Ich denke schon. Aber frag mich in ein paar Jahren nochmal. Bauchgefühl, you know? (lacht)

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