19. August 2016

"Schubladen sind praktisch!"

Interview geführt von

Während sich die meisten seiner Kollegen gegen musikalische Kategorisierung wehren, erkennt Heisskalt-Sänger Mathias Bloech den Nutzen der Schublade. In einer mit den Onkelz möchte er trotzdem nicht landen. Außerdem dreht sich das Gespräch um das Konservative am Deutschrock, Unwetter-bedingte Konzertabbrüche, Schreibblockaden, den Mut, den es kostet, sich selbst zu googlen, missverstandene Wortspiele und die ewige Vorgruppe aller Lieblingsbands.

Die Albumcharts liefern bekanntlich keinen "ernstzunehmenden Indikator für die Qualität einer Platte", so drücken es Heisskalt auf ihrer Facebook-Seite aus. Doch ist der Einstieg ihres zweiten Albums "Vom Wissen Und Wollen" auf Platz 14 ein beachtlicher Erfolg. Der um Post-Hardcore-Elemente erweiterte Gitarrenrock der vier Schwaben kommt an. Zeit, um sich einmal mit Sänger und Textschreiber Mathias Bloech zu unterhalten. Es ist fast der heißeste Tag des Jahres. Nach ein paar vergeblichen Versuchen, Mathias zu erreichen, fahre ich also ins Freibad. Gerade das Handtuch ausgebreitet, ruft er mich gut gelaunt zurück.

Servus! Grüß dich, Matthias!

Hallooo. Na?

Hörst du mich? Ich bin jetzt im Schwimmbad. Die akustischen Bedingungen sind also nicht perfekt …

Ach, Schwimmbad ist doch schön!

Wo seid ihr grade?

Wir stehen gerade im Stau. Wir sind irgendwie den ganzen Sommer entweder in Staus oder in Gewittern oder beides, und gerade sind wir im Stau zwischen Münster und Berlin. Wir hätten gestern in Münster spielen sollen und haben dann aber nach drei Songs die Show abbrechen müssen wegen Gewitter.

Shit, wie war das genau?

Es war sehr, sehr frustrierend. Wir waren schon auf der Bühne, wurden dann wieder zurückgebeten und saßen dann bangend eine halbe Stunde im Backstageraum rum. Dann durften wir doch spielen, aber nach drei Songs kam unser Tourmanager und flüsterte mir ins Ohr, wir sollten kommentarlos von der Bühne gehen. Das war eine sehr unangenehme Situation, weil ich vielen fragenden Gesichtern keine Antwort geben durfte. Klar, ich verstehe, dass ich nicht das Festival in Panik ausbrechen lassen kann, aber es ist trotzdem super blöd, von der Bühne zu gehen ohne sagen zu dürfen: "Hey, sorry, es regnet gleich übelst krass, geht mal besser nach Hause." Aber es gibt auf jeden Fall Schlimmeres als ein Konzert wegen Unwetter absagen zu müssen. Zum Beispiel, wenn Leute in einem Gewitter verletzt werden, weil das Konzert nicht abgesagt wurde.

So wie bei Rock am Ring, wo danach unter anderen eurer Auftritt ausfiel.

Genau, wie da auch. Wir waren auf dem Weg von Rock im Park zu Rock am Ring. Mitten in der Nacht – wir haben tief geschlafen – hat unser Tourmanager erfahren, dass Rock am Ring geräumt wird. Wir sind dann am nächsten Morgen aufgewacht und waren plötzlich nicht am Festival, sondern vor unserem Proberaum und ziemlich ernüchtert.

Aber eure Rock im Park-Show war dafür gut?

Ja, die war richtig schön. Ein schönes erstes Mal.

Was steht denn jetzt bei euch an? Das Album ist draußen, die "Vom Wissen Und Wollen"-Tour beginnt erst im Herbst. Könnt ihr euch ein bisschen zurücklehnen, erstmal?

Also, jetzt nach dem Release sind wir am Rumfahren und geben viele Interviews, aber an sich schon. Wir spielen noch ein paar Festivals, bereiten uns mental auf die Tour vor, und vielleicht drehen wir auch nochmal ein Video, aber mal kucken! Gerade sind wir eigentlich schon entspannt unterwegs.

Das Album hat Platz 14 in den Charts erreicht.

Das ist auf jeden Fall abgefahren. Krass, wie das angenommen wurde. Ich habe zwar an die Platte geglaubt, aber sie ist halt doch relativ sperrig. Ich kann mir schon vorstellen, dass sie für manche nicht so leicht zugänglich ist. Wir sind sehr dankbar, dass so viele Leute anscheinend Bock haben, sich auf sowas einzulassen.

Mit "Absorber" und "Euphoria" habt ihr die beiden Songs vorab veröffentlicht, die die zwei Richtungen des Albums aufzeigen. "Absorber" fällt dabei besonders aus der Reihe. Habt ihr diskutieren müssen oder war diese Entscheidung für alle klar?

Es hat sich irgendwie logisch angefühlt. Natürlich haben wir darüber gesprochen und überlegt, aber vor allem war es dann Susanne (Heinrich, Anm. des Autors), die das Musikvideo unbedingt zu diesem Song machen wollte. Dass "Euphoria" der Album-Opener sein sollte, da waren wir uns schnell sicher. Das mit "Absorber" hat sich dann also ergeben, und wir finden es auf jeden Fall schlüssig, so. Die beiden Songs und die Videos zeigen die Bandbreite, die einen erwartet.

"Wir sehen uns nicht als Deutschrock-Band"

In eurer Studiodoku sagst du, es sei nicht immer leicht, mit dem begrenzten Instrumentarium einer Deutschrock-Band.

Wir sehen uns ja eigentlich nicht als Deutschrockband, darunter verstehen wir was anderes.

Okay. Ich frag' dich jetzt nicht, welche Musikrichtung ihr dann spielt, Schubladen sind ja eh doof.

Nee, ich find' Schubladen schon wichtig! Schubladen sind praktisch. Wir würden auf jeden Fall sagen, dass wir unsere Eigeninterpretation von Post-Hardcore machen, mit deutschen Texten. Mit Deutschrock verbinde ich eher, jetzt trete ich sicher wieder irgendwem auf die Füße, sowas wie die Onkelz. Da machen wir jetzt schon eine andere Musik. Deutschrock hat was Konservatives, und das ist auch gut so. Aber wir sehen uns da nicht.

Hahaha. Gut, dass wir darüber geredet haben, dann haben wir da wohl unterschiedliche Definitionen. In der Onkelz-Schublade seid ihr für mich jedenfalls auch nicht. Was ich eigentlich fragen wollte: Habt ihr im Vorfeld Druck verspürt, irgendwie einen neuen Drive in eure Musik reinbringen zu müssen oder sind das alles ganz natürlich entstandene Ideen? Der Loop in "Absorber" zum Beispiel ist schon ungewöhnlich.

Beides. Natürlich passieren Sachen, weil man sich Gedanken macht. "Absorber" ist jetzt kein Zufallsprodukt, da haben wir uns was dabei gedacht (lacht). Wir hören viel Musik und denken viel über Musik nach. Wir versuchen eine Musik zu kreieren, die die unsere ist, die so viel es geht mit uns zu tun hat und nicht einfach nur eine Kopie von etwas ist, was wir schon kennen. Aber trotzdem sitzen wir jetzt nicht verkopft da und denken, wir müssten so viel wie möglich anders machen als alle anderen oder als wir es bisher gemacht haben. Es ist halt einfach auch eine große Freude, Sachen auszuprobieren. Das ist auf jeden Fall ein Forschungsgebiet von uns, aber jetzt auch keine Pflicht, um ein Song zu werden, den wir geil finden. "Lied Über Nichts" oder "Nacht Ein" sind vom Aufbau her ja streng genommen richtige 0815-Lieder.

In eurem Pressetext habe ich gelesen, dass ihr den Gesang separat in den Schweizer Alpen aufgenommen habt, gabs dafür einen Anlass?

Ja, einen ganz konkreten! Unser Produzent Simon ist ein Schweizer und kommt aus der Stadt Chur. Seine Eltern haben dort in den Alpen ein Ferien-Domizil. Das Haus ist komplett aus Holz, klingt wahnsinnig gut und ist voll gemütlich. Man kann sich da so richtig einmummeln, und das haben wir dann auch gemacht. Fünfeineinhalb Wochen haben wir uns da drin vergraben und haben geschrieben und aufgenommen.

Geschrieben auch? Also waren die Texte noch nicht ganz fertig?

Es war viel fertig an Text, aber nicht alles. Ich habe aber viel auch nochmal umgeworfen und vor allem viel weggeschmissen und neu gemacht.

Ist dein Lieblingssprachspiel von dir das mit den Wunden und den Wundern? Das habt ihr auf jede Platte von euch getan.

(Lacht) Ähm, tatsächlich, da zitiere ich mich einfach jedes Mal selbst. Das ist aber in der Ursprungsversion im Song "Schatz" auf unserer EP ein Zitat von der Band Wir Sind Helden. Die haben diesen tollen Song "Die Zeit Heilt Alle Wunder". Was er meiner Meinung nach zu sagen versucht, finde ich gut und richtig, deswegen habe ich ihn irgendwann auch zitiert. Allerdings wurde das immer missverstanden. Viele Leute verstehen nämlich "Die Zeit Heilt Alle Wunden", was schon zuvor viele Menschen gesagt haben, und das vielleicht stimmt oder auch nicht stimmt, worum es aber gar nicht geht. Wenn man mal im Internet nachschaut – das macht man manchmal, wenn man sich das traut – wenn man also die eigenen Texte googlet und was die Leute da eigentlich verstehen, dann ist das manchmal sehr ernüchternd. Da denkt man sich dann krass, ich hab' mir diese Gedanken gemacht und hab' versucht, eben nicht das offensichtliche Wortspiel zu benutzen, und ihr versteht aber eigentlich alle das Offensichtliche und findets dann trotzdem cool, dann kotzt mich das schon fast an (lacht). Seitdem habe ich in jedem Song, in dem sich das angeboten hat, nochmal darauf Bezug genommen. Das ist also ein kleiner Gag für mich selbst, aber nach den drei Malen ist jetzt, glaube ich, Schluss.

"Alle haben immer die Cancer Bats dabei!"

Okay. Wie kommst du denn sonst auf deine Texte? Hattest du im Schreibprozess Momente, wo etwas kommen musste aber nichts kam, oder ging es locker, weil eh viel Output da war?

Auch hier wieder beides. Manchmal ist es einfach da, manchmal muss ich mich hinsetzen und mühevoll Sätze aus mir rauspressen. Manchmal geht es auch Hand in Hand mit der Musik. Vor allem aber merke ich, dass es nichts bringt, einfach zu warten. Auch wenns mal schwierig ist und mir nichts einfällt, was ich gut finde, muss ich mir das Schlechte einfach trotzdem rausschreiben und wegschreiben, bis dann wieder was Gutes kommt. Das ist immer so ein Wechselspiel zwischen totaler Euphorie und totalen Selbstzweifeln.

Letzte Frage: Für wen würdet ihr denn gerne mal supporten?

Supporten? Ähh, ja, grade kommen ja richtig viele geile Bands aus ihren Verschlägen gekrochen. Thrice haben ein neues Album, Norma Jean haben einen neuen Song, Underoath gehen auf Tour. Es gibt auf jeden Fall so ein paar Heldenbands, die in Deutschland früher oder später mal wieder vorbeikommen müssten, bei denen wir uns als Teenies immer gewünscht haben, dass wir mit denen mal auf einer Bühne stehen. Tatsächlich könnte das irgendwann wirklich funktionieren, das wäre der Wahnsinn. Aber wahrscheinlich haben die dann sowieso wieder die Cancer Bats dabei (lacht) – jede Band von denen hat die Cancer Bats dabei! – aber das ist in Ordnung, die Cancer Bats dürfen auch für immer die Supportband von allen Bands sein.

Haha, alles klar. Ja, dann genießt das Wochenende und hoffentlich besseres Wetter bei den Auftritten!

Eine Sache habe ich jetzt noch nicht verstanden, ich habe vorhin auf deinem Telefon angerufen und dann hat jemand ne Mailboxansage gemacht der genau so klang wie Raffi von Grossstadtgeflüster. Der ist Hamburger oder Bremer, und deine Stimme klingt jetzt aber ganz anders. Hast du ein neues Telefon oder bin ich verrückt?

Ach, das ist meine Mailboxansage, die irgendwie schon einige Leute moniert haben. Ich hab die mit 16 oder 17 mal bisschen übermotiviert eingesprochen und weiß nicht, wie ich die ändere. Wusste bisher aber nicht dass ich da norddeutsch klinge? Ich bin auf jeden Fall aus Bayern.

Ja, nee, die Ansage ist super, ich war nur total verwirrt als ich dann deine echte Stimme gehört habe. Aber habe verstanden, cool. Dann ist mein Gehirn doch nicht dumm.

Schöner Abschlusssatz. Dann machs gut!

Danke, du auch. Danke fürs Gespräch.

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