laut.de-Kritik

Hilde swingt nicht mehr. Von nun an geht's bergab.

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Höhenflüge und Abstürze, dazwischen gab es wenig im Leben von Hildegard Knef. Aber: "Nichts geht verloren / der Schmerz, der uns klein macht / die Größe der Hoffnung / verlässt uns, zieht weiter / verloren geht sie nicht." ("Eisblumen"). Ein Leben zwischen Realität und Traum, und selbst auf der Überholspur immer Angst vorm Abstellgleis. Selbstironisch textete sie schon 1967: "Von nun an geht's bergab". Doch das Gegenteil traf ein. Im Folgejahr erschien ihr größter Hit "Für mich soll's rote Rosen regnen", beide in Kooperation mit dem Wiener Komponisten Hans Hammerschmid entstanden, mit dem sie 1970 das Meisterwerk "Knef" aufnimmt.

Die zahlreichen Schicksalsschläge hätten die großen Erfolge, ihre Phasen des Glücks, am Ende überschattet, erzählte Knefs einzige Tochter Christina nach deren Tod 2002. Im Frühjahr 1970 deutet nichts darauf hin, was in den Folgejahren alles auf die Berlinerin zukommen sollte. Gerade Mutter geworden, lebte sie sich mit ihrem zweiten Ehemann David Cameron in St. Moritz ein. Beruflich hatte sie alles erreicht. Als Deutsche reüssierte sie nur zehn Jahre nach Kriegsende am Broadway, kehrte zurück und übernahm im Vorbeigehen von ihrer Freundin Marlene Dietrich die Bürde der deutschen Diva.

Wie das gelingen konnte, bleibt schleierhaft. Das typisch deutsche Nörgelhafte, das Rumgezicke, dieses Provinzielle ging ihr völlig ab. Nacktauftritt, Scheidung, na und? Jibt Schlimmeres. Die Knef konnte herablassend wirken, aber dann klimperte sie mit ihren falschen Wimpern und alles war wieder gut. Mondän und weltgewandt, als Deutsche international hofiert, und plötzlich mit intelligenten Texten auf der Chansonbühne, das kam an im Deutschland der 60er Jahre. Einer Umfrage zufolge war Knef im ausgehenden Jahrzehnt der beliebteste Star "nach den Beatles, den Ofarims und noch vor Karajan". Auf du und du mit Willy Brandt und Henri Nannen.

Gründe genug, um sich im idyllischen Engadin umringt von Dreitausendern erst mal zur Ruhe zu setzen und das Familienleben zu genießen. Einziges Problem: Diese Art der Erholung war der Knef fremd, sie war eine Getriebene. Die Grenzen zwischen Beruf und Familie verschwammen ohnehin, da Ehemann Cameron auch ihr Albumproduzent war. Und überhaupt, privates Leben, wie denn? Jeder Schritt von Mama Knef wurde von Paparazzi protokolliert, Sensationspresse hieß das damals, Knef hätte sicher auch "Lügenpresse" abgenickt.

Es musste weitergehen und musikalisch, da waren sich Knef und Hammerschmid schnell einig, hatte man das Feld an der Schnittstelle von Jazz und Easy Listening großzügig abgesteckt. Lieder wie "Gestern hab ich noch nachgedacht", "Der Mond hatte frei" oder "Ich bin zu müde um schlafen zu gehen", ihre Cole Porter- und Gershwin-Coversionen: Vielseitig und doch volksnah wie sonst nur noch Udo Jürgens waren Knef-Songs eine Ausnahmeerscheinung inmitten der pausbackigen Melodien des tumben, bundesrepublikanischen Verdrängungsschlagers.

Und dann das: 1970 erscheint "Knef" und niemanden interessiert es. Hilde swingt nicht mehr. Hilde krallt sich den Zeitgeist und tanzt plötzlich Beat. Häh? Alles lassen die Deutschen dann auch nicht mit sich machen. Gemeinsam mit Hammerschmid kreiert sie die für eine deutsche Sängerin bis dato einmalige Melange aus Beat, Funk und großer Orchester-Geste. Allein schon der oberlässige Rare Groove von "Im 80. Stockwerk" ist Anschauungsmaterial für jeden angehenden Bassisten. Dazu Hildes Text, noch nebulöser als sonst: "Im 80. Stockwerk / in dem Haus das es nicht gibt / in der Stadt die es nicht gibt / wird ein Mädchen stehn / Es wird warten auf den Mann / es wird fragen wann endlich wann / wird er da sein?" Götz Alsmann, Fan ihrer frühen Jazzjahre, spottete einst, dies sei Knefs LSD-Trip gewesen, ihr Versuch, Hippie-Drogenlyrik nachzuempfinden.

Mit den heutigen Möglichkeiten des Marketings hätte man dieses neue soundtechnische Konzept viel besser vermitteln können, befand Komponist Hammerschmid im Booklet des 2005 wiederveröffentlichten Albums. Trotz des über Jahrzehnte gewachsenen Kult-Charakters der Platte, bleibt da ein Rest von Enttäuschung: "Die [Leute damals] haben nicht verstanden, was wir damit wollten. Es gab halt die Tendenz 'Schuster bleib bei deinen Leisten.'" Mit dem psychedelischen "Wie viel Menschen waren glücklich, daß du gelebt?“ beginnt die Vorstellung von "Electric Hildeland" gleich furios: Eine schneidende E-Gitarre (!) eröffnet das Album, Knef spricht tief und eindringlich ernste Zeilen, bevor Hammerschmid ihr ein Rock-Fundament unterschiebt.

Wenig nachvollziehbar bleibt, warum das Duo im Anschluss den Walzer "Schwertfisch" berücksichtigt, der stilistisch eher die 'alte Knef' in Erinnerung ruft. Zumal gleich danach "Ich brauch' Tapetenwechsel" kommt, der nur von Akustikgitarren getragene Folksong und ihr einziger Hit des Albums. Es ist die Geschichte einer Birke, die aus ihrem Hain ausreißt, um die Welt zu entdecken, eine wunderbare Allegorie auf ihr eigenes bewegtes Leben als Trickfilmzeichnerin, Schauspielerin, Malerin, Sängerin und Autorin. Zwar endet die Birke als Kommode, aber wer etwas wagt, muss das Scheitern eben einkalkulieren.

"Insel Meiner Angst" prognostiziert geradezu beängstigend ihre Albträume angesichts der nahenden Katastrophen mit dem Ende ihrer Ehe, schweren Operationen, Morphiumabhängigkeit und der Krebs-Diagnose. In der Mitte des Albums schlägt dann die Stunde des großartigen Arrangeurs Hammerschmid: "Friedenskampf und Schadenfreude" ist ein opulentes, sechsminütiges Epos voller Grandezza, das in Burt Bacharach-Dimensionen angesiedelt ist. Knef selbst gibt sich songdienlich mit einer Nebenrolle zufrieden und enttarnt in drei simplen Zeilen die Lächerlichkeit dieser beiden Paradoxone: Hier eine Vokabel des DDR-Politbüros, da eine Wortkreation, die es so nur im Deutschen gibt und die als deutsches Substantiv bis heute im englischsprachigen Raum verwendet wird ("A wave of schadenfreude ...").

Vielen Formulierungen wohnt bis heute ein seltsamer Zauber inne, der die spezielle Knef-Lyrik kennzeichnet: "Der Tag holt Luft und knackt mit den Gelenken" oder auch "Auf dem Boden liegt die Zeitung leer gelesen". In "Die Herren dieser Welt" verarbeitet sie vorwiegend mit Naturmetaphern den Horror des Dritten Reichs, "Eisblumen" wirft am Ende einen melancholischen Blick zurück auf Knefs bisheriges Leben.

Auch wenn das Album nach eigenen Worten zu ihren Lieblingsalben zählt, Erfolg war Hildegard Knef eben auch wichtig. Als Hellmuth Karasek sie in den 90er Jahren fragte, was ihr größtes künstlerisches Glück gewesen sei, antwortete sie: Der Erfolg ihrer Autobiografie "Der geschenkte Gaul". Denn die wurde nicht nur ein Verkaufsschlager, sondern obendrein ein Kritiker-Hit. Beides konnte man von "Knef" nicht behaupten. Ein ungeplanter Karriereknick, dem nachzutrauern Hilde aber gar keine Zeit hatte, weil der internationale Erfolg des Buches sie noch im selben Jahr zu Lesungen und Autogrammstunden in Buchhandlungen von Wien bis New York spülte. Eine Zäsur, die ihre musikalische Glanzzeit beendete und viele vernachlässigbare Alben folgen ließ.

Später sollte sie ihr gesamtes Vermögen verlieren und in der Gunst des Publikums und der Kritiker fallen, was sie aber nur teilweise störte. Knef wusste sich stets wortgewaltig zu wehren, etwa in den 80ern aus ihrer Wahlheimat Kalifornien: "Ich kann mich mit deutschen Kritikern nicht über meine Konzerte unterhalten. Ich rede auch nicht mit Eunuchen über Liebe." Nach einem gefeierten Album mit Till Brönner im Jahr 1999 stirbt sie 2002 in Berlin. Nicht wie Marlene Dietrich in stiller Abgeschiedenheit. Sondern ein Jahr nachdem Roger Willemsen ihr den Echo für ihr Lebenswerk mit dem Satz überreichte: "Hilde, wir waren glücklich, dass du gelebt."

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Wie viel Menschen waren glücklich, daß du gelebt?
  2. 2. Schwertfisch
  3. 3. Ich brauch' Tapetenwechsel
  4. 4. Insel meiner Angst
  5. 5. Elvira O.
  6. 6. Friedenskampf und Schadenfreude
  7. 7. Liebe auf den hundertsten Blick
  8. 8. Mein Zeitbegriff
  9. 9. Der Tag holt Luft
  10. 10. Im 80. Stockwerk
  11. 11. Die Herren dieser Welt
  12. 12. Eisblumen

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