laut.de-Kritik

Ein sternfunkelnd-schwarzes Rock-Raumschiff mit Lemmy im Maschinenraum.

Review von

Ian 'Lemmy' Kilmister, der legendäre Mister Motörhead, der sich nun für immer im Rock'n'Roll-Himmel wiegt, hatte schon vor der einzigartigen Karriere seiner Signature-Band ein recht bewegtes Musikerleben hinter sich. Nach anfänglichen Versuchen auf der Gitarre, danach mit fernöstlich und psychedelisch angehauchten Klängen bei den seltsamen Freaks von Sam Gopal (wo er übrigens noch mit erstaunlich 'rauchfreier' Stimme sang), landete er 1972 wohl eher zufällig bei dem drogenschwangeren Musiker-Kollektiv Hawkwind.

Dieses hatte bis zum Einstieg von Lemmy, der sich dort lieber den Bass als die Gitarre umschnallte, schon zwei schöne Platten eingespielt, die aber eher noch so klangen, als ob man unter der Wirkung der jeweils eingepfiffenen Drogen nach der richtigen Orientierung suchte. Das reizende und verspielte selbstbetitelte Debüt von 1970 wies noch auf die Herkunft der beteiligten Musiker als Straßenmusiker hin und bot reichlich versponnene akustische Hippie-Klänge samt den dazugehörigen verschlüsselten Texten.

Der Nachfolger "In Search Of Space" baute zwischen wabernd verhallten Sound-Collagen dann schon wesentlich straffere Rock-Strukturen ein und lieferte mit dem musikalischen Urknall "Master Of The Universe" einen Space Rock-Hit für die Ewigkeit ab. Hawkwind hatten den irdischen Hippie-Spielplatz verlassen und starteten ihren Trip in die unendlichen Weiten des Alls, den sie bis zum heutigen Tag mit ständig wechselnder Besetzung noch nicht abgeschlossen haben.

Richtig ernst wurde es aber mit ihrem dritten Album "Doremi Fasol Latido", das trotz des komischen, kindisch erscheinenden Titels ein wahrhaftes Monument des Space Rock darstellt, mithin praktisch die Blaupause für dieses Genre und bis heute Inspirationsquelle für unzählige Epigonen. Dazu zählen auch die sagenhaften Monster Magnet, die ohne diesen Einfluss kaum denkbar sind. Im Vorfeld dieser Veröffentlichung landeten Hawkwind ihren ersten und einzigen Single Hit "Silver Machine", den Lemmy mitkomponiert hatte und auf dem er auch die Lead Vocals übernahm. "I, I just took a ride on a silver machine and I'm still feeling mean ...". Unsterbliche Worte. Zusammen mit der hypnotischen, erdschwer bedrohlichen B-Seite "Seven By Seven" konnte man hier schon vorausahnen, was einen bei dem darauf folgenden Album erwartete.

Darüber hinaus lässt sich bei "Silver Machine" bereits die prägende Handschrift des ernsthaften und stets dominanten Steinbocks Lemmy deutlich erkennen. Und die hat ganz offensichtlich auch das Space Rock-Monster "Doremi Fasol Latido" zu dem gemacht, was es bis heute darstellt. In der Rückschau von heute aus kann man das noch leichter behaupten, ohne es natürlich endgültig beweisen zu können. Aber schon das kalte, sinistre, in Schwarz und Silber gehaltene Cover-Artwork, das sich so radikal von den bunten Hüllen der zwei Vorgängerplatten unterscheidet, ist ein erstes Indiz. Und das neue, fett mittig platzierte Hawkwind-Logo auf der Vorderseite sieht mit einiger Fantasie aus wie ein Vorläufer des berühmten Motörhead-Schädels, der weiß auf schwarz auf der ersten 'richtigen' Motörhead-Scheibe prangt.

Viel wichtiger als diese 'dekorativen' Spekulationen aber ist Lemmys Bass, der fast durchgehend den Sound dieser Platte entscheidend mitbestimmt. Schon der überragende, über elfminütige Opener "Brainstorm" macht das klar. Denn der unablässig vorwärts treibende, leicht übersteuerte Viersaiter, der ein vom übrigen Geschehen fast losgelöstes Eigenleben führt, hält all die darüber schwebenden, verzerrten, durch alle möglichen elektronischen Filter gepressten Instrumente und sonstigen Ton-Erzeuger zusammen und weist ihnen verlässlich den Weg ins Ohren zerfetzende, Nerven zermalmende Ziel. Dies ist die konsequente Weiterentwicklung des schon erwähnten "Master Of The Universe". Repetitiver Gesang beschwört Angst vor der Selbst-Auflösung. Mit Space-Romantik hat das kaum mehr zu tun, eher mit Paranoia und dementsprechenden Flucht-Fantasien. Ein Monstertrack, den folgerichtig Monster Magnet auf ihrem Album "Superjudge" einigermaßen ehrenhaft umgesetzt haben.

Abrupter Stilwechsel nach einem seltsam unfertigen Übergang. "Space Is Deep", eine Hommage an die wesen- und eigenschaftslose Neutralität des Weltalls, startet mit elektrisch aufgebohrten Akustik-Gitarren und oszillierenden Synthesizer-Sounds und entwickelt sich zu einer total verhallten Weltraum-Ballade, in der Lemmys Bass zwischenzeitlich wieder einmal seine ganz eigenen Geschichten erzählt. Ausfransendes Ende, das in das kurze, stark verfremdete Klavier-Intermezzo "One Change" überleitet.

Die folgende Fuzz-Gitarren-Orgie "Lord Of Light" lebt vor allem von drängendem, melodramatischem Gesang, der fast gesprochenen Beschwörungsformel "Flying is trying is dying, flying is trying is dying, flying is trying is dying" und der sich unablässig wiederholenden Bassfigur, über der sich die Elektro-Klampfen immer weiter im rauschenden Nebel verlieren. Ein fantastisches Hall-Inferno, das mit knappen sieben Minuten leider etwas zu kurz gerät, um einen komplett in den Wahnsinn zu treiben. Aber wir sind ja noch nicht fertig.

Richtig schön wird es mit dem übergangslos einsetzenden "Down Through The Night", einer akustisch umgesetzten Kälteschlaf-Reise zu einer fernen Galaxis. "Only the rushing is heard, onward flies the bird. Deep, deep and deep must we sink in our sleep. Down down and down, down down and down, round round and round, returning volumes of sound ..." Das erinnert an Filme wie "2001: Odyssee im Weltraum" oder "Alien", wo arglose Astronauten tiefgefroren einem ungewissen Schicksal entgegen fliegen. Es ist zum eisige Tränen weinen.

Zurück zu Lemmy. Der hat im folgenden fast neunminütigen, anstrengend hämmernden Weltflucht-Ritual "Time We Left This World Today" seinen endgültig größten Auftritt auf diesem Album. Denn hier rezitiert er nicht nur den spärlichen Text, sondern sein monströser, ständig mäandernder Bass schiebt auch alles andere an Geräuschen vor sich her und letztlich zur Seite.

Kein Wunder, dass der zum Ende der Platte vorgetragene Akustik-Track "The Watcher" aus der Feder von Herrn Kilmister stammt, der ihn auch selbst mit lakonischer Stimme vorträgt. Wenn er schlussendlich über pfeifenden Synthi-Tönen "this is the end now" verkündet, dann duldet das keinen Widerspruch. Der Herr hat gesprochen!

Es ist ganz einfach. Ohne Lemmy im Maschinenraum wäre "Doremi Fasol Latido" niemals so ein Monstrum geworden. So ernsthaft und unerbittlich waren Hawkwind nie wieder. Dieses Album ist der Grundstein für ihren zeitweiligen Ruhm und natürlich für das legendäre folgende mehrteilige Live-Dokument "Space Ritual" von 1973, das die Band in Hochform präsentiert und auf dem Herr Kilmister auf dem Über-Track "Orgone Accumulator" ein fabelhaftes, geradezu endloses Bass-Solo spielt, das seinesgleichen sucht.

Auch die anderen Hawkwind-Alben mit Lemmys Beteiligung haben ihre Reize. Sie heißen "Hall Of The Mountain Grill" und "Warrior On The Edge Of Time" und gehören zum Stärksten, was die Band geschaffen hat. Die Stücke "The Watcher" von "Doremi Fasol Latido" und "Lost Johnny" von "Hall Of The Mountain Grill" hat Lemmy nach seinem Rausschmiss bei Hawkwind im Jahre 1975 mit seiner eigenen Band Motörhead noch einmal aufgenommen. Das Identifikations-Stück "Motörhead" schrieb er damals für Hawkwind, die es auch zuerst veröffentlicht haben. So eng sind die Verflechtungen.

Halten wir fest: "Doremi Fasol Latido" ist ein eherner Gedenkpfeiler sowohl für Hawkwind als auch für den ehrenwerten Herrn Kilmister. (Nicht nur) jeder, der sich Motörhead-Fan schimpft, sollte diese Platte kennen.

Übrigens: Die vielen Bonus-Tracks auf den diversen Neuveröffentlichungen dieses Meisterwerks sind durchaus respektabel, aber dennoch entbehrlich. Das Original steht auch ohne das für sich selbst.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Brainstorm
  2. 2. Space Is Deep
  3. 3. One Change
  4. 4. Lord Of Light
  5. 5. Down Through The Night
  6. 6. Time We Left This World Today
  7. 7. The Watcher

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